Gewalt gegen Dritte

26. Juli 2023

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs-Illustration zum Fall zur Gewalt gegen Dritte: Ein Mann will die wertvolle Antik-Büchersammlung seines Opfers wegnehmen. Damit das Opfer dies duldet und keinen Widerstand leistet, schnappt sich T dessen kleinen Sohn und quält ihn vor den Augen des Opfers.

T will Os wertvolle Antik-Büchersammlung wegnehmen. Damit O dies duldet und keinen Widerstand leistet, schnappt sich T dessen kleinen Sohn S und quält ihn vor Os Augen. O gibt nach; T verschwindet mit den Büchern.

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Einordnung des Falls

Gewalt gegen Dritte

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Hat T eine „fremde bewegliche Sache weggenommen“?

Ja!

Tathandlung ist zunächst die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache. Diese wird identisch zur Wegnahme in § 242 Abs. 1 StGB definiert und geprüft. Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendigerweise tätereigenen Gewahrsams. T hat Os Antik-Büchersammlung entwendet, dadurch fremden Gewahrsam gebrochen, neuen Gewahrsam begründet und mithin eine fremde bewegliche Sache auch weggenommen.
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2. Hat T zur Wegnahme der Büchersammlung auch „Gewalt gegen eine Person“ eingesetzt?

Nein, das ist nicht der Fall!

Gewalt gegen eine Person bedeutet, dass die Gewaltanwendung unmittelbar oder mittelbar auf den Körper des Opfers bezogen sein muss. Rein psychische Einwirkungen und Gewalt gegen Sachen scheiden daher aus. Als Adressaten der Gewalt kommen auch Dritte in Betracht, sofern diese bereit sind, den Gewahrsam zu schützen. Gewalt gegen Personen ohne Verteidigungsbereitschaft genügt nicht. Hier hat T durch Quälen des S Os Duldung erwirkt. Der kleine S war allerdings nicht bereit, den Gewahrsam an der Büchersammlung zu schützen. Er war damit nicht tauglicher Dritter. Bei O wurde nur eine psychische Zwangswirkung ausgelöst, die allein von der Drohungsvariante erfasst wird.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Tigerwitsch

Tigerwitsch

18.4.2021, 20:08:50

Inwiefern ist T dann strafbar?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

19.4.2021, 09:10:48

Hallo Tigerwitsch, wenn es bzgl. des Raubes an der notwendigen Konnexität zwischen Wegnahme u. Gewalt fehlt, dann ist immer an die Einzeltatbestände zu denken, die im Raub zusammengefasst sind. Hier also ein vollendeter Diebstahl (§ 242 I StGB) sowie eine Nötigung ggü. O (§ 240 I StGB). Zudem natürlich noch Körperverletzung (§ 223 I StGB) bzgl. des Kindes. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Tigerwitsch

Tigerwitsch

19.4.2021, 09:46:41

Alles klar, vielen Dank! Unabhängig vom dem o. g. Fall: Sofern man einen Raub verneint (zB mangels

Zueignungsabsicht

), müsste man uU noch auf § 255 StGB eingehen bzw prüfen? Nach Ansicht des BGH ist § 249 StGB das speziellere Delikt zur räuberischen Erpressung, inkludiert eine solche also.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

19.4.2021, 13:17:53

Hallo Tigerwitsch, entschuldige bitte, ich hatte gerade eine andere Sachverhaltskonstellation vor Augen gehabt. Ich habe mir den Sachverhalt gerade nochmal angeschaut und hier ist natürlich der Raub verwirklicht, nur eben nicht in der Variante der Gewalt, sondern der

Drohung

mit einem empfindlichen Übel. Es bleibt also bei § 249 StGB. Bezüglich der anderen Frage: ja, in dem Bereich des raubes ist regelmäßig auch die Abgrenzung zur rauberischen Erpressung vorzunehmen. Vorliegend kann indes ein Entscheid dahinstehen, da sowohl nach der Rspr (äußerlich "nehmen, nicht geben") als auch der Literatur (innere willensrichtung: es bedarf nicht der Mitwirkung) ein Raub vorliegt. Beste Grüße, Lukas

IUCU

iura novit curia👨🏼‍⚖️

1.11.2022, 16:49:58

Also laut Fischer (240 Rn. 26 mwN) ist Gewalt gegen Dritte ausreichend, wenn die zu nötigende Person dem Opfer der Gewalt so nahe steht, dass sie sich dadurch beeinflussen lässt. Selbiges müsste doch auch für das Nötigungselement im Rahmen des Raubes gelten. Wieso ist es im hier dargestellten Fall anders?

MAR

Martin.

