Zurückbehaltungsrecht gem. § 1000 S. 1 BGB

19. Mai 2025

15 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

K kauft von V gutgläubig ein Mountainbike, ohne von dessen psychischer Erkrankung zu wissen. Nach einigen Tagen bricht eine der Speichen, die K reparieren lässt. Kurz darauf fordert der nun für V eingesetzte gesetzliche Betreuer B das Fahrrad heraus.

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Einordnung des Falls

Zurückbehaltungsrecht gem. § 1000 S. 1 BGB

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. V steht ein Herausgabeanspruch gegen K zu.

Genau, so ist das!

Ein Herausgabeanspruch nach § 985 BGB setzt voraus, dass (1) der Anspruchsteller Eigentümer und (2) der Anspruchsgegner Besitzer (3) ohne Recht zum Besitz (§ 986 BGB) ist. V war ursprünglich Eigentümer. Da er nach § 104 Nr. 2 BGB geschäftsunfähig war, ist die dingliche Einigung nichtig. Er hat das Eigentum daher nicht verloren. K ist im Besitz des Fahrrads. Mangels wirksamen Vertragsverhältnisses besteht auch kein Besitzrecht zugunsten der K. Als gesetzlicher Betreuer ist B nach den §§ 1814 ff. BGB berechtigt, den Anspruch des V geltend zu machen.
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2. K hat gegen V einen Verwendungsersatzanspruch aus § 994 Abs. 1 BGB.

Ja, in der Tat!

Die Voraussetzungen für einen Verwendungsersatzanspruch aus § 994 Abs. 1 BGB sind (1) eine Vindikationslage, (2) Vornahme einer notwendigen Verwendung durch den Besitzer und (3) Gutgläubigkeit und Unverklagtheit des Besitzers. Bei der Reparatur handelt es sich um eine Verwendung. Da das Fahrrad mit einer kaputten Speiche nicht fahren kann, war diese auch notwendig. K wusste nichts von der Krankheit des V und hätte dies auch nicht wissen müssen. Sie war damit gutgläubig. Daher besteht ein Anspruch aus § 994 Abs. 1 BGB.

3. Ist der Verwendungsersatzanspruch der K fällig?

Nein!

Nach § 1001 S. 1 BGB ist der Anspruch auf Verwendungsersatz erst fällig, wenn der Eigentümer die Sache wiedererlangt oder die Verwendungen genehmigt. Dies ist vorliegend noch nicht geschehen. Das Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 2 BGB setzt seinem Wortlaut nach die Fälligkeit und Durchsetzbarkeit des Gegenanspruchs, also dem Anspruch des Schuldners gegen den Gläubiger, voraus. Wenn man streng nach dem Wortlaut geht, könnte das Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 2 BGB daher begrifflich erst nach der Herausgabe der Sache entstehen, was dann aber gerade nicht mehr möglich ist. Somit schiede § 273 BGB aus.

4. K muss daher das Fahrrad herausgeben, bevor sie den Ersatz ihrer Verwendungen erlangen kann.

Nein, das ist nicht der Fall!

Entgegen dem Wortlaut wird § 273 Abs. 2 BGB nach h.M. auch dann angewendet, wenn der Gegenanspruch automatisch mit Erbringung der Leistung fällig wird. K hat daher bereits ein Zurückbehaltungsrecht aus § 273 Abs. 2 BGB. Zudem besteht ein Zurückbehaltunsgrecht aus § 1000 S. 1 BGB. Diese Norm gibt dem Besitzer bei Bestehen eines Verwendungsersatzanspruches aus dem EBV ein Zurückbehaltungsrecht bis zur Befriedigung durch den Eigentümer. Neben dem § 273 Abs. 2 BGB besteht für § 1000 S. 1 BGB streng genommen kein Anwendungsbereich mehr, wenn man mit der h.M. geht und § 273 Abs. 2 BGB auch dann anwendet, wenn der Verwendungsersatzanspruch noch nicht fällig ist
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

