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Mietrecht
Privilegierter Kinderlärm im Sinne von § 22 Abs. 1a BImSchG
Privilegierter Kinderlärm im Sinne von § 22 Abs. 1a BImSchG
8. April 2025
12 Kommentare
4,7 ★ (33.225 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
M mietet seit 1993 eine ruhige Wohnung von V. Die angrenzende Schule baut 2010 einen Bolzplatz für Schulkinder. Nach Schulschluss dürfen Kinder bis 12 Jahre darauf. Wegen des Kinderlärms mindert M die Miete um 20 %.
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Einordnung des Falls
Privilegierter Kinderlärm (BGH, 29.04.2015)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. § 22 Abs. 1a BImSchG kann nur zur Auslegung von Mietverträgen herangezogen werden, die nach Inkrafttreten der Norm (2011) geschlossen wurden.
Nein!
Jurastudium und Referendariat.
2. V und M haben konkludent eine Beschaffenheitsvereinbarung getroffen, dass von dem benachbarten Schulgelände auch in Zukunft keine höheren Lärmeinwirkungen ausgehen als bei Vertragsschluss.
Nein, das ist nicht der Fall!
3. Das Toleranzgebot des § 22 Abs. 1a BImSchG privilegiert auch den Lärm Jugendlicher (ab 14 Jahren), die eigentlich den Bolzplatz nicht nutzen dürfen, es aber dennoch tun.
Nein, das trifft nicht zu!
4. Soweit V den Lärm Jugendlicher nach § 906 Abs. 1 BGB selbst entschädigungslos gegenüber der Schule dulden muss, begründet der Lärm auch keinen Mietmangel.
Ja!
5. Lärm von Kindern unter 14 Jahren ist gesetzlich privilegiert. Er führt nicht oder nur zu einer unerheblichen Beeinträchtigung des vertragsgemäßen Gebrauchs der Mietsache.
Genau, so ist das!
6. Die Miete ist kraft Gesetzes gemindert, solange die Mietwohnung einen Sachmangel hat, der die Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch erheblich mindert (§ 536 Abs. 1 BGB).
Ja, in der Tat!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Philipp Paasch
18.10.2022, 00:02:05
Ich finde, das Bund
esimmissions
schutzgesetzhier heranzuziehen etwas weit hergeholt für einen privatrechtlichen Mietvertrag. Es geht ja auch um nicht genehmigungsbedürftige Anlagen.
ceratius
4.11.2022, 08:29:45
Dennoch zeigt das BImSchG die Wertung des Gesetzgebers zu Kinderlärm auf - dass man diese auch in anderen Rechtsgebieten heranzieht erscheint mir konsequent.

Simon
30.12.2022, 22:48:28
Ich finde ein Abstellen auf das BImSchG nicht unbedingt abwegig. Da die Parteien hier keine besondere Absprache über Lärmeinwirkungen auf die Mietsache trafen, ist auf eine
ergänzende Vertragsauslegungabzustellen, bei der auch Verkehrsanschauung, sowie Treu und Glauben zu berücksichtigen sind. Wegen der Vergleichbarkeit des Regelungsgegenstandes kann man wohl gut auf § 906 I 2 BGB abstellen, der ebenfalls ein Heranziehen des BImSchG zulässt. Gerade im Lichte von Treu und Glauben kann man mE auch im Zivilrecht auf öffentlich-rechtliche Normen abstellen, die gewisse Interessenskonflikte auflösen oder konkretisieren. Aber klar, in der Klausur kommt man darauf eher weniger, wenn man einen vergleichbaren Fall nicht schonmal gelöst hat :)

Avalory
10.8.2024, 13:08:10
Das ist politisch motivierte
Rechtsbeugung. Diese Norm wird auch herangezogen, wenn es um "Kinderlärm" in der Wohnung geht (Springen, Rennen gegen Heizung und Wand klopfen). So ist selbst Kinderlärm bis in die tiefen Nachtstunden von 3 Uhr morgens legal und man darf nichts tun, sondern muss schlaflos alles hinnehmen, weil das Jugendamt heutzutage überfordert und personell unterbesetzt ist. Die nächsten Generationen werden sich entsprechend entwickeln und die Erwachsenen, die darunter leiden, werden immer kränker und schlecht gelaunter. Diese Politik reichte zuletzt in Neukölln soweit, dass die Mutter vor Gericht meinte, sie dürfe alles und mache alles, was sie wolle, keiner könne ihr was verbieten. Die Eltern missbrauchen diese Norm und reden sich bei allem über ihre Kinder heraus. Menschen ohne Kinder sind dann Menschen 2. Klasse, weil sie sich nicht wehren dürfen und deren Tagesablauf über diese Nachbarn bestimmt wird. Das ist Fremdbestimmung, obwohl gerade diese Nachbarn keiner Arbeit nachgehen, 3-4 Kinder machen, und eigentlich dankbar sein sollten, dass die geschädigten Nachbarn ihr Kinder
geldund Bürger
gelderwirtschaften. Aber heutzutage ist man ja anscheinend dumm, wenn man arbeitet. Lärm ist Lärm. Egal von und durch wen, es ist gesundheitsschädlich. Das verletzt die Menschenwürde, es ist Folter.