26.1.2023, 22:48:43

Genauso hatte ich es auch im Kopf

Larzed

Larzed

9.2.2023, 12:38:35

Hier liegt es deshalb anders, weil S kein schutzbereiter Dritter ist. Der Dritte muss gewillt und in der Lage sein, das

Tatobjekt

gegen Wegnahme zu sichern.

Jeon Jungkook

Jeon Jungkook

11.7.2023, 19:03:11

Wäre schön wenn Larzed noch erklären könnte, warum es so ist.

Lord Denning

Lord Denning

5.7.2024, 10:50:44

Das alles wäre aber unter dem TB-Merkmal der “

Drohung

” zu subsumieren. Die Gewalt muss gegen das Opfer wirken, weil sonst eine rein psychische Wirkung bei Ihm eintritt, die aber für eine körperliche Zwangswirkung nicht ausreicht.

robse27

robse27

28.9.2024, 15:57:46

Moin zusammen, möchte mich @Lord Denning anschließen und auf Rengier BT I, § 7 Rn. 17, 20 hinweisen (26. Aufl., 2024): Bei der Gewalt (!) geht die Gewaltanwendung nur gegenüber Dritten, die (aus Tätersicht) zum Gewahrsamsschutz bereit sind (Rn. 17). Das kleine Kind ist es - auch (und das ist hier entscheidend) aus Tätersicht offensichtlich - nicht (so auch das explizite Beispiel bei Rengier). Der Vater wird eher psychisch dazu gezwungen, dem Täterwillen beizugeben -> es handelt sich daher „nur“ um eine psychische Zwangswirkung, die nicht von der Gewalt umfasst ist. Meine zwei Thesen zum Unterschied zu § 240 und der Fundstelle im Fischer @iura novit curia👨🏼‍⚖️: - Einerseits das Zusatzmerkmal „gegen eine Person“ (die bei § 240 nicht vorkommt), und in Verbindung damit - Andererseits der raubspezifische Zusammenhang; die Person, die von der qualifizierten Gewalt betroffen ist, muss mit dem Gewahrsam zumindest irgendwas zu tun haben (hier die Schutzbereitschaft). So zumindest könnte ich es mir erklären (keine Gewähr). ABER dafür gibt es dann die zweite Alternative; die

Drohung

. Das Inaussichtstellen der qualifizierten Gefahr kann sich auch auf Dritte beziehen (hier das Erwürgen des Kindes / oder der Ladenräuber will nen Kunden umbringen, wenn der Kassierer nicht die Kohle rausrückt). Dazu dann Rengier: „Entscheidend ist, ob der Nötigungsadressat das einem Anderen zugedachte Übel gleichermaßen für sich selbst als Übel empfindet und dadurch im Sinne des Täterverlangens motiviert, d.h. zu einem bestimmten Verhalten gezwungen wird.“ (Rn. 20) So ist es dann hier. Wichtiger Nachtrag dazu: Der Adressat der

Drohung

(wer bedroht wird) muss nicht identisch sein mit dem, auf den sich das künftige Übel bezieht. So ist es im hier vorliegenden Fall; Vater ist Nötigungsadressat, Sohn das potenzielle Opfer. Nötigungsadressat können auch wiederum Dritte werden, wenn sie aus Tätersicht schutzbereit sind. (Rn. 21) Somit kann das Kind nicht (zumindest bei § 249!) bedroht werden (also Nötigungsadressat sein), weil es nicht schutzbereit ist. Man merke sich also: Adressaten von § 249 (von der Gewalt und der

Drohung

) sind nur die Schutzbereiten (also jeweils nicht das Kind, weil es nicht schutzbereit ist). Bei der

Drohung

muss sich das künftige Übel aber nicht auf den Adressaten (= Schutzbereiten) beziehen (sondern nur die

Drohung

, also das Inaussichtstellen!), sondern auch gegen Dritte, wenn der Adressat das gleichermaßen für sich als Übel empfindet (daher hier einschlägig; Rn. 20, s. o.). LG :)

Fiona

Fiona

12.10.2023, 16:19:59

Frage vielleicht umformulieren, denn „Gewalt gegen eine Person“ fragt hier nicht explizit nach Gewalt gegen den angezielten Bedrohten. Ich weiß, die Frage ist gemäß Straftatbestand gestellt, aber hier etwas irreführend. Schließlich ist das Kind, was die Gewalt unmittelbar erfährt, auch eine Person.

LELEE

Leo Lee

14.10.2023, 17:17:43

Hallo Fiona, in der Tat ist die Aufgabe auf den ersten Blick etwas verwirrend. Allerdings haben wir die Frage bewusst derart formuliert, weil es ein häufiger Fehler ist in den Klausuren, dass wegen des Begriffs "...gegen eine Person" die Bearbeitenden ohne Weiteres - auch in Fällen wie diesem - die Gewalt bejahen. Wir würden dich insofern um Verständnis bitten :). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo


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