Zivilrecht

BGB Allgemeiner Teil

Angebot und Annahme

Tanken an Selbstbedienungstankstelle: Freischalten der Zapfsäule als Antrag ad incertas personas – Abgrenzung zur invitatio ad offerendum

Tanken an Selbstbedienungstankstelle: Freischalten der Zapfsäule als Antrag ad incertas personas – Abgrenzung zur invitatio ad offerendum

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K füllt an der Selbstbedienungstankstelle der Pächterin P den Tank seines Autos mit Kraftstoff auf.

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Einordnung des Falls

Tanken an Selbstbedienungstankstelle: Freischalten der Zapfsäule als Antrag ad incertas personas – Abgrenzung zur invitatio ad offerendum

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. P hat ein Angebot auf Abschluss eines Kaufvertrags über das Benzin „ad incertas personas“ abgegeben, indem sie eine funktionstüchtige Zapfsäule bereitgestellt hat.

Ja, in der Tat!

Ob ein Antrag (bindende Willenserklärung) oder eine bloße invitatio ad offerendum (Aufforderung zur Abgabe von Angeboten) vorliegt, hängt davon ab, ob der Erklärende Rechtsbindungswillen (objektiver Tatbestand der WE) hatte. BGH: Da durch das Einfüllen des Kraftstoffs „ein praktisch unumkehrbarer Zustand“ (Eigentumserwerb nach §§ 948, 947 BGB) geschaffen werde, entspreche es dem Interesse der Parteien, dass bereits im Zeitpunkt des Tankvorgangs ein Kaufvertrag geschlossen werde und nicht erst beim Bezahlen an der Kasse (RdNr. 16). Dies geht nur, wenn man bereits darin ein Angebot sieht, dass P die funktionsfähige Zapfsäule bereitstellt.Wenn wie hier die angebotene Leistung ohne vorherigen Vertragsschluss tatsächlich zur Verfügung gestellt wird, redet man von einem Fall der Realofferte. Weitere Beispiele sind Getränke im Hotelzimmer ("Minibars"), Warenautomaten, Strom- oder Gaslieferungen.
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2. K hat das Angebot der P auf Abschluss eines Kaufvertrags zum angegebenen Literpreis angenommen, indem er eine von ihm bestimmte Menge Kraftstoff getankt hat.

Ja!

Im Tanken des K liegt eine Annahmeerklärung durch schlüssiges Verhalten. P hat auf den Zugang der Annahmeerklärung im Voraus konkludent verzichtet (§ 151 S. 1 BGB). Andernfalls würde der Vertrag nur zustande kommen, wenn P den Tankvorgang, in dem die konkludente Annahmeerklärung des K liegt, auch tatsächlich wahrnimmt. Das ist in der Praxis aber nicht immer der Fall (RdNr. 16).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Praetor

Praetor

19.5.2020, 17:01:43

Ist nicht die Zapfsäule nur in Verbindung mit einer Preistafel als Angebot zu sehen, da sonst die essentialia negotii fehlen? Es gibt ja auch Zapfsäulen die sich nur an Betriebsfahrzeuge richten

GEL

gelöscht

19.5.2020, 22:20:11

Hallo Praetor, der Preis wird dir in aller Regel auf einer großen Tafel, spätestens jedoch durch die Zapfsäule bei Entnahme des Tankstutzens angezeigt. Insofern ist die Annahme eines Angebotes ad incertas personas indiziert. VG

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

20.5.2020, 17:51:26

In der Antwort steht ja "zum angegebenen Literpreis". Dabei ist grds. nicht auf die große Anzeigentafel, sondern auf den Preis sn der Zapfsäule abzustellen.

JURA

Juranus

3.12.2020, 08:02:05

Ich finde die Begründung anhand der §§ 948, 947 BGB schwer nachvollziehbar. Denn zum einen greift § 948 BGB regelmäßig nicht, wenn der Tank leer ist oder in einen leeren Kanister getankt wird (zufällige Ergebnisse )und zum anderen lässt sich Kraftstoff abpumpen, so dass ich hier keine Untrennbarkeit (mit dem Tank/Auto) sehe. Ich würde den Eigentumsübergang eher unter der Bedingung, vgl. § 158 BGB, der Kaufpreiszahlung als interessengerecht sehen. So wird es auch im Strafrecht nach h.L. angenommen. Ist das in der Klausur vertretbar?

Jana-Kristin

Jana-Kristin

3.12.2020, 10:57:59

Ich stimme dir vollkommen zu: Mich hat es auch stutzig gemacht, da der Sachverhalt von „leerem Tank“ spricht und dennoch auf 948, 947 BGB abgestellt wird.

TJU

Tr(u)mpeltier junior

3.12.2020, 11:34:38

Moin moin, bzgl des Hinweises auf 948, 947 würde ich euch insoweit recht geben, als die Argumentation beim leeren Tank tatsächlich nicht zieht. @juranus: nach mE schließen sich deine Ausführungen und der hinweistext aber nicht aus. Denn geprüft wurde hier ja nicht der eigentumsübergang (der tatsächlich aufschiebend bedingt sein dürfte, selbst wenn noch Benzin im Tank gewesen wäre (dann aber nur noch bzgl. Miteigentum)). Vielmehr geht es um den schuldrechtlichen kaufvertragsschluss und der wird nach meiner Kenntnis von der hM (zB dem BGH im vorliegenden Fall) bereits an der Zapfsäule angenommen.

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

7.12.2020, 14:11:58

Wir stimmen TJ mit seiner wichtigen Anmerkung zum Abstraktions- und Trennungsprinzip zu. Die Modalitäten des Eigentumserwerbs (Eigentumsvorbehalt; §§ 947, 948 BGB) haben auf die Wirksamkeit des Kaufvertrages keinerlei Auswirkung.

Jonas Neubert

Jonas Neubert

3.3.2022, 12:36:18

Es kann beim tanken passieren, dass sich der Preis verändert. Somit ändert sich auch die essential negotii oder?

VIC

Victor

3.3.2022, 23:20:16

Nein. In dem Moment wo der Tankvorgang gestartet wird, wird ein verbindlicher Preis pro Liter angezeigt zu dem man den Tank füllen kann. Nachträgliche Preisänderungen spielen dann keine Rolle mehr.

Jonas22

Jonas22

6.10.2023, 14:15:17

Vielleicht könnte man noch das Schlagwort „

Realofferte

“ ergänzen.

LELEE

Leo Lee

7.10.2023, 13:14:07

Hallo Jonas22, vielen Dank für den Hinweis! Wir haben nun die

Realofferte

mit weiteren Beispielen als Vertiefung für die erste Aufgabe ergänzt. I.Ü. kann ich die Lektüre von MüKo-BGB 9. Auflage, Busche § 145 Rn. 26 sehr empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

Jonas22

Jonas22

7.10.2023, 13:19:50

Hallo Leo, vielen Dank! Das ging schnell. (Nur ein Hinweis: In dem Vertiefungstext hat sich ein Tippfehler eingeschlichen. „Fall“ wurde klein geschrieben.)

LELEE

Leo Lee

7.10.2023, 13:22:28

Sehr gerne! Vielen Dank zudem für den Hinweis! Wir haben den Text nun entsprechend korrigiert :).

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

21.2.2024, 23:29:53

Hi, würde die Nutzung eines Kundenparkplatzes durch Abstellen eines Kfz auch als

Realofferte

gelten ?

TI

Timurso

22.2.2024, 10:28:17

Sind Kundenparkplätze nicht normalerweise kostenfrei? Was für ein Vertrag soll da zustande kommen? Bei einem kostenpflichtigen Parkplatz kann man das aber durchaus annehmen, jedenfalls wenn dies vor Ort ausreichend deutlich wird. Auch würde ich danach unterscheiden, ob der Parkplatz beschrankt ist und man vor der Einfahrt ein Ticket ziehen muss. In diesem Fall muss man nicht auf die

Realofferte

zurückgreifen, da damit der Vertragsschluss vor Leistungserbringung bereits abgesichert ist.

