Leistungskette - Doppelmangel
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A verkauft und liefert eine Waschmaschine an B. B verkauft und liefert die Waschmaschine weiter an C. Es stellt sich heraus, dass A unerkannt geisteskrank ist, weshalb der Kaufvertrag zwischen A und B nichtig ist (§ 105 BGB). Gleichzeitig ficht C den Kaufvertrag mit B wirksam an.
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Einordnung des Falls
Leistungskette - Doppelmangel
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Es bestehen Ansprüche aus Leistungskondiktion zwischen A und B und B und C.
Ja!
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2. Nach der (älteren) Rechtsprechung erfüllt B den Herausgabeanspruch der A dadurch, dass sie Wertersatz leistet (§ 818 Abs. 2 BGB).
Nein, das trifft nicht zu!
3. Nach der h.L. erfüllt B den Herausgabeanspruch der A nur dadurch, dass sie Wertersatz leistet (§ 818 Abs. 2 BGB).
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Larzed
12.9.2022, 10:12:56
Das Bild wie C den Kaufvertrag buchstäblich anficht, bringt mich zum lächeln. Dafür geht mein Dank an eure Kunst- und Kreativabteilung. 😅👍
Nora Mommsen
12.9.2022, 12:34:03
Hallo Larzed, mission accomplished! Das Lob reichen wir gerne weiter an unsern Zeichner. :) Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
kleinerPadawan
14.4.2023, 19:26:33
Findet im Verhältnis A - B wirklich die Leistungskondition Anwendung, wenn diese geschaftsunfähig ist? Scheitert es hier nicht an der bewussten Vermögensmehrung? Ich hab es so gelernt, dass (volle) Geschäftsfähigkeit für dieses Bewusstsein nicht erforderlich ist, jedoch eine natürliche Einsichtsfähigkeit schon. Diese dürfte bei einer
unerkannt geisteskranken und damit Geschäftsunfähigen aber nicht gegeben sein, oder? Oder mache ich hier einen Denkfehler?
Pilea
8.10.2023, 09:31:08
Frage ich mich auch - ich dachte, nach der hM ist eine Leistung durch und an Geschäftsunfähige nicht möglich, weil die
Tilgungsbestimmungals empfangsbedürftige Willenserklärung behandelt wird?
gottloser Vernunftsjurist
20.4.2024, 21:06:07
Hallo ihr zwei, das sind zwei richtig gute Beiträge, weswegen ich mich damit auch nochmal näher befasst habe. Beide Aussagen von euch fußen auf dem Grundproblem, ob dem Leistungszweck zwingend ein rechtsgeschäftliches Element innewohnen muss. Hierzu gibt es dann natürlich zwei Ansichten. "Aus dem finalen Merkmal der Zweckgerichtetheit wird vielfach der Schluss gezogen, dass mit jeder Leistung eine Zweckbestimmung einhergehe. Diese sei als Willenserklärung oder zumindest als geschäftsähnliche Handlung, auf die die Regeln über Willenserklärungen entsprechend anzuwenden sind, zu qualifizieren – mit der Folge, dass die zivilrechtlichen Regeln über die Geschäftsfähigkeit und die Anfechtbarkeit zur Anwendung gelangen [BGH und Teil der Lehre]. Die Gegenauffassung verneint die rechtsgeschäftliche Natur der Zweckbestimmung und verlangt lediglich einen natürlichen Leistungswillen. [Erman und HK-BGB" (Staake, Gesetzliche Schuldverhältnisse, § 3 Rn. 25) Für diesen Fall bedeutet das: 1. Sofern man die Zweckgerichtetheit als tatsächliches Element ansieht, kommt es auf die natürliche Einsichtsfähigkeit an. Auch wenn jemand geschäftsunfähig ist, z.B. wegen einer unerkannten Geisteskrankheit, kann im konkreten Fall trotzdem noch die für eine Leistung i.S.d.
