Duldungspflicht gegenüber abprallendem Schnee von baurechtlich zulässig errichtetem Nachbargebäude


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Nachbar N baut - baurechtlich zulässig - ein Wohnhaus direkt angrenzend an Es Tankstellengebäude. Infolgedessen muss E ihr Tankstellendach nach DIN-Vorschriften für €50.000 ertüchtigen, um den veränderten Schneelastanforderungen infolge des vom Haus abprallenden Schnees zu entsprechen.

Einordnung des Falls

Duldungspflicht gegenüber abprallendem Schnee von baurechtlich zulässig errichtetem Nachbargebäude

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. E könnte gegen N ein Anspruch auf Ausgleichszahlung aus § 906 Abs. 2 S. 2 BGB zustehen.

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Genau, so ist das!

Voraussetzung für einen Anspruch des Grundstückseigentümers aus § 906 Abs. 2 S. BGB ist, dass (1) eine vom Nachbargrundstück ausgehende Einwirkung auf sein Grundstück (2) eine ortsübliche Benutzung seines Grundstücks (3) über das zumutbare Maß beeinträchtigt und ihn (4) eine Duldungspflicht trifft (§ 906 Abs. 2 S. 1 BGB). Liegen die Voraussetzungen vor, steht dem Grundstückseigentümer ein angemessener Ausgleich in Geld zu. Etwaiges Mitverschulden (§ 254 BGB analog) ist dabei anzurechnen. Anspruchsgegner ist derjenige, der die Nutzungsart des emittierenden Grundstücks bestimmt.

2. Der Anspruch scheidet vorliegend bereits deshalb aus, da der abprallende Schnee nicht als Einwirkung im Sinne des § 906 BGB zu werten ist.

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Nein, das trifft nicht zu!

Der Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 S. 1 BGB setzt eine „Einwirkung” im Sinne des § 906 Abs. 1 BGB voraus. Der Begriff wird durch den beispielhaften Katalog charakterisiert. Neben diesen ausdrücklich aufgeführten Einwirkungen, werden von § 906 BGB auch „ähnliche Einwirkungen“ erfasst, die mit den im Katalog genannten vergleichbar sind. Darunter fallen solche unwägbaren Stoffe, die - wie die aufgezählten Immissionen - in ihrer Ausbreitung unkontrollierbar sowie unbeherrschbar sind und in ihrer Intensität schwanken. Auch Schneeflocken sind in ihrer Ausbreitung unkontrollierbar sowie unbeherrschbar. Es handelt sich um eine Einwirkung im Sinne der Vorschrift. Die Rspr. erfasst daneben auch Staub, Pollen und Flugasche als Einwirkungen.

3. Ein Ausgleichsanspruch besteht aber allenfalls bei positiven Einwirkungen (§ 906 Abs. 1 BGB ).

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Ja!

§ 906 Abs. 1 BGB verlangt, dass die Einwirkungen „zugeführt“ werden müssen. Daher ist die Norm nur auf positive, nicht aber auf negative Einwirkungen anwendbar. Positive Einwirkungen überschreiten die Grundstücksgrenze mit sinnlich wahrnehmbarer Wirkung. Negative Einwirkungen sind dagegen solche, die zwar durch eine Nutzung des Nachbargrundstücks verursacht werden, sich aber auf dessen Fläche beschränken und deshalb das betroffene Grundstück nur mittelbar beeinträchtigen.

4. Bei dem Schnee der von Ns Hauswand abprallt und auf das Tankstellendach fällt, handelt es sich bloß um eine negative Einwirkung (§ 906 Abs. 1 BGB).

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Nein, das ist nicht der Fall!

BGH: Das Abprallen von Schnee sei vorliegend zwar nur eine mittelbare Folge der zulässigen baulichen Nutzung des Nachbargrundstücks. Jedoch seien physikalische Vorgänge, die auf naturgesetzlicher Wirkung beruhen, nicht generell von den Einwirkungen i. S. v. § 906 Abs. 1 BGB auszunehmen. Die Wirkung sei vergleichbar mit der einer Blendung verursachenden Reflexion von Licht durch Photovoltaikanlagen oder glasierte Dachziegel, die nach Rspr. und Lit. auch zu positiven Einwirkungen zählt. Dadurch würden dem Grundstück nicht nur Vorteile entzogen, sondern es liege auch eine sinnlich wahrnehmbare Einwirkung vor (RdNr. 15). Durch das Abprallen des Schnees von der Grenzwand liegt eine positive Einwirkung auf Es Grundstück vor.

5. Die Beeinträchtigung muss wesentlich sein (§ 906 BGB).

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Ja, in der Tat!

§ 903 BGB berechtigt den Eigentümer mit seiner Sache nach Belieben zu verfahren. In Einschränkung dieser Vorschrift soll § 906 BGB den bei der Nutzung eines Grundstücks im Verhältnis zu den benachbarten Grundstücken möglicherweise auftretenden Konflikt in einen vernünftigen Ausgleich bringen. So soll den Nachbarn unter Berücksichtigung ihrer Interessen eine möglichst weitgehende, wirtschaftlich sinnvolle Nutzung ihrer Grundstücke ermöglicht werden. Daher kann der Eigentümer eines Grundstücks nach § 906 Abs. 1 BGB von einem anderen Grundstück ausgehende Immissionen insoweit nicht verbieten, als die Einwirkung die Benutzung seines Grundstücks nur unwesentlich beeinträchtigt.

6. Bei einer zulässigen baulichen Nutzung des Grundstücks fehlt es in aller Regel an der Wesentlichkeit der Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks.

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Ja!

BGH: Zwar habe die Legalisierungswirkung einer Baugenehmigung keinen Einfluss auf das Bestehen von Ansprüchen aus § 1004 Abs. 1 BGB i.V.m. § 906 BGB. Dennoch fehle es bei einer zulässigen baulichen Nutzung des Grundstücks in aller Regel an der Wesentlichkeit der Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks. Weil die rechtlich zulässige Bebauung eines Grundstücks zu den sozialadäquaten Formen der Grundstücksnutzung gehöre, seien daraus herrührende Einwirkungen jedenfalls in gewissen Grenzen zumutbar und in diesem Rahmen als unwesentliche Beeinträchtigung des benachbarten Grundstücks im Sinne von § 906 Abs. 1 BGB anzusehen (RdNr.20).

7. Aufgrund der Höhe der damit verbundenen Ertüchtigungskosten ist E durch das legal errichtete Wohnhaus aber ausnahmsweise in der Nutzung seines Grundstücks wesentlich beeinträchtigt.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Wann eine wesentliche Beeinträchtigung vorliegt, beurteilt sich nach dem Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen und dem, was diesem unter Würdigung anderer öffentlicher und privater Belange zuzumuten ist. BGH: Auch wenn bei entsprechender Witterung mit einer erhöhten Schneelast auf Es Dach zu rechnen sei, werde ihre Nutzung des Grundstücks zum Betrieb einer Tankstelle nicht unmittelbar eingeschränkt. Zudem sei die Errichtung von Ns Neubau von einer Genehmigung gedeckt. E habe die Errichtung des Neubaus zu dulden, weil N von seinem Recht Gebrauch gemacht habe, mit seinem Grundstück nach Belieben zu verfahren (§ 903 BGB). Zwar bedurfte Es Dach erst infolge der Grenzbebauung einer statischen Ertüchtigung, jedoch habe das Tankstellengebäude bereits eine Schadensanlage in sich getragen, die sich infolge der erhöhten statischen Anforderungen verwirklicht habe (RdNr. 22).

8. Steht E ein Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 S. 2 BGB zu?

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Nein, das trifft nicht zu!

E ist nicht über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt. Damit scheidet ein Anspruch aus § 906 Abs. 2 S. 2 BGB auf einen Ausgleich in Geld aus. Der BGH führt aus, dass die Schwelle zur Wesentlichkeit nicht zu niedrig angesetzt werden dürfe. Er argumentiert, dass der Eigentümer mangels Duldungspflicht gemäß § 906 Abs. 1 BGB gegen jede baurechtlich zulässige Grenzbebauung des Nachbargrundstücks, welche das eigene Gebäude überragt, einen primären Abwehranspruch gemäß § 1004 Abs. 1 BGB hätte, wenn man bei einer solchen Fallkonstellation eine wesentliche Beeinträchtigung annehmen würde. Eine Grenzbebauung auf dem Nachbargrundstück wäre damit weitgehend ausgeschlossen (RdNr. 21).

9. E hat aber einen Anspruch aus § 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog.

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Nein!

BGH: Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ist gegeben, wenn von einem Grundstück im Rahmen privatwirtschaftlicher Benutzung rechtswidrige Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgehen, die der Eigentümer oder Besitzer des betroffenen Grundstücks nicht dulden muss, aus besonderen Gründen jedoch nicht gemäß § 1004 Abs. 1, § 862 Abs. 1 BGB unterbinden kann, sofern er hierdurch Nachteile erleidet, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung übersteigen (RdNr. 23). Auch für diesen Anspruch muss eine wesentliche Beeinträchtigung vorliegen. Auch für diesen Anspruch fehlt es an einer wesentlichen Beeinträchtigung. E hat keinen Anspruch aus § 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog.

10. E hat gegen N also keinen Anspruch auf eine Ausgleichszahlung.

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Genau, so ist das!

Ansprüche nach §§ 823 Abs. 2 i.V.m. 907 Abs. 1 BGB bzw. aus dem nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis (basierend auf § 242 BGB) scheiden aus: Es handele sich Bei § 907 BGB zwar um ein Schutzgesetz. Inhalt und Umfang des § 907 BGB würden sich aus den allgemeinen gesetzlichen Regelungen über Eigentum und Nachbarrecht ergeben, insbesondere den §§ 903, 905, 906 BGB. Vorliegend seien durch die Duldungspflicht dessen Voraussetzungen daher nicht gegeben (RdNr. 24). Bei rechtmäßigen Einwirkungen sieht das Gesetz keinen Anspruch vor, dieser Grundsatz könne auch nicht durch das nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis umgangen werden (RdNr. 25). Die Einwirkungen müssen hier von E somit ersatzlos geduldet werden.

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