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

22.2.2024, 11:34:22

Erstmal danke für die Antwort :) Ja genau ich meine eher den Fall wo Kundenparkplätze kostenfrei sind und hatte mir überlegt, dass ein Nutzungsvertrag durch konkludentes Verhalten des Parkenden zustande kommt.. bin mir da aber sehr unsicher. Die Ausführungen zum kostenpflichtigen Parkplatz ergeben aber Sinn, danke vielmals!! :)

TI

Timurso

22.2.2024, 11:56:12

Bei einem kostenlosen Kundenparkplatz würde ich mangels Rechtsbindungswillen insgesamt keinen Vertrag annehmen.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

23.2.2024, 11:49:44

Hallo in die Runde, allein die Kostenfreiheit eines Parkplatzes kann noch kein eindeutiges Indiz dafür sein, dass kein Rechtsbindungswillen vorliegt. Denn den Betreiber betreffen weiterhin Verkehrssicherungspflichten. Darüberhinaus gibt es viele kostenlose Parkplätze, die aber einer Höchstparkdauer unterliegen. Bei Überschreiten wird eine Vertragsstrafe fällig. So hat der BGH dazu folgendes entschieden: "Nach der Rspr. des BGH kommt zwischen dem Eigentümer bzw. Betreiber eines entgeltlichen privaten Parkplatzes und dem Fahrzeugführer ein Mietvertrag über einen Fahrzeugabstellplatz zustande, indem der Fahrzeugführer das als

Realofferte

in der Bereitstellung des Parkplatzes liegende Angebot durch das Abstellen des Fahrzeugs annimmt (§§ 145, 151 BGB). Weiterer Willenserklärungen hierzu bedarf es nicht (vgl. BGH NJW 2016, 863 Rn. 15). Gleiches gilt für die Inanspruchnahme eines wie hier unentgeltlich zur Verfügung gestellten Parkplatzes, die zum konkludenten Abschluss eines Leihvertrags im Sinne des § 598 BGB führt. Mithin ist mit dem jeweiligen Fahrer des von B gehaltenen Pkws an den zwei streitgegenständlichen Terminen ein Leihvertrag über die zeitlich befristete und an die Einhaltung der Parkbedingungen gebundene kostenlose

Überlassung

der Stellflächen geschlossen worden." (BGH Urteil vom 18.12.2019 (XII ZR 13/19) NJW 2020, 755) Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

nullumcrimen

nullumcrimen

19.5.2024, 20:38:36

Ab wann wäre dann eine Eigentumsübertragung anzunehmen? Bereits sobald getankt wird? Oder liegt hier ein Eigentumsvorbehalt bis zur Zahlung an der Kasse vor?

Maximilian Puschmann

Maximilian Puschmann

20.5.2024, 12:36:07

Hallo nullumcrimen,  das ist ein Fall von "kommt drauf an".  Zu unterscheiden sind:  1) Der Tank war ganz leer (0 Liter drin, 60 Liter nachgetankt).  2) Der Tank war überwiegend leer (50 Liter drin, 10 Liter nachgetankt). 3) Der Tank war halbvoll und wird vollgetankt (30 Liter drin, 30 Liter rein). Zu 1) Es ist davon auszugehen, dass K und P auf Verpflichtungsebene konkludent einen Eigentumsvorbehalt gemäß § 449 I BGB vereinbart haben. Folglich wird erst durch Zahlung des Benzins übereignet, da die

Übereignung

konkludent aufschiebend bedingt gemäß § 929 S.1, 158 I BGB vereinbart wurde. Gesetzliche Eigentumserwerbe aufgrund des leeren Tanks gemäß §§ 948 I, 947 BGB kommen nicht in Betracht. P bleibt Eigentümerin.  Zu 2) Der konkludente Eigentumsvorbehalt und damit die aufschiebend bedingte

Übereignung

bis zur Zahlung bleiben. Jedoch kommt nun hier ein gesetzlicher Eigentumserwerb in Betracht gemäß §§ 948 I, 947 BGB. Eine untrennbare Vermischung beweglicher Sachen nach § 948 I BGB liegt vor. Dadurch würden P und K zunächst Miteigentum erlangen, nach § 947 I BGB. Jedoch ist der Anteil von 5/6 des K so viel mehr, dass die Ausnahme des § 947 II BGB greift, die 50 Liter als Hauptsache angesehen werden und K Alleineigentümer wird gemäß §§ 948 I, 947 II BGB.  Zu 3) Ausführungen wie zu 2). Da aber keine Hauptsache im Sinne des § 947 II gegeben ist, entsteht Miteigentum zwischen P und K jeweils zu 30 Litern.  Die Selbstbediengungsproblematik beim Tanken ist sowohl im Zivilrecht als auch im Strafrecht ein weites Feld.  Sehr ausführlich zu der zivilrechtlichen Betrachtung: Schene, in GRZ 2019, S. 20 ff.  Beste Grüße Max - für das Jurafuchs-Team


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