REA🇺🇦

RealOmnimodo 🇺🇦

12.8.2022, 13:16:38

Also, es ist eine Pattsituation: Eigentümer hat § 985 aber der „Verwender“ kann ihm das ZBR § 1000 S. 1 entgegenhalten und der „Verwender“ hat seinerseits § 994 I gegen den Eigentümer. Der

Verwendungsersatzanspruch

ist aber gem. § 1001 S. 1 erst fällig, wenn der Eigentümer seine Sache wiedererlangt hat. Ich verstehe jetzt nicht, wie diese Fälligkeitseinrede überwunden wird und der Verwender seinen § 994 I durchsetzen kann ohne die Sache zurückzugeben? 😰

Nora Mommsen

Nora Mommsen

12.8.2022, 15:51:04

Hallo

omnimodo facturus

, danke für die Frage. § 273 Abs. 1 BGB setzt nach dem Wortlaut einen fälligen Anspruch auf

Verwendung

sersatz heraus. Dies liegt gem.

§ 1001 BGB

erst vor, wenn der Eigentümer die Sache zurückerhalten hat. Sinn und Zweck ist, dass der Eigentümer den Vorteil der

Verwendung

en ja auch erst nutzen kann, wenn er die Sache wieder in Besitz hat. § 1000 S. 1 BGB soll diese Lücke füllen. Die Geltendmachung des

Zurückbehaltungsrecht

s hat die Wirkungen von § 274: Verurteilung des Besitzers zur Herausgabe Zug um Zug gegen

Verwendung

sersatz, aber Vollstreckung des Herausgabeanspruchs ohne

Verwendung

sersatz auch bei

Annahmeverzug

des Besitzers. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

CAR

Carolin_

30.4.2023, 17:23:24

Nach Rechtsprechung besteht doch ein Anwendungsbereich für § 273 Abs. 2 BGB neben § 1000 S.1 BGB, oder nicht? Die Rechtsprechung sieht doch § 1000 S. 1 BGB als Recht zum Besitz an (und nimmt trotzdem einen Zug-um-Zug-Verurteilung vor). Dann aber hat ja § 273 Abs.2 BGB streng genommen noch einen Anwendungsbereich, wenn man mit der Rechtsprechung geht? So oder so muss sich die Rechtsprechung jedenfalls eines Kunstgriffes bedienen…

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

15.3.2024, 12:14:25

Hi Carolin, da hast Du Recht. Die Auffassung der Rechtsprechung einerseits ein Recht zum Besitz zu bejahen, andererseits dann aber einen Herausgabeanspruch aus § 985 BGB mit Zug-um-Zug Verurteilung zuzulassen, begegnet erheblichen Wertungswidersprüchen, die man mit der hL vermeidet (mehr dazu bei: BeckOGK/Spohnheimer, 1.2.2024, BGB § 1000 Rn. 29). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

AN

AngeD

28.3.2025, 11:45:43

Nach hM ist

§ 1000 BGB

kein Recht zum Besitz: ,,Es ist umstritten, ob ein

Zurückbehaltungsrecht

(ZBR) aus §§ 273,

1000 BGB

auch ein Recht zum Besitz iSd § 986 BGB darstellt. BGH (+) zumindest hinsichtlich §

273 BGB

, denn der § 986 BGB regelt die Verteidigung des Besitzes gegen den Herausgabeanspruch aus § 985 BGB abschließend, sodass er alle Einreden erfasst. Der §

273 BGB

müsse jedoch dementsprechend einredeweise geltend gemacht werden und der § 274 BGB sei heranzuziehen, nach dem eine Verurteilung nur Zug-um-Zug erfolge. a.A. (-), denn die ZBR gewähren selbstständige Gegenrechte, die dem Anspruch aus § 985 BGB unmittelbar entgegenstehen. Sie bezwecken den Schutz einer gleichzeitigen

