Nutzung öffentlicher Gebäude als Projektionsfläche im Rahmen einer Versammlung?


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A zeigt an, eine Versammlung vor dem Bundestag durchführen zu wollen. Sie möchte die Gebäude des Bundestags als Projektionsfläche (8x4m) verwenden. Die Versammlung wird zugelassen. A wird indes nicht erlaubt, die Gebäude als Projektionsfläche zu verwenden. A möchte sich schnellstmöglich dagegen wehren.

Einordnung des Falls

Nutzung öffentlicher Gebäude als Projektionsfläche im Rahmen einer Versammlung?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Eine Versammlung vor dem Deutschen Bundestag bedarf einer behördlichen Erlaubnis.

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Ja!

Grundsätzlich ist die Durchführung einer Versammlung erlaubnisfrei. Dies erstreckt sich auch auf sämtliche Genehmigungen, welche an die Nutzung öffentlicher Verkehrspflichten geknüpft sind. Das Gesetz über befriedete Bezirke für Verfassungsorgane des Bundes (BefBezG) statuiert davon abweichend einen befriedeten Bezirk für den Deutschen Bundestag, den Bundesrat und das Bundesverfassungsgericht, in dem Versammlungen unter freiem Himmel grundsätzlich verboten sind. Die Durchführung einer Versammlung bedarf einer beim Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat zu beantragenden Zulassung (§ 3 BefBezG).

2. Statthaft ist ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 5 S. 1 Alt. 1 VwGO).

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Nein, das ist nicht der Fall!

Der statthafte Antrag richtet sich nach dem Begehren in der Hauptsache (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO).A wollte die erforderliche Zulassung der Versammlung ohne Auflagen. Die erteilte Zulassung entspricht mit der Auflage nicht dem ursprünglich beantragten Verwaltungsakt (sog. modifizierende Auflage, also keine Auflage i.S.d. § 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG, sondern eine Inhaltsbestimmung). Eine solche Bestimmung ist Bestandteil des Hauptverwaltungsakts und nicht isoliert anfechtbar. In der Hauptsache müsste A daher eine Verpflichtungsklage auf Erteilung der beantragten Zulassung ohne Beschränkung erheben. Daher ist hier ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis (§ 123 Abs. 1 S. 2 VwGO) statthaft.

3. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist begründet, soweit A einen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft macht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO).

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Ja, in der Tat!

Der Anordnungsanspruch meint den materiell-rechtlichen Anspruch, um den in der Hauptsache gestritten wird und der durch die einstweilige Verfügung gesichert bzw. vorläufig realisiert werden soll. Insoweit prüft das Verwaltungsgericht summarisch die Erfolgsaussichten der Hauptsache. Ein Anordnungsgrund besteht, wenn unter Berücksichtigung der Interessen des Antragstellers und dem öffentlichen Interesse das Abwarten der Hauptsacheentscheidung unzumutbar ist. Der Anordnungsanspruch und -grund sind glaubhaft gemacht, wenn ihr Bestehen als überwiegend wahrscheinlich dargelegt wurde.

4. Ein Anordnungsanspruch könnte sich aus § 3 Abs. 1 S. 1 BefBezG ergeben.

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Ja!

Nach § 3 Abs. 1 S. 1 BefBezG ist eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel innerhalb der befriedeten Bezirke i.S.d. § 1 BefBezG zuzulassen, wenn eine Beeinträchtigung der Tätigkeit des Deutschen Bundestages und seiner Fraktionen und eine Behinderung des freien Zugangs zu seinen in dem befriedeten Bezirk gelegenen Gebäuden nicht zu besorgen ist. Davon ist beim Bundestag regelmäßig auszugehen, wenn am Tag der Versammlung keine Sitzungen stattfinden (§ 3 Abs. 1 S. 2 BezBefG). Die Zulassung kann mit Auflagen verbunden werden (§ 3 Abs. 1 S. 3 BefBezG).

5. Die Nutzung der Gebäude des Bundestages als Projektionsfläche steht dem Gebot staatlicher Neutralität des Bundestags als Verfassungsorgan entgegen. Daher wäre dessen Funktionsfähigkeit beeinträchtigt.

