Zurechnung einer Leistung wegen Rechtscheins

3. Dezember 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

K und V schließen einen Kaufvertrag über eine Gitarre (§ 433 BGB). V muss diese erst von D kaufen. Er vereinbart mit D, dass dieser an K liefern soll, widerruft dies aber wegen Unklarheit über die Wirksamkeit des Vertrages mit K. Der Widerruf kommt allerdings nicht bei D an. D liefert an K.

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Einordnung des Falls

Zurechnung einer Leistung wegen Rechtscheins

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K hat Eigentum (§ 929 S. 1 BGB) und Besitz (§ 854 S. 1 BGB) an der Gitarre erlangt (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

„Etwas“ im Sinne von § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB ist jede vorteilhafte Rechtsposition. Man kann vier Kategorien unterscheiden: (1) Rechte (z.B. Eigentum), (2) vorteilhafte Rechtsstellungen (z.B. Besitz), (3) Befreiung von Verbindlichkeiten, (4) erlange Nutzungen.. K hat durch die Lieferung tatsächliche Sachherrschaft, also Besitz (§ 854 Abs. 1 BGB) erlangt. Zum Eigentumserwerb: V und K haben sich dinglich geeinigt (§ 929 S. 1 BGB). V hat zwar K die Gitarre nicht selbst übergeben. Da die Lieferung des D auf Geheiß des V erfolgte, liegt im Verhältnis V-K eine Übergabe vor. Dadurch, dass D die Anweisung des V befolgt, wird äußerlich erkennbar, dass V eine tatsächliche Einwirkungsbefugnis auf die Sache hat (sog. Geheißerwerb). V's Berechtigung ergibt sich daraus, dass D vorher dem V Eigentum verschafft hat. Die Lieferung des D an K auf Geheiß des V bewirkt auch im Verhältnis D-V eine "Übergabe" (§ 929 S. 1 BGB). Die beiden Übereignungen scheitern auch jeweils nicht am „Einig sein im Zeitpunkt der Übergabe“, da die Einigung zwar widerruflich ist bis zur Übergabe, ein etwaiger Widerruf aber auch für den Empfänger erkennbar sein muss.
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2. K hat Eigentum (§ 929 S. 1 BGB) und Besitz (§ 854 S. 1 BGB) an der Gitarre "durch Leistung des V" erlangt (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).

Ja!

Eine Leistung ist jede bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens. Für das Leistungsbewusstsein ist ein rechtsgeschäftlicher Wille nicht erforderlich. Es genügt natürliche Einsichtsfähigkeit. Damit eine Leistung des V vorliegt, müsste die Lieferung des D an K dem V zuzurechnen sein. Dafür ist grundsätzlich eine wirksame Zweckvereinbarung zwischen D und V erforderlich, eine „Anweisung“. Auf Grund des Widerrufs fehlt es an einer solchen. Nach der Rspr. fällt die Leistungsbewirkung durch D bei einer widerrufenen Anweisung dennoch in den Risikobereich des V (§§ 170ff. BGB analog). Hierfür bedürfe es weder einer Sorgfaltspflichtverletzung, noch eines Verschuldens. Dies folge aus dem Veranlasserprinzip, wobei eine wertende Abwägung vorzunehmen sei. Der Anweisungsempfänger müsse zudem gutgläubig sein, darf also das Fehlen einer (wirksamen) Anweisung nicht kennen. Dies führt zu einer Rückabwicklung entlang der Kausalverhältnisse. Eine Direktkondiktion im Zuwendungsverhältnis findet nicht statt.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

MDL

mdln.k

8.12.2021, 08:56:49

Irgendwie verwirrt mich der letzte Satz. Warum denkt man hier denn überhaupt an eine Direktkondiktion im Zuwendungsverhältnis, wenn es doch nur der V ist, der die Gitarre zurück haben möchte?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

