Entfernung von fremdem Grundstück eingedrungenen Wurzelwerks


leicht

Diesen Fall lösen 82,3 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
Tags
Klassisches Klausurproblem

Vom Grundstück des A wachsen zwei Starkwurzeln eines Baumes in das Nachbargrundstück des B hinein. Sie beschädigen mehrere Betonplatten bei B. B bittet A, den Baum zu beseitigen. A weigert sich. B beauftragt daraufhin den Gärtner G mit der Fällung.

Einordnung des Falls

Entfernung von fremdem Grundstück eingedrungenen Wurzelwerks

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. B kann von A Ersatz der Beseitigungskosten verlangen, wenn er einen Anspruch auf Aufwendungsersatz hat (§§ 677, 683 S. 1, 670 BGB).

Genau, so ist das!

Voraussetzung für einen Aufwendungsersatzanspruch nach §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB ist, dass B (1) ein fremdes Geschäft (2) mit Fremdgeschäftsführungswillen, (3) ohne Auftrag oder einer sonstigen Berechtigung geführt hat und die (4) Geschäftsführung berechtigt war.

2. Indem B den Baum beseitigen ließ, hat er "ein Geschäft besorgt" (§ 677 BGB).

Ja, in der Tat!

Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA) begründet ein gesetzliches Schuldverhältnis. Sie liegt vor, wenn jemand (der Geschäftsführer) ein Geschäft für einen anderen (den Geschäftsherrn) besorgt, ohne von ihm beauftragt oder ihm gegenüber sonst dazu berechtigt zu sein. Geschäftsbesorgung ist wie im Auftragsrecht (§ 662 BGB) weit zu verstehen und umfasst jede fremdnützige tatsächliche oder rechtsgeschäftliche Tätigkeit, auch von kurzer Dauer. Die Beauftragung des G mit der Fällung ist eine rechtsgeschäftliche Tätigkeit. A hat ein Geschäft besorgt.

3. Indem B den Baum beseitigen ließ, hat er ein objektiv fremdes Geschäft besorgt. Der Fremdgeschäftsführungswille wird vermutet.

Nein!

Unter objektiv fremde Geschäfte fallen Tätigkeiten, die schon ihrem äußeren Erscheinungsbild nach in einen anderen Rechts- und Interessenkreis fallen, z.B. Hilfeleistungen, Gefahrabwendung und Zahlung fremder Schulden. B hat den Baum beseitigen lassen, da die Wurzeln des Baums in sein Grundstück eingedrungen sind und dort Schäden verursacht haben. Das Geschäft lag somit auch im Rechts- und Interessenkreis des B.

4. Indem B den Baum beseitigen ließ, hat er ein auch- fremdes Geschäft besorgt. Der Fremdgeschäftsführungswille wird vermutet.

Genau, so ist das!

Unter "auch-fremde" Geschäfte fallen Tätigkeiten, die ihrer äußeren Erscheinung nach nicht nur in den Interessenkreis des Geschäftsführers fallen, sondern auch einem Dritten zugute kommen (Handeln im Doppelinteresse). BGH: B stand gegen den Störer A ein Anspruch auf Beseitigung der durch die Wurzeln eingetretenen Beeinträchtigungen nach § 1004 Abs.1 S. 1 BGB zu. Der Anspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB umfasst - neben der Wiederherstellung der beschädigten Betonsteinplatten -, auch die Entfernung der Wurzeln. Da B die Beeinträchtigung selbst beseitigt hat, habe er A von seiner Pflicht aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB befreit und somit auch ein Geschäft des A besorgt.Die Rechtsfolge bei § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB ist umstritten. Während die h.M. den Störer zur Beseitigung der Störungsquelle verpflichtet, so lässt es die Usurpationstheorie genügen, dass der Störer sich zurückzieht und die Beseitigung gestattet(z.B. durch Eigentumsaufgabe).

5. Die Geschäftsführung des B war berechtigt (§ 683 S. 1 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Die Geschäftsführung ist berechtigt, wenn sie dem Interesse und dem wirklichen oder dem mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn entspricht. Der wirkliche Wille kann entweder ausdrücklich oder konkludent geäußert werden. Indem A sich geweigert hat, den Baum zu fällen, hat er kundgemacht, dass die Fällung nicht seinem Willen entspricht. Die Geschäftsführung des B war unberechtigt (§ 684 S. 1 BGB). B hat daher keinen Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen aus §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB, sondern nur aus §§ 677, 684 S. 1, 818 ff. BGB, soweit A durch die Geschäftsführung des B bereichert ist.

6. B kann von A die Gärtnerkosten ersetzt verlangen (§§ 677, 684 S. 1, 818 ff. BGB).

Genau, so ist das!

§ 684 Satz 1 BGB ist nach Auffasung des BGH ein Rechtsfolgenverweis. Das bedeutet, dass sich bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 684 BGB die Rechtsfolge aus den §§ 818 ff. BGB ergibt, ohne dass ein bereicherungsrechtlicher Tatbestand erfüllt sein muss. Nach § 818 Abs. 1 BGB muss A grundsätzlich das Erlangte herausgeben oder nach § 818 Abs. 2 BGB hierfür Wertersatz leisten. A war nach § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB verpflichtet war den Baum zu beseitigen. Indem B den Baum fällen ließ, hat A eigene Aufwendungen erspart. A muss dem B die Gärtnerkosten nach § 818 Abs. 2 BGB ersetzen.

Jurafuchs kostenlos testen


IUS

iustus

30.8.2020, 13:32:06

Warum ist es kein objektiv fremdes Geschäft, wenn der B den Baum des A auf dem GS des A entfernen lässt? Objektiv fremd (-) weil 1004?

Fahrradfischlein

Fahrradfischlein

12.9.2020, 16:20:15

Ich würde sagen es ist kein objektiv fremdes Geschäft weil auch (und auf den ersten Blick auch ausschließlich) B etwas davon hat wenn der Baum entfernt wird. Durch den § 1004 Anspruch gegen A wird es aber als auch-fremdes Geschäft behandelt, da dadurch auch der A etwas vom Entfernen des Baumes hat.

0815jurafuchs

0815jurafuchs

23.5.2024, 17:17:52

Was ist denn Maßstab bei der Beurteilung ob ein objektiv fremdes oder ein auch-fremdes Geschäft vorliegt? Der Eindruck den das Geschäft nach außen macht oder in wessen objektiven Interesse das Geschäft ist? Stellt man auf den äußeren Eindruck ab läge hier m.E. ein objektiv fremdes Geschäft vor. Stelle ich auf das Interesse ab kann ich das auch-fremde Geschäft nachvollziehen, kann dann aber u. U. in bestimmten Konstellationen eine Einordnung eines Geschäfts als

subjektiv fremdes Geschäft

nicht mehr nachvollziehen bspw. wenn ein GF ausschließlich ein Geschäft im Interesse des GH besorgt, es nach außen aber nicht als solches erkennbar ist (z.B. Reparatur einer Sache des GH). Kann mir hier jemand Klarheit schaffen?

MO

Mona32145

25.11.2020, 21:10:45

Wenn A gem. §1004I S. 1 verpflichtet ist, könnte man dann nicht auch die Berechtigung des B bejahen? Er wird ja dann im Interesse des A tätig?

TJU

Tr(u)mpeltier junior

6.12.2020, 11:50:09

Das Problem ist, dass die berechtigte GoA neben dem Interesse auch noch einen entsprechenden Willen des Geachäftsherrn voraussetzt. Dieser fehlt hier aufgrund der Weigerung des A.

Kafkathustra

Kafkathustra

31.12.2020, 13:37:49

Wie wirken sich öffentlich-rechtliche Vorgaben auf das angenommene Interesse hier aus? Ich meine, dass die Baumschutzverordnung in Hamburg das fällen von Bäumen ohne gebührenpflichtige Sondergenehmigung jedenfalls verbietet. Und wenn die Baumschutzverordnung das Interesse des A nicht entfallen liesse: wer hätte für die Genehmigungsgebühren aufzukommen..?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

