Fehleridentität (Anfechtung beider RG)
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
V lässt Antiquitätenhändler A eine gebrauchte Vase begutachten. A sagt V wider besseres Wissen, dass sie nicht viel wert sei. V verkauft und übereignet die Vase für €10 an A. In Wahrheit ist die Vase antik und wertvoll.
Einordnung des Falls
Fehleridentität (Anfechtung beider RG)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. V kann seine auf den Abschluss des Kaufvertrags gerichtete Willenserklärung wegen eines Eigenschaftsirrtums anfechten (§ 119 Abs. 2 BGB).
Genau, so ist das!
2. V kann seine auf den Abschluss des Kaufvertrags gerichtete Willenserklärung wegen arglistiger Täuschung anfechten (§ 123 Abs. 1 BGB).
Ja, in der Tat!
3. V kann die auf Übereignung gerichtete Willenserklärung wegen eines Eigenschaftsirrtums anfechten (§ 119 Abs. 2 BGB).
Nein!
4. V kann die auf die Übereignung gerichtete Willenserklärung wegen der arglistigen Täuschung durch A anfechten (§ 123 Abs. 1 BGB).
Genau, so ist das!
5. Kann V nach erfolgter Anfechtung Herausgabe der Vase nach § 985 BGB verlangen?
Ja, in der Tat!
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eyelinedog
3.4.2021, 14:29:37
Wäre jemand so lieb und würde mir erklären wo mein Denkfehler liegt? Für mich würde es Sinn machen, dass der
Eigenschaftsirrtumebenfalls zur Anfechtung der
Übereignungberechtigt. Hätte V von dem
Eigenschaftsirrtumgewusst, hätte er ja nicht übereignen wollen? Genau so wie bei der arglistigen Täuschung. Ist es ganz allgemein so, dass ein
Eigenschaftsirrtumgrds. Nicht zur Anfechtung des dinglichen RG berechtigt?
Speetzchen
3.4.2021, 19:21:33
ja, genau ! Denn die
Übereignungist wertneutral und beinhaltet nur die Aussage, das Eigentum an eine Person zu übereignen. V irrt sich aber nicht darüber, er will A ja das Eigentum an der Vase übereignen. Hoffe das hilft. Lg 🐣
eyelinedog
3.4.2021, 19:54:34
Danke sehr! Und wieso kann er die
Übereignungdann auf Grund der arglistigen Täuschung anfechten? Er hat das Eigentum ja auch da übergeben wollen? 😅
Speetzchen
3.4.2021, 20:20:16
Bei der arglisten Täuschung sind im Falle der Anfechtung beider Verträge beide Rechtsgeschäfte nichtig, sofern die Täuschung, was der Regelfall ist, den V nicht nur zum Abschluss des KV sondern auch zum Abschluss des
Übereignungsvertrags veranlasst hat. Die arglistige Täuschung wirkt sozusagen auf beide RG, da die Eignung an dem selben Mangel leidet. Der Eigentschaftsirrtum wirkt sich hingegen nicht auf die
Übereignungaus, da (wie o.g.) es hier nur um die Frage geht, ob V generell das Eigentum übereignen wollte. Er wollte ja gerade die Sache übereignen, ggf. halt zu einem anderen Preis.
Bienenschwarmverfolger
20.4.2021, 09:38:33
Ich möchte hier noch hinzufügen, dass durchaus auch vertreten wird, dass beim
Eigenschaftsirrtumauch die
Übereignungnach 119 II anfechtbar ist (zB MüKo, 8. Aufl., § 119 Rn. 155). Ich persönlich finde diese Auffassung auch überzeugender: Dass das Verfügungsgeschäft „wertneutral“ ist, ändert ja nichts daran, dass der
Eigenschaftsirrtumkausal für die
Übereignungist. Hätte V den wertbildenden Faktor bei der
Übereignunggekannt, hätte sie von dieser abgesehen. Nur das und nicht mehr verlangt § 119 II, I. An diesem Fall wird, finde ich, sogar besonders gut deutlich, dass es merkwürdig ist, 119 I und 123 I so unterschiedlich zu behandeln: Der Irrtum, den A durch die Täuschung verursacht, ist ja gerade der
Eigenschaftsirrtum. Warum sollte der nur nach 123 I „fehleridentisch“ sein?
