Weiterfressermangel („Schwimmerschalter-Fall“)


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Hersteller H verkauft eine Reinigungsanlage an U, die bei Flüssigkeitsmangel automatisch abschalten soll. Der hierfür zuständige Schwimmerschalter in der Maschine ist jedoch ab Werk defekt. Dadurch überhitzt die Reinigungsanlage und explodiert.

Einordnung des Falls

In der Schwimmerschalter Entscheidung befasst sich der BGH mit der Frage, ob eine Eigentumsverletzung vorliegt, wenn ein mangelhaftes Bauteil die Beschädigung der restlichen Anlage verursacht. Dies bejaht der BGH wenn der Mangel nur einen „funktionell begrenzten“ Teil der im Übrigen einwandfreien Anlage betrifft.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. U hat Mängelgewährleistungsansprüche gegen H aus dem Kaufvertrag (§ 437 BGB).

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Ja!

Dies setzt einen Sachmangel bei Gefahrübergang voraus (§§ 434, 446 BGB). Ein Sachmangel ist jede negative Abweichung der Ist- von der Sollbeschaffenheit. Die Reinigungsanlage sollte bei Flüssigkeitsmangel automatisch abschalten, was sie jedoch aufgrund des defekten Schwimmerschalters nicht tat. Damit hat sie einen Sachmangel (§ 434 Abs. 1 BGB). Dieser Mangel lag auch bereits ab Werk vor, d.h. auch bei Gefahrübergang (§§ 446, 447 BGB).

2. Indem H dem U einen defekten Schwimmerschalter geliefert und übereignet hat, hat er das Eigentum des U verletzt (§ 823 Abs. 1 BGB).

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Nein, das ist nicht der Fall!

Eine Eigentumsverletzung kann erfolgen durch (1) Sachentziehung, (2) wirksame Verfügung eines Nichtberechtigten, (3) Beeinträchtigung der Sachsubstanz oder (4) Beeinträchtigung des Sachgebrauchs. Der defekte Schwimmerschalter ist gegebenenfalls in seiner Sachsubstanz beeinträchtigt. Er war dies jedoch von Anfang an. U hat also zu keinem Zeitpunkt Eigentum an einem funktionsfähigen Schwimmerschalter besessen. In dem Mangel kann deshalb keine Eigentumsverletzung liegen.

3. Deliktische Ansprüche sind subsidiär zu den Gewährleistungsrechten aus dem Kaufrecht.

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Nein, das trifft nicht zu!

Im Zivilrecht gilt grundsätzlich uneingeschränkte Anspruchskonkurrenz. Das bedeutet, dass der Geschädigte vertragliche und deliktische Ansprüche nebeneinander geltend machen kann. Dies erlangt etwa dann besondere Bedeutung, wenn kaufrechtliche Gewährleistungsrechte wegen der teilweise kürzeren Verjährungsfrist (zwei Jahre (§ 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB)) bereits undurchsetzbar sind. Deliktische Ansprüche unterliegen der Regelverjährung (§§ 195, 199 BGB).

4. Indem H dem U eine Reinigungsanlage geliefert und übereignet hat, in der ein defekter Schwimmerschalter verbaut war, der die Zerstörung der Reinigungsanlage des U verursacht hat, hat er das Eigentum des U verletzt (§ 823 Abs. 1 BGB).

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Ja!

Der BGH nimmt eine deliktische Haftung an, wenn der Sachmangel nicht nur das Äquivalenzinteresse des Käufers (auf ordnungsgemäße Kaufvertragserfüllung), sondern auch sein Integritätsinteresse (keine Verletzung seiner Rechtspositionen) verletzt. Wenn zwischen dem Mangelunwert der Sache und dem eingetretenen Schaden Stoffgleichheit bestehe, sei die Gesamtsache von Anfang an mangelhaft. Dann schieden deliktische Ansprüche aus. Stoffgleichheit nimmt die Rspr. an, wenn die Kaufsache aufgrund des Mangels von Anfang an wertlos ist, weil (1) das defekte Teil und die Gesamtsache eine Einheit bilden, oder (2) der Mangel nicht in wirtschaftlich vertretbarer Weise behoben werden kann. Die Reinigungsmaschine ist explodiert. Die Besonderheit liegt darin, dass der mangelhafte Schalter die Kaufsache selbst beeinträchtigt hat (sog. Weiterfresserschaden). Der Schalter wäre leicht auszutauschen gewesen. Es besteht keine Stoffgleichheit. H hat das Integritätsinteresse des U verletzt.

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Johannes Nebe

Johannes Nebe

24.5.2023, 22:50:50

Die Erklärung des Weiterfresserschadens ist nicht gut gelungen. In der vorletzten Frage muss man die Eigentumsverletzung des U mit Ja beantworten, wenn man schon an die ganze explodierte Maschine denkt. Der Clou des Weiterfresserschadens ist doch, dass an dem mangelhaften oder defekten Teil selbst keine Eigentumsverletzung entsteht. Dazu hätte die Frage sich aber auf das Eigentum am Schwimmerschalter beziehen müssen.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

27.10.2023, 14:27:13

Hallo Johannes Nebe, danke für deine Rückmeldung. Tatsächlich lautet die vorletzte Frage, ob H durch die Lieferung und Übereignung eines defekten Schwimmschalters das Eigentum verletzt hat. Diese Frage ist eindeutig mit nein zu beantworten. Genau das ist eben auch der Punkt. Man muss im Kopf ganz klar trennen zwischen den einzelnen Elementen der Sache. Der Schwimmschalter alleine ist noch keine Eigentumsverletzung. Aber eine Maschine mit eingebautem defektem Kleinteil ist es eben, wenn durch das Kleinteil auch der Rest beschädigt wird. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

EV

evanici

11.9.2023, 10:46:14

Ist die Verletzungshandlung wirklich die Lieferung und Übereignung und müsste man hier nicht eher auf die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht abstellen?

CR7

CR7

21.10.2023, 17:04:36

Am Ende ist m.E. die Subsumtion nicht gut gelungen. Ich hätte hier erwähnt, dass (1) die Reinigungsmaschine ohne den Schwimmschalter wertlos ist, da die Reinigungsmaschine ohne diesen Schalter nicht betriebssicher bedient werden kann, (2) der Schwimmschalter ein abgrenzbares funktionales Teil innerhalb der Gesamtsache ist und keine Gesamteinheit mit dem Reinigungsgerät bildet, so dass leicht ein neuer Schwimmschalter hätte eingebaut werden können und (3) dies wirtschaftlich im Vergleich zum später eingetretenen Schaden nur ein geringfügiger Aufwand gewesen wäre. Insgesamt liegt damit eine Rechtsgutsverletzung vor, da der ursprünglich auf den Schwimmschalter beschränkte Mangel einen Schaden an der gesamten Reinigungsmaschine hervorgerufen hat, insofern also der Mangel im Erwerbszeitpunkt und der später eingetretene Schaden nicht stoffgleich sind.


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