Handeln unter fremden Namen: Identitätstäuschung
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A möchte seine alte Miniatureisenbahn auf eBay verkaufen. Weil er keinen eigenen Account hat, nutzt er den gut bewerteten Account „Butterblume123“ seiner Freundin F ohne deren Wissen. Das Passwort lag offen auf dem Schreibtisch. B ist Höchstbietender und verlangt Lieferung von F.
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Einordnung des Falls
Handeln unter fremden Namen: Identitätstäuschung
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 12 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. A hat durch Einstellen des Gebots eine Willenserklärung zum Verkauf der Miniatureisenbahn an den Höchstbietenden abgegeben.
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. A hat in fremdem Namen gehandelt.
Nein, das trifft nicht zu!
3. A war von F bevollmächtigt (§ 167 BGB analog).
Nein, das ist nicht der Fall!
4. A ist durch den Rechtsschein der Duldungsvollmacht zur Stellvertretung berechtigt.
Nein, das trifft nicht zu!
5. A ist durch den Rechtsschein der Anscheinsvollmacht zur Stellvertretung der F berechtigt.
Nein!
6. Wer beim Handeln unter fremden Namen aus dem Geschäft berechtigt und verpflichtet wird, richtet sich danach, wer aus Sicht des Erklärenden Vertragspartner werden soll.
Nein, das trifft nicht zu!
7. Es liegt ein Fall der Identitätstäuschung vor.
Ja!
8. Nach Ansicht der Literatur ist die Anwendung der Grundsätze der Duldungs- und Anscheinsvollmacht auf den Fall der Nutzung eines fremden Kontos unpassend.
Genau, so ist das!
9. Nach Ansicht der Literatur kommt eine Rechtsscheinhaftung daher nicht in Betracht.
Nein, das trifft nicht zu!
10. Nach Ansicht des BGHs ist das Konto dagegen kein tauglicher Rechtsscheinträger.
Ja!
11. Auch nach Ansicht der Literatur scheidet die Rechtsscheinhaftung analog § 172 BGB aber mangels Zurechenbarkeit hier im Ergebnis aus.
Genau, so ist das!
12. Es liegt keine Vollmacht vor und es greift kein Rechtsscheintatbestand. Der Vertrag ist schwebend unwirksam, § 177 Abs. 1 BGB analog.
Ja, in der Tat!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
DonQuiKong
1.3.2020, 17:34:06
Bei der zweiten Frage wird die Antwort “falsch“ akzeptiert, im Text steht dann jedoch, es läge ein Handeln in fremdem Namen vor
Marilena
1.3.2020, 22:21:23
Danke für den Hinweis! Das ist so richtig. Im Text steht, dass ein „
Handeln UNTER fremdem Namen“ vorliegt. Es liegt gerade kein ausdrückliches oder
konkludentes „Handeln IN fremdem Namen“ vor, wie es in der zweiten Frage lautet und womit das
Offenkundigkeitsprinzipder Stellvertretung (vgl. § 164 Abs. 1 S. 1 BGB: „Eine Willenserklärung, die jemand [...] im Namen des Vertretenen abgibt...“) gewahrt wäre. Verstehst Du den Unterschied?
DonQuiKong
11.4.2020, 18:09:38
Ja, das war mir entgangen, danke.
Lulu 🐙
17.11.2020, 09:50:17
Ich sehe zum ersten Mal die Tags streitig/examensrelevant. Plant ihr die Fälle zum Beispiel auch oben als eigenen Reiter neben Favoriten und Wiederholen aufzuführen oder in einer eigenen Kategorie zusammenzufassen? Das wäre bestimmt sehr hilfreich. Ich bin gerade zufällig auf den Fall gestoßen, nachdem wir ihn heute im Rep gemacht haben ✌🏻😊
Wendelin Neubert
13.5.2021, 20:00:35
Hi Lulu! Danke für deine Frage und sorry für die späte Antwort. Für die Fälle mit den Tags streitig bzw examensrelevant gibt es eigene playlists, die du aufrufen kannst 😊 einen eigenen Reiter in der Kapitelübersicht haben wir dafür bislang nicht geplant. Beste Grüße - Wendelin, für das Jurafuchs-Team
Faby
6.4.2022, 14:23:14
Durch das Einblenden dieser Tags kann man den eingeblendeten Auszug aus den eBay-AGB nicht lesen 😕
Cocos.lawstudy
4.5.2022, 20:29:23
Es steht jetzt nichts, ob sie ein Paar sind und wie lange oder nur freundschaftliche Freunde. Aber ich hatte die Idee, wenn sie schon länger zusammen sind, sodass sie ganz eng sind -> könnte man vielleicht die § von Eheleuten analog anwenden? Dass jeder den Partner vertreten darf, für und gegen ihn handeln darf? Weil im Alltag ist das ja fast schon normal, dass man mal ne sms für die Freundin schreibt oder mal in ihrem Account ist.
