Zivilrecht
Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA)
Die echte GoA – Sonderfälle
Selbsthilfeaufwendung II - Entfernung von fremdem Grundstück eingedrungenen Wurzelwerks
Selbsthilfeaufwendung II - Entfernung von fremdem Grundstück eingedrungenen Wurzelwerks
2. April 2025
29 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Vom Grundstück des A wachsen zwei Starkwurzeln eines Baumes in das Nachbargrundstück des B hinein. Sie beschädigen mehrere Betonplatten bei B. B bittet A, den Baum zu beseitigen. A weigert sich. B beauftragt daraufhin den Gärtner G mit der Fällung.
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Einordnung des Falls
Selbsthilfeaufwendung II - Entfernung von fremdem Grundstück eingedrungenen Wurzelwerks
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. B kann von A Ersatz der Beseitigungskosten verlangen, wenn er einen Anspruch auf Aufwendungsersatz hat (§§ 677, 683 S. 1, 670 BGB). Hat B ein „Geschäft besorgt“, indem er den Baum fällen ließ?
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. B ließ den Baum (auch) fällen, um sein eigenes Eigentum zu schützen. Hat B, indem er den Baum beseitigen ließ, er ein objektiv fremdes Geschäft besorgt?
Nein, das trifft nicht zu!
3. Hat B ein auch-fremdes Geschäft besorgt, sodass der Fremdgeschäftsführungswille vermutet wird (BGH)?
Ja!
4. Da A sich geweigert hat, den Baum zu fällen, hat er kundgemacht, dass die Fällung nicht seinem Willen entspricht. War die Geschäftsübernahme des B berechtigt (§ 683 S. 1 BGB)?
Nein, das ist nicht der Fall!
5. Hier hat A eigene Aufwendungen in Höhe der Gärtnerkosten erspart. Kann B diese daher von A ersetzt verlangen (§§ 677, 684 S. 1, 818 ff. BGB)?
Ja, in der Tat!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
iustus
30.8.2020, 13:32:06
Warum ist es kein
objektiv fremdes Geschäft, wenn der B den Baum des A auf dem GS des A entfernen lässt? Objektiv fremd (-) weil 1004?

Fahrradfischlein
12.9.2020, 16:20:15
Ich würde sagen es ist kein
objektiv fremdes Geschäftweil auch (und auf den ersten Blick auch ausschließlich) B etwas davon hat wenn der Baum entfernt wird. Durch den § 1004 Anspruch gegen A wird es aber als auch-fremdes Geschäft behandelt, da dadurch auch der A etwas vom Entfernen des Baumes hat.

0815jurafuchs
23.5.2024, 17:17:52
Was ist denn Maßstab bei der Beurteilung ob ein objektiv fremdes oder ein auch-fremdes Geschäft vorliegt? Der Eindruck den das Geschäft nach außen macht oder in wessen objektiven Interesse das Geschäft ist? Stellt man auf den äußeren Eindruck ab läge hier m.E. ein
objektiv fremdes Geschäftvor. Stelle ich auf das Interesse ab kann ich das auch-fremde Geschäft nachvollziehen, kann dann aber u. U. in bestimmten Konstellationen eine Einordnung eines Geschäfts als
subjektiv fremdes Geschäftnicht mehr nachvollziehen bspw. wenn ein GF ausschließlich ein Geschäft im Interesse des GH besorgt, es nach außen aber nicht als solches erkennbar ist (z.B. Reparatur einer Sache des GH). Kann mir hier jemand Klarheit schaffen?
Mona32145
25.11.2020, 21:10:45
Wenn A gem. §1004I S. 1 verpflichtet ist, könnte man dann nicht auch die Berechtigung des B bejahen? Er wird ja dann im Interesse des A tätig?
Tr(u)mpeltier junior
6.12.2020, 11:50:09
Das Problem ist, dass die berechtigte GoA neben dem Interesse auch noch einen entsprechenden Willen des Geachäftsherrn voraussetzt. Dieser fehlt hier aufgrund der Weigerung des A.

