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Isolierte Anfechtung von Nebenbestimmungen (BVerwG, Beschl. v. 29.03.2022 – 4 C 4.20) – „Streit“ der Senate
Isolierte Anfechtung von Nebenbestimmungen (BVerwG, Beschl. v. 29.03.2022 – 4 C 4.20) – „Streit“ der Senate
2. Juli 2025
31 Kommentare
4,8 ★ (66.277 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A beantragt eine Baugenehmigung für eine mobile Gastankstelle. Behörde B erteilt die Genehmigung mit einer Befristung von zwei Jahren. Als A gerichtlich gegen die Befristung vorgeht, stellt sich heraus, dass die Genehmigung auch mit Befristung rechtswidrig ist.
Diesen Fall lösen 79,6 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Isolierte Anfechtung von Nebenbestimmungen (BVerwG, Beschl. v. 29.03.2022 – 4 C 4.20) – „Streit“ der Senate
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Nebenbestimmungen zu einem Hauptverwaltungsakt sind nach herrschender Lehre und BVerwG grundsätzlich isoliert anfechtbar.
Ja, in der Tat!
2. Ist die isolierte Anfechtbarkeit einer Nebenbestimmung nach der Rechtsprechung des BVerwG immer möglich?
Nein!
3. Es bestand zwischen zwei Senaten des BVerwG Uneinigkeit darüber, ob die isolierte Anfechtbarkeit der Nebenbestimmung auch dann ausgeschlossen sein soll, wenn der verbleibende Hauptverwaltungsakt aus anderen Gründen rechtswidrig ist.
Genau, so ist das!
4. Der 4. Senat des BVerwG hat weiterhin den Standpunkt vertreten, dass es für die isolierte Anfechtbarkeit von Nebenbestimmungen nicht darauf ankommt, ob der Hauptverwaltungsakt selbst rechtswidrig ist.
Ja, in der Tat!
5. Besonders der effektive Rechtsschutz spricht dafür, zur ursprünglichen Rechtsprechung (vor der Entscheidung aus 2019) zurückzukehren.
Ja!
6. Für eine inzidente Rechtmäßigkeitsprüfung des Hauptverwaltungsakt spricht jedoch die präjudizielle Wirkung des Urteils.
Nein, das ist nicht der Fall!
7. As Baugenehmigung ist unabhängig vom möglichen Wegfall der Befristung rechtswidrig. Ist die isolierte Anfechtung der Befristung bereits aus diesem Grund unbegründet?
Nein, das trifft nicht zu!
8. Auf der Grundlage der Entscheidung des 8. Senats aus 2019 wäre As Anfechtung der Befristung unbegründet.
Ja, in der Tat!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Hille93
20.2.2024, 09:35:31
Ich verstehe nicht so ganz, was A davon hat, die Befristung isoliert anzufechten; wenn doch die Baugenehmigung für sich schon
rechtswidrigist. Im Fall hat sich die
Rechtswidrigkeit des VA anscheinend erst im Prozess rausgestellt... mein Ansatz wäre dann doch aber, was will A (Gedanke des § 88 VwGO): A will vermutlich im Ergebnis eine rechtmäßige Genehmigung? ...🤔
Sue0412
20.2.2024, 10:27:38
Ich verstehe das so, dass A nur die Nebenbestimmung als solche (die Befristung des VAs) anficht (das ist sein Klagebegehren). Dass der VA
rechtswidrigist, ändert erstmal nichts an seiner Wirksamkeit. Zunächst ist As Vertrauen in den (wenn auch rw) VA geschützt (Stichwort: Bestandskraft). Dieser wird ja durch die isolierte Anfechtung der NB nicht berührt, solange seine