28.7.2021, 14:37:42

Hallo Kafkathustra, richtig ist, dass öffentlich-rechtliche Vorgaben auch von dem beeinträchtigten Nachbarn grundsätzlich zu beachten sind. Das heißt, sofern öffentlich-rechtliche Regelungen einer Beseitigung entgegenstehen (zB Naturschutzrecht), dann besteht grds. kein Beseitigungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB mehr. Allenfalls kommt dann ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch gem. § 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog in Betracht (vgl. BGH NZM 2005, 318). Sofern indes die Beantragung einer Ausnahmegenehmigung möglich ist, bleibt der Störer grds. nach § 1004 I BGB verpflichtet, die Störung zu beseitigen und insoweit auch die entsprechende Sondergenehmigung einzuholen (vgl. BGH NZM 2005, 318; NJW-RR 2019, 1356). Der Störer trägt hierfür dann auch die Kosten. In diesem Fall liegt die Beseitigung des Baumes weiterhin im Interesse des Störers und ein Erstattungsanspruch aus § 677, 684 S. 1, 818 ff. BGB besteht (zu den Erstattungskosten gehören dann auch die Kosten für die Ausnahmegenehmigung). Beste Grüße Lukas - für das Jurafuchs-Team

VO

Vojtech

7.12.2021, 02:21:33

Tipp für einen Vertiefungshinweis: Der Fall ist bzgl. der beschädigten Betonplatten ein Paradebeispiel für den Streit zwischen der Kausalitäts- und Usurpationslehre. Da ihr die Ansicht der Rspr. hinsichtlichtlich der Rechtsfolge des § 1004 BGB bei der Erklärung bzgl. des “auch fremden Geschäfts” erwähnt und der Streit nicht nur bei GoA-Ansprüchen von Bedeutung ist, könnte es für viele vllt ganz hilfreich sein :)

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

8.12.2021, 10:06:17

Vielen Dank für den Hinweis, Vojtech. Wir haben nun einen entsprechenden Vertiefungshinweis ergänzt :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Edward Hopper

Edward Hopper

17.6.2022, 21:58:51

Dass § 684 ein RF Verweis ist, ist aber auch "nur" BGH, h.L. sieht es (soweit ich weiß) als RG Verweis. Das hat hier im Ergebnis keine Auswirkung, kann aber in anderen Fällen durchaus sein.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

21.6.2022, 11:17:03

Vielen Dank für den Hinweis, besserwisser. Wir haben das nun entsprechend präzisiert. In der Tat nimmt ein großer Teil der Literatur an, dass es sich bei § 684 BGB um eine Rechtsgrundverweisung handelt, sodass die tatbestandlichen Voraussetzungen des Bereicherungsrechts erfüllt sein müssen (insb. §§ 814, 815, 817 S. 2 BGB sind anwendbar). Große praktische Bedeutung hat der Streit indes nicht (so BeckOGK/Thole, 15.2.2022, BGB § 684 Rn. 5). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

INDUB

InDubioProsecco

8.6.2023, 13:37:09

Man könnte hier ggf. noch erwähnen, dass es sich bei der Erlangten um eine aufgedrängte Bereicherung handelt, die A aber trotzdem ersetzen muss.

LAULAUA

LaulauAC

11.4.2024, 00:12:25

Warum war A zur Entfernung des Baumes verpflichtet? Die Entfernung der Wurzeln sowie die Wiederherstellung der Betonplatten hätte doch vollkommen ausgereicht.

FAP

Falsus Prokuristor

6.6.2024, 13:18:37

Liebes Team, in einem der Texte wird es als herrschende Meinung bezeichnet, dass der Anspruchsgegner des § 1004 die Beseitigung der Störungsquelle schulde. Dies ist die Ansicht der actus-contrarius-Theorie. Herrschende Meinung, einschließlich der Rechtsprechung, ist allerdings die noch weitergehende Wiederherstellungs- bzw Wiedernutzbarkeitstheorie. Da in diesem Fall lediglich die Gärtnerkosten verlangt werden, macht es für das Ergebnis keinen Unterschied. Ein Anspruch hinsichtlich der Betonplatten (und eventuell das Auffüllen mit Erde und Ansäen von Gras) wäre allerdings nur nach der herrschenden Meinung von § 1004 umfasst und damit nur nach dieser Auffassung als Aufwendungen ersetzbar.

TO

Tooqzi

29.6.2024, 11:10:11

Liebes Team, ich glaube in der Subsumtion des Anspruchs iVm 818 BGB hat sich ein Formulierungsfehler eingeschlichen. Das Wort "war" taucht dort im ersten Satz zwei mal auf obwohl es vermutlich nur ein mal dort stehen sollte.


© Jurafuchs 2024