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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die Partei P verbreitet im Bundestagswahlkampf Pamphlete, welche Politiker anderer Parteien als zu zertretendes Ungeziefer abbilden. P wird letztinstanzlich zur Unterlassung der Verbreitung verurteilt. Hierdurch sieht sich P in ihrer Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) verletzt und beschließt Verfassungsbeschwerde zu erheben.

Einordnung des Falls

Beschwerdefähigkeit politischer Parteien

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde setzt die Beschwerdefähigkeit (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG) der P voraus.

Ja!

Fähig, eine Beschwerde zum BVerfG zu erheben (Beschwerdefähigkeit) ist jedermann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte verletzt worden zu sein (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG). Beschwerdefähig sind alle Personen, die Träger eines der als verletzt gerügten Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte sein können. Auch inländische juristische Personen können Träger von Grundrechten sein, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind (Art. 19 Abs. 3 GG).

2. Können auch politische Parteien wie die P beschwerdefähig sein?

Genau, so ist das!

Parteien sind als privatrechtliche Vereinigungen (§ 2 Abs. 1 PartG) unabhängig von ihrer Rechtsfähigkeit „inländische juristische Personen“ und damit grundrechtsfähig, soweit die Grundrechte ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind (Art. 19 Abs. 3 GG). Jedoch ist der Doppelstatus der Parteien zu beachten. Trotz ihres Charakters als staatsfreie, im gesellschaftlich-politischen Bereich wurzelnde Verbände (§ 2 Abs. 1 PartG) kommt Parteien der Rang eines Verfassungsorgans zu (Art. 21 Abs. 1 GG). Soweit Parteien somit Rechtsschutz im Hinblick auf ihren durch die Verfassung eingeräumten Status suchen, ist lediglich der Organstreit (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, §§ 13 Nr. 5, 63ff. BVerfGG) als speziellerer Rechtsbehelf einschlägig. Auch politische Parteien wie P können im Rahmen der Verfassungsbeschwerde beschwerdefähig sein, soweit sie nicht Rechtsschutz suchen im Hinblick auf ihren durch die Verfassung eingeräumten Status. In solchen Konstellationen musst Du somit stets prüfen, ob die Partei Rechte aus dem ihr durch Art. 21 Abs. 1 GG eingeräumten Status als Verfassungsorgan geltend macht oder sich auf ihr davon unabhängig eingeräumte Grundrechte beruft.

3. Ist P beschwerdefähig, Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil zu erheben?

Ja, in der Tat!

Beschwerdefähig sind alle Personen, die Träger eines der als verletzt gerügten Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte sein können. Parteien sind nach Art. 19 Abs. 3 GG grundrechtsrechtsfähig, wenn das Grundrecht seinem Wesen nach auf diese anwendbar ist. Sie sind jedoch dann nicht beschwerdefähig, wenn sie Rechte aus dem ihr durch Art. 21 Abs. 1 GG eingeräumten Status als Verfassungsorgan geltend machen. P rügt die mögliche Verletzung ihrer Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG). Meinungsäußerungen der Partei sind unmittelbarer Ausdruck der Meinungsfreiheit ihrer Mitglieder. Mithin ist die grundrechtliche Garantie der Meinungsfreiheit ihrem Wesen nach auf P anwendbar (Art. 19 Abs. 3 GG). Zudem macht P eine von ihrem Status als Verfassungsorgan unabhängige Grundrechtsposition geltend und ist folglich beschwerdefähig.

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RELE

Rene Leon

22.6.2020, 22:39:25

Es wäre wichtig zu erfahren, inwiefern derartige Fälle zum Erfolg der Verfassungsbeschwerde führen würden.

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

23.6.2020, 00:41:53

Das ist eine Abwägungsfrage. Die Meinungsfreiheit ist in der Begründetheit mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Abgebildeten abzuwägen. Möglicherweise könnte auch ein Eingriff in die Menschenwürde der Betroffenen vorliegen, da sie als Ungeziefer abgebildet wurden und damit zum bloßen Objekt gemacht wurden. Die Grundrechte wirken dann im Rahmen der mittelbaren Drittwirkung in das Zivilrecht hinein. Ich würde hier vertreten, dass ein Eingriff in die Menschenwürde vorliegt und das deswegen die Plakate zu verbieten waren. Deswegen wäre die Verfassungsbeschwerde unbegründet. A.A. evtl. vertretbar.