Rechtswidrigkeit nicht aus dem Wegfall der Nebenbestimmung resultiert. Aber die
Behördekönnte natürlich den
rechtswidrigen VA nach
48 VwVfGzurücknehmen, wenn die Voraussetzungen vorliegen. Und A müsste dann erneut gegen die Rücknahme des VA klagen.
Entenpulli
5.3.2024, 09:40:05
@[Hille93](195144) Das hat viel mit den Kosten zu tun. Nach der neuen Rspr. gewinnt A seine Klage und die Beklagte muss die Kosten tragen. Außerdem besagt § 48 III
1 VwVfG"Wird ein
rechtswidriger Verwaltungsakt, der nicht unter Absatz 2 fällt, zurückgenommen, so hat die
Behördedem Betroffenen auf Antrag den
Vermögensnachteilauszugleichen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist." Da der VA noch immer Bestand hat und nur die NB wegfällt, muss der VA nach
§ 48 VwVfGzurückgenommen werden, was As Situation somit verbessert. (so habe ich das zumindest verstanden)
aylin.
20.2.2024, 23:23:37
Vielen Dank für den Fall! Wäre super, wenn ihr kurz meinen Aufbau beurteilen könntet, da ich mir diesbezüglich unsicher bin..🙃 A. Zulässigkeit -
Statthafte Klageart: § 42 I Alt. 1 VwGO gerichtet auf Aufhebung der Nebenbestimmung -> Abgrenzung: Inhalts-/Schrankbestimmung, um festzustellen, dass die Nebenbestimmung anfechtbar ist -
Klagebefugnis, § 42 II VwGO: Nebenbestimmung = Belastender Zusatz des VA ->
AdressatentheorieB.
BegründetheitI. Rechtmässigkeit der Nebenbestimmung 1. Rechtsgrundlage 2. Formelle RMK 3. Materielle RMK -> Inzidente Prüfung der Baugenehmigung? -> Feststellung, dass die Nebenbestimmung grundsätzlich rechtmässig ist, aber der VA
rechtswidrig? Könnte das Gericht in solch einer Konstellation die Baugenehmigung aufheben? Wenn ja, würde dies nicht gegen Art. 19 IV GG widersprechen? Vielen Dank :))
leaaa2000
21.2.2024, 18:42:25
Hey, also in der
Begründetheitprüfst du zuerst die RMK der Nebenbestimmung. Ist sie rechtmäßig, hat der Kläger keinen Anspruch auf Aufhebung (dann ist es auch egal, ob der Haupt-VA
rechtswidrigist, das ist ja gar nicht das Begehren des Klägers, ihm geht es ja nur um die Nebenbestimmung). Ist die NB hingegen
rechtswidrig, muss weiter geprüft werden, ob materielle Teilbarkeit gegeben ist. Dazu prüfst du, ob der Rest-VA (die Baugenehmigung) rechtmäßig ist. Nach alter Rechtsprechung ist die materielle Teilbarkeit nicht gegeben, wenn der Rest-VA
rechtswidrigist, egal, ob wegen des Fehlens der NB oder aus anderen Gründen. Nach neuer Rechtsprechung ist die materielle Teilbarkeit aber gegeben, wenn der Rest-VA aus anderen Gründen
rechtswidrigist! Du musst also zusätzlich nach der RMK-Prüfung noch feststellen (wenn die Baugenehmigung
rechtswidrigist) woraus diese RWK jetzt herrührt. Liegt der Grund für die RWK nicht an dem Wegfall der Nebenbestimmung, ist materielle Teilbarkeit gegeben, das Gericht wird die NB aufheben. Warum ist das so? Durch den ja wirksam erlassenen Haupt-Va entsteht eine schutzwürdige Position, eine
rechtswidrige NB beeinträchtigt diese, egal, ob der Haupt-Va rechtmäßig oder
rechtswidrigist. Außerdem hat der Kläger nunmal nicht den Haupt-Va, sondern die NB angefochten. Das führt auch dazu, dass der Haupt-VA bestandskräftig wird, daher soll dem Kläger die RWK dessen auch nicht entgegengehalten werden können. Im Gegenteil soll er auf dessen Bestandskraft vertrauen können. Zu deiner Frage, nein das Gericht wird den
rechtswidrigen VA (und kann auch gar nicht) nicht aufheben. Du brauchst also nach Feststellung der Rechtmäßigkeit der NB, nicht mehr zu prüfen, ob der Rest-VA
rechtswidrigist. Vielleicht kann man sich merken, dass du zu diesem Problem bzw. zur neuen Rechtsprechung nur kommst, wenn die NB
rechtswidrigist, der Rest-VA auch
rechtswidrigist, aber aus anderen Gründen als wegen des Wegfalls der NB. Liebe Grüße :)

Władysław II. Jagiełło
21.2.2024, 19:59:11
Firma dankt!
Bioshock Energy
11.9.2024, 13:55:45
Also muss man die materielle RMK des Haupt VA durch die neue Rspr. zweimal Prüfen: (1) Einmal ob der Haupt VA generell rechtmäßig ist, ohne die NB. Wenn Nein (2) ob der
Rechtswidrige Rest VA mit der angefochtenen NB rechtmäßig wäre?

CR7
23.2.2024, 10:35:46
Liebes Team, danke für die wichtige Aufarbeitung. Ich habe aber eine kleine Anmerkung, da mich ein Punkt wirklich verwirrt hat. Ihr sprecht von der "alten Rechtsprechung" des BVerwG. Das ist aber so nicht ganz richtig. In dem hier vorliegenden Urteil sagt das BVerwG in Rn. 8 selbst, dass die Zweifel des 4. Senats an der Entscheidung des 8. Senats vom 06.11.2019 der gefestigten Rechtsprechung des BVerwG entsprechen. Denn der 8. Senat habe nur eine
Konkretisierungdes in der Rechtsprechung anerkannten Maßstabs vorgenommen (Rn. 10). Da in den meisten Lehrbüchern und Skripten trotz des Urteils von 2019 immer noch der alten Rechtsprechung gefolgt wurde, würde ich an dieser Stelle nicht von der "alten Rechtsprechung des BVerwG" sprechen, da es sich nicht um eine echte Rechtsprechungsänderung durch den 4. Senat handelt, sondern um eine Korrektur des 8. Senats. Man kann quasi sagen: Der 4. Senat hat dem 8. Senat ein schlechtes Gewissen gemacht und der 8. Senat hat dies erkannt und der Anfrage nach § 11 III S. 1, S. 3 VwGO einfach zugestimmt. Es bleibt also bei der alten Rechtslage: Die NB ist isoliert anfechtbar, wenn die NB
rechtswidrigist und der VA ohne die NB sinnvoller- und rechtmäßigerweise bestehen bleiben kann; auf eine etwaige Rechtmäßigkeit des VA in jeder Hinsicht kommt es nicht an, sofern er nicht offenkundig
rechtswidrigist. Dies wird hier auch nochmal gut dargestellt und erläutert: https://youtu.be/TCcHC3rylqk?si=8uL9mNYEQwoDv_VD

Linne Hempel
23.5.2024, 09:16:31
Hallo CR7, vielen Dank für Deinen wichtigen Hinweis! Die Darstellung der Rechtsprechung war in der Aufgabe in der Tat etwas ungenau und irreführend. Wir haben das entsprechend korrigiert. Viele Grüße - Linne, für das Jurafuchs-Team
Aleks_is_Y
27.5.2024, 15:47:12
Super vielen Dank für die Aktualisierung der Aufgabe! Im Ref wurden wir auch auf die Rechtssprechung"änderung" hingewiesen, sie wurde dort aber auch als tatsächliche Änderung dargestellt...
