Zivilrecht

Examensrelevante Rechtsprechung ZR

Entscheidungen von 2020

Gutläubiger Erwerb eines Fahrzeugs, das im Rahmen einer Probefahrt entwendet wurde

Gutläubiger Erwerb eines Fahrzeugs, das im Rahmen einer Probefahrt entwendet wurde

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Examensklassiker

D besucht das Autohaus A. Dort vereinbart er eine Probefahrt über eine Stunde mit einem Wohnmobil. Er bekommt den Schlüssel ausgehändigt und fährt davon. D verschwindet mit dem Wohnmobil. Danach verkauft und übereignet er dieses unter Vorlage von gefälschten, aber täuschend echt wirkenden KFZ-Zulassungsbescheinigungen (Teil I und II) am Hamburger Hauptbahnhof an das Ehepaar E, das D für den Eigentümer hält.

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Einordnung des Falls

Gutläubiger Erwerb eines Fahrzeugs, das im Rahmen einer Probefahrt entwendet wurde

Dieser Fall lief bereits im 1./2. Juristischen Staatsexamen in folgenden Kampagnen
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Examenstreffer Bremen 2024
Examenstreffer NRW 2024
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Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. E hat Eigentum an dem Auto nach § 929 S. 1 BGB erlangt.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Übereignung nach § 929 S. 1 BGB setzt voraus: (1) Einigung, (2) Übergabe, (3) Einigsein bei Übergabe, (4) Berechtigung des Veräußerers.D und E haben sich über den Eigentumsübergang geeinigt. D hat E das Auto übergeben. E und D waren zum Zeitpunkt der Übergabe einig, dass das Eigentum an E übergehen soll. D war jedoch nicht verfügungsbefugt. Eigentümer war weiterhin A.
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2. E war hinsichtlich des Eigentums des D am Wohnmobil gutgläubig (§ 932 Abs. 2 BGB).

Ja!

Der Erwerber ist nicht in gutem Glauben, wenn ihm bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass die Sache nicht dem Veräußerer gehört, § 932 Abs. 2 BGB. E wusste nicht positiv, dass D nicht Eigentümer des Wohnmobils war. E hat dies auch nicht grob fahrlässig verkannt: Nach Ansicht des BGH zerstört eine täuschend echt gefälschte Zulassungsbescheinigung Teil II den guten Glauben nicht. Der Erwerber muss sich diese jedoch zeigen lassen.

3. Sofern kein Fall des Abhandenkommens (§ 935 BGB) vorliegt, könnte E hier gutgläubig Eigentum erwerben.

Genau, so ist das!

Der Eigentumserwerb nach §§ 929 S. 1, 932 BGB setzt voraus: (1) Übereignung nach § 929 S. 1 BGB durch Übergabe vom Veräußerer, (2) Fehlende Berechtigung des Veräußerers, (3) Verkehrsgeschäft, (4) Gutgläubigkeit des Erwerbers bzgl. der Eigentümerstellung des Veräußerers (§ 932 Abs. 2 BGB), (5) Kein Abhandenkommen der Sache (§ 935 BGB). Eine Übereignung nach § 929 S. 1 BGB liegt vor. D war nicht verfügungsbefugt. E war auch gutgläubig (§ 932 Abs. 2 BGB): E glaubte infolge der Fälschung an das Eigentum des D.

4. A hat den unmittelbaren Besitz am Wohnmobil verloren, als er D das Wohnmobil zur Probefahrt überließ.

Ja, in der Tat!

Besitz (§ 854 Abs. 1 BGB) ist die von einem natürlichen Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft über eine Sache. Tatsächliche Sachherrschaft setzt voraus, dass die Person eine realisierbare Möglichkeit zur Einwirkung auf die Sache hat.BGH: Eine fortbestehende tatsächliche Sachherrschaft des A sei abzulehnen. Bei einer unbegleiteten, völlig unbewachten Probefahrt eines Kaufinteressenten für einen Zeitraum von einer Stunde bestehe keine enge räumliche Beziehung des Verkäufers zum Fahrzeug mehr. Die Sachherrschaft des Probefahrers sei auch nicht so flüchtig, dass ihm die Einwirkungsmöglichkeit auf die Sache nach der Verkehrsanschauung abzusprechen wäre. Er könne beliebig einwirken, dem Verkäufer fehle jede Kontrolle. Es liege also auch keine bloße Besitzlockerung vor (RdNr. 13).

5. Ein unfreiwilliger Besitzverlust (§ 935 Abs. 1 BGB) kann auch durch das eigenmächtige Handeln eines Besitzdieners eintreten. D ist Besitzdiener des A.

Nein!

Besitzdiener ist, wer die tatsächliche Gewalt über eine Sache für einen anderen in dessen Erwerbsgeschäft oder in einem ähnlichen Verhältnis ausübt, vermöge dessen er den sich auf die Sache beziehenden Weisungen des anderen Folge zu leisten hat (§ 855 BGB).BGH: D sei nicht Besitzdiener des A, da es am für die Besitzdienerschaft typischen sozialen Abhängigkeitsverhältnis fehle, das dem Besitzherrn zumindest faktisch die Möglichkeit gibt, seinen Willen gegenüber dem Besitzdiener durchzusetzen. A habe keine Möglichkeit, auf das Fahrzeug bzw. D einzuwirken. Aus dem Wortlaut des § 855 BGB und der Gesetzgebungsgeschichte folge, dass das Weisungsrecht seine Grundlage in einem Rechtsverhältnis finden und diesem Rechtsverhältnis das Gepräge geben müsse (RdNr. 22).

6. A ist das Wohnmobil zum Zeitpunkt der Überlassung zur Probefahrt an D abhanden gekommen (§ 935 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Abhandenkommen bedeutet Verlust des unmittelbaren Besitzes ohne, nicht notwendigerweise gegen den Willen des Besitzers (etwa durch Diebstahl oder Verlust) .Durch Überlassen des Wohnmobils an D hat A den unmittelbaren Besitz verloren. Der Besitzverlust geschah auch nicht gegen den Willen des A: A hat den Besitz freiwillig auf D übertragen. Unerheblich ist, dass D dabei über seine wahre Motivation getäuscht hat. A ist das Wohnmobil damit im Zeitpunkt der Überlassung zur Probefahrt nicht abhandengekommen.

7. A ist das Fahrzeug abhanden gekommen, als D nicht von der Probefahrt zurückkehrte.

Nein, das trifft nicht zu!

Abhandenkommen bedeutet Verlust des unmittelbaren Besitzes ohne, nicht notwendigerweise gegen den Willen des Besitzers (etwa durch Diebstahl oder Verlust) .D kehrte zwar gegen den Willen des A nicht von der Probefahrt zurück. Jedoch hatte D in diesem Zeitpunkt den unmittelbaren Besitz bereits verloren, sodass kein Abhandenkommen vorliegt. E hat daher gutgläubig Eigentum erworben.

8. Nach Ansicht der Literatur ist § 855 BGB hier analog anzuwenden.

Ja!

Die Literatur (und das OLG Köln, NZV 2006, 260) meint, es liege hier eine strukturell vergleichbare Situation vor, die eine analoge Anwendung des § 855 BGB rechtfertige. Mit Gebrauchsüberlassung erhalte der Kaufinteressent keine eigenen Entscheidungsbefugnisse in Bezug auf den Besitz. § 855 BGB verlange nicht zwingend das Vorliegen eines Abhängigkeits- oder sozialen Über-/Unterordnungsverhältnisses, sondern bloß eine Beziehung, die den Besitzherrn zu jederzeitigen Weisungen bzw. zum Eingreifen, wie zum Abbruch der Fahrt berechtige.

9. Nach Ansicht des BGH kommt eine analoge Anwendung des § 855 BGB nur in Fällen in Betracht, in denen sich eine Person aus Gefälligkeit (nicht aufgrund eines Rechtsverhältnisses) den Weisungen des Besitzers unterwirft.

Genau, so ist das!

§ 855 BGB begründe eine Ausnahme vom Grundsatz, dass derjenige, der die tatsächliche Gewalt über eine Sache ausübt, als deren unmittelbarer Besitzer anzusehen ist und sei eng auszulegen. Ob die Norm analogiefähig sei, könne offen gelassen werden. Die Überlassung des Kfz zur Probefahrt sei kein Gefälligkeitsverhältnis, sondern ein gesetzliches Schuldverhältnis (§ 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB) mit Rechten und Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB. Es begründe kein Direktionsrecht des Verkäufers gegenüber dem Kaufinteressenten. Das Vertragsanbahnungsverhältnis stelle sich, wenn dem Kaufinteressenten die Sache zur Probe außerhalb der Verkäufersphäre anvertraut wurde, als ein dem in § 868 BGB angeführten Beispielen der Miete und Verwahrung ähnliches Verhältnis dar, das von der Besitzdienerschaft abzugrenzen sei (RdNr. 26).
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