+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

In der Hochhauswohnung der Freundinnen T und H ist ein großer Brand entstanden. Der Sprung aus dem Fenster in ein Sprungtuch der Feuerwehr stellt den einzigen Ausweg dar. H hat fürchterliche Höhenangst und weigert sich zu springen. Daraufhin wirft T die H aus dem Fenster.

Einordnung des Falls

Interessenkollision bei demselben Rechtsträger

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T hat durch das Werfen der H den Tatbestand der Nötigung (§ 240 StGB) erfüllt.

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Ja, in der Tat!

Der objektive Tatbestand der Nötigung (§ 240 StGB) setzt als Tathandlung die Anwendung von Gewalt oder die Drohung mit einem empfindlichen Übel voraus, wodurch es zu einem Taterfolg, nämlich der Handlung, Duldung oder Unterlassung des Genötigten kommt. Gewalt ist jede körperliche Tätigkeit, durch die körperlich wirkender Zwang ausgeübt wird, um geleisteten oder erwarteten Widerstand zu überwinden.H will nicht aus dem Fenster springen. T wendet körperliche Kraft auf und wirft die H aus dem Fenster, um den geleisteten Widerstand der H zu überwinden. Durch das Werfen, muss H den Sprung in das Sprungtuch dulden.

2. Die Strafbarkeit könnte jedoch durch den rechtfertigenden Notstand (§ 34 StGB) entfallen. Die Gefahr war nicht anders abwendbar.

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Ja!

Das Merkmal der Nicht-anders-Abwendbarkeit ist im Rahmen der Notstandshandlung zu prüfen. Es entspricht dem der Erforderlichkeit bei der Notwehr (§ 32 StGB). Das Verteidigungsmittel muss demnach überhaupt zur Verteidigung geeignet sein und zugleich das relativ mildeste Mittel darstellen. Der Brand ist in H und Ts Wohnung. Nur durch ein Sprung kann den Flammen entkommen werden. T ist nicht gesprungen und wäre verbrannt. Damit war nur der Wurf geeignet und das relativ mildeste Mittel, um den Tod der H abzuwenden.

3. Es ist allerdings ausgeschlossen, dass Erhaltungsgut und Eingriffsgut beim Notstand vom selben Rechtsgutsträger stammen.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Für die Notstandshandlung muss das geschützte Rechtsgut (Erhaltungsgut) das durch die Notstandshandlung beeinträchtige Rechtsgut (Eingriffsgut) wesentlich überwiegen. Ob dies der Fall ist, ist im Rahmen einer Interessenabwägung festzustellen. Besonders auf den Rang der betroffenen Rechtsgüter ist abzustellen. Für die Interessenabwägung ist es unerheblich, wenn Erhaltungsgut und Eingriffsgut demselben Rechtsgutsträger gehören. Jedoch sind vor dem rechtfertigenden Notstand (§ 34 StGB) an die Einwilligung und mutmaßliche Einwilligung zu denken.Hs Leben überwiegt ihre freie Willensentschließung wesentlich.Anders wäre dies beurteilen, wenn H sich bewusst töten wollte. Dieser Entschluss ist Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 GG). Es läge dann eine unzulässige aufgedrängte Nothilfe vor.

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