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„Rangsdorfer Hausdrama“ – Enger oder weiter Verwendungsbegriff (§ 996)? (BGH, Urt. v. 14.03.2025, Az. V ZR 153/23)

„Rangsdorfer Hausdrama“ – Enger oder weiter Verwendungsbegriff (§ 996)? (BGH, Urt. v. 14.03.2025, Az. V ZR 153/23)

31. Mai 2025

2 Kommentare

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

V war seit 1993 Eigentümer eines Grundstücks. Ohne Vs Wissen wird ab 2008 die Zwangsversteigerung in das Grundstück betrieben. B erhält 2010 den Zuschlag und wird als Eigentümerin ins Grundbuch eingetragen. B baut ein Wohnhaus für € 500.000 auf das Grundstück. V hat inzwischen von der Versteigerung erfahren und erwirkt 2014 eine Aufhebung des Zuschlagsbeschlusses.

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Einordnung des Falls

„Rangsdorfer Hausdrama“ – Enger oder weiter Verwendungsbegriff (§ 996)? (BGH, Urt. v. 14.03.2025, Az. V ZR 153/23)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 21 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. V will wieder als Eigentümerin im Grundbuch stehen und verlangt von B Zustimmung zur Grundbuchberichtigung. Könnte V gegen B einen darauf gerichteten Anspruch aus § 894 BGB haben?

Genau, so ist das!

Der Anspruch auf Zustimmung zur Grundbuchberichtigung aus § 894 BGB setzt voraus: (1) Unrichtigkeit des Grundbuchs (2) Anspruchsteller ist richtiger Gläubiger (Aktivlegitimation) (3) Anspruchsgegner ist richtiger Schuldner (Passivlegitimation) (4) Keine Einwendungen/Einreden Dieser Fall ist schwer examensverdächtig. Wir raten Dir dazu, ihn sorgfältig durchzuarbeiten, weil er wichtige Aspekte des Sachenrechts abdeckt und einen Wendepunkt in einem Klassiker-Meinungsstreit darstellt.
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2. Müsste zunächst das Grundbuch richtig sein (§ 894 BGB)?

Nein, das trifft nicht zu!

§ 894 BGB ist darauf gerichtet, ein unrichtiges Grundbuch zu „korrigieren“. Das Grundbuch ist unrichtig, wenn die darin dargestellte Rechtslage nicht mit der wirklichen Rechtslage übereinstimmt. Die Rechtslage bezieht sich auf Bestand, Inhalt oder Inhaber von Eigentum, beschränkt dinglichen Rechten oder Rechten daran, Verfügungsbeschränkungen i.S.v. § 892 S. 1 BGB sowie Vormerkungen.

3. Das Grundbuch wäre unrichtig, wenn V – und nicht B - Eigentümer des Grundstücks wäre. Könnte V sein Eigentum durch die Zwangsversteigerung des Grundstücks an B verloren haben (§ 90 Abs. 1 ZVG)?

Ja!

Die Zwangsversteigerung von Grundstücken ist in § 15 ff. ZVG – der Zuschlag in §§ 79 ff. ZVG – geregelt. Nach § 89 ZVG wird der Zuschlag mit Verkündung des Zuschlagsbeschlusses wirksam. Nach § 90 Abs. 1 ZVG wird der Ersteher durch den Zuschlag Eigentümer, wenn der Beschluss nicht im Beschwerdeweg rechtskräftig aufgehoben wird. Mit der rechtskräftigen Aufhebung des Zuschlagsbeschlusses verliert der Ersteher das Eigentum rückwirkend zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Zuschlagsbeschlusses. Das Zwangsvollstreckungsrecht ist in manchen Bundesländern Prüfungsgegenstand. Prüfe die für Dich einschlägige Prüfungsordnung. I.d.R. werden keine vertieften Kenntnisse von Dir erwartet, aber es ist gut, wenn Du die dargestellten Normen einmal gesehen hast.

4. Die durch V erwirkte Aufhebung des Zuschlagbeschlusses ist inzwischen rechtskräftig. Hat V sein Eigentum an B verloren?

Nein, das ist nicht der Fall!

V war zunächst seit 1993 Eigentümer. Der im Jahre 2010 wirksame, zugunsten B ergangene, Zuschlagsbeschluss wurde 2014 rechtskräftig aufgehoben. Damit hat B ihr Eigentum rückwirkend verloren und V ist Eigentümer geblieben. Folglich ist das Grundbuch unrichtig, soweit es B und nicht V als Eigentümer ausweist. Im Originalfall haben die Beklagten mit der Revision gerügt, das Berufungsgericht habe verfahrenswidrig nicht die Rechtmäßigkeit des Aufhebungsbeschlusses geprüft. Der BGH wies diesen Vortrag mit der Begründung zurück, dass es aufgrund der Rechtskraft des Beschlusses nicht mehr auf dessen Rechtmäßigkeit ankomme (RdNr. 12). Man könnte diese Konstellation auch für eine Urteilsklausur abwandeln. Dann müsstest Du aus Sicht des Gerichts 1. oder 2. Instanz erkennen, dass die Rechtskraft des Aufhebungsbeschlusses keine materielle Prüfung zulässt.

5. V müsste der richtige Gläubiger und B die richtige Schuldnerin sein (§ 894 BGB).

Ja, in der Tat!

Richtiger Gläubiger i.R.v. § 894 BGB ist derjenige, der durch die Unrichtigkeit unmittelbar beeinträchtigt wird. Richtiger Schuldner ist derjenige, dessen eingetragenes Recht von der Berichtigung betroffen wird, indem es beseitigt oder geschmälert wird. V ist materiell-rechtlich Eigentümer des Grundstücks. Diese Rechtsposition wird z.B. wegen der Vermutungsregelung in § 891 Abs. 1 BGB durch die unrichtige Eintragung von B beeinträchtigt. V ist somit richtiger Gläubiger des Berichtigungsanspruchs aus § 894 BGB. Das Eigentum ist zugunsten von B eingetragen, womit ihr eingetragenes Recht von der Berichtigung betroffen ist. B ist richtige Schuldnerin des Anspruchs.

6. Der Anspruch von V ist entstanden. Könnte B ein Zurückbehaltungsrecht aus § 273 Abs. 2 BGB zustehen, wenn sie gegen V einen Anspruch auf Verwendungsersatz aus § 996 BGB hat?

Ja!

Nachdem Du (gedanklich) unter „Anspruch entstanden“ die Voraussetzungen des § 894 BGB bejaht hast, prüfst Du nun, ob der Durchsetzbarkeit dieses Anspruchs etwas entgegen steht. Anhaltspunkte dafür, dass der Anspruch untergegangen sein könnte, gibt es hier nicht. Der Verwendungsersatzanspruch aus § 996 BGB setzt voraus: (1) Vindikationslage zum Zeitpunkt der Verwendungen (2) Vornahme einer nützlichen Verwendung (3) Redlichkeit des Besitzers bei Vornahme der Verwendung (keine Rechtshängigkeit, keine Bösgläubigkeit) (4) Werterhöhung der Sache durch die Verwendung zum Zeitpunkt der Wiedererlangung (5) Keine Einwendungen/Einreden Zurückbehaltungsrechte wie § 273 Abs. 2 BGB oder § 1000 BGB sind ein beliebtes Einfallstor in sachenrechtlichen Klausuren. So lassen sich weitere Probleme einbauen und ein strukturiertes Vorgehen prüfen.

7. Zunächst müsste zwischen V und B eine Vindikationslage (§§ 985, 986 Abs. 1 S. 1 BGB) bestanden haben, als B das Haus ersteigert hat.

Nein, das ist nicht der Fall!

Bei der Prüfung der Vindikationslage ist es entscheidend, dass Du auf den richtigen Zeitpunkt abstellst. I.R.v. § 996 BGB kommt es jedenfalls nicht auf einen Zeitpunkt vor der Tätigung der Verwendung an. Es ist umstritten, ob die Vindikationslage immer zum Zeitpunkt der Verwendungen vorgelegen haben muss. Der BGH lässt es genügen, wenn die Vindikationslage später eintritt, um den redlichen (noch) berechtigten Beisitzer nicht besser zu stellen, als den redlichen Besitzer, der noch nie berechtigt war. Dies wird in der Literatur teilweise abgelehnt. (Zur Übersicht: BeckOGK, 01.05.2024, § 994 BGB, RdNr. 9 ff.). Wir folgen hier dem BGH. Eine Vindikationslage besteht, wenn der Eigentümer einen Vindikationsanspruch aus § 985 BGB hat: (1) Anspruchsteller ist Eigentümer (2) Anspruchsgegner ist Besitzer (3) Der Besitzer hat kein Recht zum Besitz (§ 986 Abs. 1 S. 1 BGB) Maßgeblicher Zeitpunkt, in dem B eine Verwendung vorgenommen haben könnte, ist der Zeitpunkt des Hausbaus. Der Zuschlag ist aufgehoben worden, womit V zu dieser Zeit Eigentümer (§ 903 BGB) und B Besitzerin (§ 854 Abs. 1 BGB) war. B war gegenüber V nicht zum Besitz berechtigt (§ 986 Abs. 1 S. 1 BGB). Es ist unschädlich, dass die Vindikationslage erst rückwirkend entstanden ist (RdNr. 18). Zum maßgeblichen Zeitpunkt bestand zwischen V und B eine Vindikationslage.

8. B könnte durch den Hausbau eine „nützliche Verwendung“ i.S.v. § 996 BGB vorgenommen haben. Ist die Auslegung des Begriffs der „Verwendungen“ i.S.v. § 996 BGB eindeutig und unumstritten?

Nein, das trifft nicht zu!

Nach der herrschenden Ansicht in der Literatur sindVerwendungen i.S.v. §§ 994 Abs. 1 S. 1, 996 BGB Vermögensaufwendungen (d.h. grundsätzlich freiwillige Vermögenspfer), die der Sache zugutekommen sollen, indem sie sie wiederherstellen, erhalten oder verbessern (sog. „weiter Verwendungsbegriff“). Der BGH legte in seiner bisherigen Rechtsprechung den sog. „engen Verwendungsbegriff“ zugrunde. Danach liege keine Verwendung vor, wenn die Sache grundlegend verändert wird. Hier liegt ein Schwerpunkt dieses Falls. Der BGH gibt seine bisherige Rechtsprechung zum engen Verwendungsbegriff auf.In problematischen Fällen prüfst Du zunächst, ob eine Verwendung i.S.v. §§ 994 Abs. 1 S. 1, 996 BGB vorliegt und danach, ob diese Verwendung notwendig i.S.v. § 994 Abs. 1 S. 1 BGB oder nützlich i.S.v. § 996 BGB. In unproblematischen Fällen kannst Du die Prüfungspunkte auch gemeinsam verkürzt prüfen oder feststellen. Das Thema findest Du hier in unserem Kurs zum Sachenrecht.

9. Nach dem weiten Verwendungsbegriff ist der Hausbau eine Verwendung i.S.v. § 996 BGB.

Ja!

Nach dem weiten Verwendungsbegriff sindVerwendungen i.S.v. §§ 994 Abs. 1 S. 1, 996 BGB Vermögensaufwendungen (d.h. grundsätzlich freiwillige Vermögenspfer), die der Sache zugutekommen sollen, indem sie sie wiederherstellen, erhalten oder verbessern. B hat für den Hausbau ihr Vermögen aufgewendet. Diese Aufwendungen sollten das Grundstück auch verbessern, insbesondere eine neue Wohnmöglichkeit errichten und den Wert erhöhen. Nach dem weiten Vermögensbegriff liegt eine Verwendung i.S.v. § 996 BGB vor.

10. Nach dem engen Verwendungsbegriff liegt keine Verwendung vor, wenn die Sache grundlegend verändert wird. Wäre der Hausbau danach eine Verwendung i.S.v. § 996 BGB?

Nein, das ist nicht der Fall!

B hat zwar ihr Vermögen aufgewendet, um das Grundstück zu verbessern. Allerdings stellt die Bebauung eines bisher unbebauten Grundstücks keine reine Bestandsverbesserung, sondern eine Zustandsveränderung dar. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Eigentümer V das Grundstück einem Wohnzweck widmen wollte. Nach dem engen Verwendungsbegriff stellt der Hausbau keine Verwendung i.S.v. § 996 BGB dar. Wir gehen hier aus didaktischen Gründen kleinteilig vor. Je nach Verteilung der Schwerpunkte kannst Du veraltete Ansichten in Deiner Klausur kurz darstellen. Dann erwähnst du sie kurz und argumentierst innerhalb der Definition, warum diese Ansicht nicht mehr zum Tragen kommt und eine andere vorzugswürdig ist. In einer Hausarbeit ist dagegen oft eine ausführliche Diskussion gewünscht. Spätestens im 2. Examen genügt es völlig, wenn du die veraltete Ansicht allenfalls kurz erwähnst, dann aber mit entsprechender Begründung die aktuelle Rechtsprechung als Maßstab heranziehst.