Dodo
28.2.2024, 23:09:29
Nachdem eine
Rechtswidrigkeit der Nebenbestimmung festgestellt wäre müsste das Gericht doch dann trotzdem die Rechtmäßig des verbleibenden VA überprüfen? Müsste sie dann konsequenter Weise die Gründe die bereits vor Anfechtung für die
Rechtswidrigkeit gesprochen haben ignorieren und nur auf die verbleibende Rechtmäßigkeit ohne Nebenbestimmung prüfen? Sich quasi vor jeder nicht begehrten Prüfung der
Rechtswidrigkeit, ohne Zusammenhang zur weggefallenen Nebenbestimmung, verschließen?
Daniel (blabab45)
8.3.2024, 08:28:25
Ich würde mich deinen Überlegungen anschließen. Die Überprüfung des VA wird wohl nur auf solche Rechtmäßigkeitsmängel hin stattfinden, die gerade durch das Entfallen der Nebenbestimmung entstanden sind. In der Regel wird man das wohl schon aus der Begründung der Anordnung der Nebenbestimmung entnehmen können. Wenn die NB zur Herstellung der RMK angeordnet wurde, ist die Problematik schon naheliegender, als wenn es sich um eine „reine Ermessensanordnung“ handelt.

Linne Hempel
22.5.2025, 19:31:44
Hey in die Runde, ein kleiner Nachtrag hierzu: Der „Witz“ an der isolierten Anfechtung der Nebenbestimmung ist ja gerade, dass nur die Rechtmäßigkeit der Nebenbestimmung Gegenstand der Klage ist. Das Klagebegehren ist auf die isolierte Aufhebung der Nebenbestimmung beschränkt, der Kläger möchte den Hauptverwaltungsakt ja gerade „behalten“. Genau deswegen ist die gerichtliche Überprüfung dann auch darauf beschränkt, die Nebenbestimmung zu überprüfen. Der Hauptverwaltungsakt wird nur im Rahmen der materiellen Teilbarkeit relevant. Hier muss das Gericht lediglich feststellen, dass der Verwaltungsakt nicht gerade dadurch
rechtswidrigwird, dass die Nebenbestimmung wegfällt. Ist eine isolierte Anfechtung begründet, hebt das Gericht die Nebenbestimmung (und nur diese) auf. Wenn der verbleibende Verwaltungsakt
rechtswidrigist, liegt es bei der
Behörde, tätig zu werden und diesen zurückzunehmen (z.B. nach
§ 48 VwVfG). Das ist für den Kläger vorteilhafter (z.B. wegen der Grundsätze zum
Vertrauensschutz), als wenn das Gericht bereits den Verwaltungsakt aufheben würde. Außerdem besteht ja auch immer die Möglichkeit, dass die
Behörde– trotz der
Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts – nicht tätig wird. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team
Daniel (blabab45)
8.3.2024, 08:32:34
Ich finde den Fall sehr gelungen dargestellt. Allerdings hat mir auf der Folie, die das Gegenargument der potentiellen präjudiz Wirkung darstellt der „Abschluss“ gefehlt. Das Argument wird nicht richtig geschlossen in dem Sinne, dass nicht erwähnt wird, dass die Rechtskraftswirkung die Feststellungen zur Rechtmäßigkeit des VA gerade nicht umfassen. (Ich vermute mal aus denselben Gründen wie in der ZPO, weiß es aber eben gerade nach den Informationen auf der Folie nicht) Insofern wäre eine Ergänzung noch schön.
Petrus
26.5.2024, 14:04:22
Hab ich das richtig verstanden, dass grds gegen
Nebenbestimmungeneine
Anfechtungsklagestatthaft ist. Diese ist aber nur begründet, wenn materielle Teilbarkeit vorliegt, also der Haupt-VA nicht durch das Wegfallen der Nebenbestimmung
rechtswidrigwird. Dabei ist aber egal, wenn der Haupt-VA auch sonst
rechtswidrigist. Das heißt, die AK wäre begründet, wenn der VA generell
rechtswidrigist, sie wäre aber unbegründet, wenn der Haupt-VA nur deswegen
rechtswidrigwird, weil die Nebenbestimmung wegfällt, korrekt?

Maximilian Puschmann
27.5.2024, 10:20:21
Hallo Petrus, Genauso ist es richtig nach der aktuellsten Rechtsprechung des BVerwG. Anbei ein Link, der die Rechtsprechung nochmal zusammenfasst: https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/bverwg-senat-isolierte-anfechtung-
nebenbestimmungen-verwaltungsakt-
rechtswidrig-streit/ Beste Grüße Max - für das Jurafuchs-Team
Jan
1.6.2024, 10:33:40
unter welchem Prüfungspunkt ist das dann genau zu prüfen? Die aussage fehlt mir leider manchmal

Linne Hempel
11.6.2024, 17:49:42
Hallo Jan, danke für Deine Nachfrage. Die Frage, ob
Nebenbestimmungenisoliert anfechtbar sind, stellt sich im Rahmen der statthaften Klageart. Denn wenn
Nebenbestimmungennicht isoliert mit der
Anfechtungsklageangegriffen werden könnten, käme nur die
Verpflichtungsklage, gerichtet auf den Erlass des begehrten Verwaltungsakt ohne die
Nebenbestimmungen, als
statthafte Klageartin Betracht. Die Frage der materiellen Teilbarkeit ist nach der Rspr. des BVerwG ein Prüfungspunkt im Rahmen der
Begründetheitder Anfechtung der Nebenbestimmung. In dieser Aufgabe kam es uns vor allem darauf an, den „Streit“ der Senate darzustellen. Wie Du mit dem Thema in der Klausur umgehst, kannst Du Dir am besten in unserem Kurs zur VwGO anschauen: https://applink.jurafuchs.de/iLQzK7NslKb (
Statthaftigkeitder
Anfechtungsklage) und https://applink.jurafuchs.de/TQjg3tWslKb (
Begründetheit der Anfechtungsklage). Ich hoffe, ich konnte Dir damit weiterhelfen. Viele Grüße - Linne, für das Jurafuchs-Team.

Linne Hempel
11.6.2024, 17:50:52
Hallo Jan, danke für Deine Nachfrage. Die Frage, ob
Nebenbestimmungenisoliert anfechtbar sind, stellt sich im Rahmen der statthaften Klageart. Denn, wenn
Nebenbestimmungennicht isoliert mit der
Anfechtungsklageangegriffen werden könnten, käme nur die
Verpflichtungsklage- gerichtet auf den Erlass des begehrten Verwaltungsakt ohne die
Nebenbestimmungen- als
statthafte Klageartin Betracht. Die Frage der materiellen Teilbarkeit ist nach der Rspr. des BVerwG ein Prüfungspunkt im Rahmen der
Begründetheitder Anfechtung der Nebenbestimmung. In dieser Aufgabe kam es uns vor allem darauf an, den „Streit“ der Senate darzustellen. Wie Du mit dem Thema in der Klausur umgehst, kannst Du Dir am besten in unserem Kurs zur VwGO anschauen: https://applink.jurafuchs.de/iLQzK7NslKb (
Statthaftigkeitder
Anfechtungsklage) und https://applink.jurafuchs.de/TQjg3tWslKb (
Begründetheit der Anfechtungsklage). Ich hoffe, ich konnte Dir damit weiterhelfen. Viele Grüße - Linne, für das Jurafuchs-Team.
Findet Nemo Tenetur
3.8.2024, 19:26:03
Im Fall steht “dass die Baugenehmigung auch MIT der Nebenbestimmung
rechtswidrigwäre” oder so ähnlich. Aber so wie ich die Fallproblematik verstanden habe, geht es doch gerade darum, dass die Baugenehmigung auch ohne Nebenbestimmung
rechtswidrigwäre. Oder habe ich alles falsch verstanden?

Linne Hempel
9.8.2024, 16:14:34
Hallo Karolin, ich habe mir den Fall gerade noch einmal angeschaut und m.E. sind alle Formulierungen richtig. Falls ich etwas übersehen habe, lass mich doch gerne Wissen, in welchem Hinweis der Fehler ist. Um Deine Frage zu beantworten: Die materielle Teilbarkeit von Hauptverwaltungsakt und Nebenbestimmung setzt nach st. Rspr. des BVerwG voraus, dass der Hauptverwaltungsakt ohne die Nebenbestimmung rechtmäßig bestehen bleibt. Bei dem hier dargestellten Streit ging es um die Frage, ob materielle Teilbarkeit auch dann verneint werden sollte, wenn der Hauptverwaltungsakt aus anderen Gründen
rechtswidrigist. Wenn der Verwaltungsakt unabhängig vom Wegfall der Nebenbestimmung
rechtswidrigist, könnte man also auch sagen: Der Verwaltungsakt ist auch mit der Nebenbestimmung
rechtswidrig. Ich hoffe, ich konnte Deine Frage beantworten. Viele Grüße - Linne, für das Jurafuchs-Team

schwemmely
11.3.2025, 15:26:06
Hei, Ich stehe gerade irgendwie auf dem Schlauch… Warum stimmt die Aussage zu: „Besonders der effektive Rechtsschutz spricht dafür, zur ursprünglichen Rspr. (2019) zurückzukehren.“ Wenn die isolierte Anfechtung einer Nebenbestimmung auch dann unbegründet sein soll, wenn die RW des Haupt-VA nicht erst durch den Wegfall der Nebenbestimmung ausgelöst wird, sondern der Haupt-VA aus anderen Gründen
rechtswidrigwird. ->Auch im Hinweistext wird ja auch gesagt, dass dadurch die Rechtsschutzmöglichkeiten des Adressaten eingeschränkt werden. Verwechsle ich irgendwas oder sollte es eigentlich „stimmt nicht“ heißen? Freu mich über Erklärungen :))
Paul Hendewerk
16.4.2025, 16:10:25
Also es ist natürlich diejenige Ansicht rechtsschutzintensiver, der zufolge die materielle Teilbarkeit nur dann entfällt, wenn gerade der Wegfall der Nebenbestimmung zur
Rechtswidrigkeit des VA führt und nicht irgendwelche anderen Gesichtspunkte. In der Klausur brauchst Du die Entwicklung der Rechtsprechung ja nicht nachzuzeichnen, sondern kannst einfach von "einer Ansicht" und "der anderen Ansicht" sprechen (wenn überhaupt). Ich würde mich von den Bezugnahmen auf die jeweiligen Senate des BVerwG nicht irritieren lassen.

Linne Hempel
22.5.2025, 19:22:57
Hey, es ist genauso, wie @[Paul Hendewerk](274540) sagt. Kleiner Nachtrag dazu, warum du, @[schwemmely](114183), hier vielleicht verwirrt warst. Die Frage lautet tatsächlich: (...) zur ursprünglichen Rechtsprechung (vor der Entscheidung aus 2019) zurückzukehren“, also gerade nicht zur Entscheidung des 8. Senats aus 2019. Es ist aber richtig, dass ihr euch das Hin und Her der Senate nicht merken müsst, sondern lediglich beide Ansichten kennen und wissen müsst, dass die „alte“ (vor 2019) und die nun mehr „wieder geltende“ (2022) Ansicht des 4. Senats die st.Rspr. des BVerwG ist. Wenn ihr dann noch ein paar Argumente nennen könnt, die für diese Ansicht sprechen, sind euch die Punkte garantiert. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team
Frederieke
11.4.2025, 22:01:41
wenn ich jetzt zu dem Ergebnis komme, dass die Klage unbegründet ist, aufgrund fehlender materieller Teilbarkeit, sollte ich dann in der Klausur mit der Prüfung einer
Verpflichtungsklageauf
Neubescheidungfortfahren?
