Zivilrecht

Schuldrecht Allgemeiner Teil

Haftung aus culpa in contrahendo (Leistungsstörungsrecht)

Entstehung IV: Unterschlupf im Supermarkt während Regen, kein cic

Entstehung IV: Unterschlupf im Supermarkt während Regen, kein cic

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

G betritt das Geschäft des A, um sich dort während eines Regenschauers unterzustellen. Dort wird er von einem umstürzenden Regal, welches das ansonsten sehr sorgfältige Personal P des A nicht ordnungsgemäß gesichert hat, leicht verletzt.

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Einordnung des Falls

Entstehung IV: Unterschlupf im Supermarkt während Regen, kein cic

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. G hat einen vertraglichen Schadensersatzanspruch gegen A.

Nein, das trifft nicht zu!

Dafür müsste ein wirksamer Vertrag zustande gekommen sein. Unabhängig davon, ob bereits das Auslegen der Ware ein Angebot des V ist oder es sich bloß um eine Aufforderung zur Angebotsabgabe handelt, die erst durch das Vorlegen an der Kasse durch G erfolgt, hatte G vorliegend keinerlei Kaufabsicht. G wollte sich bloß unterstellen. Vertragliche Schadensersatzansprüche scheiden aus.
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2. G hat einen deliktischen Schadensersatzanspruch gegen A (§ 823 Abs. 1 BGB).

Nein!

Dazu müsste A (1) ein absolut geschütztes Recht des G (2) schuldhaft, (3) kausal und (4) rechtswidrig verletzt haben, wodurch G ein (5) kausaler Schaden entstanden sein müsste. Zwar wurde Gs Leib verletzt. Allerdings nicht durch eine Verletzungshandlung des A. Hier hat nicht A, sondern P das Regal nicht ordnungsgemäß gesichert. Fremdes Verschulden wird im Deliktsrecht grundsätzlich nicht zugerechnet. Die Zurechnungsnorm des § 278 BGB greift hier nicht.

3. G hat einen vorvertraglichen Schadensersatzanspruch gegen A (§§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 Nr. 3, 241 Abs. 2 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Ein vorvertragliches Schuldverhältnis entsteht durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen (Nr. 1), die Anbahnung eines Vertrags, (Nr. 2) oder ähnliche geschäftliche Kontakte (Nr. 3). Das Betreten eines Geschäfts alleine zum Schutz vor Witterung ist als rein sozialer Kontakt für eine rechtliche Sonderverbindung nicht ausreichend. Es liegt weder eine Vertragsanbahnung, noch ein ähnlicher geschäftlicher Kontakt vor. Bei diesem Auffangtatbestand wird bereits vor Vertragsanbahnung die Einwirkung auf Rechtsgüter der anderen Partei möglich. Als Mindestmaß wird geschäftliches Handeln vorausgesetzt.

4. G hat einen deliktischen Schadensersatzanspruch gegen A aus § 831 Abs. 1 S. 1 BGB.

Nein, das trifft nicht zu!

Ein Schadenersatzanspruch aus § 831 Abs. 1 S. 1 BGB setzt voraus: (1) eine unerlaubte Handlung, (2) des Verrichtungsgehilfen, (3) bei Ausführung der Verrichtung (4) und keine Exkulpation des Geschäftsherrn und (5) einen kausalen Schaden. P ist als Verrichtungsgehilfe des A weisungsgebunden mit Wissen und Wollen im Pflichtenkreis des A tätig. P verletzte den Leib des G. Allerdings hat A den P sorgfältig ausgesucht und überwacht, dass sich A erfolgreich exkulpieren kann (§ 831 Abs. 1 S. 2 BGB). Deliktische Ansprüche gegen A scheiden aus.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

VI

Vithonil

11.4.2020, 21:02:54

Tatsächlich gibt es hier einen Meinungsstreit, eine Meinung sagt, dass die Rücksichtnahmepflichten auch zu wahren sind wenn ein Kunde das Geschäft auch ohne geschäftliche Absicht betritt.

GEL

gelöscht

12.4.2020, 19:46:19

Was dann aber möglicherweise uferlose Kausalitätsketten zuließe 🤔 Handelt es sich dabei um eine

Mindermeinung

?

VI

Vithonil

12.4.2020, 22:48:03

Nicht nach meinem Lehrbuch und meinen Übungsleitern in der Uni zumindest.. Es genügt dass der potentielle Kunde Geld bei sich führt, da in einer Vielzahl von Geschäften auch zu einem spontanen Kauf verleitet werden soll und der Kunde durch Betreten des Geschäftes ein Einwirken auf seine Rechte, Rechtsgüter und Interessen zulässt.

SNEU

Stefan Thomas Neuhöfer

13.4.2020, 13:19:34

Hi, vielen Dank für den Hinweis! Ich bin mir nicht sicher, ob es da wirklich einen Meinungsstreit gibt, oder ob es sich nicht vielmehr um einen feinsinnigen tatsächlichen Unterschied handelt: In unserem Fall hatten wir vor Auge, dass der Kunde sich bildlich gesprochen unter das Vordach stellt. Es geht ihm dabei ausschließlich darum, sich vor dem Regen zu schützen (was nach außen auch erkennbar ist). Anders, wenn der Kunde sich vor dem Regen schützen will und dabei einen Streifzug durch das Kaufhaus unternimmt. Dann wäre man sicher im Anwendungsbereich der c.i.c. (auch wenn er zunächst nichts kaufen möchte). Die Unterscheidung ist also eine Frage des Einzelfalles. Maßgeblich ist, ob eine Anbahnung eines Geschäftes (§ 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB) vorliegt. Hilft das weiter? Viele Grüße

AT

AttorneyAtLaw

6.5.2020, 22:20:49

Das hilft. Danke!

DC20

dC20

26.1.2021, 12:16:39

Ich bin mir gerade etwas unsicher: Hat denn dann G einen Anspruch gegen P aus 823 I ?

Jana-Kristin

Jana-Kristin

26.1.2021, 13:04:39

Wenn dem P ein Verschuldensvorwurf gemacht werden kann, steht m.E. einem Anspruch aus 823 I BGB nichts im Wege.

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

26.1.2021, 15:22:19

So ist es Jana-Kristin! Allerdings muss bei § 823 Abs. 1 BGB der Gläubiger beweisen, dass der Schuldner die Rechtsgutsverletzung zu verschulden hat. Anders bei dem Anspruch aus cic nach §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB, wo das Vertretenmüssen vermutet wird und der Schulder das Gegenteil beweisen muss. Deswegen ist die cic für den Gläubiger natürlich die bessere Anspruchsgrundlage. LG ;)

DC20

dC20

26.1.2021, 15:28:45

Zum Glück stehen ja solche Fakten dann immer im Sachverhalt. 😉 Danke für die Erläuterung.👍

GI

Ginda

1.8.2023, 16:18:03

Wie ist es hier mit dem innerbetrieblichen Schadensausgleich? Müsste der Arbeitgeber ggf. nicht dann doch für den Schaden eintreten?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

1.8.2023, 16:48:11

Hallo Ginda, sehr gute Nachfrage! In der Tat kommt hier über den Umweg des sog. "innerbetrieblichen Schadensausgleichs" letztlich durchaus eine Haftung des Arbeitgebers in Betracht. Hier muss man allerdings sauber die verschiedenen Rechtsverhältnisse auseinanderhalten. Im Verhältnis G (Kunde) - A (Inhaber) besteht kein direkter Anspruch, da A weder ein eigenes (Überwachungs-)Verschulden trifft, noch ihm das Verschulden seines Mitarbeiters mangels vertraglicher Beziehung zu G über § 278 BGB zurechenbar ist. G muss sich somit in erster Linie an den Mitarbeiter halten, der das Regal unsachgemäß aufgebaut hat. Wird ein Arbeitnehmer allerdings von Dritten für Schäden in Anspruch genommen, die er bei Ausübung seiner Arbeitstätigkeit verursacht hat, so kann der Arbeitnehmer nach den Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs vom Arbeitgeber eine (teilweise) Freistellung von den Ansprüchen des Dritten verlangen oder (einen Teil) des geltend gemachten Schadensersatzes ersetzt verlangen (§ 670 BGB analog). Mehr dazu findest Du auch im Arbeitsrechtskurs: https://applink.jurafuchs.de/KwaKCaSzUBb Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

SN

Sniter

20.10.2023, 14:55:11

Liebes Jurafuchsteam, was ist mit einem Anspruch des Geschädigten gegen den Ladeninhaber aus § 823 I weil ihm das Verschulden des P über § 31 zugerechnet wird? Funktioniert das nicht, weil P als einfacher Ladenangestellter nicht mit einem Organ iSd § 31 vergleichbar ist?

LELEE

Leo Lee

21.10.2023, 13:12:34

Hallo Sniter, die Anwendung von §

31 analog

scheitert daran, dass der Angestellte weder Vorstand noch Mitglied oder ein anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter des Ladens ist (hierunter sind vielmehr etwa Filialleiter o.ä. gemeint). Hierzu kann ich dir die Lektüre von MüKo-BGB 9. Auflage, Leuschner § 31 Rn. 12 ff. empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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