Zivilrecht

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Ersatzfähigkeit der Kosten für die Verwahrung eines privat abgeschleppten KFZ (BGH, Urt. v. 17.11.2023 – V ZR 192/22)

Ersatzfähigkeit der Kosten für die Verwahrung eines privat abgeschleppten KFZ (BGH, Urt. v. 17.11.2023 – V ZR 192/22)

24. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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besonders examenstauglich

Halterin H stellt ihr Auto unbefugt auf Es Grundstück ab. Eigentümer E lässt das Auto abschleppen und kostenpflichtig verwahren. Nach wenigen Tagen fordert H ihr Auto zurück. E fordert zunächst Zahlung der Abschlepp- und Verwahrkosten.

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Einordnung des Falls

Ersatzfähigkeit der Kosten für die Verwahrung eines privat abgeschleppten KFZ (BGH, Urt. v. 17.11.2023 – V ZR 192/22)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. E könnte von H Anspruch auf Ersatz der Abschleppkosten unter dem Gesichtspunkt der berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677, 683 Satz 1 i.V.m. § 670 BGB) haben.

Genau, so ist das!

Nach § 677 BGB setzen Ansprüche aus echter GoA (egal, ob berechtigt oder unberechtigt) voraus, dass ein Geschäftsführer (1) ein fremdes Geschäft (2) mit Fremdgeschäftsführungswillen ausführt, (3) ohne vom Geschäftsherrn beauftragt oder ihm gegenüber sonst dazu berechtigt zu sein. Für eine berechtigte GoA muss die Geschäftsführung zudem (4)dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn entsprechen. Achtung: Im Ausgangsfall hatte der Abschleppunternehmer direkt gegenüber H die Kosten geltend gemacht. Da er einen Abschleppauftrag erhalten hatte, lag eine Konstellation des „pflichtengebundenen Unternehmers“ vor. Bei dieser lehnt die Rechtsprechung die Vermutung des „Fremd“geschäftswillens ausnahmsweise ab. Der Unternehmer handele nur, um seinen Auftrag zu erfüllen. Ein eigener GoA-Anspruch scheidet damit aus. Er kann sich allenfalls Ansprüche des Auftraggebers (hier: E) abtreten lassen (§ 398 BGB).
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2. Das Abschleppen widersprach dem Willen der H i.S.v. § 683 BGB.

Nein, das trifft nicht zu!

Wenn sich der wirkliche Wille nicht feststellen lässt, kommt es nach § 683 BGB auf den mutmaßlichen Willen der Geschäftsherrin an. Dem mutmaßlichen Willen entspricht regelmäßig alles, was dem Interesse der Geschäftsherrin entspricht. Bei der gebotenen objektiven Betrachtung stellt sich die Entfernung des Autos für H als vorteilhaft dar. Das unbefugte Abstellen eines Autos auf einem fremden Grundstück stellt eine Besitzstörung dar und begründet eine verbotene Eigenmacht i.S.v. § 858 Abs. 1 BGB. Durch das Abschleppen wird die Störerin von der ihr gemäß § 862 Abs. 1 Satz 1 BGB bzw. gemäß § 861 Abs. 1 Satz 1 BGB obliegenden Pflicht frei, die Störung zu beseitigen. Dass durch die Geschäftsführung Kosten entstehen, steht dem Interesse der Geschäftsherrin nicht generell entgegen. Sonst wäre § 683 BGB nie erfüllt.

3. E kann von H dem Grunde nach Ersatz der Abschleppkosten verlangen.

Ja!

Nach § 677 BGB setzen Ansprüche aus echter GoA (egal, ob berechtigt oder unberechtigt) voraus, dass ein Geschäftsführer (1) ein fremdes Geschäft (2) mit Fremdgeschäftsführungswillen ausführt, (3) ohne vom Geschäftsherrn beauftragt oder ihm gegenüber sonst dazu berechtigt zu sein. Für eine berechtigte GoA muss die Geschäftsführung zudem (4)dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn entsprechen. Das Wegfahren des unberechtigt parkenden Autos liegt sowohl im Interesse des E, als auch im Interesse der H, die zum Wegfahren verpflichtet ist (§ 862 Abs. 1 S. 1 BGB). Es handelt sich um ein auch-fremdes Geschäft, bei dem nach der Rechtsprechung ein Fremdgeschäftsführungswillen vermutet wird. H hatte E auch nicht dazu beauftragt, ihr Auto abzuschleppen und das Abschleppen entsprach ihrem mutmaßlichen Willen.

4. Bereits durch ein Umsetzen auf einen kostenfreien Parkplatz wäre die Besitzstörung beseitigt gewesen. Steht dies dem Anspruch des E auf Ersatz der Verwahrkosten entgegen?

Nein, das ist nicht der Fall!

BGH: Zu den Kosten, die der Geschäftsführer nach § 683 BGB für erforderlich halten dürfe, gehörten nicht nur die unmittelbaren Kosten des Abschleppvorgangs. Vielmehr seien auch die ortsüblichen Kosten, die im Zusammenhang mit der Verwahrung des Autos im Anschluss an den Abschleppvorgang entstehen, grundsätzlich ersatzfähig. Der Geschäftsführer müsse keine zeitintensive Parkraumsuche unternehmen, insbesondere, wenn er sein Selbsthilferecht aus § 859 Abs. 3 BGB wahrnehme und ein Abstellen des Autos auf öffentlichem Parkraum Haftungsrisiken berge (RdNr. 20 ff.) Der BGH ergänzt an dieser Stelle seine Rechtsprechung zum Umfang der Abschleppkosten. Bereits bislang war anerkannt, dass nicht nur unmittelbare Abschleppkosten, sondern auch solche, die in der Vorbereitung des Abschleppvorgangs entstanden sind, erstattungsfähige Kosten sind (RdNr. 19). In Abgrenzung zu einem früheren Urteil (BGH NJW 2014, 3727) stellt der BGH nunmehr klar, dass auch Verwahrkosten erstattungsfähig sein können.

5. E hat gegen H jedenfalls Anspruch auf Ersatz der Verwahrkosten bis zu dem Zeitpunkt, als H ihr Auto zurückfordert.

Ja, in der Tat!

Der Geschäftsführer darf lediglich Ersatz für die erforderlichen Aufwendungen verlangen (§ 670 BGB). Die Erforderlichkeit ist anzunehmen, wenn der Beauftragte (freiwillige) Vermögensopfer erbringt, die nach seinem verständigen Ermessen zur Verfolgung des Auftragszwecks geeignet sind, notwendig erscheinen und in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung der Geschäftsführung für den Geschäftsherrn stehen (kurz: Aufwendungen müssen verhältnismäßig sein). Der Geschäftsführer ist beim Abschleppen verpflichtet, die Fahrzeughalterin zu ermitteln - ggf. mittels Halteranfrage (§ 39 StVG) – und sie von der Übernahme der Geschäftsführung zu unterrichten und ihre Entschließung abzuwarten (vgl. § 681 S. 1 BGB). Jedenfalls bis zur Rückmeldung der Halterin können die Verwahrkosten grundsätzlich erforderlich sein. Jedenfalls bis zu der Äußerung des Herausgabeverlangens der H durfte E somit die Verwahrkosten für erforderlich halten.Bei verspäteter Halterermittlung kann der Anspruch ggfs. im Rahmen des Mitverschuldens gekürzt werden (§ 254 BGB).

6. E darf die Verwahrkosten bis zur tatsächlichen Übergabe des Autos im Sinne der berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag für erforderlich halten.

Nein!

Der Beauftragte darf lediglich die erforderlichen Kosten ersetzt verlangen (§ 670 BGB). Die Geschäftsherrin kann die Ausführung gegenüber dem Geschäftsführer jederzeit durch Weisung untersagen. Ab dem Zeitpunkt der Weisung darf der Geschäftsführer weitere Aufwendungen nicht mehr i.S.v. § 670 BGB für erforderlich halten. Ab dem Zeitpunkt der Weisung, das Auto herauszugeben, darf E daher weitere Aufwendungen nicht mehr i.S.v. § 670 BGB für erforderlich halten. Daher kann E ab dem Zugang des Herausgabeverlangens keinen Aufwendungsersatz für die Verwahrung des Autos verlangen.In der Praxis kann das einen bedeutenden Unterschied machen. Im Originalfall betrugen die eingeklagten Kosten €4.935 (€15/Tag für 11 Monate), die Kosten bis zum Herausgabeverlangen dagegen nur €75 (€15/Tag für 5 Tage)!

7. E könnte jedoch einen Schadensersatzanspruch auf Ersatz der weiteren Verwahrkosten nach § 823 Abs. 2 i.V.m. § 858 Abs. 1 BGB haben.

Genau, so ist das!

Der Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB setzt voraus: (1) den Verstoß gegen ein Schutzgesetz, das den Geschädigten schützen soll, (2) Rechtswidrigkeit, (3) Verschulden hinsichtlich der Schutzgesetzverletzung und (4) einen dem Schädiger zurechenbarer Schaden. § 858 Abs. 1 BGB ist ein taugliches Schutzgesetz zu Gunsten des Besitzes. Das unberechtigte Abstellen des Autos stellt eine verbotene Eigenmacht i.S.v. § 858 Abs. 1 BGB dar. Deshalb durfte E das Auto nach § 859 BGB abschleppen lassen und kann grundsätzlich nach § 823 Abs. 2 BGB Schadensersatz verlangen.

8. Der Umfang des zu ersetzenden Schadens nach § 823 Abs. 2 i.V.m. § 858 Abs. 1 BGB bemisst sich nach § 249 Abs. 1 BGB.

Ja, in der Tat!

Danach sind solche Schäden ersatzfähig, die in adäquatem Zusammenhang mit der von der Störerin verübten verbotenen Eigenmacht stehen und von dem Schutzbereich der verletzten Norm erfasst werden.

9. Die Erstattung der weiteren Verwahrkosten liegt vorliegend innerhalb des Schutzbereichs der verletzten Norm (§ 858 Abs. 1 BGB).

Nein!

BGH: Vorliegend fehle es an dem inneren Zusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem Schaden, soweit es die Verwahrkosten nach dem Herausgabeverlangen betrifft. Die weiteren Verwahrkosten dienten nicht mehr der Beseitigung der Besitzstörung, sondern der Durchsetzung des entstandenen Aufwendungs- bzw. Schadensersatzanspruches infolge der Besitzstörung (RdNr. 41). Die ursprünglichen Verwahrkosten bis zum Herausgabeverlangen stehen dagegen in einem adäquaten Zusammenhang zur verbotenen Eigenmacht und unterfallen auch dem Schutzbereich der Norm, sodass sie auch über §§ 823 Abs. 2 iVm § 858 BGB) ersatzfähig sind.

10. Die weiteren Verwahrkosten sind aber nach § 304 BGB ersetzbar, wenn H sich im Annahmeverzug befindet und die Kosten objektiv erforderlich sind.

Genau, so ist das!

Nach § 304 BGB kann der Schuldner im Falle des Verzugs des Gläubigers Ersatz der Mehraufwendungen verlangen, die er für die Aufbewahrung des geschuldeten Gegenstands machen musste. Im Originalfall war weder das beauftragte Abschleppunternehmen noch die Beklagte, auf das Herausgabeverlangen der H eingegangen. Für die Begründung des Annahmeverzuges (§§ 293 ff. BGB) fehlte es damit sowohl an einem ordnungsgemäßen wörtlichen Angebot (§ 295 BGB) als auch an der ordnungsgemäßen Ausübung des Zurückbehaltungsrechts (§ 298 BGB). Deshalb schied hier ein Anspruch aus § 304 BGB aus. In der Klausur wären hierzu nähere Sachverhaltsangaben zu erwarten, die sich dazu verhielten, ob die Halterin ordnungsgemäß in Annahmeverzug i.S.v. § 293 BGB gesetzt wurde.
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