8.12.2021, 11:02:35

Hallo mdln.k, der Hinweis erfolgte mit Blick auf die klassischen

Anweisungsfälle

(Bank (=D), Bankkunde (=V), Überweisungsempfänger (=K)). Bei diesen ist anerkannt, dass in Fällen, in denen die Bank (irrtümlich) eine Überweisung vornimmt, obwohl der Kunde den Auftrag zuvor widerrufen hat, keine Direktkondiktion der Bank in Betracht kommt, sondern nur entlang der Leistungsbeziehung (Bank-Bankkunde; Bankkunde-Überweisungsempfänger). Anders soll dies sein, wenn der Empfänger der Überweisung den Widerruf kannte, weil er dann weiß, dass es sich hierbei nicht um eine Leistung seines Vertragspartners (Bankkunde) handelte. In diesen Fällen wird von der Rechtsprechung (vgl. BGH NJW 2011, 66 RdNr. 34) eine Direktkondiktion Bank-Überweisungsempfänger über die

Nichtleistungskondiktion

nach § 812 Abs. 1 S. 1, Alt. 2 BGB anerkannt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-team

EVA

evanici

8.9.2023, 20:41:25

Ich bin verwirrt... Wurde nicht an anderer Stelle (1. Fall

Anweisungsfälle

- fehlende Anweisung) in den Bankfällen die Zurechnung bejaht und trotzdem eine

Durchgriffskondiktion

gegen den Anweisungsempfänger angenommen (Frau, die auf Schuld des Ehemanns mit gefälschtem Scheck zahlen möchte)?

LS2024

LS2024

2.3.2024, 10:08:07

Was ist hier mit der Widerrufserklärung passiert? Ist diese dem D zugegangen und es fehlt an einer tatsächlichen Kenntnisnahme? Ansonsten erschließt sich mir nicht, wie D den Widerruf nicht mitbekommen haben soll, die Anweisung aber dennoch unwirksam ist.

LELEE

Leo Lee

4.3.2024, 08:39:50

Hallo LS2024, vielen Dank für dein Feedback! In der Tat war der Satz etwas missverständlich formuliert! Gemeint war damit, dass der V zwar widerruft i.R.d. 929 1 BGB, der D diesen Widerruf nicht mehr mitkriegt (etwa durch Untergang auf dem Weg zum D oder aus sonst. Gründen). Da jedoch – wie du zu Recht anmerkst – der Satz etwas doppeldeutig sein kann, haben wir diesen nun umformuliert, um weiteren Missverständnissen vorzubeugen und möchten uns bei dir vielmals dafür bedanken, dass du uns dabei hilfst, die App zu perfektionieren und freuen und auf weiter Feedbacks von dir! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

NI

Nils

4.6.2024, 14:34:01

Wieso wird dem V hier das Eigentum übertragen, bei der Übergabe sind sie sich doch nicht mehr einig, da V das Eigentum nicht mehr erhalten möchte. Dabei ist doch eigentlich unbeachtlich ob dies dem Übertragenden bekannt ist. In meinen Augen käme dann nur ein

gutgläubiger Geheißerwerb

in Frage.

JUDI

judith

4.6.2024, 17:55:47

Der Widerruf muss dem Empfänger auch zugehen. Das Problem wird ausführlich in Frage 1 zum Fall beantwortet

fuchs_

fuchs_

7.10.2024, 13:18:57

Das mit dem Widerruf sehe ich auch so, aber ich finde tatsächlich schon vorher schwierig, eine Einigung zwischen V und K anzunehmen. Dazu finde ich den SV nicht ausführlich genug und es wird nur vom Kaufvertrag gesprochen, nicht aber davon, dass V auch sofort die Gitarre an K übereignen will, sobald er selbst das Eigentum hat. Wird das einfach dennoch angenommen, da V dem K gegenüber verpflichtet ist, ihm das Eigentum an der Kaufsache zu verschaffen?


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