Lukas_Mengestu
5.5.2022, 10:09:12
Liebe Corina, schöner Gedanke. In der Tat könnte man an die sog.
Schlüsselgewaltdenken (§
1357 BGB) und ob eine analoge Anwendung auch auf nichteheliche Gemeinschaften in Betracht kommt. Dies wird indes ganz herrschend abgelehnt (vgl. Hahn, in: BeckOK BGB, 61.Ed. 01.02.2022, § 1357 RdNr. 7). Wenn die Nutzung des Accounts des anderen in der Beziehung normal ist, dann dürfte regelmäßig bereits eine Duldungsverfügung vorliegen. Denn dann weiß der/die Partnerin ja von der Nutzung. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Cocos.lawstudy
5.5.2022, 15:47:51
ok. Danke lieber Lukas 👍
Lukas_Mengestu
5.5.2022, 16:22:08
Sehr gerne :-)
Seriouz0G
1.5.2023, 18:25:31
Wie ist denn der Umstand iRd Haftung zu bewerten, dass F die Zugangsdaten „ungeschützt“ hat liegen lassen?
hannabuma
5.12.2024, 00:43:16
„BGH: Dass F die Zugangsdaten im häuslichen Bereich nicht hinreichend vor dem Zugriff des A geschützt hat, heißt für sich genommen nicht, dass sie das Verhalten des A bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen müssen. Mit einer unbefugten Nutzung ihres Mitgliedskontos durch A musste sie nicht rechnen.“
Afrim
26.9.2023, 13:24:01
Wie würde man das Problem in der Prüfung aufbauen, wenn nach Ansprüchen gegen A oder F gefragt wird? Fängt man mit dem Accountinhaber an oder mit demjenigen, der sich unbefugt einloggt? Es soll eine gute Struktur ergeben und nicht durcheinander geprüft werden.
Unterfertigter
16.4.2024, 00:23:24
Ich stehe gerade auf dem Schlauch: Wieso ergibt sich nach dem
objektiven Empfängerhorizont, dass A eine Willenserklärung abgegeben hat? Es ist doch nicht sein Konto. Ein objektiver Dritter würde doch davon ausgehen, dass der Kontoinhaber das Angebot unterbreitet, nicht ein Dritter
Paulah
3.5.2024, 03:20:05
Eine wirksame Stellvertretung liegt nicht vor. A hat unter fremdem Namen gehandelt (
Identitätstäuschung, weil der objektive Dritte davon ausgeht, dass er mit dem Kontoinhaber kontrahiert). § 179 BGB ist dann analog anzuwenden (analog, weil derjenige, der die
Identitätstäuschungvornimmt, kein Vertreter ist) und das Angebot wirkt für und gegen A.
simon175
21.5.2024, 17:37:01
Bei der zweiten Frage steht in der Subsumtion, dass A im fremden Namen gehandelt hat, dies stimmt nicht mit der vermeintlich richtigen Antwort auf die Frage überein. Auch im späteren Teil der Aufgabe heißt es, dass bei der Nutzung von fremden eBay Konten ein Handeln im *fremden* Namen vorliegt.
Lukas_Mengestu
6.6.2024, 13:20:10
Hi Simon, vielen Dank für die Nachfrage. Hier musst Du aber zwei Konstellationen unterscheiden, nämlich das Handeln "IN fremdem Namen" =
Offenkundigkeitsprinzipgewahrt, d.h. der Vertretene wird verpflichtet, sofern eine Vollmacht bestand und einem Handeln "
UNTER fremden Namen". Deswegen war die zweite Aussage falsch. Auf das
Handeln unter fremden Namenwerden die Regelungen der Stellvertretung nach h.M. aber analog angewandt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Niklas3461
2.7.2024, 15:02:16
Ist für eine
Anscheinsvollmachtnicht nach h. M. ein mehrfaches Handeln erforderlich, dass würde das einmalige Benutzen des Ebay Accounts in diesem Fall ja auch nicht darstellen. Oder sehe ich das falsch?
