Zivilrecht

Bereicherungsrecht

Die Leistungskondiktion

Kondiktionsausschluss nach § 814: Kenntnis der Anfechtbarkeit (anfechtbar durch den Leistungsempfänger) = Kenntnis der Nichtschuld?

Kondiktionsausschluss nach § 814: Kenntnis der Anfechtbarkeit (anfechtbar durch den Leistungsempfänger) = Kenntnis der Nichtschuld?

13. Juli 2025

16 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

V verkauft und übereignet K formwirksam eine Immobilie. V behauptet dabei wahrheitswidrig, die Immobilie werde sich (wg. Steuerersparnis und Mieteinnahmen) "von selbst tragen". V weiß, dass K aus diesem Grund den Kaufvertrag anfechten kann. Als K die Täuschung erkennt, tut er dies auch.

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Einordnung des Falls

Kondiktionsausschluss nach § 814: Kenntnis der Anfechtbarkeit (anfechtbar durch den Leistungsempfänger) = Kenntnis der Nichtschuld?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K kann den Kaufvertrag wirksam anfechten (§ 123 Abs. 1 BGB).

Genau, so ist das!

V hat K widerrechtlich über Tatsachen getäuscht. K unterlag infolgedessen einem Irrtum, der ihn zur Abgabe der Willenserklärung veranlasst hat. Da V wusste, dass die Steuervorteile und Mieteinnahmen die Immobilienkosten nicht übersteigen und er K hierüber täuschen wollte, handelte er auch arglistig.
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2. K hat „etwas erlangt“ (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

„Etwas“ im Sinne von § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB ist jede vorteilhafte Rechtsposition. Der Vorteil muss tatsächlich in das Vermögen des Schuldners übergegangen sein. Man kann vier Kategorien unterscheiden: (1) Rechte (z.B. Eigentum), (2) vorteilhafte Rechtsstellungen (z.B. Besitz), (3) Befreiung von Verbindlichkeiten, (4) erlangte Nutzungen an fremden Sachen oder Rechten. K hat durch die Übereignung (§§ 873, 925 BGB) durch V Eigentum an der Immobilie und somit einen Vermögensvorteil erlangt.

3. K hat das Eigentum an der Immobilie „durch Leistung“ des V (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB) erlangt.

Ja!

Leistung ist jede bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens. Die Zweckbestimmung der Leistung ist eine geschäftsähnliche Handlung. Das Vorliegen einer Leistung ist aus der objektiven Empfängersicht (§§ 133, 157 BGB) zu beurteilen. V wollte mit der Übereignung seine Verbindlichkeit aus dem Kaufvertrag begleichen (solvendi causa). Er hat dazu bewusst und zielgerichtet das Vermögen des K gemehrt.

4. V hat die Leistung an K „ohne rechtlichen Grund“ (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB) erbracht.

Genau, so ist das!

Es gibt keine einheitliche Definition der Rechtsgrundlosigkeit, die für alle Leistungskondiktionen gelten würde. Es sind zu unterscheiden: (1) anfängliches Fehlen einer Verbindlichkeit (condictio indebiti), (2) Rechtsgrund bestand, ist aber nachträglich entfallen (condictio ob causam finitam), (3) Leistung verfolgt einen Zweck, der über Befreiung von einer Verbindlichkeit hinausgeht (condictio ob rem) und (4) Gesetzes- oder Sittenverstoß des Leistungsempfängers (condictio ob turpem vel iniustam causam). Zu 1: Bei der condictio indebiti fehlt der Rechtsgrund, wenn der mit der bewussten Vermögensmehrung verfolgte Zweck verfehlt worden ist. Die h.M. wendet in Fällen der Anfechtung die condictio indebiti an, da § 142 Abs. 1 BGB klarstellt, dass die Anfechtung das anfechtbare Rechtsgeschäft "von Anfang an" (ex tunc) entfallen lässt. Die Gegenansicht verweist darauf, dass der Vertrag aber rein tatsächlich zunächst bestanden habe und erst nachträglich wegfällt und wendet daher § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB an (condictio ob causam finitam).

5. Der Anspruch des V auf Rückforderung von Besitz und Eigentum am Hausgrundstück ist ausgeschlossen (§ 814 Alt. 1 BGB), weil er wusste, dass er zur Übertragung nicht verpflichtet war (§ 142 Abs. 2 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Nach § 814 Alt. 1 BGB kann das Geleistete bei „Kenntnis der Nichtschuld“ nicht zurückgefordert werden. Voraussetzungen des Anspruchsausschlusses nach § 814 BGB sind: (1) Leistung zum Zweck der Erfüllung einer Verbindlichkeit, (2) positive Kenntnis des Leistenden von der Nichtschuld (nach Parallelwertung in der Laiensphäre). § 814 Alt. 1 BGB stellt eine Ausprägung von Treu und Glauben dar. Dahinter steht die Ratio, dass der Leistende bei widersprüchlichem Verhalten (venire contra factum proprium) nicht schutzbedürftig ist. Die Kenntnis der Nichtschuld könnte hier über § 142 BGB fingiert werden. Gegen eine Anwendbarkeit von § 814 BGB spricht aber, dass V zum Zeitpunkt seiner Leistung hierzu (noch) verpflichtet war. K kann zwar anfechten, muss dies aber nicht. Somit liegt kein widersprüchliches Verhalten seitens V vor, da er auf den Bestand seiner Verpflichtung keinen Einfluss hatte. Somit greift der Ausschluss nach seiner Ratio nicht. Nach der Gegenansicht, die über die condictio ob causam finitam löst, kommt es auf § 814 BGB überhaupt nicht an, weil § 814 BGB nach ganz h.M. nur auf die condictio indebiti anwendbar ist.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

GEL

gelöscht

26.3.2022, 14:59:34

Eigentlich liegt hier doch ein Fall von

Unmöglichkeit

vor. Wenn V wusste, dass er kein mangelfreies Haus liefern kann, warum liegt dann dennoch kein Fall von § 814 vor? Schließlich war er ja nur zur Leistung einer mangelfreien Sache verpflichtet…

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

28.3.2022, 16:06:19

Hallo streuner, spannende Frage! In der Verpflichtung zur mangelfreien Leistung steckt aber letztlich auch die Verpflichtung (zumindest) die mangelhafte Sache zu liefern und insoweit ggfs. eine geringere Gegenleistung in Kauf zu nehmen. Ist die Nacherfüllung -wie hier - unmöglich, so obliegt es dann dem Käufer, ob er zu

rücktritt

/mindert/Schadensersatz verlangt. Eine Nicht

schuld

des Verkäufers iSd

§ 814 BGB

liegt darin indes nicht. Diese setzt vielmehr voraus, dass der Vertrag nie bestand/nichtig war oder rückwirkend durch Anfechtung beseitigt wurde (vgl. Wendehorst, in: BeckOK-BGB, 61. Ed Stand:01.02.2022, § 814 RdNr. 6). Die

anfängliche Unmöglichkeit

lässt indes die Wirksamkeit eines Vertrages unberührt (§ 311a Abs. 1 BGB). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

ISA

isa_hh

27.4.2023, 08:06:33

Mir ist unklar, warum bei § 814 damit argumentiert wird, dass K anfechten könnte aber nicht müsste - dann wiederum das Merkmal "ohne Rechtsgrund" aber bejaht wurde. Im Zeitpunkt der Leistung des V besteht der Rechtsgrund ja noch und würde ja weiterhin bestehen, wenn K nicht anfechten würde. Oder wird hier dann darauf abgestellt, dass lt. SV K anficht und ex tunc der Vertrag nichtig ist?

SE.

se.si.sc

27.4.2023, 08:34:11

Dein letzter Satz ist genau der Punkt: Zum Zeitpunkt seiner Leistung war V zu dieser Leistung noch verpflichtet, weil der

Kaufvertrag

noch bestand. Nach Ansicht des BGH kommen wir darüber auch mit § 142 II iVm

814 BGB

nicht hinweg, weil V seine Verpflichtung nicht selbst und einseitig hätte beseitigen können. Kontrollüberlegung: Stellen wir uns mal vor, K möchte trotzdem am Vertrag festhalten, aus welchen Gründen auch immer. Dann wäre V weiterhin an den Vertrag gebunden. Er wusste nur/hätte wissen müssen, dass der Vertrag von K (!) angefochten werden konnte. Sobald K dann tatsächlich anficht, entfällt logischerweise der Rechtsgrund (rückwirkend), § 142 I BGB, an unserer Wertung iRd

§ 814 BGB

ändert das allerdings nichts. § 814 wäre hier aber zB dann anwendbar, wenn V selbst ein Anfechtungsrecht gehabt hätte, das erkannt hat und in diesem Wissen erst seine eigene Leistungshandlung erbringt.

ISA

isa_hh

27.4.2023, 12:00:39

Vielen Dank für diese Erklärung @[se.si.sc](199709)! Jetzt hat es Klick gemacht :)

der unerkannt geisteskranke E

der unerkannt geisteskranke E

25.7.2023, 10:23:48

Das leuchtet grundsätzlich ja ein, insbesondere bei Inhalts- und

Erklärungsirrtum

, da die andere Partei den Anfechtungsgrund entweder überhaupt nicht kennt, oder zumindest die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die andere Partei dennoch am Vertrag festhalten möchte. Das gilt aber bei arglistigem Verschweigen und widerrechtlicher

Drohung

en nicht. Wer einen anderen auf eine solche Weise zum Vertragsschluss bewegt geht ja gerade davon aus, dass die andere Partei den Vertrag ohne

Täuschung

oder

Drohung

nicht schließen würde! Diese Wertung ist in solchen Fällen also nicht überzeugend.

MaxRaspody

MaxRaspody

20.6.2025, 17:24:21

Im Grunde genommen ist der vorliegende Fall nach dem Gesetz so zu behandeln, wie der Fall, in dem V dem K die Immobilie einfach so übereignet, obwohl er weiß, dass er hierzu rechtlich nicht verpflichtet ist und obwohl er nach 142 II auch nicht auf ein

Rechtsgeschäft

, dass ihm eine Gegenleistung gewährt, vertrauen darf. Wenn man 814 hier nicht als erfüllt, dann billigt man dem V ein schutzwertes Vertrauen darauf zu, dass er darauf vertrauen durfte, dass K schon nicht anficht. Aber dieses Vertrauen gewährt die Rechtsordnung dem V nicht, 142 II. Ich kann die Wertung einfach nicht nachvollziehen. Hier betrügt jemand einen anderen und vertraut darauf, dass er nicht auffliegt und das soll dann schutzwertes Vertrauen bedingen? Das Argument, dass V gar nicht wissen konnte, ob K nun anficht oder nicht, überzeugt mich nicht, weil es ihm ja selber zuzurechnen ist: Er hätte den Irrtum aufklären können und müssen. Wenn K dann dennoch bezahlt hätte bzw sich dinglich mit V über den Eigentumsübergang geeinigt hätte, wäre der Vertrag gem 141 II nicht mehr als nichtig anzusehen.

h.s

h.s

14.6.2025, 17:49:27

Es ist unklar formuliert, ob V "vor der Anfechtung" oder "nach der Anfechtung" ohne rechtlichen Grund geleistet hat (vorher gab es den Vertrag als rechtlichen Grund, danach ist dieser entfallen). Eine Schärfung der Formulierung würde dies verständlicher machen.


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