11. Die Ansichten kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Spricht der Wortlaut von § 996 BGB dafür, eine Zustandsveränderung generell vom Anwendungsbereich auszuschließen?

Nein, das trifft nicht zu!

Wenn Du Dich argumentativ mit Normen auseinandersetzen musst, denke immer an die gängigen Auslegungsmethoden. Einerseits geben sie Dir Orientierung, andererseits fällt es den Prüfenden positiv auf, wenn sie Keywords wie „Wortlaut“, „Systematik“ oder „Telos“ lesen. BGH: Dem Wortlaut von § 996 BGB lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass eine grundlegende Veränderung der Sache keine Verwendung darstellt. Der Begriff „Verwendung“ wird im BGB nicht legaldefiniert. Es besteht Einigkeit darüber, dass Verwendungen ein Unterfall von Aufwendungen (= freiwillige Vermögensopfer) sind und Sachbezug aufweisen. Ein engeres Begriffsverständnis kann man nicht mit dem allgemeinen Sprachgebrauch begründen. Denn der Ausdruck „Verwendung vornehmen“ kommt außerhalb der juristischen Fachsprache so nicht vor. „Verwenden“ meint allgemeinhin benutzen, gebrauchen oder anwenden (RdNr. 29).

12. Kann man bei der Auslegung Systematik und Historie von §§ 994 ff. BGB heranzuziehen, um die Streitfrage zu lösen?

Ja!

BGH: Aus § 2381 BGB lässt sich nur entnehmen, dass der Begriff der Verwendungen enger ist als derjenige der Aufwendungen (Systematisches Argument, RdNr. 30). Auch die historische Auslegung spricht eher für einen weiten Verwendungsbegriff. Aus den Gesetzgebungsmaterialien zum BGB ergibt sich, dass Verwendungen Geschäfte sein sollten, deren wirtschaftlicher Erfolg dem dinglich berechtigten in irgendeiner Weise zugutekommt. Der historische Gesetzgeber erwartete, dass „der Sinn des Ausdrucks auch ohne Begriffsbestimmung in der Rechtsanwendung nicht verkannt werden wird.“ (RdNr. 31) Kenntnisse über die Gesetzgebungsmaterialien kann von Dir in einer Klausur nicht erwartet werden. Die historische Auslegung kannst du regelmäßig auslassen, wenn du die Gesetzgebungsgeschichte nicht kennst. Ist dies zufällig der Fall, kannst Du hiermit natürlich extra punkten. Sollte in der Klausur einmal eine Gesetzesbegründung abgedruckt sein, arbeite unbedingt damit!

13. §§ 994 ff. BGB dienen einem billigen Ausgleich der widerstreitenden Interessen zwischen dem Eigentümer und dem redlichen Besitzer. Wäre der Eigentümer zweckwidrig benachteiligt, wenn er auch für Zustandsveränderungen Verwendungsersatz leisten müsste?

Nein, das ist nicht der Fall!

Zur Erinnerung: Wir befinden uns immer noch i.R.d. Streitentscheids zum Verwendungsbegriff. Sofern hier ein Schwerpunkt Deiner Klausur liegt, solltest Du ebenfalls ausführlich argumentieren. Eine gute Abwägung zeichnet sich dadurch aus, dass Du die Interessen genau darstellst und den Kern des Konflikts findest. BGH: Der enge Begriff ist nicht per se erforderlich, um den Eigentümer zu schützen. Dagegen fügt sich der weite Begriff interessengerecht in das System des EBV ein. Der Eigentümer wird durch eine Verwendungsersatzpflicht in seiner Dispositionsbefugnis beeinträchtigt, unabhängig davon, welchen Verwendungsbegriff man zugrunde legt: Er kann seine Sache nur zurückverlangen, wenn er den Ersatz leistet. Dies ergibt sich aus dem Zurückbehaltungsrecht des Besitzers aus § 1000 S. 1 BGB. Das Interesse des Eigentümers ist ausreichend dadurch geschützt, dass seine Ersatzpflicht aus § 996 BGB nur soweit besteht, wie sich auch der Verkehrswert der betroffenen Sache erhöht (RdNr. 34). Das Gesetz schränkt die Rechte des Eigentümers an verschiedenen Stellen zu Gunsten des redlichen Besitzers ein. So kann der Eigentümer z.B. für den Untergang der Sache nach §§ 989 ff. BGB keinen Schadensersatz vom redlichen Besitzer verlangen. Dies spricht gegen eine Beschränkung auf den engen Verwendungsbegriff.

14. Ist es interessen- und zweckwidrig, einen Verwendungsersatz des Besitzers bei Zustandsveränderungen (i.S.d. engen Verwendungsbegriffs) generell auszuschließen?

Nein, das trifft nicht zu!

Für den Überblick: Zuvor haben wir uns die Interessen bzw. die Beeinträchtigung des Eigentümers durch den weiten Verwendungsbegriff angeschaut. Dem stellen wir jetzt die Benachteiligung des Besitzers durch die Anwendung des engen Verwendungsbegriff gegenüber. BGH:  Der enge Verwendungsbegriff benachteiligt den redlichen Besitzer erheblich. Ihm verbliebe nur das regelmäßig wirtschaftlich wertlose Wegnahmerecht aus § 997 BGB. Ein Ausgleichsanspruch aus § 242 BGB käme nur in Ausnahmefällen in Betracht und entspräche wirtschaftlich nicht annähernd dem Verwendungsersatzanspruch. Nach dem engen Begriff wäre es dem Zufall überlassen, ob der Besitzer das Grundstück demselben Zweck widmet, wie der Eigentümer. Diese Härte für den Besitzer ist von dem Zweck von §§ 994 ff. BGB nicht gedeckt. (RdNr. 35 f.)

15. Wäre es auch zweckwidrig, den engen Verwendungsbegriff anzuwenden, wenn dieser zu erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten führen würde?

Ja!

Wir haben uns die Interessen der betroffenen Parteien angeschaut, nun schauen wir uns noch einen etwas allgemeineren Aspekt an: Die Praktikabilität und Rechtssicherheit. BGH:  Der enge Verwendungsbegriff führt zu erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten und damit zu Rechtsunsicherheit. Es bestehen keine geeigneten Kriterien dafür, ab wann eine grundlegende Veränderung bewirkt wird. Der enge Verwendungsbegriff ist damit wenig praktikabel. Es überzeugt auch nicht, z.B. die umfassende Sanierung eines bestehenden Hauses anders zu behandeln als den Abriss und Neubau. (RdNr. 37) Im Originalfall haben die Besitzer ein altes Wochenendhaus abgerissen, bevor sie das Wohnhaus errichtet haben. Der BGH weist in seiner Entscheidung darauf hin, dass in diesem Fall mit dem engen Verwendungsbegriff Abgrenzungsschwierigkeiten bestehen (RdNr. 37).

16. Damit ist der weite Verwendungsbegriff vorzugswürdig und B hat eine Verwendung i.S.v. § 996 BGB vorgenommen.

Genau, so ist das!

Wir fassen zusammen: (1) Wortlaut und Systematik von §§ 994 Abs. 1 S. 1, 996 BGB ergeben keinen Ausschluss von grundlegenden Veränderungen der Sache. (2) Der historische Gesetzgeber hat eher ein weites Verständnis vom Begriff der Verwendungen gehabt. (3) Schließlich entspricht der weite Verwendungsbegriff auch dem Telos von § 996 BGB und dem EBV insgesamt. Denn der enge Verwendungsbegriff bevorzugt den Eigentümer und benachteiligt den redlichen Besitzer erheblich. Insgesamt ergeben die Auslegungsmethoden, dass § 996 BGB (und § 994 Abs. 1 S. 1 BGB) der weite Verwendungsbegriff zugrunde liegt.Der Streit um den Verwendungsbegriff ist bzw. war ein Klassiker des EBV. Wenn Du verstehst, warum gestritten wurde und warum der BGH nunmehr seine Rspr. ändert, verstehst Du auch das EBV insgesamt ein Stückchen besser. Im Originalfall hat der BGH zusätzlich erklärt, dass der Änderung einer gefestigten Rechtsprechung Grenzen gesetzt sind. Denn einer solchen Änderung stehen grundsätzlich die Prinzipien von Rechtssicherheit und Vertrauensschutz im Weg. Eine Änderung kann aber ausnahmsweise vorgenommen werden, wenn „deutlich überwiegende oder sogar schlechthin zwingende Gründe dafür sprechen.“

17. Die Verwendungen müssten auch nützlich i.S.v. § 996 BGB gewesen sein. Ist das unumstritten der Fall, wenn V erklärt, er habe absolut kein Interesse an dem Wohnhaus?

Nein, das trifft nicht zu!

Nachdem Du zunächst geklärt hast, ob überhaupt Verwendungen vorliegen, darfst Du nicht vergessen, im zweiten Schritt die Nützlichkeit dieser Verwendungen zu prüfen. Eine Verwendung ist nützlich i.S.v. § 996 BGB, wenn sie den Sachwert noch zur Zeit der Herausgabe erhöht. Es ist aber umstritten, wonach die Nützlichkeit zu bestimmen ist. Nach einer Ansicht ist allein die objektive Verkehrswerterhöhung für die Nützlichkeit einer Verwendung maßgeblich. Nach einer anderen Ansicht ist die subjektive Werterhöhung für den Eigentümer maßgeblich. Eine Nützlichkeit könne danach nur angenommen werden, wenn die Verwendung für den Eigentümer aufgrund seiner konkreten Interessenlage einen Wert hätte.. Das Wohnhaus hat den objektiven Verkehrswert des Grundstücks nachhaltig erhöht, womit die Bs Verwendungen objektiven nützlich sind. Allerdings hat V erklärt, dass er an dem Wohnhaus subjektiv kein Interesse hat. Die Verwendungen wären nach dem subjektiven Anknüpfungspunkt nicht nützlich. Den Streitstand kannst Du hier in unserem Sachenrechtskurs wiederholen.

18. Beinhaltet der Wortlaut von § 996 BGB eindeutig ein subjektives Element und lässt es sich in der Praxis einfach handhaben, maßgeblich auf subjektive Vorstellungen einer Partei abzustellen?

Nein!

Da das Ergebnis der objektiven und subjektiven Betrachtungsweise auseinander fallen, musst Du Dich hier erneut entscheiden. BGH:  Der Wortlaut von § 996 BGB spricht für eine objektive Betrachtung („Wert der Sache“). Ein systematischer Vergleich mit § 997 Abs. 2 BGB zeigt, dass der Gesetzgeber dort eindeutig eine subjektive Betrachtung vorgibt („für ihn“). Die objektive Betrachtung ist auch interessengerecht und damit zweckmäßig. Der Eigentümer muss nämlich nur die Aufwendungen ersetzen, während der Besitzer das Risiko eines Wertverlustes trägt. Der Eigentümer erfährt insgesamt keine Vermögenseinbuße. Zudem sorgt auch nur ein objektives Verständnis für die nötige Rechtssicherheit. Wäre das subjektive Interesse des Eigentümers maßgeblich, so könnte der beweisbelastete Besitzer einen Vortrag des Eigentümers kaum widerlegen. (RdNr. 42 ff.)

19. B hat nützliche Verwendungen vorgenommen. V will ihren Anspruch abwehren, indem er von ihr die Beseitigung des Wohnhauses aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB verlangt. Könnte V einen solchen Anspruch gegen B haben, wenn dieser anwendbar ist?

Genau, so ist das!

Der Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB setzt voraus: (1) (Anwendbarkeit – i.d.R. nicht zu prüfen) (2) Anspruchsteller ist Eigentümer (3) Gegenwärtige Eigentumsbeeinträchtigung i.S.v. § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB (4) Anspruchsgegner ist Störer (5) Keine Duldungspflicht des Eigentümers, § 1004 Abs. 2 BGB Die Prüfung von § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB besteht in aller Regel (nur) aus den Punkten 2. bis 4. Den Prüfungspunkt „Anwendbarkeit“ solltest Du aber bei bei jedem Anspruch zumindest gedanklich prüfen. In den meisten Fällen musst Du nicht erst erklären, ob ein Anspruch zur Anwendung kommt. Aber bei komplexen oder unüblichen Konstellationen solltest Du Dir die Frage stellen, ob die Anwendung eines Anspruchs ausgeschlossen ist. Ein klassisches Beispiel ist der Vorrang von §§ 437, 434 BGB gegenüber § 119 Abs. 2 BGB. Auf den ersten Blick könnte V einen Anspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB haben. Allerdings ist noch vor der eigentlichen Prüfung des Anspruchs fraglich, ob § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB einem Verwendungsersatzanspruch aus § 996 BGB entgegengehalten werden kann. Denn dann bliebe der Besitzer auf seinen Verwendungen sitzen und müsste auch noch die Beseitigung besorgen.

