Öffentliches Recht

VwGO

Verpflichtungsklage

Abgrenzung Verpflichtungsklage und Leistungsklage bei Zugang zu einer öffentlichen Einrichtung: öffentlich-rechtlich organisiert

Abgrenzung Verpflichtungsklage und Leistungsklage bei Zugang zu einer öffentlichen Einrichtung: öffentlich-rechtlich organisiert

19. Mai 2025

15 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Die Gemeinde G betreibt eine Bibliothek in öffentlich-rechtlicher Organisationsform. Weil Luise Liesviel (L) gegen die Tochter des Bibliothekars B im Lesewettbewerb gewonnen hat, verweigert B ihr den Zutritt. L will weiterhin in die Bibliothek gehen können.

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Einordnung des Falls

Abgrenzung Verpflichtungsklage und Leistungsklage bei Zugang zu einer öffentlichen Einrichtung: öffentlich-rechtlich organisiert

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO ist eröffnet. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit liegt vor.

Ja!

Nach der Sonderrechtstheorie / modifizierten Subjektstheorie ist eine Streitigkeit öffentlich-rechtlicher Natur, wenn die streitentscheidenden Normen einen Hoheitsträger einseitig berechtigen oder verpflichten. Streitentscheidende Normen sind hier solche des Kommunalrechts, weil die Bibliothek von der Gemeinde betrieben wird. Die Normen berechtigen und verpflichten die G als Hoheitsträger. Als streitentscheidende Normen kommen insbesondere die Gemeindeordnungen in Betracht (z.B. § 10 Abs. 2 BaWüGO, Art. 21 Abs. 1 S. 1 BayGO, § 20 Abs. 1 HessGO, § 8 Abs. 2 NRWGO).
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2. Statthaft ist die allgemeine Leistungsklage, wenn L den Erlass eines Verwaltungsakts begehrt.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Klagebegehren (§§ 88, 86 Abs. 3 VwGO). Die Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) ist statthaft, wenn das Klagebegehren des Klägers gerichtet ist auf den Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts. In Abgrenzung dazu ist die allgemeine Leistungsklage (vorausgesetzt u.a. in §§ 43 Abs. 2, 111, 113 Abs. 5 VwGO) statthaft, wenn der Kläger eine Vornahme, Duldung oder Unterlassung schlicht hoheitlichen Verwaltungshandelns begehrt. Zur Abgrenzung ist also maßgeblich von Bedeutung, ob der Kläger einen Verwaltungsakt oder einen Realakt von der Behörde fordert.

3. L begehrt den Zutritt zu einer öffentlichen Einrichtung. Dieser wird durch Erlass eines Verwaltungsakts gewährt.

Ja, in der Tat!

Eine öffentliche Einrichtung wird im öffentlichen Interesse unterhalten und durch einen Widmungsakt der allgemeinen Benutzung zugänglich gemacht. Der Zugang zu öffentlichen Einrichtungen wird stets durch den (konkludenten) Erlass eines Verwaltungsakts gewährt. Die von der Gemeinde betriebene Bibliothek ist eine öffentliche Einrichtung. WABE = Widmung zur allgemeinen Benutzung.

4. L begehrt den Erlass eines Verwaltungsakts. Statthaft ist die Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO).

Ja!

Der Zugang zur Bibliothek wird durch den (konkludenten) Erlass eines Verwaltungsakts gewährt. Ein Verwaltungsakt ist (1) eine hoheitliche Maßnahme (2) einer Behörde (3) auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts (4) zur Regelung (5) eines Einzelfalls (6) mit Außenwirkung. Vorliegend bestünde der konkludente Verwaltungsakt darin, dass der B die L die Bibliothek betreten lässt. B weigert sich jedoch, diesen Verwaltungsakt zu erlassen. Statthaft ist daher die Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

TeamRahad 🧞

TeamRahad 🧞

25.4.2021, 11:52:20

Was heißt das, dass Zugang durch VA gewährt wird? Braucht es jedes Mal, wenn L die Bibliothek betreten will, einen eigenen VA? Oder handelt es sich um einen Dauer-VA? In der verlinkten Entscheidung des OVG Lüneburg ging es ja eher um die regelmäßige Nutzung eines Kurbades zu festgelegten Zeiten, wenn ich das richtig verstanden habe.

TeamRahad 🧞

TeamRahad 🧞

25.4.2021, 11:55:35

Wenn es jedes Mal einzelne VAs sind, wie viel bringt es L dann, auf Erlass *eines* VAs zu klagen? Sie will künftig ja mehr als nur einmal Zugang zur Bibliothek bekommen.