Bereicherungsrechts erforderliche natürliche Einsichtsfähigkeit vorliegen. Entscheidend ist, ob der Leistende bei der Zuwendung noch in der Lage war, deren Bedeutung in ihren Grundzügen zu erkennen und sein Handeln danach auszurichten. Dies kann auch bei Geschäftsunfähigen im Einzelfall noch möglich sein. Es kommt also auf den konkreten geistigen Zustand zum Zeitpunkt der Leistung an. Die Geschäftsunfähigkeit indiziert zwar eine fehlende Einsichtsfähigkeit, schließt sie aber nicht zwingend aus. Je nach Begründung kann man also die Leistung hier annehmen oder nicht. 2. Wenn man beim Leistungszweck ein rechtsgeschäftliches Element verlangt, welcher Natur auch immer, dann mangelte es für die Leistung der notwendigen Geschäftsfähigkeit gem. § 105 II BGB. In Betracht käme dann noch die
Eingriffskondiktion, wobei die Vorteile dieser Ansicht in der Folge fraglich bleiben.
Johannes Nebe
23.8.2023, 09:51:31
Das Kausalgeschäft B-C ist doch eher unwirksam als nichtig, oder?
kleinerPadawan
23.8.2023, 10:04:53
Wo ist denn da bitte der Unterschied? Auch wenn im Gesetz beide Begriffe Verwendung finden, ist damit dasselbe gemeint. Wirkung bzw. Ergebnis sind doch das Gleiche. Habe noch die davon gehört, dass hier begrifflich unterschieden wird. Das ist wohl mal wieder juristische Haarspalterei überflüssig auf die Spitze getrieben xD
Johannes Nebe
23.8.2023, 16:20:54
Ich dachte, ein nichtiges Rechtsgeschäft ist von Beginn an unwirksam, oder es, anders gesagt, ist nie existent gewesen. Kleiner Padawan, definiere für mich doch bitte genau die Grenze zwischen Haarspalterei und Präzision :)
Leo Lee
24.8.2023, 15:06:08
Hallo kleinerPadawan und Johannes Nebe, vielen Dank für den produktive Diskurs! In der Tat liegen Nichtigkeit und Unwirksamkeit nah beieinander, hier jedoch der dogmatische Unterscheid: I. Nichtige Erklärungen und Rechtsgeschäfte sind zwar tatsächlich, aber nicht rechtlich existent: Etwa §§ 104 I, 105, 125 1, 134, 138 BGB. Nur ausnahmsweise sieht das Gesetz zur Vermeidung von Rückforderungsansprüchen die Möglichkeit der Heilung nichtiger Willenserklärungen oder Rechtsgeschäfte vor, so etwa § 311b I 2 BGB. II. Unwirksame Willenserklärungen und Rechtsgeschäfte sind hingegen nicht bloß ein rein faktisches Geschehen, sondern erfüllen den Tatbestand einer Willenserklärung oder eines Rechtsgeschäfts. Sie sind auf Grund eines fehlenden Wirksamkeitserfordernisses allerdings (noch) nicht vollendet und daher auch (noch) ohne die gewollten Rechtsfolgen. Sie können jedoch noch WIRKSAM WERDEN. Beispiele hierfür sind: Verträge beschränkt Geschäftsfähiger (die schwebend unwirksam sind, aber noch wirksam werden können durch Zustimmung) oder Verträge des Vertreters ohne Vertretungsmacht. In der Klausur ist diese Unterscheidung nur von untergeordneter Bedeutung, da Sie auf das Ergebnis in den meisten Fällen (außer bei Genehmigungen nachträglich) keine Auswirkung haben :). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo
MayonnaiseOperator
30.12.2023, 20:21:56
Liebes Jurafuchs-Team, inwiefern besteht hier ein Kondiktionsanspruch A gg B? Hierfür müsste A an den B geleistet haben, also *bewusst* (…) das Vermögen des B bereichert haben; schließt die Geschäftsunfähigkeit durch Geisteskrankheit nicht eben genau das aus? Die Einsichtsfähigkeit hinsichtlich der Leistung dürfe hier doch in einem solchen Fall nicht angenommen werden? LG!
Amelie
14.5.2024, 13:19:23
Coole Frage! Habe gerade gegoogelt und bin hierauf gestoßen: “Zwar ist unter einer Leistung nach der gängigen Definition „jede bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens“ zu verstehen. Allerdings wird die Anwendung dieser Definition in schwierigen Fällen wohl kaum weiterhelfen. Denn zum einen muss der Leistende nicht wirklich bewusst, sondern lediglich zurechenbar handeln. Zum anderen ist nicht jeder verfolgte Zweck ausreichend.[...] Denn nach h.M. kann auch ein Geschäftsunfähiger eine wirksame
Tilgungsbestimmung[auch Zweckbestimmung genannt] treffen.” https://www.juraindividuell.de/artikel/
bereicherungsrechtliche-mehrpersonenverhaeltnisse/
david1234
23.2.2024, 18:33:18
Müsste der geschäftsunfähige nicht noch Eigentümer sei ? Sowohl dinglich als auch Verpflichtung nicht, da geschäftsunfähig?