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Genau, so ist das!

Die Gebäude des Bundestags sind untrennbar mit ihm als Verfassungsorgan verbunden. Für Dritte ist nicht erkennbar, ob es sich bei den Projektionen um eine Bekundung des Bundestags und seiner Mitglieder handelt oder ob Dritte dessen Mitglieder adressieren wollen. Es besteht die Gefahr, dass die inhaltlichen Aussagen dem Bundestag zugeschrieben werden. Zudem müsste diese Möglichkeit auch allen anderen Versammlungsveranstaltern eröffnet werden. Wegen des Zensurverbots (Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG) dürfte es dabei nicht auf den jeweiligen Inhalt der Meinungsäußerung ankommen. Eine Zurechnung einzelner Meinungen ist für den Bundestag in seiner Funktion unzumutbar (RdNr. 20).

6. Wegen Corona besteht zwar die Möglichkeit, dass kurzfristig Sitzungen im Bundestag anberaumt werden, am geplanten Tag der Versammlung sind aber noch keine Sitzungen vorgesehen. Daher ist eine Beeinträchtigung der Tätigkeit des Bundestags hier nicht zu besorgen (§ 3 Abs. 1 S. 2 BefBezG).

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Nein, das trifft nicht zu!

Finden keine Sitzungen statt ist zwar in der Regel anzunehmen, dass eine Beeinträchtigung der Tätigkeit nicht zu besorgen ist (§ 3 Abs. 1 S. 2 BefBezG). Aufgrund der pandemischen Lage können aber jederzeit, auch am Wochenende, kurzfristig Sitzungen anberaumt werden. Deren Ablauf kann durch die von A geplante Nutzung einer Gebäudefassade gestört werden. Auch wenn die Fassade keine Fenster enthält, können trotzdem Lichtreflexionen in umliegende Gebäude strahlen. Dafür sprechen insbesondere die Größe der Projektionsfläche von 8 m x 4 m und der Durchführung der Versammlung zum Zeitpunkt der Dämmerung (RdNr. 21).

7. A hat keinen Anspruch auf Zulassung der Versammlung ohne die Beschränkung hinsichtlich der Nutzung der Gebäude als Projektionsfläche. Die Zulassung muss aber ermessensfehlerfrei (§ 114 S. 1 VwGO) ergangen sein.

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Ja!

Eine Zulassung kann mit einer Auflage verbunden werden (§ 3 Abs. 1 S. 3 BefBezG). Dadurch wird ein Ermessensspielraum eröffnet, um eine Beeinträchtigung der Tätigkeit des betroffenen Verfassungsorgans zu vermeiden und dem Stellenwert der Versammlungsfreiheit gerecht zu werden. Die Ermessensentscheidung muss vor allem verhältnismäßig sein. Die Auflage muss einen legitimen Zweck verfolgen und ein geeignetes, erforderliches und angemessenen Mittel darstellen, um diesen zu erreichen. In Frage steht lediglich die Angemessenheit der Auflage. Es bedarf einer umfassenden Abwägung der gegenüberliegenden Interessen.

8. Die Versammlung kann wie geplant vor dem Bundestag stattfinden. Die Versagung der Nutzung der Bundestagsgebäude als Projektionsfläche tritt daneben in den Hintergrund. Daher ist die Auflage angemessen.

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Genau, so ist das!

VG: Die Auflage stelle einen geringfügigen Eingriff dar. Der Zweck der Versammlung werde nicht erheblich beeinträchtigt. Die Versammlung könne stattfinden und auch der Versammlungsort wurde nicht verschoben. Dadurch bestehe weiterhin ein hinreichender Bezug zu den Entscheidungsträgern im Bundestag als Mit-Adressaten der Versammlungsbotschaft. Ebenso könne A eigene Mittel nutzen, um die geplanten Botschaften auf Leinwände zu projizieren. Dem gegenüber stehe die Funktionsfähigkeit des Bundestags als Rechtsgut von Verfassungsrang. Diese würde wegen der Beeinträchtigung des staatlichen Neutralitätsgebots erheblich gestört werden (RdNr. 23).

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