Zivilrecht

Sachenrecht

Vindikation & Eigentümer-Besitzer-Verhältnis

Zurückbehaltungsrecht gem. § 1000 S. 1 BGB

Zurückbehaltungsrecht gem. § 1000 S. 1 BGB

8. November 2025

22 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

K kauft von V gutgläubig ein Mountainbike, ohne von dessen psychischer Erkrankung zu wissen. Nach einigen Tagen bricht eine der Speichen, die K reparieren lässt. Kurz darauf fordert der nun für V eingesetzte gesetzliche Betreuer B das Fahrrad heraus.

Diesen Fall lösen 0,0 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Zurückbehaltungsrecht gem. § 1000 S. 1 BGB

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. V steht ein Herausgabeanspruch gegen K zu.

Genau, so ist das!

Ein Herausgabeanspruch nach § 985 BGB setzt voraus, dass (1) der Anspruchsteller Eigentümer und (2) der Anspruchsgegner Besitzer (3) ohne Recht zum Besitz (§ 986 BGB) ist. V war ursprünglich Eigentümer. Da er nach § 104 Nr. 2 BGB geschäftsunfähig war, ist die dingliche Einigung nichtig. Er hat das Eigentum daher nicht verloren. K ist im Besitz des Fahrrads. Mangels wirksamen Vertragsverhältnisses besteht auch kein Besitzrecht zugunsten der K. Als gesetzlicher Betreuer ist B nach den §§ 1814 ff. BGB berechtigt, den Anspruch des V geltend zu machen.
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2. K hat gegen V einen Verwendungsersatzanspruch aus § 994 Abs. 1 BGB.

Ja, in der Tat!

Die Voraussetzungen für einen Verwendungsersatzanspruch aus § 994 Abs. 1 BGB sind (1) eine Vindikationslage, (2) Vornahme einer notwendigen Verwendung durch den Besitzer und (3) Gutgläubigkeit und Unverklagtheit des Besitzers. Bei der Reparatur handelt es sich um eine Verwendung. Da das Fahrrad mit einer kaputten Speiche nicht fahren kann, war diese auch notwendig. K wusste nichts von der Krankheit des V und hätte dies auch nicht wissen müssen. Sie war damit gutgläubig. Daher besteht ein Anspruch aus § 994 Abs. 1 BGB.

3. Ist der Verwendungsersatzanspruch der K fällig?

Nein!

Nach § 1001 S. 1 BGB ist der Anspruch auf Verwendungsersatz erst fällig, wenn der Eigentümer die Sache wiedererlangt oder die Verwendungen genehmigt. Dies ist vorliegend noch nicht geschehen. Das Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 2 BGB setzt seinem Wortlaut nach die Fälligkeit und Durchsetzbarkeit des Gegenanspruchs, also dem Anspruch des Schuldners gegen den Gläubiger, voraus. Wenn man streng nach dem Wortlaut geht, könnte das Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 2 BGB daher begrifflich erst nach der Herausgabe der Sache entstehen, was dann aber gerade nicht mehr möglich ist. Somit schiede § 273 BGB aus.

4. K muss daher das Fahrrad herausgeben, bevor sie den Ersatz ihrer Verwendungen erlangen kann.

Nein, das ist nicht der Fall!

Entgegen dem Wortlaut wird § 273 Abs. 2 BGB nach h.M. auch dann angewendet, wenn der Gegenanspruch automatisch mit Erbringung der Leistung fällig wird. K hat daher bereits ein Zurückbehaltungsrecht aus § 273 Abs. 2 BGB. Zudem besteht ein Zurückbehaltunsgrecht aus § 1000 S. 1 BGB. Diese Norm gibt dem Besitzer bei Bestehen eines Verwendungsersatzanspruches aus dem EBV ein Zurückbehaltungsrecht bis zur Befriedigung durch den Eigentümer. Neben dem § 273 Abs. 2 BGB besteht für § 1000 S. 1 BGB streng genommen kein Anwendungsbereich mehr, wenn man mit der h.M. geht und § 273 Abs. 2 BGB auch dann anwendet, wenn der Verwendungsersatzanspruch noch nicht fällig ist
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