Tigerwitsch

Tigerwitsch

26.4.2021, 19:06:31

Nach Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, 9. Auflage 2018, § 35 Rn. 224: „Als begünstigende VA mit Dauerwirkung wurden angesehen: Genehmigungen und Erlaubnisse, soweit sie dauernde Rechte begründen, aber auch Zulassung zu einer öffentlichen Einrichtung [...]“. In dem Zusammenhang werden folgende Entscheidungen als Fundstellen zitiert: VGH Mannheim, B. v. 30.10.1986 - AZ.: 9 S 2497/86 (Städtische Musikschule); VGH München, U. v. 22.11.2006 - AZ.: 7 B 05.2273. So bezeichnete der VGH München einen Reservierungsvermerk (für hochschuleigene Räume) als „verbindliche Zulassungsentscheidung, die einen begünstigenden (Sammel-)Verwaltungsakt darstellt“.

Isabell

Isabell

20.5.2021, 16:01:10

Ist es dafür egal, ob der B von seinem Hausrecht Gebrauch gemacht hat und sich das Verbot gerade nicht auf öffentlich-rechtliche Normen stützt?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

23.7.2021, 11:30:58

Hallo zusammen, in der Tat dürfte es bei der Frage, ob die Zulassung jeweils "ad hoc" für den einzelnen Tag erfolgt oder als sog. "Dauer-VA" erlassen wird, von den konkreten Umständen der jeweiligen Einrichtung abhängen (zB gibt es häufig Benutzerausweise, die ein Jahresabo beinhalten bzw. bei Universitätsbibliotheken folgt das Nutzungsrecht bereits aus der Immatrikulation der Studierenden; öffentliche Theater bieten häufig Theaterabonnements an=Dauer-VA, ansonsten Zulassungs-VA jeweils mit Kauf der Theaterkarte). Im Hinblick auf eine Klage dürfte es sich jedenfalls anbieten die Erteilung eines "Dauer-VA" zu erstreiten. Im Hinblick auf das Hausrecht und die rechtliche Einordnung ist nach der Art der Zulassung zu differenzieren: Liegt eine bloße "ad hoc" Zulassung vor, so kommt dem

Hausverbot

in der Regel dennoch eine weiterreichende Wirkung zu, als eine einmalige Ablehnung der Zulassung. Es handelt sich bei diesem dann regelmäßig um einen Verwaltungsakt mit dem Inhalt, dass auch zukünftige Zulassungsanträge des Störerers ohne nähere Sachprüfung nicht mehr stattgegeben wird. Dieses weitreichende

Hausverbot

wird sich in der Regel nicht auf die einfachen zivilrechtlichen Normen stützen lassen, wenn dem Nutzer tatsächlich im Grundsatz ein Benutzungsanspruch zusteht. Liegt dagegen bereits eine dauerhafte Nutzungsgenemigung vor, die durch das

Hausverbot

entzogen wird, so dürfte insoweit als rechtliche Grundlage der Widerruf nach § 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG in Betracht kommen, sofern nachträgliche

Tatsachen

zur Versagung des Zugangs geführt haben. Eine sehr übersichtliche Zusammenfassung zu dem ganzen Themenkomplex rund um das Hausrecht und den

Zugang zu öffentlichen Einrichtungen

findet ihr übrigens auch bei Stelkens, Das behördliche Hausrecht, Jura 2010, 363. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Juraluchs

Juraluchs

1.9.2022, 15:35:30

Ich habe hier auch erhebliche Zweifel. Der Widmungsakt dürfte wohl nicht das Davorstehen des Bibliothekars, sondern im Voraus angesiedelt sein. Gegen sein Verhalten hätte ich dann eine

Leistungsklage

auf Unterlassen für statthaft gehalten.

Juraluchs

Juraluchs

1.9.2022, 15:36:53

Ach mist, irgendwie wurde mir dein Kommentar nicht angezeigt, Lukas. Hat sich damit erledigt. Sorry

FTE

Findet Nemo Tenetur

17.3.2025, 23:03:14

Wäre hier der Sache nach auch eine

Feststellungsklage

im Interesse der L? (Die letztlich dann aber wegen der Subsidiaritätsprinzip nicht in Frage kommt?)

ri

ri

8.3.2022, 02:21:20

Merkhilfe: Wabe W: Widmung A: allgemeine Be: Benutzung

DAS

Das_war_Kenny

4.7.2022, 11:45:29

Eselsbrücke 12/10, bitte mehr davon

SCH

Schwanzanwaltschaft

4.4.2024, 11:37:52

Moin, handelt es sich bei der Widmung nicht um einen Verwaltungsakt in Form einer

Allgemeinverfügung

nach § 35 S.2 VwVfG, so das die Widmung den Regelungsgehalt hat, dass die Bibliothek öffentlich zugänglich ist und somit grundsätzlich auch von L besucht werden kann. Wenn jetzt L der Zugang verwährt wird, kann dies doch nur durch einen Verwaltungsakt, ein privatrechtliches

Hausverbot

oder

Realakt

geschehen, so dass aufjedenfall keine

Verpflichtungsklage

einschlägig wäre. oder übersehe ich hier etwas :) ?

