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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

V lässt Antiquitätenhändler A eine gebrauchte Vase begutachten. A sagt V wider besseres Wissen, dass sie nicht viel wert sei. V verkauft und übereignet die Vase für €10 an A. In Wahrheit ist die Vase antik und wertvoll.

Einordnung des Falls

Fehleridentität (Anfechtung beider RG)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. V kann seine auf den Abschluss des Kaufvertrags gerichtete Willenserklärung wegen eines Eigenschaftsirrtums anfechten (§ 119 Abs. 2 BGB).

Genau, so ist das!

Bei einem Eigenschaftsirrtum irrt der Erklärende über verkehrswesentliche Eigenschaften der Sache. Eigenschaft einer Sache sind alle wertbildenden Faktoren. Das Alter eines Gegenstands ist in aller Regel ein wertbildender Faktor. Während bei den meisten Gebrauchsgegenständen der Wert mit dem Alter sinkt, so kann es bei Sammlerstücken zu einem Wertzuwachs führen. Damit unterlag V bei Abgabe seiner Willenserklärung einem Eigenschaftsirrtum. Ohne diesen Irrtum hätte V eine entsprechende Willenserklärung nicht abgegeben und kann diese anfechten.

2. V kann seine auf den Abschluss des Kaufvertrags gerichtete Willenserklärung wegen arglistiger Täuschung anfechten (§ 123 Abs. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

A müsste V arglistig über Tatsachen getäuscht haben, sodass V einem Irrtum unterlegen ist, ohne den er eine Willenserklärung dieser Art nicht abgegeben hätte. Das Alter einer Vase ist ein dem Beweis zugänglicher Umstand der Vergangenheit oder Gegenwart. A hatte dies auch erkannt und handelte somit arglistig. Basierend auf der arglistigen Täuschung ist bei V auch der Irrtum entstanden, die Vase sei wertlos. Ohne diesen Irrtum hätte V die Vase nicht zu einem so niedrigen Preis verkauft. Mithin kann V seine auf den Abschluss des Kaufvertrags gerichtete WE wegen arglistiger Täuschung anfechten.

3. V kann die auf Übereignung gerichtete Willenserklärung wegen eines Eigenschaftsirrtums anfechten (§ 119 Abs. 2 BGB).

Nein!

Die Übereignung ist ein Rechtsgeschäft und entsprechend kann die hierauf gerichtete Willenserklärung deshalb ebenfalls angefochten werden. Allerdings beinhaltet die Einigung (dinglicher Vertrag in der Übereignung) nur den Inhalt: „Das Eigentum an dieser Sache soll übergehen“. Die Einigung ist damit grundsätzlich wertneutral. Vorstellungen und Abreden aus dem zugrundeliegenden Verpflichtungsgeschäft dürfen wegen des Trennungsprinzips nicht auf die Einigung übertragen werden. Damit kann das Verfügungsgeschäft nur angefochten werden, wenn ihm ein eigener Irrtum zugrunde liegt. V wollte aber genau diesen Gegenstand übereignen. Er war daher nicht im Irrtum.

4. V kann die auf die Übereignung gerichtete Willenserklärung wegen der arglistigen Täuschung durch A anfechten (§ 123 Abs. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Sowohl Verpflichtungs- als auch Verfügungsgeschäft können angefochten werden, wenn sie an demselben Fehler leiden (Fehleridentität). Der Fehler muss für beide Geschäfte separat festgestellt werden. Bei der arglistigen Täuschung ist es ausreichend, dass der Erklärende durch die Täuschung zur Abgabe der WE bestimmt wurde. Ohne die Täuschung hätte V die Vase nicht übereignet. Damit leidet auch die Willenserklärung bezüglich der Übereignung an dem gleichen Fehler wie die auf den Abschluss des Kaufvertrags gerichtete WE und kann angefochten werden.

5. Kann V nach erfolgter Anfechtung Herausgabe der Vase nach § 985 BGB verlangen?

Ja, in der Tat!

Ein Anspruch aus § 985 BGB besteht, wenn eine sog. Vindikationslage vorliegt. Diese ist gegeben, wenn (1) der Anspruchsteller Eigentümer ist, (2) der Anspruchsgegner Besitz an der Sache hat und (3) kein Recht zum Besitz (§ 986 BGB) besteht. Aufgrund der wirksamen Anfechtung der Einigung hat V niemals das Eigentum an der Sache verloren. A hat auch die tatsächliche Sachherrschaft, getragen von einem Besitzwillen (Besitz) an der Vase. Grundsätzlich kann auch ein Kaufvertrag ein Recht zum Besitz des Käufers vermitteln. Durch die wirksame Anfechtung fehlt es jedoch auch an einem Recht zum Besitz des A.

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EYE

eyelinedog

3.4.2021, 14:29:37

Wäre jemand so lieb und würde mir erklären wo mein Denkfehler liegt? Für mich würde es Sinn machen, dass der

Eigenschaftsirrtum

ebenfalls zur Anfechtung der

Übereignung

berechtigt. Hätte V von dem

Eigenschaftsirrtum

gewusst, hätte er ja nicht übereignen wollen? Genau so wie bei der arglistigen Täuschung. Ist es ganz allgemein so, dass ein

Eigenschaftsirrtum

grds. Nicht zur Anfechtung des dinglichen RG berechtigt?

Speetzchen

Speetzchen

3.4.2021, 19:21:33

ja, genau ! Denn die

Übereignung

ist wertneutral und beinhaltet nur die Aussage, das Eigentum an eine Person zu übereignen. V irrt sich aber nicht darüber, er will A ja das Eigentum an der Vase übereignen. Hoffe das hilft. Lg 🐣

EYE

eyelinedog

3.4.2021, 19:54:34

Danke sehr! Und wieso kann er die

Übereignung

dann auf Grund der arglistigen Täuschung anfechten? Er hat das Eigentum ja auch da übergeben wollen? 😅

Speetzchen

Speetzchen

3.4.2021, 20:20:16

Bei der arglisten Täuschung sind im Falle der Anfechtung beider Verträge beide Rechtsgeschäfte nichtig, sofern die Täuschung, was der Regelfall ist, den V nicht nur zum Abschluss des KV sondern auch zum Abschluss des

Übereignung

svertrags veranlasst hat. Die arglistige Täuschung wirkt sozusagen auf beide RG, da die Eignung an dem selben Mangel leidet. Der Eigentschaftsirrtum wirkt sich hingegen nicht auf die

Übereignung

aus, da (wie o.g.) es hier nur um die Frage geht, ob V generell das Eigentum übereignen wollte. Er wollte ja gerade die Sache übereignen, ggf. halt zu einem anderen Preis.

BIE

Bienenschwarmverfolger

20.4.2021, 09:38:33

Ich möchte hier noch hinzufügen, dass durchaus auch vertreten wird, dass beim

Eigenschaftsirrtum

auch die

Übereignung

nach 119 II anfechtbar ist (zB MüKo, 8. Aufl., § 119 Rn. 155). Ich persönlich finde diese Auffassung auch überzeugender: Dass das Verfügungsgeschäft „wertneutral“ ist, ändert ja nichts daran, dass der

Eigenschaftsirrtum

kausal für die

Übereignung

ist. Hätte V den wertbildenden Faktor bei der

Übereignung

gekannt, hätte sie von dieser abgesehen. Nur das und nicht mehr verlangt § 119 II, I. An diesem Fall wird, finde ich, sogar besonders gut deutlich, dass es merkwürdig ist, 119 I und 123 I so unterschiedlich zu behandeln: Der Irrtum, den A durch die Täuschung verursacht, ist ja gerade der

Eigenschaftsirrtum

. Warum sollte der nur nach 123 I „fehleridentisch“ sein?

Rüsselrecht 🐘

Rüsselrecht 🐘

6.11.2021, 20:18:08

Das ist in der Tat verwirrend. Ich würde auch gerne etwas ergänzen. Grundsätzlich spielt die Frage des “Warums“ der Verfügung innerhalb der dinglichen Einigung keine Rolle. Der dinglich-abstrakte Minimalkonsens würde auch durch die Täuschung oder Drohung grundsätzlich nicht berührt werden. Aber in der Situation des § 123 BGB ist der Übereignende in einer anderen Situation als in den Fällen des § 119 und ist aufgrund der Täuschung/Drohung schutzwürdig. Der Anfechtungsgegner verursacht den Willensmangel meist unter Verwirklichung eines Straftatbestandes. Gegenüber diesem Schutz des Erklärenden muss auch der mit dem Abstraktionsprinzip verbundene Verkehrsschutz zurücktreten. Somit greift der Willensmangel des § 123 I BGB auf das Verfügungsgeschäft durch.

DAV

David.

24.11.2022, 14:39:36

Und wie sähe es aus, wenn V die Vase bei sich zuhause aufgestellt hätte, wenn er gewusst hätte, dass die Vase antik ist? Weil dann wäre der

Eigenschaftsirrtum

doch auch kausal für das Verfügungsgeschäft geworden, denn er hätte aufgrund des

Eigenschaftsirrtum

s genau diese Vase eben nicht an jemand anders übereignen wollen, oder?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

29.11.2022, 15:50:29

Hallo David, hätte V gewusst, dass die Vase alt ist hätte er diesbezüglich keinem Irrtum unterliegen können. Das Verfügungsgeschäft bleibt aber in jedem Fall grundsätzlich neutral. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

DAV

David.