P K
12.4.2025, 19:32:55
Wenn das noch vom Begehren des Klägers umfasst ist ja; darüber hinaus darfst du aber nicht prüfen, selbst wenn dies sachdienlich wäre (§ 88 VwGO). In der Kommentarliteratur wird vorgeschlagen, dass der Kläger immer einen Hilfsantrag auf
Neubescheidungstellen soll. Ich meine allerdings, dass es nicht darauf ankommen kann, ob ein ausdrücklicher Hilfsantrag auf
Neubescheidunggestellt wird. Denn auch die
Verpflichtungsklagekann dem Begehren des Klägers Rechnung tragen, die Nebenbestimmung loszuwerden, wenn schon die
Anfechtungsklagekeinen Erfolg hat.

Rahel
17.5.2025, 07:44:07
Es geht ja eigentlich um die materielle Teilbarkeit und dass diese auch dann vorliegt, wenn der VA als solcher auch ohne Nebenbestimmung
rechtswidrigist. Im Sachverhalt heisst es aber, „der Verwaltungsakt ist auch MIT Nebenbestimmung
rechtswidrig“. Da müsste „ohne“ stehen.

Linne Hempel
22.5.2025, 19:08:51
Hey Rahel, danke für deine Anmerkung. Du sprichst hiermit genau den Knackpunkt dieser Aufgabe an und zugegebenermaßen kann man bei dem Hin- und Her zwischen den Senaten schnell den Überblick verlieren. Dröseln wird das ganze noch einmal auf: Ausgangspunkt ist die materielle Teilbarkeit, also die Frage, ob der Hauptverwaltungsakt ohne die Nebenbestimmung rechtmäßig bestehen bleiben kann. Nach der st. Rspr. des BVerwG vor der Entscheidung des 8. Senat aus dem Jahr 2019 setzt liegt materielle Teilbarkeit nur dann nicht vor, wenn der Hauptverwaltungsakt gerade durch den Wegfall der Nebenbestimmung
rechtswidrigwird. Ist der Hauptverwaltungsakt aber sowieso – also bereits aus anderen Gründen –
rechtswidrig, so könne dies nicht zu Lasten des Klägers fallen. Die materielle Teilbarkeit ist zu bejahen, sodass die isolierte Anfechtung möglich ist. Hiervon ist der 8. Senat in einer Entscheidung im Jahr 2019 abgewichen. Kernaussage war: Auch in den Fällen, in denen der Hauptverwaltungsakt bereits unabhängig von der Nebenbestimmung
rechtswidrigist, gibt es kein Recht auf eine isolierte Anfechtung. Der 4. Senat hat dann im Jahr 2022 wieder dagegen argumentiert und den 8. Senat aufgefordert, sich wieder der „alten“ Rechtsprechungslinie anzuschließen. Also: Die materielle Teilbarkeit nur dann abzulehnen, wenn der Verwaltungsakt erst durch den Wegfall der Nebenbestimmung
rechtswidrigwird und gerade nicht auch dann, wenn er aus anderen Gründen – also unabhängig vom Wegfall der Nebenbestimmung –
rechtswidrigist. Die wichtigsten Argumente dafür: 1. Die Nebenbestimmung greift unabhängig von der sonstigen (Un-)Rechtmäßigkeit in die Rechtsposition des Bürgers ein. 2. Ein wirksam erlassener Verwaltungsakt gewährt eine schutzwürdige Rechtsposition. 3. Eine inzidente Prüfung und Ablehnung wegen Mängeln des Hauptakts würde effektiven Rechtsschutz vereiteln. Nun kommen wir zu deiner Frage zurück. Die Aussage „As Baugenehmigung ist unabhängig vom möglichen Wegfall der Befristung
rechtswidrig“ meint also: Die Baugenehmigung wird nicht erst dadurch
rechtswidrig, dass die Nebenbestimmung wegfällt. Die darauf gerichtete Frage: „ Ist die isolierte Anfechtung der Befristung bereits aus diesem Grund unbegründet?“ ist also zu verneinen. Denn die materielle Teilbarkeit (welche Voraussetzung der