Abhandenkommenist die Sache dann doch auch, da auch hier geschäftsunfähig, so wurde es in einem anderen Kapitel jedenfalls gelöst.
Leo Lee
26.2.2024, 18:46:54
Hallo David, vielen Dank für die sehr gute Frage! In der Tat ist die geschäftsunfähige A noch die Eigentümerin. Beachte jedoch, dass es hier nicht darum geht, dass A aus einem dinglichen Anspruch, sondern aus einem
bereicherungsrechtlichen Anspruch die Waschmaschine herausverlangt. D.h., dass in der Tat – wie du anmerkst – bei einem Geschäftsunfähigen sowohl 985 als auch 812 vorliegen wird. Da jedoch die vorliegende Einheit sich auf das
Bereicherungsrechtfokussierte, haben wir sofort den 812 geprüft. Hier hat A genauso einen Anspruch, da hier jegliche schuldrechtliche Verträge unwirksam waren. Beachte i.Ü., dass nur die Verpflichtung unwirksam, die Verfügung jedoch wirksam sein kann, wenn die A z.B. bei der
Übereignungin gesunder Verfassung war, bei der Verpflichtung jedoch nicht (nicht mal so seltene Konstellation in einer Klausur) :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
LS2024
10.3.2024, 10:28:03
Hier hätte B doch als Nichtberechtigter verfügt, da A bei der dinglichen Einigung geschäftsunfähig war. Damit würde sich der Anspruch des A nach BHG direkt gegen C auf Herausgabe des erlangten richten (§ 816 I 2 BGB analog). Nach hL dagegen könnte A von B die Kondiktion seines Kondiktionsanspruchs gegen C verlangen. Damit ist die Lösung nach beiden Ansichten falsch.
juravulpes
12.3.2024, 09:06:48
Laut SV ist (nur) der Kaufvertrag nichtig, nicht die dingliche Einigung.
LS2024
12.3.2024, 09:41:04
Mhm, fair. Nicht wirklich intuitiv, aber dann richtig.
Sassun
13.7.2024, 11:55:47
Auch noch in der aktuellen Auflage des Grünebergs (Stand: 2024) wird die Doppelkondiktion mit Verweis auf den BGH als "h.M." dargestellt, Grüneberg/Sprau § 812 Rn. 67. Die Wertersatzlösung wird nur mit "a.A." genannt.
Leo Lee
14.7.2024, 12:38:02
Hallo Sassun, vielen Dank für dein Feedback! In der Tat ist es nicht immer glücklich, wie die Begriffe „h.M.“ und „a.A.“ benutzt werden. Beachte, dass „h.M.“ prinzipiell eine etwas ungenaue Begrifflichkeit ist, zumal dieser Begriff impliziert, dass diese Meinung sowohl in der Rsp. Als auch in der Literatur geteilt wird. Dies ist aber ganz klar – bei diesem Problem – nicht der Fall. Denn die Lehre steht ganz klar hinter der Wertzersatzlösung, weshalb die Bezeichnung als „a.A.“ insofern unglücklich ist. Der Grund dahinter ist (vermutlich) der folgende: Der Grüneberg ist ein Kommentar, der traditionell von „Praktikern“ bearbeitet wird (dies erkannt man z.B. daran, dass aus den 12 Bearbeitern nur ein Bearbeiter aus der Lehre stammt; der Rest sind Richter bzw. Notare). Auch der Herr Hartwig Sprau, der den 812 kommentiert hat, ist Vizepräsdient des Bayerischen Obersten Landesgerichts a.D., weshalb aus seiner Sicht der Ansatz der Rspr. die „h.M.“ darstellen dürfte; das ist übrigens keine Seltenheit in Kommentaren (i.Ü. gibt es auch das gegenteilige Beispiel, in dem ein Prof etwa im MüKo die Literaturmeinung als „h.M.“ darstellt). Ich hoffe, dass sich dadurch unsere Bezeichnung als „h.L.“ verständlich geworden ist und sind selbstverständlich hier, falls du weitere Nachfragen hast :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo