Voreilige Selbstvornahme im Kaufrecht


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Klassisches Klausurproblem

Youngtimersammlerin A kauft bei Händlerin H einen Opel Speedster. Er weist schon bei Gefahrübergang einen Mangel an der Kupplung auf. A lässt die Kupplung sofort in der Werkstatt ihres Vertrauens für €300 reparieren und will anschließend von H Ersatz dieser Kosten. Hätte A die Reparatur durch H selbst durchführen lassen, wären H insgesamt Kosten von €100 entstanden.

Einordnung des Falls

Voreilige Selbstvornahme im Kaufrecht

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A hatte einen Anspruch auf Nacherfüllung (§ 437 Nr. 1, 439 BGB).

Ja, in der Tat!

Ist die Sache mangelhaft, kann der Käufer nach § 439 BGB Nacherfüllung verlangen (§ 437 Nr. 1 BGB). Er kann dabei als Nacherfüllung nach seiner Wahl die Beseitigung des Mangels (Nachbesserung) oder die Lieferung einer mangelfreien Sache (Nachlieferung) verlangen (§ 439 Abs. 1 BGB). Der Youngtimer war bei Gefahrübergang mangelhaft.

2. Die Nacherfüllung ist unmöglich geworden (§ 275 BGB).

Ja!

Nach hM handelt es sich bei der voreiligen Selbstvornahme um einen Fall der Unmöglichkeit durch Zweckerreichung. Zweckerreichung liegt vor, wenn der mit dem Vertrag bezweckte Erfolg ohne eine Leistung des Schuldners gegenüber dem Gläubiger eintritt und daher durch eine solche Leistung nicht mehr herbeigeführt werden kann. Die Nachbesserung ist nicht mehr möglich, da eine neue Kupplung bereits eingebaut wurde. Eine Nachlieferung kommt bei einem Youngtimer (nicht vertretbare Stückschuld) nicht in Betracht.

3. A könnte wegen der Unmöglichkeit zurücktreten bzw. mindern (§ 437 Nr. 2, 326 Abs. 5 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Das Rücktrittsrecht ist ausgeschlossen, wenn der Gläubiger für den Umstand, der ihn zum Rücktritt berechtigen würde, allein oder weit überwiegend verantwortlich ist (§ 323 Abs. 6 BGB). Eine solche eigene Verantwortlichkeit liegt vor, wenn der Käufer den Mangel selbst behebt. A hat die Mangelbeseitigung selbst in die Hand genommen und somit die Unmöglichkeit selbst zu verantworten.

4. A kann Schadensersatz wegen Unmöglichkeit verlangen (§§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, 3, 283 S. 1 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Der Anspruch auf Schadensersatz wegen Unmöglichkeit (§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, 3, 283 S. 1 BGB) setzt voraus (1) ein Schuldverhältnis, (2) nachträgliche Unmöglichkeit, (3) Vertretenmüssen und (4) einen Schaden. Hier ist die Nacherfüllung durch Zweckerreichung nachträglich unmöglich geworden. Diese Unmöglichkeit hat aber nicht H, sondern A zu vertreten.

5. A kann die Reparaturkosten als Kosten der Nacherfüllung nach § 439 Abs. 2 BGB ersetzt verlangen.

Nein!

Der Verkäufer hat die zum Zweck der Nacherfüllung erforderlichen Aufwendungen, insbesondere Transport-, Wege-, Arbeits- und Materialkosten zu tragen (§ 439 Abs. 2 BGB). Damit sind nur Aufwendungen zum Zweck der Nacherfüllung gemeint, die im Rahmen des § 439 BGB vom Verkäufer durchzuführen ist. Hier hat aber A die Mangelbeseitigung selbst durchgeführt, weshalb § 439 Abs. 2 BGB nicht anwendbar ist.

6. Der Anspruch des H auf Kaufpreiszahlung ist erloschen, weil die Nacherfüllung unmöglich geworden ist (§ 326 Abs. 1 S. 1 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Braucht der Schuldner nach § 275 Abs. 1 bis 3 BGB nicht zu leisten, entfällt der Anspruch auf die Gegenleistung (§ 326 Abs. 1 S. 1 BGB). Dies gilt jedoch nicht für den Fall der Unmöglichkeit der Nacherfüllung (§ 326 Abs. 1 S. 2 BGB). Hier ist nur der Nacherfüllungsanspruch der A unmöglich geworden, sodass der Kaufpreiszahlungsanspruch wegen § 326 Abs. 1 S. 2 BGB nicht erloschen ist.

7. A kann unmittelbar nach §§ 326 Abs. 2 S. 2, Abs. 4 BGB Ersatz der Kosten in Höhe von €100 verlangen, weil H diese erspart hat.

Nein, das trifft nicht zu!

