Relative Unverhältnismäßigkeit § 439 Abs. 4 BGB
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Anwältin A kauft bei Handyhändler H für ihre selbstständige berufliche Tätigkeit ein neues iPad Pro für €1.500. Als nach einem Monat einer der Lautstärkeregler abfällt, verlangt sie von H Lieferung eines neuen iPads (Kosten: €500). H verweigert dies und will lieber das iPad reparieren (Kosten: €5).
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Einordnung des Falls
Relative Unverhältnismäßigkeit § 439 Abs. 4 BGB
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Ist die Kaufsache bei Gefahrübergang mangelhaft, kann der Käufer Nacherfüllung verlangen (§§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 BGB).
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. Der Verkäufer könnte die Nachlieferung verweigern, wenn diese nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich wäre (§ 439 Abs. 4 BGB).
Genau, so ist das!
3. Die Nachlieferung ist hier relativ unverhältnismäßig.
Ja, in der Tat!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Juramaus
25.4.2022, 17:26:52
Wieso sind die Kosten einer
Nachlieferungum ein vielfaches höher hier? Wenn die Nachbesserung wirklich nur 5 Euro kostet, könnte V doch auch das gebrauchte iPad zurücknehmen und bei sich reparieren, um es dann weiter zu verkaufen oder nicht? Natürlich entstehen dann noch ein bisschen Versandkosten und eventuell muss ein Abschlag vom Preis beim Zweitverkauf gemacht werden. Aber sehe jetzt nicht, dass das absolut unverhältnismäßig ist. Ich habe das Gefühl, dass für die Lösung hier 1.500 Euro mit 5 Euro verglichen wurde, was mMn nicht der Realität entsprechen würde, wenn man den Fall mal weiterdenkt. Oder unterliege ich hier einem Denkfehler?
Lukas_Mengestu
2.5.2022, 13:32:06
Hallo Juramaus, vielen Dank für den Hinweis. Wir haben den Sachverhalt entsprechend ergänzt. Falsch wäre es hier in der Tat die €1.500 mit den €5 zu vergleichen. Zwar ist der Wert der Sache immer der Ausgangspunkt. Im nächsten Schritt sind weitere Kosten wie Transport noch zu berücksichtigen. Aber in der Tat ist sodann der Wert der zurückzugebenden Sache abzuziehen sowie ggfs. auch ein bestehender
Nutzungsersatzanspruch, den der Verkäufer ggü. dem Käufer evtl. hat (vgl. Höpfner, in: BeckOGK-BGB, 1.1.2022, § 439 RdNr. 146). Bei dem Verkauf von neuer Sachen ist dabei aber zu berücksichtigen, dass unabhängig von der objektiven
Beschaffenheitdie Sache bereits dadurch einen erheblichen Wertverlust erleidet, dass sie nun nur noch als Gebrauchtware verkauft werden kann. Inwieweit dieser groß genug ist, um die
Nachlieferunggänzlich auszuschließen, ist dann letztlich eine Frage des Einzelfalls. In diesem Fall betragen die
Nachlieferungskosten das 100-fache der Reparaturkosten, weswegen von der
Unverhältnismäßigkeitausgegangen werden kann. Ein derart hoher Wertverfall läge in der Praxis wohl noch nicht vor, dient hier aber dazu, den Fall eindeutig zu gestalten :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Raphaeljura
12.6.2023, 00:09:17
Wie ist den der § 275 II BGB von dem § 439 IV 1 BGB abzugrenzen? Nach § 439 IV 3 BGB kann der Verkäufer beide Nacherfüllungsarten verweigern.
David.
13.7.2023, 18:47:08
Bei § 439 IV handelt es sich um eine
wirtschaftliche Unmöglichkeitseinrede, die Anforderungen sind allerdings geringer als bei § 275 II. Im Anwendungsbereich der Nacherfüllung wird § 275 II deswegen von § 439 IV praktisch verdrängt.
nataliaco
17.11.2023, 13:58:23
Liebes Jurafuchs-Team, wenn der Käufer sein Wahlrecht bzgl. der Art der Nacherfüllung ausgeübt hat und diese Art entweder fehlgeschlagen ist, vom Verkäufer nach § 439 IV verweigert wurde oder sonst wie nicht erbracht wird/werden kann, ist der Käufer dann wegen des Vorrangs der Nacherfüllung trotzdem verpflichtet, zuerst die andere Art der Nacherfüllung zu verlangen, oder kann er direkt die anderen Gewährleistungsrechte geltend machen?
Leo Lee
18.11.2023, 14:49:35
Hallo nataliaco, auf deine Frage gibt es zwar in den Kommentaren keine Stelle, die mit „Ja“ oder „Nein“ antwortet. Allerdings fordern die anderen Gewährleistungsrechte (Rücktritt etwa) nur, dass eine
Nachfristgesetzt wurde (also bei §§ 437 ff. die Nacherfüllungsfrist) und mehr nicht. Und bei § 439 I hat der Käufer die Wahl, welche Modalität er verlangt (es sei denn natürlich, eine Modalität ist unmöglich gem. § 275). Daraus lässt sich schließen, dass es ausreicht, dass der Käufer sich für eine Nacherfüllungsmöglichkeit der Wahl entscheidet und sich dann auf Gewährleistungsrechte berufen kann, wenn dieser Nacherfüllungsmöglichkeit nicht nachgekommen wird. Hierzu kann ich die Lektüre von MüKo-BGB 9. Auflage, Ernst § 323 Rn. 48 und 8. Auflage, Westermann § 439 Rn. 6 empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo