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Rechtsprechung Strafrecht
Allgemeiner Teil
Fehlgeschlagener Versuch bei Körperverletzung (BGH, Beschl. v. 16.5.2023 − 3 StR 137/23)
Fehlgeschlagener Versuch bei Körperverletzung (BGH, Beschl. v. 16.5.2023 − 3 StR 137/23)
10. Juli 2025
11 Kommentare
4,8 ★ (25.402 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T steckt im Supermarkt ein Parfum in den Rucksack. Kurz vor dem Ausgang spricht Ladendetektiv L ihn darauf an. Um sich im Besitz der Beute zu halten und fliehen zu können, greift T L mit einen Messer an. Er verfehlt ihn knapp, weil L ausweicht und auf Distanz geht. T flieht.
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Einordnung des Falls
Fehlgeschlagener Versuch bei Körperverletzung (BGH, Beschl. v. 16.5.2023 − 3 StR 137/23)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. T hat sich bereits durch das Einstecken des Parfums wegen Diebstahls strafbar gemacht (§ 242 StGB).
Ja!
2. Der Diebstahl ist eine taugliche Vortat zum räuberischen Diebstahl (§ 252 StGB).
Genau, so ist das!
3. War T auf frischer Tat betroffen und hat er Gewalt gegen L ausgeübt (§ 252 StGB)?
Ja, in der Tat!
4. Durch Verwendung des Messers hat T zudem die Qualifikation des besonders schweren räuberischen Diebstahls verwirklicht (§§ 252, 250 Abs. 2 Nr. 1 Var. 2 StGB).
Ja!
5. T hat sich auch wegen gefährlicher Körperverletzung strafbar gemacht (§§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB).
Nein, das ist nicht der Fall!
6. T könnte sich aber wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung strafbar gemacht haben (§§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB).
Ja, in der Tat!
7. T hat mit Tatentschluss unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt (§ 22 StGB).
Ja!
8. Ein strafbefreiender Rücktritt scheidet aus, da Ts Versuch fehlgeschlagen ist (§ 24 StGB).
Nein, das ist nicht der Fall!
9. Für einen erfolgreichen Rücktritt hätte T den Erfolgseintritt aktiv abwenden müssen (§ 24 StGB).
Nein, das trifft nicht zu!
10. Der Rücktritt des T scheitert aber wegen fehlender Freiwilligkeit.
Nein!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
mcharlotte
29.1.2024, 15:03:51
Hallo – ich habe eine Frage zum Kriterium "bei der Tat" (§ 250 II Nr. 1 StGB), wenn
§ 250 StGBals Qualifikation zu
§ 252 StGBgeprüft wird: Qualifiziert § 250 II Nr. 1 StGB § 249 I StGB, so stellt sich im Rahmen des Kriteriums "bei der Tat" die Frage, ob die Qualifikation zwischen Voll- und
Beendigungnoch vorliegen kann. Stellt sich dieses Problem bei § 250 II Nr. 1 StGB als Qualifikation zu
§ 252 StGBnicht, weil der
§ 252 StGBja typischerweise in genau diesen Fällen zur Anwendung kommt? Würde man das Problem dort erörtern und eine Anwendung im entsprechenden Zeitfenster mit der Literatur verneinen, würde die Qualifikation des
§ 252 StGBdurch § 250 II Nr. 1 StGB wohl quasi leer laufen, nicht wahr? Oder ist das Kriterium "bei der Tat" eigentlich auch hier zu problematisieren? Vielen Dank und viele Grüße!
brrrap
28.5.2024, 15:16:04
Die "Tat" beim
§ 252 StGBist ja genau das Geschehen in dem Zeitraum zwischen Vollendung und
Beendigungder
Vortat. Ein Handeln das also beim
Raub oder Diebstahlgenau in diesen problematischen Zeitraum fällt befindet sich bei § 252 dagegen genau mitten in der Tatbegehung also auch "bei der Tat".
P K
1.2.2024, 22:13:06
Vielleicht ist es eine dumme Frage, aber wie passt der Umstand, dass der Täter nicht getroffen hat zur Annahme vollendeter Gewalt? Diese erfordert doch einen körperlich wirkenden Zwang. Im Moment, in dem das Opfer sieht, dass ein Messer auf ihn gerichtet wird, besteht allerdings nur eine psychische Zwangslage. Er will nicht verletzt werden, hat Angst davor und weicht deswegen aus. Anders wäre es vielleicht, wenn es ein Ausweichreflex wäre, der gar nicht bewusst gesteuert wird. Dazu fehlt es mir aber an Informationen im Sachverhalt. Auch das Urteil verhält sich hierzu nicht.

Nedjem
3.2.2024, 13:06:38
Hey P K, Du hast Recht: würde T das Messer nur drohend auf L richten, läge keine Gewalt vor. Hier richtet T das Messer nicht bloß auf L, bringt es also nicht lediglich in eine drohende Stellung, sondern greift vielmehr L mit einem schwungvoll (SV-Beschreibung des Urteils, Rn. 3; dargestellt im Bild) geführten Stich an; L weicht daraufhin zurück. Damit übt T Aktionsmacht aus, die zur körperlichen (instiktiven) Reaktion bei L führt. Ich hoffe, das beantwortet Deine Frage. :)
Leo Lee
3.2.2024, 18:29:00
Hallo P K, überhaupt keine dumme Frage, sondern eine SEHR GUTE und WICHTIGE; denn durch das
Nötigungselement und den sich überdeckenden Gewaltbegriff ist es in der Tat nicht mal „so einfach“, den Unterschied bei „Gewalt“ i.R.d. § 249 StGB zu erkennen. Vorliegend ist es jedoch so, dass der Ladendetektiv ausweicht und auf Distanz geht, weshalb sehr wohl ein physischer Zwang vorliegt (L weicht aus und geht weg), der nach Vorstellung des Täters bestimmt und auch geeignet ist, einen geleisteten/erwarteten Widerstand zu überwinden. Insofern hast du mit deiner Annahme recht, dass erstmal nur eine psychische Zwangslage besteht. Sobald er aber aufgrund derer ausweicht, wirkt sich der Angriff/das Messer nunmehr auch körperlich aus, weil er durch das Ausweichen seinen Körper bewegt und auch den „Platz wechselt“. Hierzu kann ich i.Ü. die Leküre von MüKo-StGB 4. Auflage, Sander § 249 Rn. 11 ff. sehr empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
Erik_1995
10.5.2025, 19:19:51
@[Leo Lee](213375) Ich habe et
was Bauchschmerzen hinsichtlich des strafbefreienden Rücktritts: Ist man wirklich straffrei wenn man laufend durch die Straßen mit einem Messer zieht, versucht Personen abzustechen nach dem ersten Versuch immer frewillig ablässt? Oder übersehe ich etwas? Es kann und darf doch nicht sein, dass man immer völlig straffrei ist wenn man nach dem ersten Stechen, ersten Schuss einfach aufgibt? Angenommen das Opfer bemerkt nicht mal den Angriff, dann scheidet auch eine
Nötigungaus. Man wäre wirklich straflos?
Erik_1995
10.5.2025, 19:12:34
Ich habe et
was Bauchschmerzen hinsichtlich des strafbefreienden Rücktritts: Ist man wirklich straffrei wenn man laufend durch die Straßen mit einem Messer zieht, versucht Personen abzustechen nach dem ersten Versuch immer frewillig ablässt? Oder übersehe ich etwas?

DeliktusMaximus
22.5.2025, 13:29:21
Ich finde das Ergebnis auch seltsam.
Leo Lee
19.6.2025, 17:19:48
Hallo DeliktusMaximus und Juraddicted, vielen Dank für die guten Fragen! Vorab: Ihr braucht nicht verwirrt sein, denn es gibt hier tats. zwei Ansichten (einmal ja und einmal nein). Die wohl h.M. verneint das Bundesland als Teil der Ethnie, weil alleine die Herkunft aus einem bestimmen LAND oder BUNDESLAND nicht auf eine bestimmte Ethnie schließen lässt (bspw. kann jemand aus Ostdeutschland ja auch einen Migrationshintergrund haben, was wiederum die Abgrenzung als "Ossi" oder "Wessi" i.S.e. Ethnie so gut wie unmöglich macht). Ein sehr anschauliches Bps. mMn sind auch die anerkannten Minderheiten (Dänen, Friesen, Sinti und Roma, Sorben), die in DE seit langer Zeit leben. Wie sieht es z.B. aus, wenn ein Sorbe aus der Lausitz wegen seiner Herkunft als "Ossi" diskriminiert wird? Was ist dann mit den nicht-sorbischen Menschen, die aus der Lausitz kommen? Allerdings gibt es auch Gegenansichten, weshalb die gegenteilige Meinung sich auch vertreten lässt. Allerdings ist empfehlenswert, in der Klausur selbst die Eigenschaft abzulehnen, da die Ablehnung von "Ossi"/"Wessi" als Ethnie - auch im Studium - die wohl h.M. ist. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre Franzen/Gallner/Oetker Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht (die Erwägungen lassen sich aber übertragen) 5. Auflage, RL 2000/43/EG Art. 1 Zweck Rn. 4 ff. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
Leo Lee
19.6.2025, 17:20:48
Hallo Erik_1995 und Deliktusmaximus, vielen Dank für die sehr gute Frage! In der Tat bereitet dieses Ergebnis Bauchschmerzen. Das ist allerdings juristisch gesehen konsequent, weil bei Mgl. weitere Akten, die
Gesamtbetrachtungslehrebesagt, dass von der gesamten Tat zurückgetreten werden kann, soweit weitere Akte möglich sind. Die
Einzelaktstheoriehingegen bewertet jeden Versuch als eine eigene Tat. D.h. also, dass selbst in dem von dir geschilderten Fall der Täter nicht bestraft würde, wenn er die Grenze nie überschreitet. Das betrifft allerdings nur das StGB (schärfste Schwert des Staates, weshalb Restriktion geboten ist). Es gibt natürlich auch das OWiG (hier kommt etwa 118 OwiG in Betracht) oder auch die Polizeigesetze. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-StGB 5. Auflage, Hoffmann-Holland § 24 Rn. 57 sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
Niro95
4.6.2025, 22:21:20
Wenn das schon Gewalt ist, ist dann der räuberische Diebstahl überhaupt in einer Versuchskonstellation denkbar?