REA🇺🇦

RealOmnimodo 🇺🇦

12.8.2022, 13:16:38

Also, es ist eine Pattsituation: Eigentümer hat § 985 aber der „Verwender“ kann ihm das ZBR § 1000 S. 1 entgegenhalten und der „Verwender“ hat seinerseits § 994 I gegen den Eigentümer. Der

Verwendungsersatz

anspruch ist aber gem. § 1001 S. 1 erst fällig, wenn der Eigentümer seine

Sache

wiedererlangt hat. Ich verstehe jetzt nicht, wie diese

Fälligkeit

seinrede überwunden wird und der Verwender seinen § 994 I durchsetzen kann ohne die

Sache

zurückzugeben? 😰

Nora Mommsen

Nora Mommsen

12.8.2022, 15:51:04

Hallo

omnimodo facturus

, danke für die Frage. § 273 Abs. 1 BGB setzt nach dem Wortlaut einen fälligen Anspruch auf

Verwendungsersatz

heraus. Dies liegt gem. §

1001 BGB

erst vor, wenn der Eigentümer die

Sache

zurückerhalten hat. Sinn und Zweck ist, dass der Eigentümer den Vorteil der

Verwendungen

ja auch erst nutzen kann, wenn er die

Sache

wieder in Besitz hat. § 1000 S. 1 BGB soll diese Lücke füllen. Die Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts hat die Wirkungen von § 274: Verurteilung des Besitzers zur Herausgabe Zug um Zug gegen

Verwendungsersatz

, aber Vollstreckung des Herausgabeanspruchs ohne

Verwendungsersatz

auch bei Annahmeverzug des Besitzers. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

CAR

Carolin_

30.4.2023, 17:23:24

Nach Rechtsprechung besteht doch ein Anwendungsbereich für § 273 Abs. 2 BGB neben § 1000 S.1 BGB, oder nicht? Die Rechtsprechung sieht doch § 1000 S. 1 BGB als

Recht zum Besitz

an (und nimmt trotzdem einen Zug-um-Zug-Verurteilung vor). Dann aber hat ja § 273 Abs.2 BGB streng genommen noch einen Anwendungsbereich, wenn man mit der Rechtsprechung geht? So oder so muss sich die Rechtsprechung jedenfalls eines Kunstgriffes bedienen…

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

15.3.2024, 12:14:25

Hi Carolin, da hast Du Recht. Die Auffassung der Rechtsprechung einerseits ein

Recht zum Besitz

zu bejahen, andererseits dann aber einen Herausgabeanspruch aus § 985 BGB mit Zug-um-Zug Verurteilung zuzulassen, begegnet erheblichen Wertungswidersprüchen, die man mit der hL vermeidet (mehr dazu bei: BeckOGK/Spohnheimer, 1.2.2024, BGB § 1000 Rn. 29). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

AN

AngeD

28.3.2025, 11:45:43

Nach hM ist

§ 1000 BGB

kein

Recht zum Besitz

: ,,Es ist umstritten, ob ein Zurückbehaltungsrecht (ZBR) aus §§ 273,

1000 BGB

auch ein

Recht zum Besitz

iSd § 986 BGB darstellt. BGH (+) zumindest hinsichtlich

§ 273 BGB

, denn der § 986 BGB regelt die Verteidigung des Besitzes gegen den Herausgabeanspruch aus § 985 BGB abschließend, sodass er alle Einreden erfasst. Der

§ 273 BGB

müsse jedoch dementsprechend einredeweise geltend gemacht werden und der § 274 BGB sei heranzuziehen, nach dem eine Verurteilung nur Zug-um-Zug erfolge. a.A. (-), denn die ZBR gewähren selbstständige Gegenrechte, die dem Anspruch aus § 985 BGB unmittelbar entgegenstehen. Sie bezwecken den Schutz einer gleichzeitigen

Erfüllung

von sich gegenüberstehenden Ansprüchen. Ihre ratio liegt gerade in der Aufrechterhaltung des Gegenanspruches, nicht aber einer Regelung von Besitzverhältnissen. Darüber hinaus würde ein ZBR als