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

24.6.2020, 10:16:53

Wird auch in ganz aktuellen Entscheidungen des BVerfG behandelt. Hier eine Besprechung bei LTO: https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/bverfg-beschluss-1-bvr-2459-19-grundrechte-meinungsfreiheit-beleidigung-grenze/

QUIG

QuiGonTim

27.3.2022, 18:07:30

In der Antwort zur zweiten Frage wird zwar ausführlich die Notwendigkeit der Abgrenzung zum Organstreitverfahren erläutert. Dennoch fehlt es hier an dieser Abgrenzung in Form einer fallbezogenen Subsumtion. Könntet ihr das noch ergänzen? :)

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

28.3.2022, 09:47:57

Hallo QuiGonTim, die Subsumtion ergibt sich letztlich aus der Antwort auf Frage 3. Sofern die Partei Grundrechte geltend macht, so kann sie Verfassungsbeschwerde erheben. Geht es dagegen um Statusrecht (Freiheit der Parteiengründung, Chancengleichheit) so kommt dagegen nur das Organstreitverfahren in Betracht. Beste Grüße, lukas - für das Jurafuchs-Team

PH

Philipp

30.1.2023, 18:25:27

Im Beispielsfall handelt es sich um Äußerungen gegenüber einer anderen Partei im Bundestagswahlkampf. Warum unterfallen solche Äußerungen nicht dem Recht auf Chancengleichheit? Gegenüber anderen Parteien Stellung nehmen zu können, beeinflusst doch eig. unmittelbar, wie aktiv eine Partei Wahlkampf machen kann.

Benny0707

Benny0707

14.12.2023, 15:16:14

Hallo Phillip. Meiner Meinung nach gibt es immer verfassungsrechtliche Grenzen zu beachten. Diese sind sowohl im privaten Verkehr als auch im Wahlkampf tragend. Richtig ist, dass der politische Wahlkampf ganz besonders durch Meinungs- und auch Satirekundgebungen geprägt ist. Diese Freiheit findet jedoch ihre Grenzen dort, wo die Rechte der anderen Seite ihre Anfänge zieht. Hier verletzt ein solches Plakat die Menschenwürde bzw. falls man es nicht ganz so sehen mag, das APR der !genau! abgebildeten Politikerin/ des Politikers. Sie als zu zerquetschendes Ungeziefer darzustellen könnte demnach sogar die Gefahr der Gewaltverherrlichung begründen und als Volksverhetzung angesehen werden. Demnach verlässt die Partei mit diesem Plakat die Zone der einfachen Meinungsäußerung und die Plakate sind als rechtswidrig einzustufen. Anders könnte es vielleicht sein, wenn die Partei als Ganzes (z.B. das Parteilogo) der anderen Partei unter dem Schuh abgebildet wäre. Hierbei könnte man eine derartige Degradierung des Politikers/der Politikerin wie im dargestellten Fall ablehnen. Meine Ansicht habe ich bewusst so kurz wie möglich gehalten und hoffe, dass sie verständlich ist. Für eine Diskussion bin ich gerne offen. Lg Benny :)

FABIA

Fabian

13.7.2023, 15:50:50

Wieso sind die Plakate nicht von dem Recht auf Freiheit der politischen Parteien aus Art 21 umfasst. Hier geht es doch gerade um die Äußerung von politischen Inhalten zum Zwecke der politischen Willensbildung, sodass doch Art 21 einschlägig sein müsste, sodass der Organstreit statthaft wäre.

