+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
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Klassisches Klausurproblem
O fordert ununterbrochen nicht bestehende Schulden von T ein und wird dabei zunehmend gewalttätig. T plant O beim nächsten Übergabetreffen mit einer Waffe zu drohen, um O einzuschüchtern und dem Ganzen so ein Ende zu setzen. O bleibt davon unbeeindruckt, weil er die Waffe für unecht hält. Deshalb schießt T ihm in den Kopf.
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Einordnung des Falls
Der BGH hat eine Mordverurteilung im sogenannten „Porsche-Mord" Fall aufgehoben und in Totschlag geändert. Das Gericht entschied, dass ein Opfer von Erpressung, das aus Notwehr eine andere Person erschießt, nicht die Kriterien für die Mordmerkmale der Arg- und Heimtücke erfülle. Ferner sei ein Erpresser in dieser Situation nicht arglos, da er immer damit rechnen müsse, dass sein Opfer das Recht auf Selbstverteidigung ausübt. Das Merkmale der Heimtücke sei auch dann restriktiv auszulegen, wenn das Opfer die Grenzen der Notwehr überschreite.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Könnte T sich wegen Totschlags strafbar gemacht haben, indem er O in den Kopf schoss (§ 212 Abs. 1 StGB)?
Ja!
T hat O durch den Kopfschuss vorsätzlich getötet und damit den Tatbestand des Totschlags erfüllt. Ob dies möglicherweise gerechtfertigt oder entschuldigt ist, kommt darauf an, ob die Voraussetzungen eines Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrundes vorliegen.
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2. Ist die Tötung des O gerechtfertigt, wenn T in Notwehr gehandelt hat (§ 32 StGB)?
Genau, so ist das!
Der Rechtfertigungsgrund der Notwehr setzt einen (1) gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff (Notwehrlage) sowie eine (2) erforderliche und gebotene Verteidigungshandlung (Notwehrhandlung), die von einem (3) Verteidigungswillen gedeckt ist, voraus.
3. Lag ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff des O auf T vor, als T dem O in den Kopf schoss?
Ja, in der Tat!
Ein Angriff ist jede durch menschliches Verhalten drohende Verletzung rechtlich geschützter Güter oder Interessen. Er ist gegenwärtig, wenn er unmittelbar bevorsteht, begonnen hat oder noch andauert. Er ist rechtswidrig, wenn er objektiv im Widerspruch zur Rechtsordnung steht.
BGH: T sei nicht nur einem latenten, sondern einem andauernden und damit gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff auf seine Willensfreiheit und seinem Vermögen ausgesetzt, weil die gewalttätigen Übergriffe und Drohungen des O ununterbrochen fortwirkten. (RdNr. 7).
Prüfe genau, ob der Angriff schon/noch gegenwärtig ist oder nur eine latente Dauergefahr vorliegt. Das schneidige Notwehrrecht greift bei bloßer Präventivnotwehr nicht.
4. War der Kopfschuss erforderlich, um den Angriff des O abzuwenden?
Nein!
Eine Notwehrhandlung ist erforderlich, wenn sie geeignet ist, den Angriff zu beenden und Art und Maß der Verteidigungshandlung der drohenden Gefahr entsprechen. Die vom Täter gewählte Verteidigung muss das mildeste unter gleich tauglichen Mitteln sein. Der Angegriffene muss sich aber nicht auf das Risiko einer unzureichenden Abwehrhandlung einlassen.
Es wäre T möglich und zumutbar gewesen, die Strafverfolgungsbehörden über die Angriffe des O zu informieren. Somit war der Kopfschuss nicht das mildeste unter gleich tauglichen Mitteln.
Selbst wenn das Einschalten der Polizei den Angriff in dieser konkreten Situation nicht mit Sicherheit abgewendet hätte, wäre eine sofortige Schussabgabe auch nach der Drei-Stufen-Theorie (1. Drohen, 2. weniger gefährlicher Einsatz, 3. tödlicher EInsatz) nicht erforderlich.
5. Ist Ts Handeln trotz Überschreitung der Notwehrgrenzen entschuldigt (§33 StGB)?
Nein, das ist nicht der Fall!
Die tatbestandsmäßige Handlung ist entschuldigt, wenn die Grenzen der Notwehr im Zeitpunkt der Notwehrlage aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken (asthenische Affekte) überschritten werden (§33 StGB).
T befand sich in einer Notwehrlage. Er hat den Schuss jedoch nicht aus Furcht oder Schrecken abgegeben.
6. Liegen die Voraussetzungen des entschuldigenden Notstands vor (§ 35 StGB)?
Nein, das trifft nicht zu!
Die tatbestandsmäßige, rechtswidrige Tat ist auch dann entschuldigt, wenn eine gegenwärtige Gefahr für Leib oder Leben des Täters oder eines nahen Angehörigen besteht (Notstandslage) und eine zur Abwehr erforderliche Handlung (Notstandshandlung) vorliegt. Die Notstandshandlung muss geeignet und das mildeste unter gleichwirksamen Mitteln sein, die Gefahr zu beseitigen. Der Schaden darf darüber hinaus nicht in einem krassen Missverhältnis zur Schwere der Gefahr stehen.
Es war T möglich und zumutbar, die von O ausgehende Gefahr durch Einschalten der Strafverfolgungsbehörden abzuwenden, sodass seine Verteidigungshandlung nicht erforderlich war. T hat sich somit des Totschlags strafbar gemacht (§ 212 Abs. 1 StGB)
7. Könnte T sich zudem wegen Mordes strafbar gemacht (§ 211 StGB)?
Ja!
Mörder ist, wer (1) einen anderen Menschen tötet und dabei (2) mindestens ein Mordmerkmal erfüllt.T hat O durch den Schuss getötet. Ob er sich des Mordes strafbar gemacht hat, hängt davon ab, ob er zusätzlich ein Mordmerkmal verwirklicht hat.Anders als beim Totschlag besteht beim Mord kein Spielraum im Hinblick auf die Bestrafung des Täters. Das Gesetz sieht ausschließlich die lebenslange Freiheitsstrafe vor. Aufgrund dieses Umstandes ist das Vorliegen von Mordmerkmalen - und damit die Abgrenzung zum Totschlag - besonders gründlich zu prüfen.
8. Könnte T durch den Kopfschuss das Merkmal der Heimtücke verwirklicht haben (§ 211 Abs. 2 Gruppe 2 Var. 1 StGB)?
Genau, so ist das!
Heimtückisch handelt, wer in feindseliger Willensrichtung die Arg- und dadurch bedingte Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt.
Arglos ist das Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten erheblichen Angriff rechnet. Wehrlos ist, wer infolge der Arglosigkeit zur Verteidigung außerstande oder in seinen Verteidigungsmöglichkeiten stark eingeschränkt ist.
9. Könnte O zum Zeitpunkt der Schussabgabe arglos gewesen sein?
Ja, in der Tat!
BGH: Der Erpresser müsse zwar jederzeit mit einer Ausübung des Notwehrrechts durch sein Opfer rechnen, sodass bereits die Grundkonstellation gegen dessen Arglosigkeit spreche. Deren Vorliegen ist aber dennoch aufgrund einer Gesamtwürdigung der konkreten Tatumstände im Einzelfall festzustellen. (RdNr. 15)
O blieb von Ts Waffe unbeeindruckt, weil er diese für unecht hielt. Zudem hatte T sich bis zur Schussabgabe nicht gegen die körperliche Übergriffe des O gewehrt, sodass O trotz der Erpressungssituation arglos gewesen sein könnte.Ob der Erpresser im zugrundeliegenden Ausgangsfall tatsächlich arglos war, konnte der BGH offenlassen. Dazu gleich mehr.
10. Ist das Heimtückemerkmal in Anbetracht der Notwehrlage als erfüllt anzusehen?
Nein!
BGH: Es erscheine bei wertender Betrachtung nicht systemgerecht, dem sich wehrenden Opfer das Risiko aufzubürden, bei Überschreitung der rechtlichen Grenzen der Rechtfertigung oder der Entschuldigung direkt das Mordmerkmal der Heimtücke zu verwirklichen. (RdNr. 16) Denn der eigentliche Angreifer sei hier der Erpresser.
Ts tödlicher Gegenwehr wohnt nicht das Tückische inne, das den gesteigerten Unwert der Heimtücke kennzeichnet. O musste als Angreifer mit der Ausübung des T zustehenden Notwehrrechts rechnen.
Merkhilfe: Auch wenn das Opfer tatsächlich arglos war, es dies nicht aber nicht sein durfte, handelt der Täter in der Regel nicht heimtückisch(normative Korrektur der Heimtücke).