Anfechtungsrecht des Verkäufers bei Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaft („Leibl-Duveneck-Fall“)


leicht

Diesen Fall lösen 77,7 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K kauft von V ein Gemälde von Duveneck für €5.000. Nachdem K durch einen Kunstkenner erfährt, dass das Gemälde tatsächlich von Leibl stammt und €25.000 wert ist, lässt er es öffentlich ausstellen. Dort sieht es V und verlangt das Gemälde zurück.

Einordnung des Falls

Anfechtungsrecht des Verkäufers bei Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaft („Leibl-Duveneck-Fall“)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das Gemälde ist mangelhaft, weil es nicht von Duveneck stammt (§ 434 Abs. 1 S. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Ein Sachmangel liegt vor bei einer negativen Abweichung der Ist- von der Soll-Beschaffenheit einer Sache. K kaufte von V ein Gemälde des berühmten Malers Duveneck. Bei einem solchen Kauf ist konkludent die Beschaffenheit vereinbart, dass das Bild auch tatsächlich von diesem Maler stammt. Da dies nicht der Fall war, ist das Gemälde mangelhaft im Sinne des subjektiven Fehlerbegriffes (§ 434 Abs. 1 S. 1 BGB). Dass das Gemälde objektiv wertvoller ist, ist hierbei unerheblich. Beim Stückkauf begründet jede Abweichung des geschuldeten Stücks von der Vereinbarung einen Sachmangel. K stehen grundsätzlich die sich aus § 437 BGB ergebenden Mängelrechte zu.

2. V kann sein Angebot auf Abschluss eines Kaufvertrags anfechten (§§ 142 Abs. 1, 119 Abs. 2 BGB), weil der Wert einer Sache eine verkehrswesentliche Eigenschaft ist.

Nein!

Der Eigenschaftsirrtum berechtigt zur Anfechtung, wenn der Erklärende über verkehrswesentliche Eigenschaften der Sache irrt. Verkehrswesentliche Eigenschaften einer Sache sind alle wertbildenden Faktoren, die der Sache auf Dauer anhaften und von der Verkehrsanschauung oder der Parteienabrede als wesentlich anzusehen sind. Der Wert der Sache selbst haftet ihr jedoch nicht auf Dauer an, sondern unterliegt marktwirtschaftlichen Schwankungen. Der Wert einer Sache stellt keine verkehrswesentliche Eigenschaft dar. Ein Irrtum hierüber berechtigt nicht zur Anfechtung. Allerdings kann der Irrtum über den Wert auf einer Fehleinschätzung von verkehrswesentlichen Eigenschaften beruhen.

3. Die kaufrechtliche Mängelhaftung schließt auch das Anfechtungsrecht des Verkäufers wegen eines Eigenschaftsirrtums aus.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die kaufrechtliche Mängelhaftung schließt das Anfechtungsrecht des Verkäufers wegen eines Eigenschaftsirrtums nicht aus. Da dem Verkäufer keine Gewährleistungsrechte zustehen, besteht kein Konkurrenzverhältnis zu den Mängelansprüchen. Er kann nur nicht anfechten, wenn er sich dadurch den Mängelrechten des Käufers entziehen würde. Hat die verkaufte Sache einen höheren Wert als eine Sache mit der vereinbarten Beschaffenheit, kann der Verkäufer unproblematisch anfechten. Es besteht keine Gefahr, dass die Gewährleistungsansprüche des Käufers umgangen werden, weil dieser bei einer wertvolleren Sache regelmäßig keine Mängelrechte geltend machen wird.

4. V hat die Anfechtung seiner auf Abschluss des Kaufvertrages gerichteten Willenserklärung wegen Eigenschaftsirrtum innerhalb der Anfechtungsfrist erklärt (§§ 143, 121 BGB).

Ja, in der Tat!

Die Anfechtung muss bei einem Inhalts-, Erklärungs-, Eigenschafts- oder Übermittlungsirrtum ohne schuldhaftes Zögern (unverzüglich) erfolgen, nachdem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat. Die Anfechtung erfolgt durch Erklärung gegenüber dem Anfechtungsgegner. Bei einem Vertrag ist das der andere Teil. Dabei muss das Wort „Anfechtung“ nicht benutzt werden, solange sich aus den Umständen der eindeutige Wille des Erklärenden ergibt, an den Vertrag nicht mehr gebunden sein zu wollen (§§ 133, 157 BGB). In dem sofortigen Zurückverlangen des V nach Erkennen des Irrtums liegt eine fristgerechte Anfechtungserklärung.

5. V kann Rückübergabe und -übereignung des Gemäldes verlangen (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).

Ja!

K hat Eigentum und Besitz an dem Gemälde durch Leistung des V erlangt. Durch die Anfechtung wird der Kaufvertrag als Rechtsgrund ex tunc, also von Anfang an nichtig, sodass er nie bestanden hat. Nach hM kann V somit nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB Übergabe und Übereignung des Gemäldes verlangen (nicht nach § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB wegen Wegfall des rechtlichen Grundes).

6. V kann auch seine Willenserklärung gerichtet auf Übereignung des Gemäldes anfechten, weil er sich über dessen Wert geirrt hat (§ 119 Abs. 2 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Grundsätzlich ist auch eine Anfechtung der Übereignungserklärung möglich, wenn ein Anfechtungsgrund vorliegt, auf dem die abgegebene Willenserklärung kausal beruht. Allerdings hat V das Gemälde nicht übereignet, weil er es für wertgering hielt oder sich über den Urheber irrte, sondern um seine Verpflichtung aus dem geschlossenen Kaufvertrag zu erfüllen. Der Eigenschaftsirrtum war also nicht kausal für die Abgabe der Übereignungserklärung. Dies wäre er nur, hätte V bei Kenntnis des wahren Herstellers gar nicht übereignet.

Jurafuchs kostenlos testen


HEI

Heinrich

27.1.2020, 19:35:15

Aus dem SV geht leider nicht hervor, wann V angefochten hat. Deshalb lässt sich die Frage, ob er fristgemäß angefochten hat, nicht beantworten.

TR

Tr(u)mpeltier

21.3.2020, 18:14:46

In der Tat hat V nicht explizit die Anfechtung erklärt. V hat jedoch das Bild gesehen und es direkt zuruckgefordert. Dies ist als Anfechtungserklärung auszulegen. Da er das Bild unmittelbar nach Kenntnisnahme zurückgefordert hat, hat er auch unverzüglich iSV §121 bgb gehandelt.

IUS

iustus

21.5.2021, 17:08:28

Warum kann der V den KV anfechten, wenn er nur über den Wert geirrt hat?!

Tigerwitsch

Tigerwitsch

21.5.2021, 19:11:17

V kann m.E. aufgrund seines Irrtums über die Urheberschaft des Künstlers anfechten. Dabei handelt es sich um eine verkehrswesentliche Eigenschaft. Du hast recht, dass der Wert/Preis an sich keine verkehrswesentliche Eigenschaft darstellt (arg.: der Preis ändert sich ständig, je nach Marktlage und kann daher der Sache nicht dauerhaft anhaften). Vorliegend ist es jedoch unerheblich, dass sich die Urheberschaft auf den (Markt-)Preis niederschlägt. Primär hat ja V gedacht, dass das Gemälde ein Künstler geschaffen hat, der nicht so bekannt ist (und in der Folge ist der Wert niedriger).

IUS

iustus

21.5.2021, 21:46:54

Ähnlich würde ich es auch sehen.