Begründetheitist) kann hier (nach der nun mehr wieder geltenden Rspr.-Linie des 4. Senats) nicht allein mit dem Verweis auf die für sich bereits
rechtswidrige Baugenehmigung abgelehnt werden. Ich hoffe, ich konnte dir damit weiterhelfen. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team

Linne Hempel
22.5.2025, 19:11:30
Hey Rahel, danke für deine Anmerkung. Du sprichst hiermit genau den Knackpunkt dieser Aufgabe an und zugegebenermaßen kann man bei dem Hin- und Her zwischen den Senaten schnell den Überblick verlieren. Dröseln wird das ganze noch einmal auf: Ausgangspunkt ist die materielle Teilbarkeit, also die Frage, ob der Hauptverwaltungsakt ohne die Nebenbestimmung rechtmäßig bestehen bleiben kann. Nach der st. Rspr. des BVerwG vor der Entscheidung des 8. Senat aus dem Jahr 2019 setzt liegt materielle Teilbarkeit nur dann nicht vor, wenn der Hauptverwaltungsakt gerade durch den Wegfall der Nebenbestimmung
rechtswidrigwird. Ist der Hauptverwaltungsakt aber sowieso – also bereits aus anderen Gründen –
rechtswidrig, so könne dies nicht zu Lasten des Klägers fallen. Die materielle Teilbarkeit ist zu bejahen, sodass die isolierte Anfechtung möglich ist. Hiervon ist der 8. Senat in einer Entscheidung im Jahr 2019 abgewichen. Kernaussage war: Auch in den Fällen, in denen der Hauptverwaltungsakt bereits unabhängig von der Nebenbestimmung
rechtswidrigist, gibt es kein Recht auf eine isolierte Anfechtung. Der 4. Senat hat dann im Jahr 2022 wieder dagegen argumentiert und den 8. Senat aufgefordert, sich wieder der „alten“ Rechtsprechungslinie anzuschließen. Also: Die materielle Teilbarkeit nur dann abzulehnen, wenn der Verwaltungsakt erst durch den Wegfall der Nebenbestimmung
rechtswidrigwird und gerade nicht auch dann, wenn er aus anderen Gründen – also unabhängig vom Wegfall der Nebenbestimmung –
rechtswidrigist. Die wichtigsten Argumente dafür: 1. Die Nebenbestimmung greift unabhängig von der sonstigen (Un-)Rechtmäßigkeit in die Rechtsposition des Bürgers ein. 2. Ein wirksam erlassener Verwaltungsakt gewährt eine schutzwürdige Rechtsposition. 3. Eine inzidente Prüfung und Ablehnung wegen Mängeln des Hauptakts würde effektiven Rechtsschutz vereiteln. Nun kommen wir zu deiner Frage zurück. Der Sachverhalt ist tatsächlich richtig. Denn die Aussage, dass die Baugenehmigung auch mit Nebenbestimmung
rechtswidrigist, bedeutet im Umkehrschluss, dass sie nicht erst durch den Wegfall der Nebenbestimmung
rechtswidrigwürde, sondern eben bereits aus anderen Gründen
rechtswidrigist. Die letzte Aussage „As Baugenehmigung ist unabhängig vom möglichen Wegfall der Befristung
rechtswidrig“ steht damit im Einklang und meint ebenfalls: Die Baugenehmigung wird nicht erst dadurch
rechtswidrig, dass die Nebenbestimmung wegfällt. Die darauf gerichtete Frage: „ Ist die isolierte Anfechtung der Befristung bereits aus diesem Grund unbegründet?“ ist also zu verneinen. Denn die materielle Teilbarkeit (welche Voraussetzung der
Begründetheitist) kann hier (nach der nun mehr wieder geltenden Rspr.-Linie des 4. Senats) nicht allein mit dem Verweis auf die für sich bereits
rechtswidrige Baugenehmigung abgelehnt werden. Ich hoffe, ich konnte dir damit weiterhelfen. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team