Gewalt gegen Dritte
26. Juli 2023
14 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T will Os wertvolle Antik-Büchersammlung wegnehmen. Damit O dies duldet und keinen Widerstand leistet, schnappt sich T dessen kleinen Sohn S und quält ihn vor Os Augen. O gibt nach; T verschwindet mit den Büchern.
Diesen Fall lösen 63,3 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Gewalt gegen Dritte
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Hat T eine „fremde bewegliche Sache weggenommen“?
Ja!
2. Hat T zur Wegnahme der Büchersammlung auch „Gewalt gegen eine Person“ eingesetzt?
Nein, das ist nicht der Fall!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Tigerwitsch
18.4.2021, 20:08:50
Inwiefern ist T dann strafbar?

Lukas_Mengestu
19.4.2021, 09:10:48
Hallo Tigerwitsch, wenn es bzgl. des Raubes an der
notwendigen
Konnexitätzwischen Wegnahme u. Gewalt fehlt, dann ist immer an die Einzeltatbestände zu denken, die im Raub zusammengefasst sind. Hier also ein vollendeter Diebstahl (§ 242 I StGB) sowie eine Nötigung ggü. O (§ 240 I StGB). Zudem natürlich noch Körperverletzung (§ 223 I StGB) bzgl. des Kindes. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Tigerwitsch
19.4.2021, 09:46:41
Alles klar, vielen Dank! Unabhängig vom dem o. g. Fall: Sofern man einen Raub verneint (zB mangels
Zueignungsabsicht), müsste man uU noch auf § 2
55 StGBeingehen bzw prüfen? Nach Ansicht des BGH ist § 2
49 StGBdas speziellere Delikt zur räuberischen
Erpressung, inkludiert eine solche also.

Lukas_Mengestu
19.4.2021, 13:17:53
Hallo Tigerwitsch, ent
schuldige bitte, ich hatte gerade eine andere Sachverhaltskonstellation vor Augen gehabt. Ich habe mir den Sachverhalt gerade nochmal angeschaut und hier ist natürlich der Raub verwirklicht, nur eben nicht in der Variante der Gewalt, sondern der
Drohung mit einem empfindlichen Übel. Es bleibt also bei § 2
49 StGB. Bezüglich der anderen Frage: ja, in dem Bereich des raubes ist regelmäßig auch die Abgrenzung zur rauberischen
Erpressungvorzunehmen. Vorliegend kann indes ein Entscheid dahinstehen, da sowohl nach der Rspr (äußerlich "nehmen, nicht geben") als auch der Literatur (innere willensrichtung: es bedarf nicht der Mitwirkung) ein Raub vorliegt. Beste Grüße, Lukas
iura novit curia👨🏼⚖️
1.11.2022, 16:49:58
Also laut Fischer (240 Rn. 26 mwN) ist Gewalt gegen Dritte ausreichend, wenn die zu nötigende Person dem Opfer der Gewalt so nahe steht, dass sie sich dadurch beeinflussen lässt. Selbiges müsste doch auch für das Nötigungselement im Rahmen des Raubes gelten. Wieso ist es im hier dargestellten Fall anders?
Martin.
26.1.2023, 22:48:43
Genauso hatte ich es auch im Kopf

Larzed
9.2.2023, 12:38:35
Hier liegt es deshalb anders, weil S kein schutzbereiter Dritter ist. Der Dritte muss gewillt und in der Lage sein, das Tatobjekt gegen Wegnahme zu sichern.

Jeon Jungkook
11.7.2023, 19:03:11
Wäre schön wenn Larzed noch erklären könnte, warum es so ist.

Lord Denning
5.7.2024, 10:50:44
Das alles wäre aber unter dem TB-Merkmal der “
Drohung” zu subsumieren. Die Gewalt muss gegen das Opfer wirken, weil sonst eine rein psychische Wirkung bei Ihm eintritt, die aber für eine körperliche Zwangswirkung nicht ausreicht.