IUS

iustus

21.5.2021, 21:49:16

Ich habe mich bloß an der Fragestellung etwas gestört, weil nirgends steht, weshalb der V anfechten kann, und in den Erklärungen nur der Wert genannt wird. Vlt kann man in der Frage mit der Frist das entsprechend im Erklärtext ergänzen, Vlt habe ich es aber auch überlesen 😅

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

25.5.2021, 13:42:00

Hallo iustus, in der Tat ergab sich die Unkenntnis des V über die Urheberschaft nur implizit aus dem Sachverhalt (hätte er gewusst, dass das Gemälde von Leibl gewesen ist, hätte er es nicht als Duvenbeck verkauft). Wir haben den Anfechtungsgrund insofern entsprechend deiner Anregung noch in die Frage mit aufgenommen. Beste Grüße, Lukas

Arylion

Arylion

22.5.2021, 11:04:21

Warum kann V nicht grundsätzlich auch die

Übereignung

serklärung anfechten? In der Antwort heißt es, er hätte auch bei Kenntnis des wahren Herstellers übereignet. Es würde also an der Kausalität zwischen Irrtum und

Übereignung

serklärung fehlen. Inwiefern kann man das begründen? V hätte doch ganz sicher kein dingliches Angebot auf

Übereignung

des Gemäldes abgegeben, hätte er den wahren Hersteller schon gekannt. Mal abgesehen davon, dass man hier auch über

Fehleridentität

diskutieren könnte.

Tigerwitsch

Tigerwitsch

22.5.2021, 13:12:05

ME liegt es an zwei Dingen: 1) V wollte das Gemälde (abstrakt gesehen - unabhängig von der Urheberschaft) übereignen. Nur auf die

Übereignung

der Sache bezogen, war V damit einverstanden, dass das Eigentum übergeht. Demgegenüber - da hast Du recht - hat sich V über die Eigenschaft des wahren Urhebers geirrt. Hinsichtlich dieses Aspekts bezieht sich sein Irrtum jedoch allein auf das Verpflichtungsgeschäft, d.h. den Kaufvertrag. Diesen hat er primär anzufechten. Das Gemälde bekommt er ja im Anschluss über das Bereicherungsrecht zurück (§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB, da der KaufV als Rechtsgrund ex tunc wegfällt nach § 142 Abs. 1 BGB). 2) Ausnahmsweise wirkt sich die Anfechtung des Verpflichtungsgeschäft auch auf das Verfügungsgeschäft aus. Das gilt jedoch nur in engen Grenzen, da ansonsten das Abstraktions- und Trennungsprinzip obsolet wäre. Wie Du richtig erwähnst, handelt es sich bei dieser Ausnahme um die sog.

Fehleridentität

. Diese wird im Wesentlichen bei einer Anfechtung nach § 123 BGB angenommen. Natürlich könnte man argumentieren, dass sich im vorliegenden Fall der Irrtum über die Urheberschaft auch (zumindest mittelbar) auf das Verfügungsgeschäft ausgewirkt hat. Es besteht in der Literatur ein Meinungsstreit, ob das bereits ausreicht, um ein Anfechtungsrecht zu begründen (s. nur Armbrüster, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2018, § 119 Rn. 155 m.w.N.). Eine weitverbreitete Ansicht sieht als unmittelbares Motiv für die Verfügung den Willen an, die schuldrechtliche Verpflichtung (KaufV) zu erfüllen. Übertragen auf den konkreten Fall: Z. Zt. der

Übereignung

/Übergabe war V gar nicht bewusst, dass ein anderer Künstler das Gemälde erstellt hat. Er wollte lediglich den KaufV erfüllen. ———— Der BGH hat sich übrigens in der „Leibl-Entscheidung“ dazu nicht geäußert.

Tigerwitsch

Tigerwitsch

22.5.2021, 15:52:09

Siehe übrigens zum Nachlesen: Faust, BGB AT, § 19 Rn. 16 (unter den Fundstellen zu dieser Aufgabe findest Du das Buch).

Arylion

Arylion

23.5.2021, 10:52:19

Danke für die ausführliche Antwort.