Recht zum Besitz

den Anspruch aus § 985 BGB aufheben. Folglich würde es demnach an der Gegenseitigkeit fehlen. Die Ansicht des BGHs ist daher in sich widersprüchlich. Im Ergebnis bedarf es keiner Entscheidung. Sie kommen beide im Grundsatz zum gleichen Ergebnis. Nach der letztgenannten Ansicht sind die §§ 987 ff. BGB unproblematisch anwendbar (der Besitzer bleibt unrechtmäßiger Besitzer). Nach Ansicht des BGH sind die Ansprüche aus §§ 987 ff. BGB eigentlich nicht anwendbar, da der Besitzer durch das ZBR zu einem rechtmäßigen Besitzer wird. Der BGH wendet die §§ 987 ff. BGB dennoch an, und zwar, weil der Besitzer die Herausgabe nicht vollständig, sondern nur

vorübergehend

verweigern dürfe. Ein Zurückbehaltungsrecht aus

§ 1000 BGB

stellt dagegen unstreitig kein Besitzrecht iSd § 986 BGB dar, da hierbei durch die erstmalige

Verwendung

nach § 9

94 BGB

das gesetzliche Schuldverhältnis nach den §§ 987 ff. BGB entfallen würde. D. h. würde man in dem

§ 1000 BGB

ein Besitzrecht annehmen, würde ihre Voraussetzung der

Vindikationslage

entfallen.'' Quelle: https://www.iurastudent.de/lernen/skripte/

sachenrecht

/3-teil-

vindikationslage

/2-problematische-einzelf-lle-recht-zum-besitz-aus Ebenso: Hemmer

Sache

nR I Die Fälle S. 38 ff.

ajboby90

ajboby90

19.6.2024, 14:29:06

Fettes Lob für die - relativ - simple Darstellung dieser etwas misratenen Normen. Man lese sich mal das Wirrwarr auf zb. Juraacademy dazu durch - da raucht der Kopf und man versteht es danach trotzdem nicht! Auch sonst habe ich im Netz dazu nirgends gute Darstellungen gefunden, außer hier. Danke dafür!

Foxxy

Foxxy

19.7.2024, 15:05:09

Hallo, vielen Dank für dein Lob! Deine positive Rückmeldung motiviert uns, weiterhin unser Bestes zu geben. Beste Grüße, Foxxy, für das Jurafuchs-Team

CR7

CR7

21.8.2024, 18:06:08

@[ajboby90](222400) auf diesen Seiten steht nur so viel, wie du es sagst, damit sie bei Google ganz oben stehen - verstanden hat man trd. nichts :D

JES

Jessica

5.6.2025, 11:52:28

@[ajboby90](222400) @[CR7](145419) Hello, könntet ihr es vielleicht nochmal in euren Worten erklären. Ich werde daraus immer noch nicht schlau

MAG

Magnum

30.1.2025, 12:27:54

Verstehe ich es richtig, dass für das Zurückbehaltungsrecht gem. § 1000 S.1 der Anspruch auf

Verwendungsersatz

nicht fällig sein muss gem. § 1001 1?

OKA

okalinkk

9.5.2025, 10:27:58

Genau

HO

Honey-bee

3.4.2025, 11:46:15

Wahrscheinlich stehe ich komplett auf dem Schlauch, aber ich checke hier einfach nicht was ich jetzt, sich ausschließend oder doch nebeneinander, anwenden soll - § 273 II - § 1000 S. 1? Die Ausführungen verschiedener Ansichten verwirren mich und sich nicht klar zuortbar. Wenn ich entgegen dem Wortlaut (hM) § 273 II auch anwende, wenn der

Verwendungsersatz

anspruch noch nicht fällig ist und ich dann ein ZBR daraus und aus § 1000 S. 1 habe, fällt der Anwendungsbereich von letzterem weg. Wozu gibt es dann überhaupt den § 1000 S. 1? Lasse ich den dann einfach weg? Und wende dann einfach Zug-um-Zug § 274 an? Vielleicht geht es auch anderen so und man könnte nochmal die Meinungen, mit Hilfe einer zusätzlichen "Meinungen zuordnen"-Aufgabe, klar trennen :)

TI

till.