Kafkathustra
31.12.2020, 13:37:49
Wie wirken sich öffentlich-rechtliche Vorgaben auf das angenommene Interesse hier aus? Ich meine, dass die Baumschutzverordnung in Hamburg das fällen von Bäumen ohne gebührenpflichtige Sondergenehmigung jedenfalls verbietet. Und wenn die Baumschutzverordnung das Interesse des A nicht entfallen liesse: wer hätte für die Genehmigungsgebühren aufzukommen..?

Lukas_Mengestu
28.7.2021, 14:37:42
Hallo Kafkathustra, richtig ist, dass öffentlich-rechtliche Vorgaben auch von dem beeinträchtigten Nachbarn grundsätzlich zu beachten sind. Das heißt, sofern öffentlich-rechtliche Regelungen einer Beseitigung entgegenstehen (zB Naturschutzrecht), dann besteht grds. kein Beseitigungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB mehr. Allenfalls kommt dann ein
nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruchgem. § 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog in Betracht (vgl. BGH NZM 2005, 318). Sofern indes die Beantragung einer Ausnahmegenehmigung möglich ist, bleibt der Störer grds. nach § 1004 I BGB verpflichtet, die Störung zu beseitigen und insoweit auch die entsprechende Sondergenehmigung einzuholen (vgl. BGH NZM 2005, 318; NJW-RR 2019, 1356). Der Störer trägt hierfür dann auch die Kosten. In diesem Fall liegt die Beseitigung des Baumes weiterhin im Interesse des Störers und ein Erstattungsanspruch aus § 677, 684 S. 1, 818 ff. BGB besteht (zu den Erstattungskosten gehören dann auch die Kosten für die Ausnahmegenehmigung). Beste Grüße Lukas - für das Jurafuchs-Team
Vojtech
7.12.2021, 02:21:33
Tipp für einen Vertiefungshinweis: Der Fall ist bzgl. der beschädigten Betonplatten ein Paradebeispiel für den Streit zwischen der Kausalitäts- und Usurpationslehre. Da ihr die Ansicht der Rspr. hinsichtlichtlich der Rechtsfolge des §
1004 BGBbei der Erklärung bzgl. des “auch fremden Geschäfts” erwähnt und der Streit nicht nur bei GoA-Ansprüchen von Bedeutung ist, könnte es für viele vllt ganz hilfreich sein :)

Lukas_Mengestu
8.12.2021, 10:06:17
Vielen Dank für den Hinweis, Vojtech. Wir haben nun einen entsprechenden Vertiefungshinweis ergänzt :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Edward Hopper
17.6.2022, 21:58:51
Dass § 684 ein RF Verweis ist, ist aber auch "nur" BGH, h.L. sieht es (soweit ich weiß) als RG Verweis. Das hat hier im Ergebnis keine Auswirkung, kann aber in anderen Fällen durchaus sein.

Lukas_Mengestu
21.6.2022, 11:17:03
Vielen Dank für den Hinweis, besserwisser. Wir haben das nun entsprechend präzisiert. In der Tat nimmt ein großer Teil der Literatur an, dass es sich bei § 684 BGB um eine Rechtsgrundverweisung handelt, sodass die tatbestandlichen Voraussetzungen des
Bereicherungsrechts erfüllt sein müssen (insb. §§ 814, 815,
817 S. 2 BGBsind anwendbar). Große praktische Bedeutung hat der Streit indes nicht (so BeckOGK/Thole, 15.2.2022, BGB § 684 Rn. 5). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
InDubioProsecco
8.6.2023, 13:37:09
Man könnte hier ggf. noch erwähnen, dass es sich bei der Erlangten um eine
aufgedrängte Bereicherunghandelt, die A aber trotzdem ersetzen muss.

Falsus Prokuristor
6.6.2024, 13:18:37
Liebes Team, in einem der Texte wird es als herrschende Meinung bezeichnet, dass der
Anspruchsgegnerdes § 1004 die Beseitigung der Störungsquelle schulde. Dies ist die Ansicht der actus-contrarius-Theorie. Herrschende Meinung, einschließlich der Rechtsprechung, ist allerdings die noch weitergehende Wiederherstellungs- bzw Wiedernutzbarkeitstheorie. Da in diesem Fall lediglich die Gärtnerkosten verlangt werden, macht es für das Ergebnis keinen Unterschied. Ein Anspruch hinsichtlich der Betonplatten (und eventuell das Auffüllen mit Erde und Ansäen von Gras) wäre allerdings nur nach der herrschenden Meinung von § 1004 umfasst und damit nur nach dieser Auffassung als Aufwendungen ersetzbar.

DerChristoph
13.8.2024, 10:22:54
Die berechtigte GoA scheitert hier ja maßgeblich am ausdrücklich entgegenstehenden Willen des Nachbarn. Wie würde sich eine vergleichbare Äußerung bei den Abschlepp-Fällen auswirken? Wenn der Fahrzeughalter z.B. einen Zettel mit dem Inhalt "Ich möchte auf keinen Fall abgeschleppt werden" in die Windschutzscheibe gelegt hat; wäre dann eine berechtigte GoA auch ausgeschlossen?

Tobias Krapp
14.8.2024, 23:42:24
Hallo DerChristoph, danke für deine Nachfrage. In dieser Konstellation stellt sich dann die Frage, ob der wirkliche Wille überhaupt beachtlich ist. Ist er das nicht, ist auf den mutmaßlichen Willen abzustellen. Nach § 679 Alt. 1 BGB ist der dem Abschleppen entgegenstehende Wille unbeachtlich, wenn ohne die Geschäftsführung eine Pflicht des Geschäftsherrn, die im öffentlichen Interesse liegt, nicht
rechtzeitigerfüllt werden würde. Eine Ansicht lässt dafür die Pflicht zur Entfernung des falsch geparkten Fahrzeugs, also die Wahrung der Rechtsordnung, ausreichen. Die hM folgt dem aber nicht, da sonst einfach jedermann ein falsch geparktes Auto abschleppen lassen und die Kosten ersetzt verlangen könnte. Daher verlangt die hM zur Bejahung des § 679 Alt. 1 BGB ein über die Wahrung der Rechtsordnung hinausgehendes, sog. "besonderes und dringendes Interesse" oder auch "gesteigertes öffentliches Interesse". Dieses gesteigerte öffentliche Interesse sieht die Rechtsprechung als gegeben an, wenn Fahrzeuge unberechtigt auf geschützten Stellflächen besonderer Art abgestellt werden, wie in Feuerwehranfahrtzonen oder auf Behindertenparkplätzen. Bei übrigen Stellplätzen muss nach hM eine konkrete Gefahr für Personen oder Sachwerte oder eine besondere Notlage (zB blockierte Ausfahrt) bestehen. Eine andere Meinung bejaht auch im klausurträchtigen Fall des unberechtigten Parkens auf Kundenparkplätzen das gesteigerte öffentliche Interesse. Argument: Es gibt zum einen einen zunehmenden Mangel an Parkräumen, zum anderen in den landesrechtlichen Bauordnungen regelmäßig eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung der Einkaufsmärkte, Stellplätze bereit zu halten bzw. von der Gemeinde abzulösen. Die „grassierende Unsitte“ (so Lorenz) von Autofahrern, planmäßig und bewusst fremde Parkflächen zum kostenfreien Parken zu nutzen, stelle daher einen solch besonderen Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung da, dass die Beseitigung im gesteigerten öffentlichen Interesse liege. Welcher Ansicht man folgt, ist im ersten Examen Geschmackssache, für das zweite Examen würde ich empfehlen, der Meinung in der Rechtsprechung zu folgen. Als beachtlich könnte man den entgegenstehenden Wille aber in solchen Fällen ansehen, in denen der Aufenthaltsort des Geschäftsherrn bekannt ist. Dann könnte dieser das Fahrzeug nach Kontaktieren schlicht selbst entfernen und es bestünde keine Gefahr, in den Worten des §
679 BGB, dass die Pflicht "nicht
rechtzeitigerfüllt" werden würde. Alternativ wäre es auch vertretbar, dies im Rahmen des §
679 BGBunberücksichtigt zu lassen und den Anspruch an der fehlenden "Erforderlichkeit" der Aufwendungen (vgl. §