PM

PM

22.10.2021, 16:05:46

Ich finde schon, dass V auch das Verfügungsgeschäft anfechten kann. V glaubte, ein Gemälde von Duveneck zu übereignen. Tatsächlich hat er jedoch ein Gemälde von Leibl übereignet. Folglich liegt auch bei dem Verfügungsgeschäft ein Inhaltsirrtum nach § 119 I Alt. 1 BGB vor.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

23.10.2021, 17:48:32

Hallo PM, hier kommen mal wieder die Rafinessen unseres Abstraktionsprinzip ins Spiel. Insofern darf man hier nicht vorschnell auch bezüglich des Verfügungsgeschäfts einen Irrtum annehmen. Natürlich war die Fehlvorstellung über den Künstler mittelbar kausal für das Verfügungsgeschäft. Unmittelbares Motiv für die Verfügung ist aber zunächst einmal der Wille das Verpflichtungsgeschäft zu erfüllen. Der Irrtum ändert grundsätzlich auch nichts daran, dass hier V über das Bild verfügen will (Verfügungsgeschäft), sondern in erster Linie, welchen Gegenwert er erhalten möchte (anders nur, wenn V sonst überhaupt nicht verkauft hätte). Der Gegenwert ergibt sich allerdings aus dem Verpflichtungsgeschäft, welches er ja auch erfolgreicht angefochten hat. Das in einem Fall wie diesem die Anfechtung des Verfügungsgeshcäftes ausscheidet, ist zwar die herrschende Auffassung aber natürlich auch nicht unumstritten. Vielmehr gibt es auch in der Literatur Stimmen, die in einem Fall, wie dem vorliegenden, die Anfechtung des Verfügungsgeschäfts beim

Eigenschaftsirrtum

bejahen (vgl. Armbrüster, in: MüKo-BGB, 9.A. 2021, § 119 RdNr. 159). Insofern bist Du mit Deiner Lösung auch nicht allein :-). Beste Grüße, Lukas- für das Jurafuchs-Team

PM

PM

23.10.2021, 23:48:22

Alles klar, danke für die Antwort👍

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

15.12.2021, 12:00:27

Gibt es überhaupt einen Fall, in dem jemand nicht aus dem Grund der Vertragserfüllung übereignet? Wenn ja, habt ihr ein Beispiel dafür? Weil ansonsten würde man die Frage, ob er die Willenserklärung zur

Übereignung

anfechten kann, ja immer nur mit nein beantworten können.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

15.12.2021, 18:22:11

Hallo Svenja, vielen Dank für Deine Frage. In der Tat wird man üblicherweise die

Übereignung

zur Vertragserfüllung vornehmen - und sei es nur ein Schenkungsvertrag. Aufgrund des Abstraktions- und Trennungsprinzips soll aber der Irrtum auf schuldrechtlicher Ebene nicht automatisch zu einem Anfechtungsrecht des dinglichen Geschäftes führen. Ein Beispiel für einen Irrtum auf dinglicher Ebene wäre aber zB die

Übereignung

des falschen Gegenstandes. Greife ich in das Regal und will das Buch "In 80 Tagen um die Welt" auswählen und versende dann aber versehentlich die handsignierte Ausgabe von "Harry Potter und der Halbblutprinz", so liegt hierin ein Irrtum, der auf dinglicher Ebene stattfindet und insoweit angefochten werden kann. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

SI

silasowicz

19.8.2023, 14:15:46

Ich finde diese Erklärung viel überzeugender als den Erklärungstext (Ich habe besonders Probleme bei der Passage: "Dies wäre er nur, hätte er bei Kenntnis des wahren Herstellers gar nicht übereignet."), da der Unterschied zum Irrtum hinsichtlich Verpflichtungsgeschäft dadurch irgendwie verwischt wird. Habt ihr auch noch ein Beispiel für einen Inhaltsirrtum bei einem vergleichbaren Verfügungsgeschäft?

SI

sinaaaa

11.1.2023, 15:24:42

Hier liegt ein Sachmangel weil die Vase von einem anderen Künstler stammt. Aber ich dachte man kann einen Sachmangel im Rahmen eines

Eigenschaftsirrtum

s nicht anfechten. Wieso hier schon?

Sambajamba10

Sambajamba10

25.1.2023, 10:00:07

Bei dem Käufer wird dies ausgeschlossen, weil er die kaufrechtlichen Spezifika damit umgehen würde. Bei dem Verkäufer wird dies grundsätzlich nicht ausgeschlossen, da er keine Gewährleistungsrechte geltend machen kann


© Jurafuchs 2024