Öffentliches Recht
Examensrelevante Rechtsprechung ÖR
Entscheidungen von 2021
Platzverweis, Aufenthaltsverbot und Störerauswahl bei gewaltbereiten Gegendemonstranten (Aufenthaltsverbot für Stadtgebiet)
Platzverweis, Aufenthaltsverbot und Störerauswahl bei gewaltbereiten Gegendemonstranten (Aufenthaltsverbot für Stadtgebiet)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
K, antifaschistisch-linke Aktivistin, will gegen eine Veranstaltung der Partei „die RECHTE“ demonstrieren. Im Vorfeld der Veranstaltung greifen K und ihre linke Gruppierung die Polizei (P) mit Waffen an. P erteilt K einen Platzverweis für das gesamte Stadtgebiet und den ganzen Tag.
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Einordnung des Falls
Platzverweis, Aufenthaltsverbot und Störerauswahl bei gewaltbereiten Gegendemonstranten (Aufenthaltsverbot für Stadtgebiet)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. K erhebt Klage zum Verwaltungsgericht, um die Rechtswidrigkeit des Platzverweises feststellen zu lassen. Ist die Feststellungsklage (§ 43 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) statthaft?
Nein, das trifft nicht zu!
Jurastudium und Referendariat.
2. Im Rahmen der Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage ist - über die Klagebefugnis (§ 42 Abs. 1 VwGO analog) hinaus - auch ein subjektives Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit erforderlich.
Ja!
3. K hat ein Rehabilitationsinteresse, da ihr in der Öffentlichkeit ein Platzverweis erteilt wurde, sodass sie mit einem „Störermakel“ behaftet ist.
Nein, das ist nicht der Fall!
4. Zwar will „die RECHTE“ in Zukunft keine Veranstaltung mehr abhalten, aber K will weiterhin gegen Rechtsextremismus demonstrieren und hält ähnliche polizeiliche Maßnahmen für wahrscheinlich. Liegt angesichts dessen eine Wiederholungsgefahr vor?
Nein, das trifft nicht zu!
5. Kann K (deutsche Staatsangehörige) ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse daraus herleiten, dass der Platzverweis einen sich schnell erledigenden Grundrechtseingriff darstellte?
Ja!
6. Die Klage ist begründet, soweit der Platzverweis rechtswidrig gewesen ist und K in ihren Rechten verletzt hat (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO analog).
Genau, so ist das!
7. Für die Erteilung eines Platzverweises ist nach dem Landespolizeigesetz (hier § 34 Abs. 1 PolG NRW) eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit erforderlich. Ging von K zum Zeitpunkt des Platzverweises eine konkrete Gefahr aus?
Ja, in der Tat!
8. War die von P gewählte Rechtsfolge (Platzverweis) ermessensfehlerfrei mit Blick darauf, dass sich der Platzverweis auf das gesamte Stadtgebiet bezog, anstatt auf einen räumlich eng begrenzten Bereich?
Nein!
9. Die gewählte Rechtsfolge war auch deshalb ermessensfehlerhaft und somit rechtswidrig, weil der Platzverweis für das gesamte Stadtgebiet eine unverhältnismäßige, insbesondere nicht erforderliche Maßnahme war.
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Philipp Paasch
21.6.2022, 23:59:02
Hallo, ich würde vielleicht anraten, die Größe der Stadt im Sachverhalt zu vermerken. Damit kann man leichter erkennen, ob die Erforderlichkeit gegeben ist. :-)
Lukas_Mengestu
22.6.2022, 13:33:09
Hallo Philipp, vielen Dank für Deinen Anregung. Aus dem verwaltungsgerichtlichen Urteil geht leider nicht genau hervor, um welche Stadt es sich konkret gehandelt hat bzw. wie groß diese war. Letztlich dürfte es hierauf im Ergebnis regelmäßig aber auch nicht ankommen, da auch in Kleinstädten lediglich der Verweis von einem Ort erforderlich ist und kein Platzverweis hinsichtlich des gesamten Gemeindegebiets. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Praetor
13.9.2022, 08:39:31
Beim VG Gelsenkirchen in erster Instanz und einer Stadt E mit 280km2 dürfte das doch mit ziemlicher Sicherheit Essen sein, oder? Ansonsten muss ich Phillip zustimmen, die letzte Frage lässt sich nicht unbedingt als offensichtlich
ermessensfehlerhaftbezeichnen, bei kleineren Städten wäre für mich schon mit Angriffen auf Polizeistreifen oder abreisende rechte Demonstranten zu rechnen.
Praetor
13.9.2022, 09:19:14
Entschuldigung, nach Recherche kann ich sagen es ist Dortmund: https://anwaltskanzlei-adam.de/2022/07/12/oberverwaltungsgericht-nordrhein-westfalen-urteil-vom-24-06-2022-az-13-d-78-18-ek/
🔥1312🔥
17.3.2023, 08:17:28
Angenommen die Voraussetzungen für ein Aufenthaltsverbot hätten grundsätzlich vorgelegen (Gefahr von Aktionen im gesamten Stadtgebiet), die Polizei hätte aber dennoch ihre Maßnahmen als Platzverweis bezeichnet und auf die entsprechende
Ermächtigungsgrundlagegestützt. Wie würde sich dieser Fehler, dass die Behörde eine an sich rechtmäßige Maßnahme lediglich auf die falsche gesetzliche Grundlage stützt, auswirken? Und würde ich dann in einer Klausur die hypothetisch Rechtmäßigkeit des Aufenthaltsverbots prüfen, nachdem ich festgestellt habe, dass die rechtsfolge nicht vom Platzverweis gedeckt ist?
Nora Mommsen
21.3.2023, 12:42:08
Hallo 1312, danke für deine Frage. Grundsätzlich führt das zur Rechtswidrigkeit des VA, denn für die angegebene EGL fehlen die Tatbestandsvoraussetzungen und auf die andere hat sich die Behörde
ermessensfehlerhaftnicht berufen. In der Rechtsprechung wird allerdings auch bei Ermessensentscheidungen ein solches Auswechseln der Rechtsgrundlage nicht grundsätzlich als unzulässig angesehen. Die Heranziehung anderer als im angefochtenen Bescheid genannter Normen ist dem Gericht nur dann verwehrt, wenn die anderweitige rechtliche Begründung zu einer Wesensveränderung des angefochtenen Bescheides führen würde. Der aufgezeigte Mangel kann nach den Grundsätzen des Nachschiebens von Gründen oder im Wege der Umdeutung geheilt werden. Es kommt auf das Verhalten der Behörde im Verfahren an. Sollte die Behörde an der ursprünglichen
Ermächtigungsgrundlagefesthalten und eine Umdeutung nicht möglich sein, ist der VA rechtswidrig. (vgl. u.a. BVerwG, NVwZ 1990,S. 673). Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Friederike Boelitz
21.3.2023, 19:29:36
Interessant aber bitte übersetzt die Abkürzungen für
Leihen ist mit va der Platzverweis gemeint und mit Egl
Ermächtigungsgrundlage?
QuiGonTim
23.9.2023, 15:11:19
VA: Verwaltungsakt (im Fall ist der Platzverweis ein VA) EGL:
Ermächtigungsgrundlage