670 BGB) scheitern zu lassen. Ist nach alledem der wirkliche Wille unbeachtlich, gilt der mutmaßliche. Dann ist man im bekannten Terrain: Dem mutmaßlichen Willen entspricht, was dem objektiv verständigen Interesse des Geschäftsherrn entspricht; im Interesse des Geschäftsherrn ist, was objektiv vorteilhaft und nützlich ist; objektiv vorteilhaft und nützlich ist die Tilgung einer einredefreien Schuld; geschuldet ist hier die Beseitigung nach § 862 I S. 2 bzw. § 1004 I S. 2 BGB bzw. § 823 I BGB. Ergebnis: Berechtigte GoA. Ist der wirkliche Wille dagegen beachtlich, scheidet die berechtigte GoA aus. Dann kommt die
unberechtigte GoAgem. §§ 684 S. 1, 818 II Alt. 1 BGB in Betracht. Erlangtes Etwas ist die Befreiung von der Pflicht der Beseitigung nach § 862 I S. 2 bzw. § 1004 I S. 2 BGB bzw. § 823 I BGB. Dieser Anspruch kann dann aber nach der Figur der aufgedrängten
Bereicherungeingeschränkt oder ausgeschlossen sein, je nachdem, welche Meinung man hierzu vertritt. Der Vollständigkeit halber: Kommt man zur unberechtigten GoA und lässt diese an aufgedrängter
Bereicherungteils oder ganz scheitern, hilft noch der Anspruch nach § 823 I, II BGB (Abs. 2 iVm § 858 I BGB). Im Rahmen des kausalen
Schadens ist dann die Frage des Schutzbereichs der Norm zu diskutieren, Stichwort "Herausforderungsfälle", "
psychisch vermittelte Kausalität". Die hM bejaht den inneren Zusammenhang, da das Gesetz mit §
859 BGBdem Gläubiger ein Selbsthilferecht gerade zubilligt. Der Gläubiger darf sich daher "herausgefordert" fühlen, der
Schadenliegt im Schutzbereich der Norm. Schwere Kost, aber Abschleppfälle sind in all ihren Varianten sehr klausurrelevant, daher lohnt sich die Denkarbeit :) Ich hoffe, das hat weitergeholfen! Viele Grüße - für das Jurafuchsteam - Tobias
Niro95
11.11.2024, 20:31:57
Magnum
14.1.2025, 11:49:25
Warum wird hier nicht einmal geprüft, ob der entgegenstehende Wille unbeachtlich gem. § 679 ist? Mir scheint das nicht völlig abwegig zu sein, oder?
pactasuntservanda04
26.2.2025, 16:29:36
Naja, es ist ja kein "Öffentliches" Interesse betroffen, nur das des Nachbarn
JackA
23.3.2025, 15:00:52
Mir erschließt sich noch nicht, weshalb hier Ersatz für die Fällung des Baumes geschuldet ist. Die Beeinträchtigung der Bodenplatten ging hier nur von den Wurzeln des Baumes aus. Die Lösung fände ich nachvollziehbar, wenn hier nur die GoA als Fortsetzung des Anspruchs aus § 910 BGB geprüft worden wäre. So aber dringt scheinbar der Gärtner auf ein fremdes Grundstück ein und fällt dort einen Baum, ohne dass die Fällung jemals geschuldet war. Für mich wirkt das im Ergebnis eher nach einem Fall der angemaßten GoA?
JackA
23.3.2025, 18:08:27
Mir erschließt sich noch nicht, weshalb hier Ersatz für die Fällung des Baumes geschuldet ist. Die Beeinträchtigung der Bodenplatten ging nur von den Wurzeln des Baumes aus. Auch in dem in Bezug genommen Fall des BGH geht es lediglich um beschädigte Leitungen und den Ersatz dafür. Hier aber dringt scheinbar der Gärtner auf ein fremdes Grundstück ein und fällt dort einen Baum, ohne dass die Fällung jemals geschuldet war. Für mich wirkt das im Ergebnis eher nach einem Fall der angemaßten GoA?