Nach hM ist § 326 Abs. 2 S. 2 BGB nicht direkt anwendbar, weil (1) § 437 BGB die Mängelrechte abschließend aufzählt und § 326 Abs. 2 S. 2 BGB nicht genannt wird und (2) § 326 Abs. 2 S. 2 voraussetzt, dass die Pflicht zur Kaufpreiszahlung nach § 326 Abs. 1 S. 1 BGB erloschen ist, was wegen dem Ausschluss durch § 326 Abs. 1 S. 2 BGB gerade nicht der Fall ist.

8. A kann nach h.M. analog §§ 326 Abs. 2 S. 2, Abs. 4 BGB Ersatz der Kosten in Höhe von €100 verlangen, weil H diese erspart hat.

Nein!

Die h.M. lehnt eine analoge Anwendung der §§ 326 Abs. 2 S. 2, Abs. 4 BGB zur Erstattung von Selbstvornahmekosten ab. (1) Der Verkäufer habe ein Recht zur zweiten Andienung, das ihm durch die Selbstbeseitigung nicht genommen werden dürfe. (2) Anders als im Mietrecht und Werkvertragsrecht fehlt es im Kaufrecht bewusst an einer Regelung zum Selbstvornahmerecht, sodass es bereits an einer planwidrigen Lücke fehlt. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass nur die ersparten Aufwendungen erstattet werden sollen. Denn diese seien oftmals identisch zu den tatsächlich angefallenen Kosten. (3) Außerdem sei es dem Verkäufer bei einer Selbstvornahme durch den Käufer nicht möglich, die Kaufsache auf den Mangel hin zu untersuchen und eine Beweissicherung durchzuführen.

9. A kann nach einem Teil der Literatur (u.a. Lorenz) analog §§ 326 Abs. 2 S. 2, Abs. 4 BGB Ersatz der Kosten in Höhe von €100 verlangen, weil H diese erspart hat.

Ja, in der Tat!

Eine analoge Anwendung setzt (1) eine planwidrige Regelungslücke und (2) eine vergleichbare Interessenlage voraus. Eine Regelungslücke liege vor. Diese Lücke sei auch planwidrig. Zwar habe der Gesetzgeber im Kaufrecht ein Selbstvornahmerecht nach dem Vorbild des § 637 BGB abgelehnt. Anders als bei § 637 BGB sollen dem Käufer aber auch nicht alle Aufwendungen erstattet werden. Vielmehr erhielte er lediglich einen Anspruch auf die Kosten, die der Verkäufer erspart habe. Insoweit bestünde auch eine vergleichbare Interessenlage. § 326 Abs. 2 S. 2 BGB enthielte den allgemeinen Rechtsgedanken, dass Aufwendungen, die der Schuldner infolge der Befreiung von seiner Leistungspflicht erspart habe, selbst dann dem Gläubiger zugutekommen sollen, wenn diesem die zur Unmöglichkeit führenden Umstände zuzurechnen seien.

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FUCH

Fuchsfrauchen

5.3.2022, 12:29:43

Hallo liebes Team, was wäre denn, wenn A mit Motorschaden auf der Straße liegen bleibt, das Auto wird in der nächsten Werkstatt für 300€ repariert, H hätte aber nur Kosten iHv 100 € gehabt. Mein Bauchgefühl würde mir sagen, dass dann H die 300 € übernehmen muss, ich wüsste aber nicht wie ich das juristisch begründen würde. Danke!

VIC

Victor

5.3.2022, 17:27:18

Auch hier würde ich das entsprechend lösen bzgl. der Reparaturkosten. Denn auch dadurch würde das Recht zur zweiten Andienung umgangen. Allerdings könnte er die Kosten der „Unannehmlichkeiten“, wie Transport zu H, Nutzungsausfall etc. im Umkehrschluss geltend machen.

JO

jomolino

7.3.2022, 16:49:00

Ist es nicht anders zu werten wenn sozusagen ein Notfall vorliegt? Also z.B. könnte man sich ja auch vorstellen, es ist Wochenende und durch den Defekt besteht Brandgefahr des technischen Gerätes - da muss der Käufer doch berechtigterweise jemand anderes beauftragen dürfen?

JO

jomolino

7.3.2022, 16:47:34

Wie ist es denn zu werten, dass ein Großteil der kaufrechtlichem Rechtsprechung nun eine Regelung erfahren hat, dies aber nicht. Da kann wohl kaum weiterhin von einer planwidrigen Regelungslücke gesprochen werden oder?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

11.3.2022, 14:19:12

Hallo nomamo, dies stützt in der Tat die herrschende Meinung, die ja von einer bewussten - und keiner planwidrigen - Regelungslücke ausgeht. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

DIAA

Diaa

2.10.2023, 17:23:22

Sehr gut aufgearbeitet, vielen Dank!!!

LELEE

Leo Lee

7.10.2023, 17:46:57

Hallo Diaa, vielen Dank für die netten Worte! Ich werde sie an die Redaktion weiterleiten :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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