Zivilrecht
BGB Allgemeiner Teil
Anfechtung der Willenserklärung
Anfechtungsrecht des Verkäufers bei Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaft („Leibl-Duveneck-Fall“)
Anfechtungsrecht des Verkäufers bei Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaft („Leibl-Duveneck-Fall“)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
K kauft von V ein Gemälde von Duveneck für €5.000. Nachdem K durch einen Kunstkenner erfährt, dass das Gemälde tatsächlich von Leibl stammt und €25.000 wert ist, lässt er es öffentlich ausstellen. Dort sieht es V und verlangt das Gemälde zurück.
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Einordnung des Falls
Anfechtungsrecht des Verkäufers bei Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaft („Leibl-Duveneck-Fall“)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Das Gemälde ist mangelhaft, weil es nicht von Duveneck stammt (§ 434 Abs. 1 BGB).
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. V kann sein Angebot auf Abschluss eines Kaufvertrags anfechten (§§ 142 Abs. 1, 119 Abs. 2 BGB), weil der Wert einer Sache eine verkehrswesentliche Eigenschaft ist.
Nein!
3. Die kaufrechtliche Mängelhaftung schließt auch das Anfechtungsrecht des Verkäufers wegen eines Eigenschaftsirrtums aus.
Nein, das ist nicht der Fall!
4. V hat die Anfechtung seiner auf Abschluss des Kaufvertrages gerichteten Willenserklärung wegen Eigenschaftsirrtum innerhalb der Anfechtungsfrist erklärt (§§ 143, 121 BGB).
Ja, in der Tat!
5. V kann Rückübergabe und -übereignung des Gemäldes verlangen (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).
Ja!
6. V kann auch seine Willenserklärung gerichtet auf Übereignung des Gemäldes anfechten, weil er sich über dessen Wert geirrt hat (§ 119 Abs. 2 BGB).
Nein, das ist nicht der Fall!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Heinrich
27.1.2020, 19:35:15
Aus dem SV geht leider nicht hervor, wann V angefochten hat. Deshalb lässt sich die Frage, ob er fristgemäß angefochten hat, nicht beantworten.
Tr(u)mpeltier
21.3.2020, 18:14:46
In der Tat hat V nicht explizit die Anfechtung erklärt. V hat jedoch das Bild gesehen und es direkt zuruckgefordert. Dies ist als Anfechtungserklärung auszulegen. Da er das Bild unmittelbar
nach Kenntnisnahmezurückgefordert hat, hat er auch unverzüglich iSV
§121 bgbgehandelt.
iustus
21.5.2021, 17:08:28
Warum kann der V den KV anfechten, wenn er nur über den Wert geirrt hat?!
Tigerwitsch
21.5.2021, 19:11:17
V kann m.E. aufgrund seines Irrtums über die Urheberschaft des Künstlers anfechten. Dabei handelt es sich um eine
verkehrswesentliche Eigenschaft. Du hast recht, dass der Wert/Preis an sich keine
verkehrswesentliche Eigenschaftdarstellt (arg.: der Preis ändert sich ständig, je nach Marktlage und kann daher der Sache nicht dauerhaft anhaften). Vorliegend ist es jedoch
unerheblich, dass sich die Urheberschaft auf den (Markt-)Preis niederschlägt. Primär hat ja V gedacht, dass das Gemälde ein Künstler geschaffen hat, der nicht so bekannt ist (und in der Folge ist der Wert niedriger).
iustus
21.5.2021, 21:46:54
Ähnlich würde ich es auch sehen.
iustus
21.5.2021, 21:49:16
Ich habe mich bloß an der Fragestellung etwas gestört, weil nirgends steht, weshalb der V anfechten kann, und in den Erklärungen nur der Wert genannt wird. Vlt kann man in der Frage mit der Frist das entsprechend im Erklärtext ergänzen, Vlt habe ich es aber auch überlesen 😅
Lukas_Mengestu
25.5.2021, 13:42:00
Hallo iustus, in der Tat ergab sich die Unkenntnis des V über die Urheberschaft nur implizit aus dem Sachverhalt (hätte er gewusst, dass das Gemälde von Leibl gewesen ist, hätte er es nicht als Duvenbeck verkauft). Wir haben den Anfechtungsgrund insofern entsprechend deiner Anregung noch in die Frage mit aufgenommen. Beste Grüße, Lukas
Arylion
22.5.2021, 11:04:21
Warum kann V nicht grundsätzlich auch die
Übereignungserklärung anfechten? In der Antwort heißt es, er hätte auch bei Kenntnis des wahren Herstellers übereignet. Es würde also an der Kausalität zwischen Irrtum und
Übereignungserklärung fehlen. Inwiefern kann man das begründen? V hätte doch ganz sicher kein dingliches Angebot auf
Übereignungdes Gemäldes abgegeben, hätte er den wahren Hersteller schon gekannt. Mal abgesehen davon, dass man hier auch über
Fehleridentitätdiskutieren könnte.