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

12.2.2025, 17:43:11

Hallo @[Schwanzanwaltschaft](102976), der erste Absatz Deines Posts ist völlig richtig. Ich gebe allerdings schon hier zu bedenken, dass die Nutzungsmöglichkeit natürlich gewissen Grenzen unterliegt. Die "öffentliche Zugänglichkeit" darf also natürlich nicht dahingehend missverstanden werden, dass jeder zu jedem beliebigen Zeitpunkt real und faktisch Zugang hat, weil das sowohl aus rechtlichen als auch aus tatsächlichen Gründen nicht möglich ist (Brüning/Brüning, Deutsches KommunalR, 5. Aufl 2024, § 15 Rn 23 ff). Im zweiten Absatz steckt dann Dein eigentliches Missverständnis: Das "ob" der Zulassung zu/Benutzung einer öffentlichen Einrichtung ist nach der Zweistufentheorie stets öffentlich-rechtlich ausgestaltet (Brüning/Brüning, Deutsches KommunalR, 5. Aufl 2024, § 15 Rn 18; exemplarisch für § 8 GO NRW BeckOK-KommunalR NRW/Peters, 30. Ed, Stand 1.1.2025, § 8 GO NRW Rn 20). Mit einem privatrechtlichen

Hausverbot

kann G die Verweigerung der Zulassung also nicht begründen. Es handelt sich in unserem Fall auch nicht um einen bloßen

Realakt

, sondern um eine rechtlich verbindliche Verweigerung des Zugangs ggü dem Bürger mit

Außenwirkung

, also einen Verwaltungsakt (Brüning/Brüning, Deutsches KommunalR, 5. Aufl 2024, § 15 Rn 20 aE; alternativ: öffentlich-rechtlicher Vertrag, hier aber eher fernliegend). Zuletzt ist eine

Verpflichtungsklage

hier ggü der Anfechtungsklage rechtsschutzintensiver und daher der richtige Weg. Eine Anfechtungsklage würde zwar die ergangene Nichtzulassung beseitigen, aber nicht verhindern, dass schlicht eine neuer VA gegen L ergeht, der ihr ebenfalls und erneut den Zugang verweigert. Sie muss vielmehr ihren grds bestehenden (gebundenen!) Anspruch auf Zulassung (iRd Kapazitäten) mit der

Verpflichtungsklage

durchsetzen (für § 8 II GO NRW: BeckOK-KommunalR NRW/Peters, 30. Ed, Stand 1.1.2025, § 8 GO NRW Rn 31 ff). Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

Zogoy

Zogoy

16.5.2025, 10:53:46

Hi, 1. wäre hier ein Hinweis auf die Zwei-Stufen-Theorie nicht sinnvoll? Es Geht ja um den Zugang zu Öffentlichen Einrichtung und solchen Konstellationen ist diese der modifizierten (meines Wissens nach) vorzuziehen. 2. Ich habe einen Fall im Schwabe Fallbuch bearbeitet, hier wurde einer Person vom Richter eines Gerichts ein

Hausverbot

erteilt hier wurde problematisiert, ob das ganze Privatrechtlich (Eigentumsschutz usw.) oder öffentlich-rechtlicher Natur ist. Der vorliegende Fall ist ähnlich gelagert. Müssten wir jetzt nicht auch ermitteln auf wessen Sicht wir abstellen müssen um die Natur des Streits zu ermitteln sowie in diesem Schwabe Fall? H.M. ist hier das wir auf den Zweck des

Hausverbot

s abstellen. Vorliegend verfolgt B mit dem

Hausverbot

nicht die Sicherung der

Erfüllung

öffentlicher Aufgaben im Gebäude, also ist der streit nicht öffentlich-rechtlicher Natur -> Wobei bei dieser art der Lösung die Frage aufkommt wofür die Zwei-Stufen-Theorie gut ist. Ich hoffe ihr könnt das ganze nachvollziehen.


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