robse27
28.9.2024, 15:57:46
Moin zusammen, möchte mich @Lord Denning anschließen und auf Rengier BT I, § 7 Rn. 17, 20 hinweisen (26. Aufl., 2024): Bei der Gewalt (!) geht die Gewaltanwendung nur gegenüber Dritten, die (aus Tätersicht) zum Gewahrsamsschutz bereit sind (Rn. 17). Das kleine Kind ist es - auch (und das ist hier entscheidend) aus Tätersicht offensichtlich - nicht (so auch das explizite Beispiel bei Rengier). Der Vater wird eher psychisch dazu gezwungen, dem Täterwillen beizugeben -> es handelt sich daher „nur“ um eine psychische Zwangswirkung, die nicht von der Gewalt umfasst ist. Meine zwei Thesen zum Unterschied zu § 240 und der Fundstelle im Fischer @iura novit curia👨🏼⚖️: - Einerseits das Zusatzmerkmal „gegen eine Person“ (die bei § 240 nicht vorkommt), und in Verbindung damit - Andererseits der raubspezifische Zusammenhang; die Person, die von der qualifizierten Gewalt betroffen ist, muss mit dem Gewahrsam zumindest irgendwas zu tun haben (hier die Schutzbereitschaft). So zumindest könnte ich es mir erklären (keine Gewähr). ABER dafür gibt es dann die zweite Alternative; die
Drohung. Das Inaussichtstellen der qualifizierten
Gefahrkann sich auch auf Dritte beziehen (hier das Erwürgen des Kindes / oder der Ladenräuber will nen Kunden umbringen, wenn der Kassierer nicht die Kohle rausrückt). Dazu dann Rengier: „Entscheidend ist, ob der Nötigungsadressat das einem Anderen zugedachte Übel gleichermaßen für sich selbst als Übel empfindet und dadurch im Sinne des Täterverlangens motiviert, d.h. zu einem bestimmten Verhalten gezwungen wird.“ (Rn. 20) So ist es dann hier. Wichtiger Nachtrag dazu: Der Adressat der
Drohung(wer bedroht wird) muss nicht identisch sein mit dem, auf den sich das künftige Übel bezieht. So ist es im hier vorliegenden Fall; Vater ist Nötigungsadressat, Sohn das potenzielle Opfer. Nötigungsadressat können auch wiederum Dritte werden, wenn sie aus Tätersicht schutzbereit sind. (Rn. 21) Somit kann das Kind nicht (zumindest bei § 249!) bedroht werden (also Nötigungsadressat sein), weil es nicht schutzbereit ist. Man merke sich also: Adressaten von § 249 (von der Gewalt und der
Drohung) sind nur die Schutzbereiten (also jeweils nicht das Kind, weil es nicht schutzbereit ist). Bei der
Drohungmuss sich das künftige Übel aber nicht auf den Adressaten (= Schutzbereiten) beziehen (sondern nur die
Drohung, also das Inaussichtstellen!), sondern auch gegen Dritte, wenn der Adressat das gleichermaßen für sich als Übel empfindet (daher hier einschlägig; Rn. 20, s. o.). LG :)

sy
2.3.2025, 19:16:02
welche Tatbestände sind hier nun letztlich einschlägig ?

Larzed
21.5.2025, 12:18:18
robse27 hat das zutreffend erklärt. Anders als
§ 240 StGBbedarf es einer Schutzbereitschaft, damit auch Gewalt gegen Dritte bejaht werden kann. § 2
49 StGBsetzt voraus, dass die Gewalt jedenfalls den zu erwartenden Widerstand gegen die Wegnahme brechen soll. Der Wortlaut selbst spricht dabei jedoch nur von "Gewalt gegen EINE Person". Daraus ergibt sich nicht notwendig, dass der unmittelbare Gewahrsamsinhaber Adressat der Gewalt werden müsse. Dies wird deutlich bei den Geldautomatfällen, in denen der zunächst berechtigte Bankkunde mit seiner PIN den Automaten korrekt bedient und anschließend vom Täter weggestoßen wird, sodass der Täter nunmehr den Geldbetrag eingibt und das Geld aus dem Ausgabefach entwendet. Hier wird die Frage des Gewahrsams am Geld von den Senaten des BGH unterschiedlich beurteilt. Folgt man dem Dritten Strafsenat (NStZ 2019, 728), so liegt in diesen Fällen zumindest ein gewahrsamsrest bei der ausgebenden Bank, da sie noch durch den Rückführmechanismus auf das Geld im Ausgabefach einwirken kann. Danach wäre der Kunde nicht gewahrsamsinhaber sondern die Bank. Dennoch läge Raub vor, da der Kunde ja bereit ist, "sein" Geld zu schützen.

Fiona
12.10.2023, 16:19:59
Frage vielleicht umformulieren, denn „Gewalt gegen eine Person“ fragt hier nicht explizit nach Gewalt gegen den angezielten Bedrohten. Ich weiß, die Frage ist gemäß Straftatbestand gestellt, aber hier etwas irreführend. Schließlich ist das Kind, was die Gewalt unmittelbar erfährt, auch eine Person.
Leo Lee
14.10.2023, 17:17:43
Hallo Fiona, in der Tat ist die Aufgabe auf den ersten Blick etwas verwirrend. Allerdings haben wir die Frage bewusst derart formuliert, weil es ein häufiger Fehler ist in den Klausuren, dass wegen des Begriffs "...gegen eine Person" die Bearbeitenden ohne Weiteres - auch in Fällen wie diesem - die Gewalt bejahen. Wir würden dich insofern um Verständnis bitten :). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo