Zivilrecht
Examensrelevante Rechtsprechung ZR
Entscheidungen von 2023
Ersatzfähigkeit der Kosten für die Verwahrung eines privat abgeschleppten KFZ (BGH, Urt. v. 17.11.2023 – V ZR 192/22)
Ersatzfähigkeit der Kosten für die Verwahrung eines privat abgeschleppten KFZ (BGH, Urt. v. 17.11.2023 – V ZR 192/22)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Halterin H stellt ihr Auto unbefugt auf Es Grundstück ab. Eigentümer E lässt das Auto abschleppen und kostenpflichtig verwahren. Nach wenigen Tagen fordert H ihr Auto zurück. E fordert zunächst Zahlung der Abschlepp- und Verwahrkosten.
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Einordnung des Falls
Ersatzfähigkeit der Kosten für die Verwahrung eines privat abgeschleppten KFZ (BGH, Urt. v. 17.11.2023 – V ZR 192/22)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. E könnte von H Anspruch auf Ersatz der Abschleppkosten unter dem Gesichtspunkt der berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677, 683 Satz 1 i.V.m. § 670 BGB) haben.
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Das Abschleppen widersprach dem Willen der H i.S.v. § 683 BGB.
Nein, das trifft nicht zu!
3. E kann von H dem Grunde nach Ersatz der Abschleppkosten verlangen.
Ja!
4. Bereits durch ein Umsetzen auf einen kostenfreien Parkplatz wäre die Besitzstörung beseitigt gewesen. Steht dies dem Anspruch des E auf Ersatz der Verwahrkosten entgegen?
Nein, das ist nicht der Fall!
5. E hat gegen H jedenfalls Anspruch auf Ersatz der Verwahrkosten bis zu dem Zeitpunkt, als H ihr Auto zurückfordert.
Ja, in der Tat!
6. E darf die Verwahrkosten bis zur tatsächlichen Übergabe des Autos im Sinne der berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag für erforderlich halten.
Nein!
7. E könnte jedoch einen Schadensersatzanspruch auf Ersatz der weiteren Verwahrkosten nach § 823 Abs. 2 i.V.m. § 858 Abs. 1 BGB haben.
Genau, so ist das!
8. Der Umfang des zu ersetzenden Schadens nach § 823 Abs. 2 i.V.m. § 858 Abs. 1 BGB bemisst sich nach § 249 Abs. 1 BGB.
Ja, in der Tat!
9. Die Erstattung der weiteren Verwahrkosten liegt vorliegend innerhalb des Schutzbereichs der verletzten Norm (§ 858 Abs. 1 BGB).
Nein!
10. Die weiteren Verwahrkosten sind aber nach § 304 BGB ersetzbar, wenn H sich im Annahmeverzug befindet und die Kosten objektiv erforderlich sind.
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
antoniasophie
19.1.2024, 10:11:24
Könnt ihr die Vertiefung auf der letzten Slide nochmal erklären? Mir ist die Schlussfolgerung nicht ganz klar. Danke!
Nora Mommsen
19.1.2024, 12:17:54
Hallo Antonia, für die Begründung des Annahmeverzuges muss die Leistung angeboten worden sein. Wenn der Schuldner die Abholung der Sache schuldet, reicht für die Begründung des Annahmeverzugs aus, dass dem Schuldner die Abholung angeboten wurde (ex § 295 BGB
wörtliches Angebot). Hier wollte die H das abholen, der E hat sich aber auf sein Zurückbehaltungsrecht berufen aufgrund des vermeintlichen Anspruchs aus § 304 BGB (u.a. die ja schon abgelehnt wurden). Dadurch, dass der H aber nie ein richtiges Angebot zur Leistung wie § 295 BGB das vorsieht gemacht wurde, und sie ihr Abholverlangen ignoriert haben bestand kein Annahmeverzug. Damit auch kein Anspruch aus § 304 BGB und keine rechtmäßige Berufung auf das Zurückbehaltungsrecht. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Geithombre
19.1.2024, 12:51:25
Ich fand den Fall sehr interessant und habe Berufung und Revision quergelesen, um mir das ganze etwas plastischer aufzubereiten, evtl. hilft dir das, Antonia? H parkt am 6.10.2020 auf dem Grundstück des E, dieser lässt das Auto am 8.10.2020 abschleppen. H verlangt am 13.10.2020 vom (A)bschleppunternehmen die Herausgabe. Nachdem hierauf keine Reaktion erfolgt, erhebt H Klage auf Herausgabe vor dem LG. A erhebt Widerklage auf Zahlung einer Verwahrgebühr von 15€/Tag, die er in jedem Verhandlungstermin erweitert, da die Herausgabe weiterhin nicht erfolgt und das KFZ auf dem Hof des A bleibt. Das LG hat dem Anspruch auf Ersatz der Verwahrkosten bis zum Urteil stattgegeben. Das OLG hat diesen für alle Tage ab dem 13.10.2020 abgelehnt. Arg.: (1) Verwahrung diene nicht mehr der Beseitigung der Störung, auch nicht zur Vorbereitung der Beseitigung. (2) Anders als die Kosten einer Dokumentation etwaiger Vorschäden an abzuschleppenden Fahrzeug dient die Verwahrung auch nicht etwa dem berechtigten Interesse von Grundstücksbesitzer und/oder Abschleppunternehmer, sich gegen ungerechtfertigte Gegenansprüche des Störers zu schützen (3) keine Verpflichtung des gestörten Grundstücksbesitzers oder des Abschleppunternehmers ersichtlich, das abzuschleppende Fahrzeug besonders gegen den unbefugten Zugriff Dritter oder gegen jegliche Gefahr von Beschädigungen zu sichern und bis zur Abholung in Obhut zu halten ... dagegen zwar keine Bedenken, aber Standgebühren gehörten nicht zu den zur Störungsbeseitigung erforderlichen Kosten, solange andere geeignete und kostengünstigere Abstellmöglichkeiten bestehen (4) ein ZBR könne auch außerhalb des Hofes des A effektiv – etwa durch Anbringen einer "Parkkralle" – ausgeübt werden. -> Der BGH schließt sich dem an (weist also Revision zurück) und sagt zu den Verwahrungskosten ab dem 14.10.2020 folgendes: I. Anspruch aus GoA §§ 677, 683 S. 1 iVm § 670 BGB (-): Geschäftsherr (die H) könne jederzeit Weisungen (gib Fahrzeug heraus) erteilen, ab diesem Zeitpunkt durfte A nicht mehr die Verwahrung für erforderlich halten II. Anspruch aus unberechtigter GoA § 684 S. 1, §§ 812 ff. BGB (-): A hat durch Abstellen des Fahrzeugs auf dem eigenen Hof nichts erlangt, wofür Wertersatz zu leisten wäre (da keine Ersparnis anderweitiger Parkkosten ersichtlich) III. Anspruch aus Delikt § 823 Abs. 2 BGB i.V.m.
§ 858 Abs. 1 BGB(-): nur Kosten für Abschleppung und Abwicklung des Abschleppvorgangs ersatzfähig, nicht aber für außergerichtliche Durchsetzung des SEA IV. Anspruch aus § 304 BGB grds. (!) möglich, hier aber (-): H war nicht in Verzug. Weder wurde ihr die Herausgabe des KFZ angeboten noch wurde diese von der Erstattung der Abschleppkosten abhängig gemacht (das ist wohl alles erst in den mündlichen Verhandlungen in 1. Instanz passiert und war nach BGH zudem nicht geeignet, Verzug zu begründen, da die Höhe der Gegenforderung nicht klar war)
antoniasophie
19.1.2024, 14:09:45
Top, danke für eure Beiträge! Super ausführlich und nachvollziehbar!! :)
Flohm
22.1.2024, 09:41:31
Vielen Dank das hilft auch mir weiter. Noch eine Frage nur der Klarstellung. Bei §304 ist hier H Gläubiger (des Herausgabeanspruchs) und E Schuldner des Herausgabeanspruchs. E könnte als Schuldner im Falle des Gläubigerverzugs den Ersatz der Mehrkosten (Verwahrungskosten) verlangen, aber H ist nicht im Verzug. Richtig so? Und stellt man auf den Herausgabeanspruch ab oder wie ist H Gläubiger ?
Edward Hopper
2.2.2024, 17:43:25
Ja, du hast es korrekt zusammengefasst. H ist hier Gläubiger. E ist Schuldner. Denn E muss das Auto an H übergeben. Wenn H sich (als Gläubiger) aber querstellt dann ist er in Annahmeverzug. Ab diesem Zeitpunkt kann E sagen ok wenn du dein Auto nicht willst dann behalte ich das aber dafür lass ich das stehen und du musst zahlen. Problem ist, dass E ja nicht nur Auto herausgeben möchte. Sondern E sagt hier dein Auto, aber nur wenn du mir 4.000€ zug um zug gibst. Und wenn in diesem Fall H sagt nein, dann ist er nicht in Annahmeverzug. Grund: grundsätzlich kann Gläubiger auch in so einer "Zug um Zug Situation" in Verzug kommen, ABER: das Zurückbehaltungsrecht muss E vorher geltend machen und außerdem darf es nicht so hoch sein. Dem H blieb sozusagen nichts übrig als Auto nicht abzuholen weil er wollte meine 4k vorstrecken. Da sagt BGH Annahme "zurecht verweigert" bzw. Kein Verzug
lexspecialia
2.7.2024, 13:37:25
Wieso ist der Schuldner im Fall des § 304 BGB nicht das Abschleppunternehmen?
Daniel B.
9.7.2024, 08:58:53
@[lexspecialia](213087) ist es. Deswegen wäre die Eigentümerin dann auch im Gläubigerverzug gewesen, hätte ein entsprechendes Angebot nach § 295 vorgelegen.
Hannah17
17.4.2024, 19:53:47
Müsste der Anspruch aus § 304 BGB nicht vor denen aus GoA und Deliktsrecht geprüft werden?
Merle_Breckwoldt
23.4.2024, 12:57:36
Hallo Hannah17, hier wurden nur deshalb zuerst die Ansprüche aus GoA und Deliktsrecht geprüft, weil diese sich auf die Abschlepp- und insb. die Verwahrkosten in voller Höhe richten (können). § 304 BGB kommt lediglich in Betracht für den Zeitraum nach dem Herausgabeverlangen/einem korrespondierenden Angebot der E, das den H in Verzug gesetzt hätte, kann also nicht für den gesamten Zeitraum der Verwahrung einschlägig sein. Da wir hier also nur prüfen, ob auch die "Restposition" (die Verwahrungskosten nach dem Herausgabeverlangen) noch ersatzfähig ist, steht § 304 BGB insoweit an letzter Stelle. Viele Grüße, Merle für das Jurafuchs-Team
Hannah17
24.4.2024, 12:19:57
Mit der Unterscheidung hatte ich es nicht betrachtet - vielen Dank für die Aufklärung!
el_wolterino
5.5.2024, 23:48:22
Hallo, woraus könnte sich denn in einem Abschleppfall ein den Annahmevollzug begründendes Zurückbehaltungsrecht iSd § 298 ergeben? Aus
§ 1000 BGB? Sofern der Geschäftsherr Eigentümer ist, dürfte er ja einen Herausgabeanspruch aus § 985 haben. Oder allgemein aus § 273?