31.10.2025, 15:43:48

@[Foxxy](180364)

Foxxy

Foxxy

31.10.2025, 15:45:09

Kurzantwort: Im EBV stützt du das Zurückbehaltungsrecht primär auf § 1000 S. 1 BGB; § 273 kannst du nur hilfsweise nennen; die Verurteilung erfolgt Zug um Zug nach § 274 BGB. Begründung und Meinungsstand: - Strenger Wortlaut: § 273 verlangt einen fälligen Gegenanspruch. Wegen § 1001 S. 1 ist der

Verwendungsersatz

vor Wiedererlangung nicht fällig; ohne § 1000 gäbe es dann kein ZBR. Deshalb ist § 1000 S. 1 als lex specialis zwingend nötig. - h.M.: § 273 wird über den Wortlaut hinaus auch dann angewendet, wenn der Gegenanspruch mit der Leistung fällig wird. Dann besteht das ZBR zusätzlich aus § 273; § 1000 bleibt aber die speziellere Norm im EBV und dogmatische Hauptgrundlage. - Examenspraxis: Erst § 1000 S. 1 sauber prüfen; hilfsweise anmerken, dass nach h.M. auch § 273 trägt. Ergebnis wird prozessual über § 274 als Zug-um-Zug ausgestaltet. Anwendung auf den Fall: - B kann aus § 985 herausverlangen. - K hat

Verwendungsersatz

aus § 994 Abs. 1 (notwendige

Verwendung

, gutgläubig, unverklagt); Anspruch ist nach § 1001 S. 1 noch nicht fällig. - K darf die Herausgabe bis zur Befriedigung verweigern, § 1000 S. 1. Im Urteil: Herausgabe des Fahrrads Zug um Zug gegen Zahlung der Reparaturkosten, § 274. Wozu gibt es § 1000 S. 1, wenn § 273 (h.M.) auch hilft? Er sichert das ZBR im EBV unabhängig von der

Fälligkeit

(Gegenansicht!) und bestimmt dessen Reichweite passgenau zu den EBV-

Verwendungsersatz

ansprüchen. In der Klausur lässt du ihn nicht weg, sondern nimmst ihn als Hauptnorm; § 273 nur ergänzend.

SEL

Selina

20.5.2025, 15:35:33

Kann bitte jemand nochmal erklären, wann, wieso und weshalb ich den § 273 Abs. 2 BGB ansprechen und abgrenzen muss? Ich checke den Zusammenhang leider nicht, auch nicht, wo ich den in der Prüfung denn nun unterbringen muss…..

lexspecialia

lexspecialia

13.8.2025, 15:16:44

A. 985 I. VDKL (+) II. RZB (-) -> Hier nur Einwendungen. Keine einreden. ZBR ist nicht RZB daher geben die ZBR aus 273 oder 1000 kein RZB III. Einreden ( also ZBR) 1. Einrede aus 273 I 2. Einrede aus 273 II -> man braucht fälligen anspruch 994 ff. BGB ivm. 1001 3. Einrede aus 1000 -> man braucht keinen fälligen anspruch daher nur VSS 994 ff. BGB prüfen -> Merke Mit rückgabe der

Sache

erlischt aber der Anspruch auf

Verwendungsersatz

weil das ein obligatorisches Leistungsverweigerungsrecht des 985 ist. ABer wenn der Eigentümer schon die

Sache

zurückbekommen hat, kann auch kein ANspruch aus 985 mehr bestehen Hoffe das hilft dir etwas weiter

K.Attalla

K.Attalla

10.6.2025, 22:34:42

Wie ist die Anwendung des § 273 II in dogmatischer Hinsicht auf den nicht fälligen

Verwendungsersatz

anspruch zu begründen? Für eine Analogie bräuchte es eine planwidrige Regelungslücke, aber die liegt doch wegen § 1000 s.1 sicher nicht vor? Danke vorab.

NME

nmew

10.8.2025, 16:22:04

Ich denke, man wendet § 273 II nicht analog an, sondern legt nur den Wortlaut etwas extensiv aus..


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