Öffentliches Recht

VwGO

Fortsetzungsfeststellungsklage

Statthaftigkeit der FFK: Abgrenzung zur Anfechtungsklage: Erledigung durch Vollzug?

Statthaftigkeit der FFK: Abgrenzung zur Anfechtungsklage: Erledigung durch Vollzug?

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Polizistin P stellt bei Demonstrantin D im Vorfeld einer Demo ein Klappmesser sicher und nimmt dieses in Gewahrsam. Nach der Demo will D ihr Messer zurück haben.

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Einordnung des Falls

Statthaftigkeit der FFK: Abgrenzung zur Anfechtungsklage: Erledigung durch Vollzug?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Nach erfolglosem Antrag bei der Behörde klagt D. Statthaft ist die allgemeine Leistungsklage auf Herausgabe des Messers.

Nein!

Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Klagebegehren (vgl. § 88 VwGO). Die allgemeine Leistungsklage ist statthaft, wenn der Kläger ein Realhandeln der Verwaltung begehrt. Steht dem begehrten Realhandeln allerdings ein Verwaltungsakt entgegen, muss der Kläger erst den Verwaltungsakt durch Anfechtung beseitigen. Zwar will D, dass ihr das Messer herausgegeben wird. Das Messer wurde allerdings sichergestellt und in Gewahrsam genommen (= Verwaltungsakte). Diese bilden die rechtliche Grundlage für die Verwahrung des Messers. Will D das Messer wieder haben, muss sie erst gegen diese Grundlage vorgehen.
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2. Verwaltungsakte erledigen sich immer mit ihrer Vollziehung.

Nein, das ist nicht der Fall!

Erledigung i.S.d. § 43 Abs. 2 VwVfG, § 113 Abs. 1 S. 4 VwVfG bedeutet, dass sich der Verwaltungsakt inhaltlich erschöpft hat und alle seine in die Zukunft weisenden Rechtswirkungen weggefallen sind. D.h., dass der vollzugsfähige Inhalt des Verwaltungsakts gegenstandslos geworden ist und eine Anfechtung daher sinnlos ist. Nicht zu verwechseln ist der vollzugsfähige Inhalt mit der Vollziehung selbst. Auch, wenn ein Verwaltungsakts vollzogen wurde, kann sein Inhalt noch Rechtswirkung entfalten. Die Frage, ob der Vollzug zur Erledigung führt oder nicht kann je nach Detail des Falls anders zu beantworten sein.

3. Die Sicherstellung und Ingewahrsamnahme bilden den Rechtsgrund für die anschließende Verwahrung. Sie haben sich nicht erledigt.

Ja, in der Tat!

Auch, wenn ein Verwaltungsakts vollzogen wurde, kann sein Inhalt noch Rechtswirkung entfalten, z.B. als Rechtsgrund für eine Folgemaßnahme. Voraussetzung ist, dass durch den Vollzug keine irreversiblen Verhältnisse geschaffen werden und sich die Vollstreckungsmaßnahmen rückgängig machen lassen. Ansonsten liefe der Rechtsschutz nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO ins Leere. Die Sicherstellung und Ingewahrsamnahme des Messers durch P sind Verwaltungsakte. Sie können rückgängig gemacht werden, indem das Messer herausgegeben wird. Die Verwaltungsakte sind der Rechtsgrund für die anschließende Verwahrung und haben deswegen noch Rechtswirkung.

4. D muss gegen die Sicherstellung und Ingewahrsamnahme vorgehen, um ihr Messer zurückzubekommen. Statthaft ist die Anfechtungsklage.

Ja!

Solange ein Verwaltungsakt sich nicht erledigt ist, kommt keine Fortsetzungsfeststellungsklage in Betracht. Vielmehr muss der Kläger den Verwaltungsakt anfechten (§ 42 Abs. 2 Var. 1 VwGO). Eine allgemeine Leistungsklage kommt so lange nicht in Betracht, wie dem begehrten Handeln ein wirksamer Verwaltungsakt entgegen steht. Auch dann muss der Kläger die Anfechtungsklage erheben. D muss die Sicherstellung und Ingewahrsamnahme anfechten. D kann die Anfechtungsklage mit einem Annexantrag auf Herausgabe der Sachen erheben (§ 113 Abs. 1 S. 1 i.V.m. S. 2 VwGO). Hat ihre Anfechtungsklage Erfolg, muss sie so keine weitere Leistungsklage auf Herausgabe des Messers erheben.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JO

jomolino

4.5.2022, 14:16:41

Was ist bei einer rechtmäßigen Sicherstellung mit dem Anspruch aus § 46 PolG NRW zum Beispiel? Der

Vollzugs FBA

ist doch nur einschlägig bei rechtswidriger Sicherstellung?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

5.5.2022, 11:28:13

Hallo nomamo, war die Sicherstellung zunächst rechtmäßig und sind dann nachträglich ihre Voraussetzungen weggefallen, so wird in der Tat überwiegend anerkannt, dass nicht mehr gegen die ursprüngliche Sicherstellung vorgegangen werden muss, sondern direkt nach den jeweils einschlägigen Normen (zB § 46 Abs. 1 PolGNRW; Art. 28 Abs. 2 BayPAG) die Herausgabe verlangt werden kann und dies im Wege der Leistungsklage geltend gemacht werden kann. Schau Dir hierzu gerne folgenden Fall sowie den hierzu bestehenden Thread in den Kommentaren an: https://applink.jurafuchs.de/0MakEK9kMpb Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Ranii

Ranii

10.12.2022, 14:51:09

Dafür, dass der Vollzug nicht zur Erledigung führt, spricht auch die Tats., dass 113 I 2 nach 113 I 1 (normale AK) und nicht nach 113 I 4 steht :)

GNU

Gnu

31.1.2023, 10:36:02

Wenn eine Klage mit

Annexantrag

gestellt wird, prüfe ich dann beides in der Begründetheit? Also A) die Begründetheit der Anfechtung des VA und, wenn die durchgeht, B) die Begründetheit des Anspruchs auf Herausgabe?

STE

StellaChiara

4.9.2023, 14:50:45

Wo liegt hier der Unterschied zu einem vorangegangenem Fall, bei dem direkt die Leistungsklage auf Herausgabe gestellt wurde, weil die Veranstaltung beendet war? dort wurde argumentiert, dass es keiner Anfechtung bedarf, weil die Veranstaltung beendet ist und somit auch die Voraussetzungen der Sicherstellung entfallen sind


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