Rüsselrecht 🐘
6.11.2021, 20:18:08
Das ist in der Tat verwirrend. Ich würde auch gerne etwas ergänzen. Grundsätzlich spielt die Frage des “Warums“ der Verfügung innerhalb der dinglichen Einigung keine Rolle. Der dinglich-abstrakte Minimalkonsens würde auch durch die Täuschung oder Drohung grundsätzlich nicht berührt werden. Aber in der Situation des § 123 BGB ist der Übereignende in einer anderen Situation als in den Fällen des § 119 und ist aufgrund der Täuschung/Drohung schutzwürdig. Der Anfechtungsgegner verursacht den Willensmangel meist unter Verwirklichung eines Straftatbestandes. Gegenüber diesem Schutz des Erklärenden muss auch der mit dem Abstraktionsprinzip verbundene Verkehrsschutz zurücktreten. Somit greift der Willensmangel des § 123 I BGB auf das Verfügungsgeschäft durch.
David.
24.11.2022, 14:39:36
Und wie sähe es aus, wenn V die Vase bei sich zuhause aufgestellt hätte, wenn er gewusst hätte, dass die Vase antik ist? Weil dann wäre der
Eigenschaftsirrtumdoch auch kausal für das Verfügungsgeschäft geworden, denn er hätte aufgrund des
Eigenschaftsirrtums genau diese Vase eben nicht an jemand anders übereignen wollen, oder?
Nora Mommsen
29.11.2022, 15:50:29
Hallo David, hätte V gewusst, dass die Vase alt ist hätte er diesbezüglich keinem Irrtum unterliegen können. Das Verfügungsgeschäft bleibt aber in jedem Fall grundsätzlich neutral. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
David.
29.11.2022, 18:26:18
Im „Examinatorium BGB AT“ von Armbrüster habe ich jetzt folgendes gefunden: „Die Vorstellung über bestimmte Eigenschaften ist dafür regelmäßig unbedeutend. Nur wenn die Sache bei Kenntnis der Herkunft o.ä. gar nicht veräußert worden wäre (und nicht nur ein anderer Preis ausgehandelt worden wäre) kann daher von einem „Doppelmangel“ bei Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft ausgegangen werden.“ Demnach wäre dann ja schon eine Anfechtung des Verfügungsgeschäfts möglich
sinaaaa
11.1.2023, 18:48:09
Warum kann man dann die
Übereignungwegen
Eigenschaftsirrtumnicht anfechten ? Sondern nur wegen arglistischer Täuschung?
Nora Mommsen
13.1.2023, 12:37:26
Hallo sinaaaa, danke für deine Frage. Es wird angenommen, dass die dingliche Einigung mithin die Erklärung wertneutral ist. Sie zielt nur darauf ab die schuldrechtliche Verpflichtung durch Verfügung zu erfüllen, sprich: "Ich übereigne dir die Vase." Genaue Vorstellungen dazu spielen im Rahmen der dinglichen Einigung keine Rolle mehr. Mithin kann der Erklärende auch nicht über Eigenschaften der Vase geirrt haben im Rahmen seiner dinglichen Erklärung. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Petrus
18.2.2023, 09:33:29
Hier könnte man vielleicht noch darauf hinweisen, dass die Anfechtbarkeit wegen
Eigenschaftsirrtums auf Verkäuferseite auch gesperrt sein kann, wenn dem Käufer dadurch die Gewährleistungsrechte entzogen werden würden. V kann hier nur nach § 119 II anfechten, weil der Käufer ein gutes Geschäft macht und daher von seinen Gewährleistungsrechten keinen Gebrauch machen würde, bzw. weil er wegen der Täuschung nicht schutzbedürftig ist.