Erfüllung

von sich gegenüberstehenden Ansprüchen. Ihre ratio liegt gerade in der Aufrechterhaltung des Gegenanspruches, nicht aber einer Regelung von Besitzverhältnissen. Darüber hinaus würde ein ZBR als Recht zum Besitz den Anspruch aus § 985 BGB aufheben. Folglich würde es demnach an der Gegenseitigkeit fehlen. Die Ansicht des BGHs ist daher in sich widersprüchlich. Im Ergebnis bedarf es keiner Entscheidung. Sie kommen beide im Grundsatz zum gleichen Ergebnis. Nach der letztgenannten Ansicht sind die §§ 987 ff. BGB unproblematisch anwendbar (der Besitzer bleibt unrechtmäßiger Besitzer). Nach Ansicht des BGH sind die Ansprüche aus §§ 987 ff. BGB eigentlich nicht anwendbar, da der Besitzer durch das ZBR zu einem rechtmäßigen Besitzer wird. Der BGH wendet die §§ 987 ff. BGB dennoch an, und zwar, weil der Besitzer die Herausgabe nicht vollständig, sondern nur vorübergehend verweigern dürfe. Ein

Zurückbehaltungsrecht

aus

§ 1000 BGB

stellt dagegen unstreitig kein

Besitzrecht

iSd § 986 BGB dar, da hierbei durch die erstmalige

Verwendung

nach §

994 BGB

das gesetzliche

Schuld

verhältnis nach den §§ 987 ff. BGB entfallen würde. D. h. würde man in dem

§ 1000 BGB

ein

Besitzrecht

annehmen, würde ihre Voraussetzung der

Vindikationslage

entfallen.'' Quelle: https://www.iurastudent.de/lernen/skripte/sachenrecht/3-teil-

vindikationslage

/2-problematische-einzelf-lle-recht-zum-besitz-aus Ebenso: Hemmer SachenR I Die Fälle S. 38 ff.

ajboby90

ajboby90

19.6.2024, 14:29:06

Fettes Lob für die - relativ - simple Darstellung dieser etwas misratenen Normen. Man lese sich mal das Wirrwarr auf zb. Juraacademy dazu durch - da raucht der Kopf und man versteht es danach trotzdem nicht! Auch sonst habe ich im Netz dazu nirgends gute Darstellungen gefunden, außer hier. Danke dafür!

Foxxy

Foxxy

19.7.2024, 15:05:09

Hallo, vielen Dank für dein Lob! Deine positive Rückmeldung motiviert uns, weiterhin unser Bestes zu geben. Beste Grüße, Foxxy, für das Jurafuchs-Team

CR7

CR7

21.8.2024, 18:06:08

@[ajboby90](222400) auf diesen Seiten steht nur so viel, wie du es sagst, damit sie bei Google ganz oben stehen - verstanden hat man trd. nichts :D

MAG

Magnum

30.1.2025, 12:27:54

Verstehe ich es richtig, dass für das

Zurückbehaltungsrecht

gem. § 1000 S.1 der Anspruch auf

Verwendung

sersatz nicht fällig sein muss gem. § 1001 1?

OKA

okalinkk

9.5.2025, 10:27:58

Genau

HO

Honey-bee

3.4.2025, 11:46:15

Wahrscheinlich stehe ich komplett auf dem Schlauch, aber ich checke hier einfach nicht was ich jetzt, sich ausschließend oder doch nebeneinander, anwenden soll - § 273 II - § 1000 S. 1? Die Ausführungen verschiedener Ansichten verwirren mich und sich nicht klar zuortbar. Wenn ich entgegen dem Wortlaut (hM) § 273 II auch anwende, wenn der

Verwendungsersatzanspruch

noch nicht fällig ist und ich dann ein ZBR daraus und aus § 1000 S. 1 habe, fällt der Anwendungsbereich von letzterem weg. Wozu gibt es dann überhaupt den § 1000 S. 1? Lasse ich den dann einfach weg? Und wende dann einfach Zug-um-Zug § 274 an? Vielleicht geht es auch anderen so und man könnte nochmal die Meinungen, mit Hilfe einer zusätzlichen "Meinungen zuordnen"-Aufgabe, klar trennen :)


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