Zivilrecht

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Entscheidungen von 2022

Kein Unterlassungsanspruch der Anwohner bei Verstoß gegen LKW-Durchfahrtverbot

Kein Unterlassungsanspruch der Anwohner bei Verstoß gegen LKW-Durchfahrtverbot

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die S-Straße ist von einem durch die Stadt S für das gesamte Stadtgebiet erlassenen Luftreinhalteplan erfasst. Trotz des darauf gestützten LKW-Durchfahrtsverbots fahren die LKWs von Logistiker L täglich dort. Erhöhte Immissionswerte gibt es nicht. Bewohner B fürchtet dennoch um seine Gesundheit und die Gesundheit seiner Kinder.

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Einordnung des Falls

Kein Unterlassungsanspruch der Anwohner bei Verstoß gegen LKW-Durchfahrtverbot

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ein Unterlassungsanspruch von B gegen L könnte sich auf § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB i.V.m. § 906 BGB stützen.

Ja!

Der Anspruch nach § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB setzt voraus, dass (1) der Anspruchsteller Eigentümer ist oder bei Eintritt der Beeinträchtigung die Beseitigung verlangen könnte, (2) eine Eigentumsbeeinträchtigung vorliegt oder kurz bevorsteht, (3) Wiederholungsgefahr besteht, (4) der Anspruchsgegner Störereigenschaft hat und (5) keine Pflicht zur Duldung der Störung besteht.
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2. Mangels erhöhter Schadstoffimmissionen fehlt es für einen Anspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB an der wesentlichen Beeinträchtigung der Grundstücksnutzung.

Genau, so ist das!

Nach h.M. ist eine Beeinträchtigung jede rechtliche oder tatsächliche, von außen kommende Einwirkung auf die Sache. Teilweise hat der Beeinträchtigte die Einwirkungen aber auch zu dulden. Eine Duldungspflicht kann sich aus Vertrag oder Gesetz ergeben; so kann der Eigentümer gemäß § 906 Abs. 1 S. 1 BGB Einwirkungen auf sein Grundstück nicht verbieten, sofern sie die Benutzung des Grundstücks nur unwesentlich beeinträchtigen. Die Wesentlichkeit einer Beeinträchtigung beurteilt sich nach dem Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen und dem, was diesem unter Würdigung anderer öffentlicher und privater Belange zuzumuten ist. Es liegen keine erhöhten Schadstoffimmissionen vor sodass der Ausstoß nicht außergewöhnlich hoch ist und mithin das Grundstück des B nicht wesentlich beeinträchtigt wird.

3. B könnte gegen L aber einen Anspruch auf Unterlassung aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB haben.

Ja, in der Tat!

Der Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog, §§ 823ff. BGB (quasi-negatorischer Unterlassungsanspruch) setzt (1) eine Verletzung der durch §§ 823ff. BGB geschützten Rechte und Rechtsgüter, (2) Wiederholungsgefahr, (3) Rechtswidrigkeit (keine Duldungspflicht (§ 1004 Abs. 2 BGB)) und (4) die Störereigenschaft des Anspruchsgegners voraus. Ein Verschulden ist - anders als im Falle eines Schadensersatzanspruchs - nicht erforderlich.

4. Reicht eine lediglich abstrakte Gesundheitsgefahr aus, um eine Verletzung und damit einen Unterlassungsanspruch zu begründen?

Nein!

Unter Verletzung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB ist der Eingriff in den Schutzbereich des jeweiligen in § 823 Abs. 1 BGB enumerierten Rechtsguts zu verstehen. Dabei muss tatsächlich eine Verletzung festgestellt werden können, der bloße Verdacht ist nicht ausreichend.Vorliegend fürchtet der B zwar um seine Gesundheit, bringt aber noch keine konkreten Beschwerden vor und auch erhöhte Schadstoffimmissionen wurden nicht gemessen. Mangels Gesundheitsverletzung scheidet ein Anspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB aus.Für einen vorbeugenden Unterlassungsanspruch braucht es nach ständiger BGH-Rechtsprechung ebenfalls eine konkret drohende Beeinträchtigung, eine bloß potenzielle Gefahr genügt nicht.

5. B könnte gegen L jedoch einen Unterlassungsanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog haben.

Genau, so ist das!

Der Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog, § 823 Abs. 2 BGB setzt (1) eine Beeinträchtigung eines Schutzgesetzes i.S.d. § 823 Abs. 2, (2) Wiederholungsgefahr, (3) Rechtswidrigkeit (keine Duldungspflicht (§ 1004 Abs. 2 BGB)) und (4) die Störereigenschaft des Anspruchsgegners voraus.Ein Verschulden ist - anders als im Falle eines Schadensersatzanspruchs - nicht erforderlich.

6. Die Schutzgesetzeigenschaft einer Norm setzt voraus, dass sie ausschließlich den Schutz von Individualinteressen bezweckt.

Nein, das trifft nicht zu!

Schutzgesetz ist eine materielle Rechtsnorm (Art. 2 EGBGB), die nach ihrem Zweck und Inhalt zumindest auch dazu bestimmt ist, den Einzelnen oder einzelne Personenkreis gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsgutes zu schützen. Es reicht daher aus, dass die Norm neben dem Allgemeinschutz auch Einzelne schützen soll. Ausgeschlossen sind dagegen solche Normen, die nur die Allgemeinheit schützen sollen.

7. Das auf der Grundlage von § 40 Abs. 1 Satz 1 BImSchG in Verbindung mit dem Luftreinehalteplan für die Stadt S angeordnete Durchfahrtsverbot ist zumindest allgemeinschützend.

Ja!

Der § 40 Abs. 1 BImSchG dient der Durchsetzung von Verkehrsbeschränkungen, die in EU-rechtlich bedingten Luftreinhalteplänen gem. § 47 Abs. 1, 2 BImSchG festgelegt wurden und dient somit auch mittelbar der Einhaltung von Grenzwerten und Alarmschwellen aus dem EU-Luftqualitätsrecht. BGH: Dies diene letztlich auch dem Gesundheitsschutz der Allgemeinheit (RdNr. 16ff.).

8. Das auf der Grundlage von § 40 Abs. 1 Satz 1 BImSchG in Verbindung mit dem Luftreinehalteplan angeordnete Durchfahrtsverbot bezweckt auch den Gesundheitsschutz jedes einzelnen Anwohners.

Nein, das ist nicht der Fall!

Schutzgesetz ist eine materielle Rechtsnorm (Art. 2 EGBGB), die nach ihrem Zweck und Inhalt zumindest auch dazu bestimmt ist, den Einzelnen oder einzelne Personenkreis gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsgutes zu schützen.BGH: Im vorliegenden Fall sei das LKW-Durchfahrtsverbot nicht nur für die einzelne Straße zur Reduzierung der Schadstoffkonzentration angeordnet, sondern für das gesamte Stadtgebiet mit dem Zweck, die Luftqualität zu verbessern. Schon angesichts der Größe der Verbotszone könne man nicht annehmen, dass an einer beliebigen Stelle verursachte Immissionen für jeden Anlieger die unmittelbare Gefahr einer Überschreitung der Grenzwerte verursachen. Es sei nicht jeder Bewohner einzeln begünstigt, sondern bloß als Teil der Allgemeinheit (RdNr. 20). Somit bezweckt das auf der Grundlage von § 40 Abs. 1 Satz 1 BImSchG in Verbindung mit dem Luftreinehalteplan angeordnete Durchfahrtsverbot nicht den Schutz von Individualinteressen, sondern bloß den Schutz der Allgemeinheit. Es liegt kein Schutzgesetz vor.
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