Grundfall: anfängliche Unmöglichkeit

21. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K kauft bei Händlerin V einen von John Lennon handsignierten, gebrauchten Bulli T4. Nach Übergabe zeigt sich, dass dieser früher einen Unfall hatte. Dies wusste V nicht, hätte es aber bei oberflächlicher Untersuchung erkennen können. K hätte den unfallfreien Wagen mit Gewinn weiterverkaufen können.

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Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K kann von V den entgangenen Gewinn ersetzt verlangen, wenn die Voraussetzungen der §§437 Nr. 3, 311a Abs. 2 BGB vorliegen.

Genau, so ist das!

Der Anspruch auf Schadensersatz wegen anfänglicher Unmöglichkeit (§ 311a Abs. 2 BGB) setzt voraus: (1) Schuldverhältnis, (2) Pflichtverletzung in Form der anfänglichen Unmöglichkeit, (3) Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis der Unmöglichkeit (Vertretenmüssen) und (4) Schaden.§ 311a Abs. 2 BGB enthält eine eigenständige Anspruchsgrundlage. Anders als § 283 BGB handelt es sich insoweit nicht um einen Unterfall des allgemeinen Pflichtverletzungstatbestands (§ 280 BGB).Sofern in der Klausur nicht direkt nach dem Ersatz des Schadens, sondern der Rechtslage gefragt wäre, so müsste man zunächst den Primärleistungsanspruch prüfen.
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2. Zwischen K und V besteht ein rechtsgeschäftliches Schuldverhältnis.

Ja, in der Tat!

Zur Begründung eines rechtsgeschäftlichen Schuldverhältnisses ist grundsätzlich ein Vertrag zwischen den Beteiligten notwendig (§ 311 Abs. 1 BGB). Beim Kaufvertrag schuldet der Verkäufer Übergabe und Übereignung der Kaufsache (§ 433 Abs. 1 BGB). Der Käufer schuldet den Kaufpreis (§ 433 Abs. 2 BGB). K und V haben sich über die Übergabe und Übereignung des mangelfreien Wagens geeinigt. Somit liegt ein Kaufvertrag vor.

3. Durch die Übergabe des Fahrzeuges hat V ihre vertraglich geschuldete Pflicht erfüllt.

Nein!

Beim Kaufvertrag schuldet der Verkäufer eine mangelfreie Sache. Eine Sache ist nach § 434 Abs. 1 BGB n.F. mangelfrei, wenn sie bei Gefahrübergang den subjektiven und den objektiven Anforderungen und den Montageanforderungen entspricht.Ein Unfall vermindert den Wert eines Fahrzeuges deutlich. Damit weist das Fahrzeug nicht die Beschaffenheit auf, die bei Sachen derselben Art üblich ist (§ 434 Abs. 3 Nr. 2 BGB) und ist objektiv mangelhaft.

4. V kann die Pflichtverletzung beheben.

Nein, das ist nicht der Fall!

Kann der Schuldner die geschuldete Leistung nicht (mehr) erfüllen, so liegt Unmöglichkeit vor und er wird von seiner Leistungspflicht frei (§ 275 Abs. 1 BGB). Liegt das Leistungshindernis bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschluss vor, so handelt es sich um anfängliche UnmöglichkeitDie „Unfallfreiheit“ des Wagens lässt sich nicht durch Reparatur wiederherstellen. Da der individualisierte Wagen geschuldet war, konnte V auch keinen anderen Wagen liefern. Da wegen der fehlenden Möglichkeit zur Nacherfüllung die Pflicht zur mangelfreien Leistung von Anfang an unmöglich war, ist Vs Leistungspflicht ausgeschlossen (§ 275 Abs. 1 BGB).

5. V wusste, dass der Wagen bereits einen Unfall hatte.

Nein, das trifft nicht zu!

§ 311a Abs. 2 S. 2 BGB schließt die Haftung des Schuldners aus, wenn er das Leistungshindernis bei Vertragsschluss nicht kannte und seine Unkenntnis nicht zu vertreten hatte.V hatte keine positive Kenntnis davon, dass es sich bei dem Wagen um ein Unfallfahrzeug handelt. Achtung: Der Bezugspunktpunkt des Vertretenmüssens ist bei der anfänglichen Unmöglichkeit also nicht die Frage, ob der Schuldner die Unmöglichkeit verursacht hat. Vielmehr bezieht sich dieses auf dessen Kenntnis des Leistungshindernisses.

6. V hatte die Unkenntnis über den Unfall zu vertreten.

Ja!

Maßstab für das Vertretenmüssen sind die §§ 276 ff. BGB. Sofern also keine strengere oder mildere Haftung vereinbart ist, hat der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. Maßgeblich ist insoweit also die Beachtung der verkehrsüblichen Sorgfalt. Das Vertretenmüssen wird vermutet. Dies ergibt sich aus der Negativformulierung des § 311a Abs. 2 S. 2 BGB („das gilt nicht wenn“)Als Gebrauchtwagenhändlerin war von V zu erwarten, dass sie den Wagen zumindest oberflächlich untersucht. Da sie dabei die Anzeichen des früheren Unfalls hätte entdecken können, hat sie ihn zu vertreten.

7. K ist ein Schaden entstanden.

Genau, so ist das!