Tigerwitsch
22.5.2021, 13:12:05
ME liegt es an zwei Dingen: 1) V wollte das Gemälde (abstrakt gesehen - unabhängig von der Urheberschaft) übereignen. Nur auf die
Übereignungder Sache bezogen, war V damit einverstanden, dass das Eigentum übergeht. Demgegenüber - da hast Du recht - hat sich V über die Eigenschaft des wahren Urhebers geirrt. Hinsichtlich dieses Aspekts bezieht sich sein Irrtum jedoch allein auf das
Verpflichtungsgeschäft, d.h. den Kaufvertrag. Diesen hat er primär anzufechten. Das Gemälde bekommt er ja im Anschluss über das
Bereicherungsrechtzurück (§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB, da der KaufV als Rechtsgrund ex tunc wegfällt nach § 142 Abs. 1 BGB). 2) Ausnahmsweise wirkt sich die Anfechtung des
Verpflichtungsgeschäftauch auf das
Verfügungsgeschäftaus. Das gilt jedoch nur in engen Grenzen, da ansonsten das Abstraktions- und Trennungsprinzip obsolet wäre. Wie Du richtig erwähnst, handelt es sich bei dieser Ausnahme um die sog.
Fehleridentität. Diese wird im Wesentlichen bei einer Anfechtung nach § 123 BGB angenommen. Natürlich könnte man argumentieren, dass sich im vorliegenden Fall der Irrtum über die Urheberschaft auch (zumindest mittelbar) auf das
Verfügungsgeschäftausgewirkt hat. Es besteht in der Literatur ein Meinungsstreit, ob das bereits ausreicht, um ein Anfechtungsrecht zu begründen (s. nur Armbrüster, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2018, § 119 Rn. 155 m.w.N.). Eine weitverbreitete Ansicht sieht als unmittelbares Motiv für die Verfügung den Willen an, die schuldrechtliche Verpflichtung (KaufV) zu erfüllen. Übertragen auf den konkreten Fall: Z. Zt. der
Übereignung/Übergabe war V gar nicht bewusst, dass ein anderer Künstler das Gemälde erstellt hat. Er wollte lediglich den KaufV erfüllen. ———— Der BGH hat sich übrigens in der „Leibl-Entscheidung“ dazu nicht geäußert.
Tigerwitsch
22.5.2021, 15:52:09
Siehe übrigens zum Nachlesen: Faust, BGB AT, § 19 Rn. 16 (unter den Fundstellen zu dieser Aufgabe findest Du das Buch).
Arylion
23.5.2021, 10:52:19
Danke für die ausführliche Antwort.
PM
22.10.2021, 16:05:46
Ich finde schon, dass V auch das
Verfügungsgeschäftanfechten kann. V glaubte, ein Gemälde von Duveneck zu übereignen. Tatsächlich hat er jedoch ein Gemälde von Leibl übereignet. Folglich liegt auch bei dem
Verfügungsgeschäftein
Inhaltsirrtumnach § 119 I Alt. 1 BGB vor.
Lukas_Mengestu
23.10.2021, 17:48:32
Hallo PM, hier kommen mal wieder die Rafinessen unseres Abstraktionsprinzip ins Spiel. Insofern darf man hier nicht vorschnell auch bezüglich des
Verfügungsgeschäfts einen Irrtum annehmen. Natürlich war die Fehlvorstellung über den Künstler mittelbar kausal für das
Verfügungsgeschäft. Unmittelbares Motiv für die Verfügung ist aber zunächst einmal der Wille das
Verpflichtungsgeschäftzu erfüllen. Der Irrtum ändert grundsätzlich auch nichts daran, dass hier V über das Bild verfügen will (
Verfügungsgeschäft), sondern in erster Linie, welchen Gegenwert er erhalten möchte (anders nur, wenn V sonst überhaupt nicht verkauft hätte). Der Gegenwert ergibt sich allerdings aus dem
Verpflichtungsgeschäft, welches er ja auch erfolgreicht angefochten hat. Das in einem Fall wie diesem die Anfechtung des Verfügungsgeshcäftes ausscheidet, ist zwar die herrschende Auffassung aber natürlich auch nicht unumstritten. Vielmehr gibt es auch in der Literatur Stimmen, die in einem Fall, wie dem vorliegenden, die
Anfechtung des Verfügungsgeschäftsbeim
Eigenschaftsirrtumbejahen (vgl. Armbrüster, in: MüKo-BGB, 9.A. 2021, § 119 RdNr. 159). Insofern bist Du mit Deiner Lösung auch nicht allein :-). Beste Grüße, Lukas- für das Jurafuchs-Team
PM
23.10.2021, 23:48:22
Alles klar, danke für die Antwort👍
ehemalige:r Nutzer:in
15.12.2021, 12:00:27
Gibt es überhaupt einen Fall, in dem jemand nicht aus dem Grund der Vertragserfüllung übereignet? Wenn ja, habt ihr ein Beispiel dafür? Weil ansonsten würde man die Frage, ob er die Willenserklärung zur
Übereignunganfechten kann, ja immer nur mit nein beantworten können.
Lukas_Mengestu
15.12.2021, 18:22:11
Hallo Svenja, vielen Dank für Deine Frage. In der Tat wird man üblicherweise die
Übereignungzur Vertragserfüllung vornehmen - und sei es nur ein Schenkungsvertrag. Aufgrund des Abstraktions- und Trennungsprinzips soll aber der Irrtum auf schuldrechtlicher Ebene nicht automatisch zu einem Anfechtungsrecht des dinglichen Geschäftes führen. Ein Beispiel für einen Irrtum auf dinglicher Ebene wäre aber zB die
Übereignungdes falschen Gegenstandes. Greife ich in das Regal und will das Buch "In 80 Tagen um die Welt" auswählen und versende dann aber versehentlich die handsignierte Ausgabe von "Harry Potter und der Halbblutprinz", so liegt hierin ein Irrtum, der auf dinglicher Ebene stattfindet und insoweit angefochten werden kann. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
silasowicz
19.8.2023, 14:15:46
Ich finde diese Erklärung viel überzeugender als den Erklärungstext (Ich habe besonders Probleme bei der Passage: "Dies wäre er nur, hätte er bei Kenntnis des wahren Herstellers gar nicht übereignet."), da der Unterschied zum Irrtum hinsichtlich
Verpflichtungsgeschäftdadurch irgendwie verwischt wird. Habt ihr auch noch ein Beispiel für einen
Inhaltsirrtumbei einem vergleichbaren
Verfügungsgeschäft?
Antonia
5.9.2024, 12:08:34
@[Lukas_Mengestu](136780) Wäre dein Beispiel mit den Büchern ein Fall des Erklärungsirrtums?
juramaus1
3.11.2024, 16:48:27
@[Lukas_Mengestu](136780) Hast du auch ein Beispiel für einen Inhalts-oder
Eigenschaftsirrtumbeim
Verfügungsgeschäft?
sinaaaa
11.1.2023, 15:24:42
Hier liegt ein Sachmangel weil die Vase von einem anderen Künstler stammt. Aber ich dachte man kann einen Sachmangel im Rahmen eines
Eigenschaftsirrtums nicht anfechten. Wieso hier schon?
Sambajamba10
25.1.2023, 10:00:07
Bei dem Käufer wird dies ausgeschlossen, weil er die kaufrechtlichen Spezifika damit umgehen würde. Bei dem Verkäufer wird dies grundsätzlich nicht ausgeschlossen, da er keine Gewährleistungsrechte geltend machen kann
Daniel
5.11.2024, 22:06:29
In der Lösung heißt es, dass nach § 119 Abs. 2 BGB nicht wegen
Eigenschaftsirrtumangefochten werden kann. Dann heißt es, dass die Anfechtungserklärung rechtzeitig zuging und nach § 812 Abs. 1 Var. 1 BGB das Bild herausgefordert werden kann. Aber was ist der Anfechtungsgrund? Wohl ist gemeint, dass der Wert (der Preis in Euro) nicht die
verkehrswesentliche Eigenschaftist, jedoch aber der wertbildende Faktor (Urheber des Bildes)
verkehrswesentliche Eigenschaftsein kann. Könntet ihr das bitte noch klarstellen?