Gebrauchsanmaßung

22. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem

T beschließt, einen Einkaufswagen der E-GmbH für den Transport einiger Getränke zu einem einige Kilometer entfernten See zu gebrauchen. Nach dem Ende der Feier am nächsten Morgen führt T den Einkaufswagen zur E-GmbH zurück.

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Einordnung des Falls

Gebrauchsanmaßung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ursprünglich hatte der Filialleiter der E-GmbH Gewahrsam an dem Einkaufswagen.

Ja, in der Tat!

Gewahrsam meint dabei die von einem natürlichen Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft.Diese kann immer nur einer natürlichen Person zukommen, vorliegend dem Filialleiter. Nach der Verkehrsanschauung hat dieser die Herrschaft über das im Eigentum des Supermarkts stehende Inventar.
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2. T hat den Einkaufswagen dem Filialleiter weggenommen.

Ja!

Wegnahme im Sinne von §242 Abs. 1 StGB bezeichnet den Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendigerweise tätereigenen Gewahrsams. Für das Tatbestandsmerkmal "Bruch" müsste der Gewahrsamswechsel gegen oder ohne den Willen des ursprünglichen Gewahrsamsinhabers vonstatten gegangen sein.Zwar wird in engen Grenzen ein tatbestandsausschließendes Einverständnis bei der Verwendung des Einkaufswagens im Rahmen eines gewöhnlichen Einkaufs, z.B. für die Verbringung der Lebensmittel zum Auto, anzunehmen sein. Der Transport zu einem mehrer Kilometer entfernten Ort ist hiervon sicherlich nicht mehr erfasst.

3. T handelte mit Zueignungsabsicht.

Nein, das ist nicht der Fall!

Das subjektive Tatbestandsmerkmal der Zueignungsabsicht setzt die Absicht (dolus directus 1. Grades) vorübergehender Aneignung, sowie (zumindest Eventual-)Vorsatz der dauerhaften Enteignung voraus.Erstere ist gegeben, da es T gerade darauf ankommt zumindest für die Zeit der Feier mit dem Einkaufswagen wie ein Eigentümer zu verfahren und ihn zu gebrauchen. Im Rahmen des Enteignungsvorsatzes ist jedoch zur straflosen Gebrauchsanmaßung abzugrenzen (außer bei § 248b StGB). Diese wird durch einen unbedingten Rückführungswillen gekennzeichnet. T plant den Einkaufswagen ohne Bedingung und nach kürzester Zeit zurückzuführen. Ein Vorsatz der dauerhaften Enteignung kann ihm somit nicht unterstellt werden.

4. Das Verhalten des T ist daher im vorliegenden Fall als bloße Gebrauchsanmaßung straflos.

Ja, in der Tat!

Es ließe sich andenken, ob es sich bei dem Einkaufswagen nicht um ein Fahrrad im Sinne von § 248b StGB handeln könnte. Unter einem Fahrrad ist nach hM jedes Fahrzeug zu verstehen, das Räder hat und mit Muskelkraft durch Hand- oder Tretkurbel bewegt wird.Zwar wäre nach strenger Subsumtion hiervon auch ein Einkaufswagen erfasst. Demnach stellt nach allgemeiner Vorstellung ein Einkaufswagen kein Fahrrad dar (eine solche Auslegung würde die Wortlautgrenze des § 248b StGB überschreiten und wäre demnach eine im Strafrecht unzulässige Analogie zulasten des Täters).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

🦊LEXD

🦊LEXDEROGANS

21.11.2020, 18:45:43

Duttge fügt im Handkommentar Gesamtes StrafR, Dölling/Duttge/Rössner (Hrsg.), 2. Aufl., 2011 § 248b Rn. 5 zur Definition noch die Bewegung „mit Muskelkraft durch eine Hand- oder Tretkurbel“ hinzu. Gerade hieran fehlt es.

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

21.11.2020, 20:42:02

Danke für's Nachschlagen, Lexderogans ;) Wir haben das ergänzt und den Fall, insbesondere den entsprechenden Abschnitt auch noch etwas ausgebaut.

Real Thomas Fischer Fake 🐳

Real Thomas Fischer Fake 🐳

23.11.2020, 18:00:31

Nach der Anpassung habt ihr versäumt den Satz mit der "strengen Subsumtion" in der letzten Antwort zu streichen :)

frausummer

frausummer

6.2.2023, 13:25:24

Käme hier eine Unterschlagung in Betracht?ü

DO

Doli

10.3.2023, 18:53:55

Ich denke nicht, da es auch bei der Unterschlagung Zueignungs

vorsatz

(mindestens dolus eventualis) braucht, der ebenfalls Ent- und Aneignungskomponente enthält. Insofern der Täter hier fest entschlossen ist den Wagen zurückzubringen, mangelt es am

Vorsatz

DO

Doli

10.3.2023, 18:57:36

Insofern er für möglich halten würde, den wagen zu behalten, würde es nicht am

Vorsatz

mangeln, aber es mangelt nach der engen Manifestationenstheorie auch schon am objektiven Tatbestand

STE

Sternensilber

16.1.2024, 10:50:51

Eine Frage. Im Sachverhalt steht jetzt nicht ausdrücklich, dass er vorhatte den Waagen zurückzubringen. Meine Frage wäre, wenn er zum Zeitpunkt der Wegnahme nicht vorgehabt hätte, den Waagen zurückzubringen, und es ihn dann später reut und ihn dann doch zurückbringen, dann liegt trotzdem Diebstahl vor, oder?

Skra8

Skra8

5.2.2024, 10:48:35

Hi Sternsilber, die Antwort hierzu liegt meines Verständnisses nach in den Grundsätzen des Versuches und Rücktritts im Rahmen der § 22 ff. StGB. Ein

versuchter Diebstahl

gemäß §§ 242 Abs. 1 und 2, 22, 23 Abs. 1 StGB scheidet in der vorliegenden Konstellation aus, denn ein Versuch liegt vor, wenn es noch nicht zur Wegnahme einer fremden beweglichen Sache gekommen ist (BeckOK StGB/Wittig, 59. Ed., 1.11.2023, StGB § 242 Rn. 44). Der Versuch des Diebstahls beginnt mit dem unmittelbaren Ansetzen zum

Gewahrsamsbruch

(BeckOK StGB/Wittig, 59. Ed., 1.11.2023, StGB § 242 Rn. 44) und endet mit der Begründung neuen Gewahrsams, also mit dem Abschluss der Wegnahmehandlung (MüKoStGB/Schmitz, 4. Aufl., 2021, StGB § 242 Rn. 194). Wie immer bei Versuchsfragen ist dieses Ergebnis sicherlich umstritten, allerdings nur insoweit, als dass der Versuch noch nicht beendet wurde, was ich aus deiner Fallabwandlung gelesen habe. Ich habe direkt an einen Rücktritt im Rahmen des § 24 StGB gedacht. Dem ist allerdings auch nicht so, denn der Rücktritt ist nach § 24 StGB auch nur vor Gewahrsamsbegründung möglich; ist der Gewahrsam einmal neu begründet, führt selbst die unmittelbare Rückgabe nicht mehr zu einer Strafbefreiung nach § 24 StGB, weil die Tat vollendet wurde (MüKoStGB/Schmitz, 4. Aufl., 2021, StGB § 242 Rn. 194; BeckOK StGB/Wittig, 59. Ed., 1.11.2023, StGB § 242 Rn. 46). Gegebenenfalls könnte man über eine Strafmilderung im Rahmen des § 46 StGB nachdenken. Soweit mein Verständnis, ich bin aber gespannt, auf andere Meinungen. Gruß

GEI

Geithombre

18.4.2024, 16:25:46

Im obigen Fall kommt es auf den Versuch und eventuellen Rücktritt gar nicht (mehr) an, da sich der Täter wegen vollendeten Diebstahls strafbar gemacht hat. Aus dem Koinzidenz-/

Simultanitätsprinzip

(Umkehrschluss aus § 16 I StGB) folgt, dass allein der

Vorsatz

zum Zeitpunkt der Begehung der Tat maßgeblich für die Strafbarkeit ist. Auch wenn der

Vorsatz

also später entfällt, ist das für die Strafbarkeit irrelevant.

JO

Joseph

5.3.2024, 16:10:33

Könnte man in dem Verschleiss des Einkaufwagens (ich weiß, nicht im SV angelegt; nehmen wir mal an die Kugellager sind danach merkbar verschlissen) einen

Enteignung

s

vorsatz

und eine

Aneignungsabsicht

sehen? Schließlich handelt es sich hier ja um einen in der Sache verkörperten (Gebrauchs-)wert, von dem die GmbH jetzt ausgeschlossen wäre ...

SH

Shilaw

15.3.2024, 14:14:34

Wie in vorherigen Kapiteln ausgeführt, darf das Einverständnis nur dann bedingt werden, wenn die Bedingung äußerlich erkennbar ist. In dem Moment, indem der Täter den Einkaufswagen an sich nimmt und in im Supermarkt bewegt und mit Waren befüllt ist nicht erkennbar, dass er vor hat mit diesem zum See zu rollen. Auch beim Verlassen des Supermarktes mit dem Wagen ist nicht äußerlich erkennbar, ob der Täter den Wagen nur zum Auto rollen wird oder zum See. Daher liegt mM ein

tatbestandsausschließendes Einverständnis

vor. Andere Ansicht: Man fügt dem Sachverhalt hinzu, dass der Supermarkt auf einem Gelände des selbigen Unternehmens steht und somit die Bedingung lautet, dass der Wagen nur auf dem Gelände genutzt werden darf. Denn in diesem Fall ist von außen zu sehen, ob der Täter mit dem Wagen das Gelände verlässt

PK

P K

15.3.2024, 21:42:22

Es kommt doch aber auf die Bedingung an, die der Gewahrsamsinhaber, also der Supermarktbetreiber, an die Nutzung stellt. Dass ich einen Einkaufswagen nicht für private Transporte nutzen darf, die in keiner Weise etwas mit dem Einkauf zu tun haben, ist evident und ergibt sich aus den Umständen. Unerheblich ist , ob die Absicht des Täters erkennbar ist.

GEI

Geithombre

18.4.2024, 16:35:36

Einen Einkaufswagen unter den Begriff "Fahrrad" zu subsumieren, dürfte arg überspannt sein. Da in der gegebenen Definition bereits die Fortbewegung mittels Betätigung einer Kurbel (egal, ob durch Arm- oder Beinbetätigung) genannt wird, würde ich es für grob falsch erachten, dies bei "strenger Subsumtion" (wann sollte man denn im Strafrecht nicht streng subsumieren? Das Analogieverbot wird ja erwähnt) zu Bejahen. Der Einkaufswagen wird lediglich mittels Muskelkraft bewegt, ohne dass hierbei eine Kurbel betätigt wird, so dass bereits durch sauberes Subsumieren kein taugliches

Tatobjekt

vorliegt – unabhängig von einer Auslegung mittels landläufiger Auffassung.


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