Schaden ist jede unfreiwillige Einbuße an einer rechtlich geschützten Position.Ks schaden besteht darin, dass sie den unfallfreien Bulli T4 aufgrund der anfänglichen Unmöglichkeit nicht erhält. Der Umfang dieses Schadens bemisst sich dabei nach den §§ 249 ff. BGB und insoweit insbesondere an dem dadurch entgangenen Gewinn (§ 252 BGB). Im Ergebnis kann K ihren entstandenen Schaden somit nach § 437 Nr. 3, 311a Abs. 2 BGB von V ersetzt verlangen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

RAP

Raphaeljura

4.6.2023, 13:39:30

Was bedeutet "seine Unkenntnis auch nicht zu vertreten hat"? Wenn im Sachverhalt dazu keine Angabe ist, dann wird es vermutet, richtig?

LR

LR

10.7.2023, 21:19:38

Genau. Die negative Formulierung zeigt, dass hier eine

Beweislastumkehr

vorliegt, sodass das Vertretenmüssen (widerleglich) vermutet wird.

QUIG

QuiGonTim

21.2.2024, 23:27:28

Es handelt sich um ein über 20 Jahre altes Auto. Lässt sich in diesem Fall ohne weiteres die Unfallfreiheit als Teil der objektiv üblichen

Beschaffenheit

im Sinne des § 434 Abs. 3 Nr. 2 BGB annehmen?

Steinfan

Steinfan

22.4.2024, 16:14:18

Bei § 311a II BGB spricht man nicht von einer „Pflichtverletzung“, da eine Pflicht infolge der Unmöglichkeit von Anfang nicht entstanden ist. Daher ist § 311a BGB auch systematisch nicht bei den §§ 280 ff. BGB geregelt. Das Wort „Pflichtverletzung“ würde ich daher aus der Lösung entfernen. LG

Nora Mommsen

Nora Mommsen

22.4.2024, 18:02:44

Hallo Steinfan, es gibt durchaus eine starke Meinung, die die Position vertritt, dass im Rahmen des § 311a Abs. 2 BGB nicht von Pflichtverletzung gesprochen werden kann. (u.a. Lorenz). Andererseits verweist der § 280 Abs. 1 BGB auf den § 311a Abs. 2 BGB, der wiederum eine Pflichtverletzung voraussetzt. Daher folgen wir bei Jurafuchs der Formulierung "Pflichtverletzung in Form der anfänglichen Unmöglichkeit" und dann eben entsprechende Kenntnis/

fahrlässige Unkenntnis

davon. So entsteht auch eine Parallelität mit den anderen vertraglichen Schadensersatzansprüchen. Das erleichtert auch das Lernen! Nichts desto trotz ergibt sich aus § 275 BGB, dass bei Unmöglichkeit keine

Leistungspflicht

entstanden ist, weil das Leistungshindernis schon bei Vertragsschluss vorlag. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

simon175

simon175

4.10.2024, 12:47:06

Als der erste T4 auf den Straßen fuhr war John Lennon schon 10 Jahre tot. K könnte also auch nach § 119 II BGB den Vertrag anfechten, falls man die Unterschrift als

verkehrswesentliche Eigenschaft

interpretieren darf, weil sie nicht echt sein kann. (Vielleicht kann der Zeichner noch den T4 in einen T3 umwandeln, dann würde das passen). Cheers

der D

der D

13.10.2024, 10:14:50

Hallo zusammen! Sind §311a II BGB und §§280 I, III, 283 BGB parallel zueinander anwendbar? Wenn ich das richtig sehe, unterscheiden sie sich in dem Anknüpfungspunkt für das Vertretenmüssen des Ersatzpflichtigen. Es könnte ja die Situation geben, dass jemand einen Mangel selbst vor Vertragsschluss herbeigeführt hat und darüber

fahrlässige Unkenntnis

über diesen hatte.

LELEE

Leo Lee

20.10.2024, 11:52:17

Hallo der D, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! Das ist in der Tat eine sehr interessante Frage. Da allerdings die beiden Normen darüber sprechen, ob die Unmöglichkeit vor oder nach Vertragsschluss eingetreten ist, schließen sich die Normen ggs. aus. In dem Fall, dass jemand einen Mangel (Behebung unmöglich) vor Vertragsschluss herbeigeführt hat und

fahrlässige Unkenntnis

darüber hatte, haftet er ganz normal nach 311a II 2, da hier auch die

fahrlässige Unkenntnis

mit erfasst wird. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-BGB 9. Auflage, Ernst Rn. 12 sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

PADJU

Padawan Jura

24.10.2024, 10:59:25

Eine Frage bezüglich der ersten Tatbestandsvoraussetzung. Streng genommen steht der 311a systematisch im Recht Schuldverhältnisse aus Verträgen. Dann ist doch die erste Voraussetzung kein Schuldverhältnis, sondern ein Vertrag oder ?

LELEE

Leo Lee

27.10.2024, 10:34:47

Hallo Padawan Jura, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! Vorab: Du hast völlig Recht mit der Aussage, dass 311a systematisch gesehen nur auf Verträge Anwendung finden müsste. Allerdings wird - wie du vielleicht schon gemerkt hat - Schuldverhältnis und Verträge nicht immer so streng getrennt (nicht mal vom Gesetzgeber selbst). So ist 311a auch insofern auf SVe anwendbar, als die Vorschrift etwa auch für die

Auslobung

gilt, die z.b. keinen Vertrag darstellt. Deshalb würden wir empfehlen, bei dem Begriff "Schuldverhältnis" zu bleiben, da dieses auch den Vertrag mit umfasst. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-BGB 9. Auflage, Ernst § 311a rn. 18 f. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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