Tobias Krapp
11.11.2024, 17:31:06
Hallo @[Niklas
3461](2154
34), gut gesehen, da hast du vollkommen recht! Rechtsschein bei der
Anscheinsvollmachtist ein Handeln des Vertreters von gewisser Häufigkeit und Dauer. Insoweit besteht hier bereits kein Rechtsschein, daher stellt sich streng gutachterlich genommen die Frage der Zurechnung nicht. Der BGH hat allerdings erwogen, ob hier auf das Erfordernis einer gewissen Häufigkeit oder Dauer des Auftretens deswegen
verzichtet werden kann, weil das Konto im Internetverkehr auf Grund der bei eBay erfolgten Registrierung allein dem Inhaber zugeordnet wird. Das hat der BGH aber angesichts der "vielfältigen Möglichkeiten des Ausspähens und „Diebstahls“ von Zugangsdaten" abgelehnt. Damit hat er zugleich der Literaturansicht, die hier analog § 172 BGB in dem Konto einen Rechtsscheinträger sieht, eine Absage erteilt: Das Konto ist für den BGH kein ausreichender Rechtsschein. Ich habe die Aufgabe hier nun überarbeitet und auch den von dir angesprochenen Punkt noch mit aufgenommen. Danke für dein Feedback zu der Aufgabe hier! Viele Grüße - für das Jurafuchsteam - Tobias
FW
5.11.2024, 18:59:36
Was ist die konkrete Rechtsfolge des § 179? B kann ja wahlweise Erfüllung oder Schadensersatz verlangen. Ist dann zwischen ihm und A auch ein richtiger Vertrag zustande gekommen oder ist das eine Art gesetzliches Schuldverhältnis? Sofern dies nur ein gesetzliches Schuldverhältnis ist, was ist dann mit der Gegenleistung? Hat der A dennoch einen Anspruch auf die Gegenleistung - hier Zahlung des Kaufpreises - nach § 433 II?
FW
5.11.2024, 19:07:51
Weitere Frage: Ich hatte gelesen, dass im Falle des gesetzlichen Schuldverhältnisses ja gerade kein Anspruch auf die Gegenleistung entsteht. Finde das aber irgendwie ziemlich unbillig. In dem Fall würde der B ja dann das Eigentum kostenfrei erlangen. Zwar handelte der A durchaus fahrlässig, jedoch ihm deshalb keinen Gegenanspruch zuzusprechen finde ich schon sehr unverhältnismäßig.
Bereicherungsrechtlich würde er ja auch leer ausgehen, da § 179 I ja ein Rechtsgrund darstellt.
Sebastian Schmitt
7.11.2024, 21:15:50
Hallo @[FW](139488), in der Tat wird man in dem zwischen A und B entstehenden Verhältnis ein gesetzliches Schuldverhältnis sehen können (MüKoBGB/Schubert, 9. Aufl 2021, § 179 Rn 39; BeckOGK-BGB/Ulrici, Stand 1.11.2023, § 179 Rn 88). Ein Vertrag liegt dagegen nicht vor. Der "Vertretene" hat ja gerade verweigert, er ist ohnehin nicht beteiligt. Und der "Vertreter" wird nach § 179 I BGB nicht selbst Vertragspartner (wir haben ja auch keine entsprechende Einigung, die den "Vertreter" verpflichten sollte), sondern ist nach Wahl der anderen Seite "nur" zur Erfüllung verpflichtet (MüKoBGB/Schubert, 9. Aufl 2021, § 179 Rn 39). Einen eigenen ErfüllungsANSPRUCH (!) bekommt der "Vertreter" nicht, erst Recht nicht aus § 433 II BGB, weil wir ja gerade keinen Kaufvertrag haben. Den vereinbarten Preis bekommt er nach dem Inhalt des gesetzlichen Schuldverhältnisses allerdings trotzdem, diesen soll er aber nur nach der Idee des § 320 I 1 BGB als Gegenrecht und eben nicht ohne Weiteres "isoliert" geltend machen können (MüKoBGB/Schubert, 9. Aufl 2021, § 179 Rn 41; BeckOGK-BGB/Ulrici, Stand 1.11.2023, § 179 Rn 117, aA in Rn 118). Insbesondere diese letzte Frage ist nicht ganz unumstritten, dürfte aber der wohl deutlich überwiegenden Auffassung entsprechen. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team
praragrafix
19.12.2024, 17:24:39
An einer Stelle wird hier auf die §§ 169 ff.
BGB analogverwiesen - sollten das nicht eher die §§ 164 ff. BGB sein?
Linne_Karlotta_
20.12.2024, 17:03:24
Hallo praragrafix , vielen Dank für Deinen Hinweis! Wir haben den Fehler auf unsere Liste gesetzt und werden ihn im nächsten Korrekturgang beheben. Deine Aufmerksamkeit hilft uns, die Qualität unserer Inhalte hochzuhalten. Wir werden diesen Thread als erledigt markieren, sobald wir den Fehler behoben haben. Beste Grüße, Linne_Karlotta_, für das Jurafuchs-Team