20. Ist der Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB unumstritten gegen das Resultat der Verwendungen anwendbar?

Nein, das trifft nicht zu!

Das Verhältnis vom Beseitigungs- zum Verwendungsanspruch ist umstritten. Nach einer Ansicht ist der Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB gegenüber den §§ 987 ff. BGB vorrangig. Die Gegenauffassung lehnt einen Beseitigungsanspruch gegen den redlichen Besitzer ab. BGH: Das EBV sieht den redlichen Besitzer nach §§ 993 Abs. 1 Hs. 2, 989 BGB als schutzwürdig an, weil er nicht zur Leistung von Schadensersatz verpflichtet wird. Der Beseitigungsanspruch ist wirtschaftlich mit einem Schadensersatzanspruch vergleichbar. Es wäre ein Wertungswiderspruch, wenn der redliche Besitzer für den Abriss eines Gebäudes keinen Schadensersatz leisten, dafür aber ein von ihm errichtetes Gebäude abreißen müsste. Damit gehen die Regelungen des EBV hier zugunsten des redlichen Besitzers vor. (RdNr. 55 f.)

21. B kann V mithin die Zustimmung zur Grundbuchberichtigung (§ 894 BGB) vorenthalten, bis V ihr Ersatz ihrer nützlichen Verwendungen leistet (§§ 273 Abs. 2, 996 BGB).

Ja!

Zusammenfassung: (1) Das Grundbuch ist unrichtig i.S.v. § 894 BGB. Denn B ist als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen, obwohl sie das Eigentum durch den rechtskräftig aufgehobenen Zuschlagsbeschluss rückwirkend verloren hat. (2) B kann dem Anspruch von V aber einen Verwendungsersatzanspruch nach §§ 273 Abs. 2, 996 BGB entgegenhalten, weil sie mit dem Hausbau nützliche Verwendungen auf das Grundstück vorgenommen hat. Dieser Fall ist extrem umfangreich. Wir haben hier den Fokus darauf gesetzt, die extrem examensrelevanten Punkte möglichst kleinschrittig aufzubereiten. Wir empfehlen Dir aber in Deiner Examensvorbereitung, die Lektüre der Entscheidung. Im Originalfall hat der BGH zusätzlich eine Wegnahmepflicht der Besitzer nach § 997 BGB verneint, einen Räumungsanspruch dem Grunde nach bestätigt und die Löschung einer Grundschuld abgelehnt. Vorsicht bei Zurückbehaltungsrechten: Steht dem Anspruchsgegner ein solches zu, so musst du eine Zug-um-Zug Verurteilung beantragen oder tenorieren (vgl. § 274 Abs. 1 BGB)!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JI

Jimmy105

26.5.2025, 21:15:51

Das hier ist die bisher Beste Herausarbeitung einer Aufgabe. Super, Super hilfreich. Ich kann mir vorstellen, dass es nicht einfach ist Aufgaben derart kleinschrittig vorzubereiten, aber das hier darf gerne ein neuer Qualitätsmaßstab werden. Kleinschrittige Argumentation mit Auslegungsmethoden, Gegenüberstellungen, Klausurhinweisen, Tipps und Zusammenfassungen für den Überblick. Da kann man viel von lernen. Ich bevorzuge wie bereits an anderer Stelle erwähnt noch einen Gesamtüberblick, also eine gesamt Skizze (Schemata und Gedankenführung). Aber die kann man sich hier auch gut selbst erstellen. Einziger inhaltlicher Hinweis: an einer Stelle fehlt eine Erklärung. LG an das Team

QUEERS

QueerSocialistLawyer

26.5.2025, 21:26:50

Wirklich tolle Aufgabe. Auch schön wie man durch die Gedanken mitgeführt wird „zur Erinnerung hier an diesem Punkt sind wir“


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