Öffentliches Recht
Examensrelevante Rechtsprechung ÖR
Verwaltungsrecht BT: Versammlungsrecht
Nutzung öffentlicher Gebäude als Projektionsfläche im Rahmen einer Versammlung?
Nutzung öffentlicher Gebäude als Projektionsfläche im Rahmen einer Versammlung?
15. April 2025
30 Kommentare
4,6 ★ (24.489 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A zeigt an, eine Versammlung vor dem Bundestag durchführen zu wollen. Sie möchte die Gebäude des Bundestags als Projektionsfläche (8x4m) verwenden. Die Versammlung wird zugelassen. A wird indes nicht erlaubt, die Gebäude als Projektionsfläche zu verwenden. A möchte sich schnellstmöglich dagegen wehren.
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Einordnung des Falls
Nutzung öffentlicher Gebäude als Projektionsfläche im Rahmen einer Versammlung?
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Eine Versammlung vor dem Deutschen Bundestag bedarf einer behördlichen Erlaubnis.
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. Statthaft ist ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 5 S. 1 Alt. 1 VwGO).
Nein, das ist nicht der Fall!
3. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist begründet, soweit A einen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft macht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO).
Ja, in der Tat!
4. Ein Anordnungsanspruch könnte sich aus § 3 Abs. 1 S. 1 BefBezG ergeben.
Ja!
5. Die Nutzung der Gebäude des Bundestages als Projektionsfläche steht dem Gebot staatlicher Neutralität des Bundestags als Verfassungsorgan entgegen. Daher wäre dessen Funktionsfähigkeit beeinträchtigt.
Genau, so ist das!
6. Wegen Corona besteht zwar die Möglichkeit, dass kurzfristig Sitzungen im Bundestag anberaumt werden, am geplanten Tag der Versammlung sind aber noch keine Sitzungen vorgesehen. Daher ist eine Beeinträchtigung der Tätigkeit des Bundestags hier nicht zu besorgen (§ 3 Abs. 1 S. 2 BefBezG).
Nein, das trifft nicht zu!
7. A hat keinen Anspruch auf Zulassung der Versammlung ohne die Beschränkung hinsichtlich der Nutzung der Gebäude als Projektionsfläche. Die Zulassung muss aber ermessensfehlerfrei (§ 114 S. 1 VwGO) ergangen sein.
Ja!
8. Die Versammlung kann wie geplant vor dem Bundestag stattfinden. Die Versagung der Nutzung der Bundestagsgebäude als Projektionsfläche tritt daneben in den Hintergrund. Daher ist die Auflage angemessen.
Genau, so ist das!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
RH
14.1.2022, 21:55:11
Wieso handelt es sich hier nicht um eine Auflage, die man isoliert anfechten könnte? Nur die Erlaubnis, sich vor dem Bundestag versammeln zu dürfen, hat doch auch alleine Bestand, also woraus genau ergibt die Charakterisierung des Zusatzes als
Inhaltsbestimmung?

Lukas_Mengestu
17.1.2022, 15:34:45
Hallo RH, in der Tat sind die Ausführungen des VG Berlin hierzu denkbar knapp ausgefallen. Die Charakterisierung als "
modifizierte Auflage" hat es darauf gestützt, dass die Antragsgegnerin die Zulassungsentscheidung ohne die Auflage nicht getroffen hätte. Dies lag unter anderem daran, dass der damalige Bundestagspräsident Schäuble sein Einvernehmen nur unter der Auflage erteilt hatte, dass der Bundestag nicht als Projektionsfläche genutzt werde. Dogmatisch knüpft dies an das von dem BVerwG entwickelte Kriterium der "Offenkundigkeit" an. Denn grundsätzlich ist die Frage, der isolierten
Anfechtbarkeiteine Frage der Begründetheit, sofern nicht eine isolierte Aufhebbarkeit der Nebenbestimmung von vorneherein ausscheidet. (vgl. BVerwG NVwz 2021, 163). Beste Grüße, Lukas - für das JF-Team

Wesensgleiches Minus
6.3.2025, 11:25:52
Hey @[Lukas_Mengestu](136780), wo wird das Kriterium der offenkundigkeit angesprochen? Bei der statthaften Klageart? Also so nach dem Motto „ausnahmsweise kann die
isolierte Anfechtungsklagebereits im Rahmen der zulässigkeitsprüfung als statthafte Klageart im Hauptverfahren abgelehnt werden, wenn offenkundig ist, dass die Voraussetzungen einer isolierten Anfechtung nicht erfüllt sind. Das ist beispielsweise der Fall, wenn die Behörde den Verwaltungsakt ohne die Nebenbestimmung ausdrücklich nicht erlassen hätte“?
Student
10.5.2023, 23:11:06
Nur ein Formulierungshinweis für den Sachverhalt; gem. des VersFG BE werden in Berlin Versammlungen nicht angemeldet, sondern lediglich angezeigt.

Lukas_Mengestu
16.5.2023, 12:24:11
Danke für den Hinweis, Student! Das haben wir präzisiert. Der Begriff "Anzeige" ist in der Tat präziser, da nach Art. 8 Abs. 1 GG eine Versammlung gerade keiner Anmeldepflicht unterliegt. Anders als noch im Bundesversammlungsgesetz (vgl. § 14 BVersG) wird deshalb in den neueren Landesversammlungsgesetzen nunmehr üblicherweise von der bloßen "Anzeige" gesprochen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Saufen_Fetzt
18.7.2023, 01:42:00
Das Haus da heißt übrigens Reichstag.
MusterschüLAW
15.12.2023, 19:08:00
Ich halte eure Lösung mit Erklärung für falsch, da sie Wortlaut und Sinn und Zweck widerspricht. Es heißt "wenn die Versammlung oder der Aufzug an einem Tag durchgeführt werden soll, an dem Sitzungen der in Satz 1 genannten Stellen nicht stattfinden."
MusterschüLAW
15.12.2023, 19:09:29
Wenn nun schon die Möglichkeit einer Sitzung ausreichen soll, dann sind Versammlungen an ebendiesen Orten unmöglich.
MusterschüLAW
15.12.2023, 19:14:12
Stellt man auf die pandemische Lage zur Begründung ab, erweitert man das Ermessen der zuständigen Behörde unzulässig und öffnet die Regelungen für politische Überlegungen ("Welches Problem ist für die regierenden Parteien so wichtig, dass sie eine Sond
ersitzunganberaumen könnten?").
MusterschüLAW
15.12.2023, 19:15:17
Ich bin gespannt auf eure Antwort!

Lukas_Mengestu
19.12.2023, 14:20:39
Hallo MusterschüLaw, vielen Dank für Deine Einschätzung. Die Fälle aus der
examensrelevanten Rechtsprechung beruhen allesamt auf rechtskräftigen Gerichtsurteilen. Es handelt sich hierbei insoweit mitnichten um "unsere" Lösung, sondern die Entscheidung des VG Berlin in dem konkreten Eilverfahren. Letztlich sollte es aber in der Juristerei natürlich in der Tat nicht darauf an, wer etwas sagt, sondern was er sagt. Insofern ist es super, dass Du direkt mit dem juristischen Auslegungshandwerk gestartet hast. Hier liegt der Teufel im Detail. Nach § 3 Abs. 1 S. 1 BezBefG sind "öffentliche Versammlungen zuzulassen, wenn eine Beeinträchtigung der Tätigkeit des Deutschen Bundestages und seiner Fraktionen, [...] und eine Behinderung des freien
Zugangs zu ihren in dem befriedeten Bezirk gelegenen Gebäuden nicht zu besorgen ist." Der Wortlaut der Norm stellt also allein auf die Beeinträchtigung ab und setzt nicht voraus, dass Sitzungen stattfinden. Vielmehr heißt es in § 3 Abs. 1 S. 2 BezBefG lediglich, dass regelmäßig davon auszugehen ist, dass bei Stattfinden von Sitzungen eine Beeinträchtigung vorliegt. Der Gesetzgeber hat durch dieses Regelbeispiel den Tatbestand also konkretisiert. Hieraus kann aber nicht im Umkehrschluss gefolgert werden, dass nie eine Beeinträchtigung vorliegt, wenn keine Sitzungswoche gilt. Der Wortlaut steht der Entscheidung also nicht entgegen. Sinn und Zweck der Norm zielen darauf ab, dass die Funktionsfähigkeit der Bundesorgane gewahrt wird. Im Falle der Beeinträchtigung wird diesem Zweck also der Vorrang gegenüber der
Versammlungsfreiheiteingeräumt. Sofern eine Versammlung außerhalb der Sitzungswoche die Tätigkeit beeinträchtigt, entspricht es also durchaus dem Sinn und Zweck der Norm, diese Versammlung nicht zuzulassen oder jedenfalls mit Auflagen zu versehen. Nun bleibt noch die Frage, ob der Bundestagsverwaltung hierdurch nicht ein unzulässiger Entscheidungsspielraum eingeräumt wird und damit das Versammlungsrecht gänzlich ausgehöhlt wird. Hier muss man sauber differenzieren. Die Verwaltung hat hier kein Ermessen. Vielmehr sind (!) öffentliche Versammlungen nach § 3 Abs. 1 S. 1 BezBefG stets zuzulassen, wenn von ihnen keine Beeinträchtigung ausgeht. Es handelt sich um eine gebundene Entscheidung. Die Einschätzung, wann eine "Beeinträchtigung der Tätigkeit" vorliegt, unterliegt dagegen keinem Beurteilungsspielraum der Verwaltung. Es handelt sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der vollumfänglich gerichtlich überprüfbar ist. Diese Prüfung hat das VG Berlin im Eilverfahren vorgenommen und ist dabei zu dem Ergebnis gelangt, das im Hinblick auf die während der Corona-Pandemie häufig notwendigen Sond
ersitzungen tatsächlich eine Beeinträchtigung vorlag. Da solche Sond
ersitzungen in "normalen" Zeiten dagegen eher die Ausnahme, als die Regel sind, ist auch nicht zu befürchten, dass mit dieser Begründung nun auch zukünftig sämtliche Versammlungen in befriedeten Bezirken verboten werden. Ich hoffe, jetzt wird die Entscheidung und die dahinterstehenden Überlegungen noch etwas klarer. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Charliefux
18.3.2024, 08:42:15
@lukas_mengestu Vielen Dank für diese ausführliche Antwort auf die oben gestellte Frage!!

Wesensgleiches Minus
6.3.2025, 11:40:44
Heyhey, ich habe (anknüpfend auch an den anderen thread bzgl. Inhalts-/Nebenbestimmung) noch eine generelle Frage zur statthaften Antragsart, wenn es um Versammlungsgenehmigungen etc. geht: grundsätzlich bei einer Nebenbestimmung zum VA ja immer die isolierte AK die statthafte Klageart, weil sie schneller zum Ziel führt als eine VK gerichtet auf den Erlass eines neuen VA ohne Zusatz. Davon ausgehend bestimmt man normalerweise beim Eilrechtsschutz einen Antrag nach § 80 V VwGO als
statthafte Antragsart. Müsste man nicht bei Versammlungsgenehmigungen eine Ausnahme machen? Ihnen wohnt meist inne, dass sie zeitnah stattfinden sollen. Ein Antrag auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung führt ja aber überhaupt nicht dazu, dass zeitnah über die Aufhebung der Nebenbestimmung entschieden wird. Vielmehr entspricht ein Antrag auf Regelung eines vorläufigen Zustands nach § 123 I 2 VwGO dem Antragsbegehren (obwohl in der Hauptsache die isolierte AK statthaft wäre). Freue mich über Rückmeldungen 😊

Sebastian Schmitt
20.3.2025, 17:04:55
Hallo @[Wesensgleiches Minus](241758), Du missverstehst/unterschätzt glaube ich, wie rechtsschutzintensiv die Anfechtung einer Nebenbestimmung ist. Die Nebenbestimmung ist während der Schwebephase, während der der Antragsteller mit seinem 80 Ver-Antrag Erfolg hat, nicht um- bzw durchsetzbar. Das heißt aber nicht, dass der restliche VA nicht fortbesteht und für den Antragsteller/Kläger nutzbar ist und bleibt (statt aller Schoch/Schneider/Schröder, VerwR, Stand Grundwerk Juli 2020, § 36 VwVfG Rn 148 mwN). Man kegelt mit der isolierten Anfechtung also lediglich die Nebenbestimmung raus, nicht den gesamten Verwaltungsakt - deswegen ist es ja auch nur eine "isolierte" Anfechtung. Entsprechendes gilt für den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz nach § 80 V VwGO. Die von Dir genannte
Verpflichtungsklageoder einen korrespondierenden Antrag nach § 123 VwGO brauchen wir deshalb grds nicht bzw ist die isolierte Anfechtung und der Antrag nach § 80 V VwGO rechtsschutzintensiver. Dementsprechend ist das in Deinem zweiten Absatz Genannte grds kein Problem. Dem
Rechtsschutzinteressedes Klägers ist mit der Beseitigung der Nebenbestimmung entsprochen, einer kurzfristigen Entscheidung in der Hauptsache bedarf es aus seiner Sicht gar nicht. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

Wesensgleiches Minus
20.3.2025, 22:41:48
Hey @[Sebastian Schmitt](263562), vielen lieben Dank für die Rückmeldung! Super hilfreich! Da hatte ich wohl ein Brett vor‘m Kopf :D Liebe Grüße