29.11.2022, 18:26:18

Im „Examinatorium BGB AT“ von Armbrüster habe ich jetzt folgendes gefunden: „Die Vorstellung über bestimmte Eigenschaften ist dafür regelmäßig unbedeutend. Nur wenn die Sache bei Kenntnis der Herkunft o.ä. gar nicht veräußert worden wäre (und nicht nur ein anderer Preis ausgehandelt worden wäre) kann daher von einem „Doppelmangel“ bei Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft ausgegangen werden.“ Demnach wäre dann ja schon eine Anfechtung des Verfügungsgeschäfts möglich

SI

sinaaaa

11.1.2023, 18:48:09

Warum kann man dann die

Übereignung

wegen

Eigenschaftsirrtum

nicht anfechten ? Sondern nur wegen arglistischer Täuschung?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

13.1.2023, 12:37:26

Hallo sinaaaa, danke für deine Frage. Es wird angenommen, dass die dingliche Einigung mithin die Erklärung wertneutral ist. Sie zielt nur darauf ab die schuldrechtliche Verpflichtung durch Verfügung zu erfüllen, sprich: "Ich übereigne dir die Vase." Genaue Vorstellungen dazu spielen im Rahmen der dinglichen Einigung keine Rolle mehr. Mithin kann der Erklärende auch nicht über Eigenschaften der Vase geirrt haben im Rahmen seiner dinglichen Erklärung. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

PET

Petrus

18.2.2023, 09:33:29

Hier könnte man vielleicht noch darauf hinweisen, dass die Anfechtbarkeit wegen

Eigenschaftsirrtum

s auf Verkäuferseite auch gesperrt sein kann, wenn dem Käufer dadurch die Gewährleistungsrechte entzogen werden würden. V kann hier nur nach § 119 II anfechten, weil der Käufer ein gutes Geschäft macht und daher von seinen Gewährleistungsrechten keinen Gebrauch machen würde, bzw. weil er wegen der Täuschung nicht schutzbedürftig ist.

Gruttmann

Gruttmann

10.1.2024, 11:42:50

Hallo Petrus, gibt es dazu Normen, wann dem Käufer Gewährleistungsrechte entzogen werden würden? Also ich verstehe noch nicht ganz, wieso er wegen eines

Eigenschaftsirrtum

s anfechten darf, ich dachte das wäre nach Übergang nicht mehr möglich. Wegen arglistiger Täuschung Ja, aber wegen

Eigenschaftsirrtum

, da bin ich mir noch nicht schlüssig. Ich bin im 1. Semester, wir hatten das noch nicht, deshalb würde eine kurze knackige Erklärung mir reichen und insbesondere helfen. Danke im Voraus. LG

QUIG

QuiGonTim

16.9.2023, 23:10:14

Habe ich es richtig verstanden, dass das Verfügungsgeschäft wegen des Wortlautes von § 123 Abs. 1 BGB anfechtbar ist? Denn V wurde durch die arglistige Täuschung nicht nur zum Abschluss des Kaufvertrages, sondern auch zur

Übereignung

bestimmt?

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

12.3.2024, 13:15:21

Liebes Jurafuchs-Team, auch hier wieder der Vermerk bezüglich der "Anfechtung eines Kaufvertrages"; Anfechtung der WE wäre richtig. Viele Grüße

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

26.3.2024, 09:18:23

Hallo DelusionalD, völlig richtig! In § 142 BGB wird zwar missverständlich vom anfechtbaren „Rechtsgeschäft“ gesprochen, gemeint ist aber letztlich die anfechtbare Willenserklärung (bei deren Nichtigkeit aber letztlich auch das gesamte Rechtsgeschäft unwirksam ist). Gegenstand der Anfechtung ist also die fehlerhafte Willenserklärung (vgl. auch § 119 Abs. 1 BGB: Wer bei der Abgabe einer „Willenserklärung“). Wir haben das präzisiert. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

ALE

Alexander14

10.4.2024, 17:20:31

Woraus genau entnimmt man dem Sachverhalt den

Eigenschaftsirrtum

? Die Vase ist antik und deswegen wertvoll. Ich kann dem Sachverhalt jedoch nicht entnehmen, dass V sich darüber irrt, denn der A sagt laut Sachverhalt bloß, dass die Vase nicht viel wert sei. Der Wert ist aber ja gerade keine Eigenschaft.

Gruttmann

Gruttmann

10.4.2024, 21:05:36

Wenn etwas Antik ist, ist es alt. Das Alter einer Sache ist eine verkehrswesentliche Eigenschaft, über die man sich irren kann. Im SV steht nicht explizit, dass er denkt die Vase sei nicht Antik, aber davon muss man dann ausgehen. Mithin hat er sich darüber geirrt..

ALE

Alexander14

10.4.2024, 21:16:52

Wie die Aufgabe gemeint ist, ist mir klar. Aber warum muss man davon ausgehen? Aus „nichts wert“ kann man doch nicht „nicht alt“ folgern.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

11.4.2024, 10:33:48

Hi Alexander14, um Verwirrungen vorzubeugen, haben wir jetzt im Sachverhalt präzisiert, dass V eine "gebrauchte" Vase begutachten lässt. Konkretes Wissen hinsichtlich des Alters kann man insoweit nicht unterstellen. Sofern der Antiquitätenhändler feststellt, dass die Vase nichts wert sei, ist damit zugleich miterklärt, dass kein werterhöhender Faktor (zB ein besonders hohes Alter) vorliegt. Ich hoffe, jetzt wird es noch etwas klarer. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Paulah

Paulah

13.4.2024, 13:31:07

V sagt "wider besseres Wissen", dass sie nicht viel wert ist - er wusste also um den Wert. Ich nehme auch an, dass man eine "normale" Haushaltsvase nicht beim Antiquitätenhändler begutachten lassen würde.


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