kokapidis

kokapidis

28.8.2023, 10:19:16

Inwiefern ist ein Wahlplakat, was andere Politiker als Ungeziefer darstellt, ein Inhalt zum Zweck der politischen Willensbildung? Es handelt sich vielmehr um ein Werturteil, also eine Meinungsäußerung im Wahlkampf. Zudem beruft sich die Partei P im Sachverhalt auf ihre Meinungsfreiheit und eben nicht auf Art. 21 GG. Wenn der Sachverhalt so gelagert wäre, dass ein Gericht der Partei gänzlich verbieten würde Wahlplakate - egal welchen Inhalts - aufzuhängen, könnte man über eine Verletzung des Gebots der Chancengleichheit der Parteien nachdenken. Es gibt aber kein Recht darauf diffamierende unsachliche Wahlplakate aufzuhängen. Entweder das ist (noch) von der Meinungsfreiheit gedeckt oder eben nicht. Es steht der Partei P frei Plakate mit anderem Inhalt aufzuhängen und somit Wahlkampf zu betreiben. So wurde deine Frage, die bereits gestellt wurde, auch vom Moderator beantwortet.

AR

Artimes

19.3.2024, 15:16:13

Wie wäre die Konstellation zu beurteilen, in der sich die Partei bzgl. einem Sachverhalt auf Art. 21 GG UND ihre Grundrechte beruft? Wäre das Organstreitverfahren insofern dennoch spezieller ggü. einer Individualverfassungsbeschwerde? Oder müssten beide Rechtsbehelfe bemüht werden?

PK

P K

19.3.2024, 18:28:39

In so einer Konstellation wäre zunächst durch Auslegung (entsprechend §§ 133, 157 BGB) zu ermitteln, welcher Rechtsbehelf gewollt (!) ist. Davon ist die Frage zu unterscheiden, ob dieser Rechtsbehelf zulässig ist. Allerdings kann die Zulässigkeit des einen Rechtsbehelfs, während der andere denkbare Rechtsbehelf erkennbar unzulässig ist, ein starkes Indiz sein. Hier kommt ein Organstreit schon wegen § 63 BVerfGG nicht in Betracht, denn das letztinstanzliche Gericht ist nicht parteifähig im Organstreit. Im Falle der Verfassungsbeschwerde muss die Möglichkeit bestehen, durch den Beschwerdegegenstand in eigenen Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt zu sein. Sind die Parteien aber in ihrer staatlichen Aufgabe betroffen, dürfte eine Berufung auf Grundrechte ausscheiden (Konfusion). Ein Abgeordneter kann sich ja auch nicht auf Art. 5 GG berufen, wenn er im Plenum/Ausschuss spricht. Die Verfassungsbeschwerde muss aber, um überhaupt verfassungsgerichtlichen Rechtsschutz zumindest dann eröffnet sein, wenn sonst kein anderer Rechtsbehelf greift. Ausnahmsweise könnte daher auch Art. 21 GG in einer Verfassungsbeschwerde zu prüfen sein. Dies entspricht der Entscheidung des BVerfG im Fall Ramelow, der durch den Verfassungsschutz beobachtet wurde und unter Berufung auf sein Statusrecht aus Art. 38 GG (!) Verfassungsbeschwerde erhoben hatte. Die bloße Bezeichnung einer Grundgesetznorm kann richtigerweise nicht bestimmen, welches Rechtsverhältnis (verfassungsrechtliches Rechtsverhältnis unter parteifähigen Organen/Organteilen i.S.d. § 63 BVerfGG oder Über-/Unterordnungsverhältnis von Staat einerseits und

Grundrechtsträger

n andererseits). Es kommt auf die "Maßnahme oder Unterlassung" des Antragsgegners i.S.d. § 64 Abs. 1 BVerfGG an; dadurch wird der Streitgegenstand determiniert und daran ist zu messen, ob die Parteien in ihrer staatlichen Funktion oder ihrer "privaten Funktion" betroffen sind. Das alles müsste man nicht thematisieren, wenn man Parteien mit Stimmen aus der Literatur ausschließlich wie Private behandelt; Art. 21 GG ist dann lex specialis zu Art. 9 GG und im Übrigen sind die sonstigen Grundrechte einschlägig.


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