Strafrecht
Examensrelevante Rechtsprechung SR
Entscheidungen von 2023
Fehlgeschlagener Versuch bei Körperverletzung (BGH, Beschl. v. 16.5.2023 − 3 StR 137/23)
Fehlgeschlagener Versuch bei Körperverletzung (BGH, Beschl. v. 16.5.2023 − 3 StR 137/23)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T steckt im Supermarkt ein Parfum in den Rucksack. Kurz vor dem Ausgang spricht Ladendetektiv L ihn darauf an. Um sich im Besitz der Beute zu halten und fliehen zu können, greift T L mit einen Messer an. Er verfehlt ihn knapp, weil L ausweicht und auf Distanz geht. T flieht.
Diesen Fall lösen 84,5 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Fehlgeschlagener Versuch bei Körperverletzung (BGH, Beschl. v. 16.5.2023 − 3 StR 137/23)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. T hat sich bereits durch das Einstecken des Parfums wegen Diebstahls strafbar gemacht (§ 242 StGB).
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. Der Diebstahl ist eine taugliche Vortat zum räuberischen Diebstahl (§ 252 StGB).
Genau, so ist das!
3. War T auf frischer Tat betroffen und hat er Gewalt gegen L ausgeübt (§ 252 StGB)?
Ja, in der Tat!
4. Durch Verwendung des Messers hat T zudem die Qualifikation des besonders schweren räuberischen Diebstahl verwirklicht (§§ 252, 250 Abs. 2 Nr. 1 Var. 2 StGB).
Ja!
5. T hat sich auch wegen gefährlicher Körperverletzung strafbar gemacht (§§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB).
Nein, das ist nicht der Fall!
6. T könnte sich aber wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung strafbar gemacht haben (§§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB) .
Ja, in der Tat!
7. T hat mit Tatentschluss unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt (§ 22 StGB).
Ja!
8. Ein strafbefreiender Rücktritt scheidet aus, da Ts Versuch fehlgeschlagen ist (§ 24 StGB).
Nein, das ist nicht der Fall!
9. Für einen erfolgreichen Rücktritt hätte T den Erfolgseintritt aktiv abwenden müssen (§ 24 StGB).
Nein, das trifft nicht zu!
10. Der Rücktritt des T scheitert aber wegen fehlender Freiwilligkeit.
Nein!
Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!
Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
mcharlotte
29.1.2024, 15:03:51
Hallo – ich habe eine Frage zum Kriterium "bei der Tat" (§ 250 II Nr. 1 StGB), wenn
§ 250 StGBals Qualifikation zu § 252 StGB geprüft wird: Qualifiziert § 250 II Nr. 1 StGB § 249 I StGB, so stellt sich im Rahmen des Kriteriums "bei der Tat" die Frage, ob die Qualifikation zwischen Voll- und Beendigung noch vorliegen kann. Stellt sich dieses Problem bei § 250 II Nr. 1 StGB als Qualifikation zu § 252 StGB nicht, weil der § 252 StGB ja typischerweise in genau diesen Fällen zur Anwendung kommt? Würde man das Problem dort erörtern und eine Anwendung im entsprechenden Zeitfenster mit der Literatur verneinen, würde die Qualifikation des § 252 StGB durch § 250 II Nr. 1 StGB wohl quasi leer laufen, nicht wahr? Oder ist das Kriterium "bei der Tat" eigentlich auch hier zu problematisieren? Vielen Dank und viele Grüße!
brrrap
28.5.2024, 15:16:04
Die "Tat" beim § 252 StGB ist ja genau das Geschehen in dem Zeitraum zwischen Vollendung und Beendigung der Vortat. Ein Handeln das also beim Raub oder Diebstahl genau in diesen problematischen Zeitraum fällt befindet sich bei § 252 dagegen genau mitten in der Tatbegehung also auch "bei der Tat".
P K
1.2.2024, 22:13:06
Vielleicht ist es eine dumme Frage, aber wie passt der Umstand, dass der Täter nicht getroffen hat zur Annahme vollendeter Gewalt? Diese erfordert doch einen körperlich wirkenden Zwang. Im Moment, in dem das Opfer sieht, dass ein Messer auf ihn gerichtet wird, besteht allerdings nur eine psychische Zwangslage. Er will nicht verletzt werden, hat Angst davor und weicht deswegen aus. Anders wäre es vielleicht, wenn es ein Ausweichreflex wäre, der gar nicht bewusst gesteuert wird. Dazu fehlt es mir aber an Informationen im Sachverhalt. Auch das Urteil verhält sich hierzu nicht.
Nedjem
3.2.2024, 13:06:38
Hey P K, Du hast Recht: würde T das Messer nur drohend auf L richten, läge keine Gewalt vor. Hier richtet T das Messer nicht bloß auf L, bringt es also nicht lediglich in eine drohende Stellung, sondern greift vielmehr L mit einem schwungvoll (SV-Beschreibung des Urteils, Rn. 3; dargestellt im Bild) geführten Stich an; L weicht daraufhin zurück. Damit übt T Aktionsmacht aus, die zur körperlichen (instiktiven) Reaktion bei L führt. Ich hoffe, das beantwortet Deine Frage. :)
Leo Lee
3.2.2024, 18:29:00
Hallo P K, überhaupt keine dumme Frage, sondern eine SEHR GUTE und WICHTIGE; denn durch das Nötigungselement und den sich überdeckenden
Gewaltbegriffist es in der Tat nicht mal „so einfach“, den Unterschied bei „Gewalt“ i.R.d. § 249 StGB zu erkennen. Vorliegend ist es jedoch so, dass der Ladendetektiv ausweicht und auf Distanz geht, weshalb sehr wohl ein physischer Zwang vorliegt (L weicht aus und geht weg), der nach Vorstellung des Täters bestimmt und auch geeignet ist, einen geleisteten/erwarteten Widerstand zu überwinden. Insofern hast du mit deiner Annahme recht, dass erstmal nur eine psychische Zwangslage besteht. Sobald er aber aufgrund derer ausweicht, wirkt sich der Angriff/das Messer nunmehr auch körperlich aus, weil er durch das Ausweichen seinen Körper bewegt und auch den „Platz wechselt“. Hierzu kann ich i.Ü. die Leküre von MüKo-StGB 4. Auflage, Sander § 249 Rn. 11 ff. sehr empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo