Öffentliches Recht
VwGO
Widerspruchsverfahren
Die reformatio in peius in der Klausur: Zulässigkeitsprüfung
Die reformatio in peius in der Klausur: Zulässigkeitsprüfung
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Professor P spricht in seiner Vorlesung so trocken und theoretisch über die reformatio in peius, dass Lawra fast einschläft. Zum Glück bringt Tutorin T wieder Schwung in das Thema. T zeigt L, wie sich die reformatio in peius auf die Prüfung der Zulässigkeit einer Klage auswirkt.
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Einordnung des Falls
Die reformatio in peius in der Klausur: Zulässigkeitsprüfung
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Besteht der Klagegegenstand (auch) in einer Verböserung, ergeben sich hieraus Besonderheiten für die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs.
Nein!
Jurastudium und Referendariat.
2. Nach der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs muss man in der statthaften Klageart den konkreten Klagegegenstand herausarbeiten.
Genau, so ist das!
3. Vor der Anfechtung des verbösernden Verwaltungsakts muss der Kläger ein Widerspruchsverfahren durchführen.
Nein, das trifft nicht zu!
4. Auch die Einhaltung einer Klagefrist ist ganz und gar entbehrlich.
Nein!
5. Schließlich stellt sich noch die Frage, ob der richtige Klagegegner der Träger der Ausgangs- oder der Widerspruchsbehörde ist.
Genau, so ist das!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
NichtDavid
7.9.2024, 16:56:00
Bei der
Statthaftigkeitwird eine isolierte
Anfechtbarkeitnach § 79 II 2 VwGO angesprochen. 1. Müsste es nicht § 79 II 1 VwGO heißen? 2. Ist auch eine isolierte
Anfechtbarkeitgem § 79 I Nr. 2 denkbar? ZB bei (tlw) Rücknahme einer zuvor gewährten Begünstigung im Widerspruch, der auf eine höhere Begünstigung gerichtet ist?
Linne_Karlotta_
10.10.2024, 14:46:04
Hallo @[NichtDavid](231469), danke für die gute Frage. In dem von dir geschilderten Fall liegt keine
reformatio in peiusvor. Denn unter diesem Begriff wird nur der Fall diskutiert, dass der durch einen Verwaltungsakt bereits Belastete diese Belastung anficht und die Widerspruchs
behördedie Belastung „erhöht“. Nur in diesem Fall liegt eine „echte“
reformatio in peiusvor (vgl. Schmidt, Verwaltungsprozessrecht, 21.A. 2024, RdNr. 849; Kopp/Schenke, VwGO, 26.A. 2020, RdNr. 10). § 79 Abs. 1 Nr. 2 VwGO regelt dagegen nur die Fälle, in denen der Widerspruchsbescheid eine
erstmalige Beschwerenthält, so wie in dem von Dir beschriebenen Fallbeispiel. In diesem Fall enthält der Widerspruchsbescheid also eine Regelung, die über ursprüngliche Regelung des Verwaltungsakts hinausgeht (denn sie ist erstmalig, war also zuvor nicht im Verwaltungsakt angelegt). Sie betrifft einen neuen Streitgegenstand. Diese Fallkonstellation kann nicht mit der Zulässigkeit der
reformatio in peius, sondern nur nach dem einschlägigen Landesorganisationsrecht und dem materiellen Verwaltungsverfahrensrecht entschieden werden (dazu Kopp/Schenke, VwGO, 26.A. 2020, RdNr. 10, 12). Bei dem von Dir geschilderten Fall wird es maßgeblich auf die Beschränkungen der §§ 48, 49 VwVfG ankommen. Hierbei sind dann u.a. die Zuständigkeitsregeln aus § 48 Abs. 5 VwVfG bzw. § 49 Abs. 5 VwVfG zu beachten. In der Klausur würdest Du in dem von dir beschriebenen Fall also gar nicht auf die Zulässigkeit einer
reformatio in peiuszu sprechen kommen, sondern „ganz normal“ die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Verwaltungsakts nach §§ 48, 49 VwVfG prüfen. Ich hoffe, ich konnte dir damit weiterhelfen. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team
Linne_Karlotta_
10.10.2024, 14:57:33
Hallo @[NichtDavid](231469), danke für die gute Frage. In dem von dir geschilderten Fall liegt keine
reformatio in peiusvor. Denn unter diesem Begriff wird nur der Fall diskutiert, dass der durch einen Verwaltungsakt bereits Belastete diese Belastung anficht und die Widerspruchs
behördedie Belastung „erhöht“. Nur in diesem Fall liegt eine „echte“
reformatio in peiusvor (vgl. Schmidt, Verwaltungsprozessrecht, 21.A. 2024, RdNr. 849; Kopp/Schenke, VwGO, 26.A. 2020, RdNr. 10). § 79 Abs. 1 Nr. 2 VwGO regelt dagegen nur die Fälle, in denen der Widerspruchsbescheid eine
erstmalige Beschwerenthält. In diesem Fall enthält der Widerspruchsbescheid also eine Regelung, die über die ursprüngliche Regelung des Verwaltungsakts hinausgeht (denn sie ist erstmalig, war also zuvor nicht im Verwaltungsakt angelegt). Sie betrifft einen neuen Streitgegenstand. Diese Fallkonstellation kann nicht mit der Zulässigkeit der
reformatio in peius, sondern nur nach dem einschlägigen Landesorganisationsrecht und dem materiellen Verwaltungsverfahrensrecht (insbesondere §§ 48, 49 VwVfG) entschieden werden (dazu Kopp/Schenke, VwGO, 26.A. 2020, RdNr. 10, 12). Hat der Antragsteller eine höhere Leistung beantragt, als er dann bekommt, so besteht bereits darin eine Beschwer (im Ausgangsbescheid). Ficht der Antragsteller diesen Bescheid dann bzgl. der Höhe der Leistung an, die hinter seinem Antrag zurückbleibt und wird die bewilligte Leistung daraufhin weiter gekürzt (wie in dem von dir beschriebenen Fall), dann liegt darin also keine
erstmalige Beschwer, sondern nur eine Vertiefung der vorherigen Beschwer – nämlich dem „Zurückbleiben der Bewilligung hinter dem Beantragten“. Diese Belastung war bereits im angefochtenen Verwaltungsakt angelegt. Daher ist auch in diesem Fall § 79 Abs. 2 S. 1 VwGO einschlägig. Den von dir erwähnten Tippfehler habe ich korrigiert. Ich hoffe, ich konnte dir damit weiterhelfen. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team
Faby
1.10.2024, 22:01:38
Warum heißt es in der einen Lösung "§ 68 I 2 Nr. 2 VwGO analog" und nicht in direkter Anwendung?
Linne_Karlotta_
10.10.2024, 14:18:51
He Faby, danke für deine Frage. § 68 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 VwGO regelt nur den Fall, in dem der Abhilfe- oder Widerspruchsbescheid eine
ERSTMALIGE Beschwerenthält (Beispiel: Eine auf Einwendung eines Nachbarn hin versagte Baugenehmigung wird nach Widerspruch des Bauherrn doch erteilt. Der Nachbar ist durch den Abhilfebescheid erstmalig beschwert.) Die
reformatio in peiusist allerdings gerade keine
erstmalige Beschwer, sondern „vergrößert“ nur eine in dem angegriffenen Verwaltungsakt bereits vorhandene Belastung. Daher muss § 68 Abs. 1 Nr. 2 VwGO in diesem Fall analog angewandt werden (siehe z.B. Schmidt, Verwaltungsprozessrecht, 21.A. 2024, RdNr. 857, Fußnote 1223). Ich hoffe, ich konnte Dir damit weiterhelfen! Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team
Linne_Karlotta_
10.10.2024, 14:51:05
He Faby, danke für deine Frage. § 68 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 VwGO regelt nur den Fall, in dem der Abhilfe- oder Widerspruchsbescheid eine
ERSTMALIGE Beschwerenthält (Beispiel: Eine auf Einwendung eines Nachbarn hin versagte Baugenehmigung wird nach Widerspruch des Bauherrn doch erteilt. Der Nachbar ist durch den Abhilfebescheid erstmalig beschwert.) Die
reformatio in peiusist allerdings gerade keine
erstmalige Beschwer, sondern „vergrößert“ nur eine in dem angegriffenen Verwaltungsakt bereits vorhandene Belastung. Daher muss § 68 Abs. 1 Nr. 2 VwGO in diesem Fall analog angewandt werden (siehe z.B. Schmidt, Verwaltungsprozessrecht, 21.A. 2024, RdNr. 857, Fußnote 1223). Ich hoffe, ich konnte Dir damit weiterhelfen! Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team