Gruttmann
10.1.2024, 11:42:50
Hallo Petrus, gibt es dazu Normen, wann dem Käufer Gewährleistungsrechte entzogen werden würden? Also ich verstehe noch nicht ganz, wieso er wegen eines
Eigenschaftsirrtums anfechten darf, ich dachte das wäre nach Übergang nicht mehr möglich. Wegen arglistiger Täuschung Ja, aber wegen
Eigenschaftsirrtum, da bin ich mir noch nicht schlüssig. Ich bin im 1. Semester, wir hatten das noch nicht, deshalb würde eine kurze knackige Erklärung mir reichen und insbesondere helfen. Danke im Voraus. LG
QuiGonTim
16.9.2023, 23:10:14
Habe ich es richtig verstanden, dass das Verfügungsgeschäft wegen des Wortlautes von § 123 Abs. 1 BGB anfechtbar ist? Denn V wurde durch die arglistige Täuschung nicht nur zum Abschluss des Kaufvertrages, sondern auch zur
Übereignungbestimmt?
ehemalige:r Nutzer:in
12.3.2024, 13:15:21
Liebes Jurafuchs-Team, auch hier wieder der Vermerk bezüglich der "Anfechtung eines Kaufvertrages"; Anfechtung der WE wäre richtig. Viele Grüße
Lukas_Mengestu
26.3.2024, 09:18:23
Hallo DelusionalD, völlig richtig! In § 142 BGB wird zwar missverständlich vom anfechtbaren „Rechtsgeschäft“ gesprochen, gemeint ist aber letztlich die anfechtbare Willenserklärung (bei deren Nichtigkeit aber letztlich auch das gesamte Rechtsgeschäft unwirksam ist). Gegenstand der Anfechtung ist also die fehlerhafte Willenserklärung (vgl. auch § 119 Abs. 1 BGB: Wer bei der Abgabe einer „Willenserklärung“). Wir haben das präzisiert. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Alexander14
10.4.2024, 17:20:31
Woraus genau entnimmt man dem Sachverhalt den
Eigenschaftsirrtum? Die Vase ist antik und deswegen wertvoll. Ich kann dem Sachverhalt jedoch nicht entnehmen, dass V sich darüber irrt, denn der A sagt laut Sachverhalt bloß, dass die Vase nicht viel wert sei. Der Wert ist aber ja gerade keine Eigenschaft.
Gruttmann
10.4.2024, 21:05:36
Wenn etwas Antik ist, ist es alt. Das Alter einer Sache ist eine verkehrswesentliche Eigenschaft, über die man sich irren kann. Im SV steht nicht explizit, dass er denkt die Vase sei nicht Antik, aber davon muss man dann ausgehen. Mithin hat er sich darüber geirrt..
Alexander14
10.4.2024, 21:16:52
Wie die Aufgabe gemeint ist, ist mir klar. Aber warum muss man davon ausgehen? Aus „nichts wert“ kann man doch nicht „nicht alt“ folgern.
Lukas_Mengestu
11.4.2024, 10:33:48
Hi Alexander14, um Verwirrungen vorzubeugen, haben wir jetzt im Sachverhalt präzisiert, dass V eine "gebrauchte" Vase begutachten lässt. Konkretes Wissen hinsichtlich des Alters kann man insoweit nicht unterstellen. Sofern der Antiquitätenhändler feststellt, dass die Vase nichts wert sei, ist damit zugleich miterklärt, dass kein werterhöhender Faktor (zB ein besonders hohes Alter) vorliegt. Ich hoffe, jetzt wird es noch etwas klarer. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Paulah
13.4.2024, 13:31:07
V sagt "wider besseres Wissen", dass sie nicht viel wert ist - er wusste also um den Wert. Ich nehme auch an, dass man eine "normale" Haushaltsvase nicht beim Antiquitätenhändler begutachten lassen würde.