Avalory
10.8.2024, 13:20:18
Es liegt offensichtlich ein Unterschied zwischen einer Kindertagesstätte, Spielplatz und einem Wohnhaus von innen vor. Ersteres verstehe ich und irgendwo müssen Kinder auch spielen und leben, aber eben nicht in der Wohnung, was ja auch nicht in der Norm enthalten ist, aber rechtsbeugend so weit ausgelegt wird, dass es selbst dem Sinn und Zweck des Gesetzes nicht entspricht. Es ging doch offensichtlich nicht um Wohnhäuser, wenn wörtlich von Kindergärten und Spielplätzen die Rede ist. Sehr wahrscheinlich ist es den Richtern selbst egal, weil sie in Eigentum leben werden... Aber das verstärkt die Schere zwischen Arm und Reich, da es ärmeren Menschen die Chancen deutlich erschwert, gute Leistungen in der Schule zu erbringen, um aus der Armut zu entkommen. Obwohl sie begabt sind. Aber vielleicht ist das auch so beabsichtigt.
ceratius
10.8.2024, 14:17:34
Bisschen weniger Lack morgens wäre vielleicht angemessen

Avalory
11.8.2024, 13:35:58
Und dir würde ein Grundlagenkurs in Logik gut tun.
QuiGonTim
24.2.2024, 23:56:16
Worauf bezieht sich die Auslegung? Auf die Willenserklärungen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses? Auf hypothetische Willenserklärungen bei Kenntnis der Errichtung und Nutzung des Bolzplatzes? Auf den Vertrag in Gänze, zu welchem Zeitpunkt?

Sebastian Schmitt
4.1.2025, 16:20:35
Hallo @[QuiGonTim](133054), der BGH schaut in dem Fall, der unserem Sachverhalt zugrunde liegt, zunächst auf eine eventuelle
konkludente Beschaffenheitsvereinbarung, die sich logischerweise auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrags beziehen muss: "Mit Erfolg wenden sich die Revisionen gegen die vom BerGer. nicht näher begründete Annahme, die Parteien hätten bei Abschluss des Mietvertrags im Wege einer
konkludenten
Beschaffenheitsvereinbarungfestgelegt, dass während der unbestimmten Dauer des Mietverhältnisses von dem benachbarten Schulgelände keine höheren Lärmeinwirkungen ausgehen dürfen als bei Vertragsbeginn." (BGH NJW 2015, 2177, 2177, Rn 19) Der BGH kommt zum Ergebnis, dass eine solche Vereinbarung nicht vorlag. Ob die Lärmbelästigungen dann hinzunehmen sind oder vielmehr dem "zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand" widersprechen, beurteilt er anschließend anhand einer wertenden Gesamtbetrachtung: "Soweit danach konkrete Parteiabreden zur
Beschaffenheitder Mietsache fehlen, beantwortet sich die Frage, was im Einzelnen zu dem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand der in Rede stehenden Wohnung gehört, den der Vermieter gem. § 535 I 2 BGB während der Mietzeit zu erhalten hat, nach den gesamten Umständen des Mietverhältnisses und den daraus in – gegebenenfalls ergänzender – Auslegung abzuleitenden Standards, insbesondere nach der Mietsache und deren beabsichtigter Nutzung sowie der Verkehrsanschauung unter Beachtung des in § 242 BGB normierten Grundsatzes von Treu und Glauben [...]." (BGH NJW 2015, 2177, 2178, Rn 23) Auch diese Betrachtung bezieht der BGH allerdings zurück auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses: "Es kommt vielmehr darauf an, welche Regelung die Parteien bei sachgerechter Abwägung der beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der
Verkehrssitteals redliche Vertragspartner getroffen hätten, wenn ihnen bei Vertragsschluss die von ihnen nicht bedachte Entwicklung, also die künftige Errichtung eines Bolzplatzes auf dem benachbarten Schulgelände und dessen unbeschränkte Zugänglichkeit und Benutzung durch die Öffentlichkeit über den „normalen“ Schulbetrieb hinaus sowie die dadurch verursachte erhöhte Lärmbelastung, bewusst gewesen wäre [...]. Das hätte entgegen der Auffassung des BerGer. nicht notwendig zu einer unbedingten Einstandspflicht der Kl. für diese nachteilige Entwicklung und damit zu einem Mangel der Mietsache geführt, der die Bekl. in dem streitgegenständlichen Zeitraum ohne Weiteres zur Minderung der Miete berechtigt hätte." (BGH NJW 2015, 2177, 2178, Rn 24) Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team