Verhältnis Anfechtung & Mängelgewährleistung („Ruisdael-Fall“)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
K kauft von V ein Gemälde des berühmten Malers Vincent van Gogh. Als sich mehr als zwei Jahre später herausstellt, dass das Werk von einem weit weniger berühmten Schüler van Goghs stammt, erklärt K die Anfechtung wegen Irrtums und verlangt den Kaufpreis zurück. V meint, dass sei doch alles schon so lange her.
Einordnung des Falls
Verhältnis Anfechtung & Mängelgewährleistung („Ruisdael-Fall“)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. K und V haben einen Kaufvertrag (§ 433 BGB) über das Bild geschlossen.
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Ja, in der Tat!
2. Das Gemälde ist mangelhaft, weil es nicht von Vincent van Gogh stammt (§ 434 Abs. 1 S. 1 BGB).
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Ja!
3. K kann vom Kaufvertrag zurücktreten und den Kaufpreis zurückverlangen (§§ 346 Abs. 1, 437 Nr. 2, 323 Abs. 1, 326 Abs. 5, BGB).
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Nein, das ist nicht der Fall!
4. K unterlag beim Kauf des Gemäldes einem Eigenschaftsirrtum, weil er sich über die Urheberschaft des Gemäldes irrte (§ 119 Abs. 2 BGB).
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Ja, in der Tat!
5. K kann sein Kaufangebot anfechten (§§ 142 Abs. 1, 119 Abs. 2 BGB).
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Nein!
Fundstellen
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Tigerwitsch
12.3.2021, 23:41:49
Ich verstehe nicht, wieso K hier nicht anfechten kann. Natürlich sperrt zunächst die Mängelhaftung die Anfechtung. Aber wie wir im Fall festgestellt haben, kann K aufgrund der Verjährung keinen Gebrauch von den Rechten aus §§ 437 ff. BGB machen. Insofern käme es mE vorliegend nicht auf die Sperrwirkung an. Oder übersehe ich gerade etwas? 🤔

Lukas_Mengestu
13.3.2021, 17:24:11
Hallo Tigerwitsch, danke für deine Nachfrage :). Sinn und Zweck der Sperrwirkung ist gerade, dass die Spezialvorschriften des Kaufrechts, insb. das Recht zur zweiten Andienung sowie die kurze Verjährungsfrist von zwei Jahren, nicht durch die Anfechtung ausgehöhlt werden. Auch wenn die Mängelrechte aufgrund der eingetretenen Verjährung insofern nicht mehr geltend gemacht werden können, so bleibt die Sperrwirkung dennoch bestehen, sofern der Anwendungsbereich einmal eröffnet war. Da dies vorliegend der Fall war, kann sich K somit nicht die Anfechtung erklären. Beste Grüße Lukas - für das Jurafuchs-Team

Tigerwitsch
14.3.2021, 01:21:59
Ich verstehe. Gut zu wissen, danke! 😊
QuiGonTim
12.4.2022, 11:36:08
Es wäre ja auch absurd, wenn man die unter anderem mit der kürzeren Verjährungsfrist die Sperrwirkung des Kaufrechts begründet und diese Sperrwirkung dann mit Verweis auf die abgelaufene Verjährungsfrist wieder entfallen ließe.
David.
27.6.2022, 13:20:45
Aber warum ist der Eigenschaftsirrtum hier nicht auch gleichzeitig ein Inhaltsirrtum? Ist hier nicht die Eigenschaft des Bildes, dass dieses von van Gogh stammt, Bestandteil der Erklärung von K geworden?

Lukas_Mengestu
29.6.2022, 19:44:54
Hallo davdz97, vielen Dank für Deine Frage! Die Abgrenzung ist in der Tat hier relevant, da bei einem Inhaltsirrtum keine Sperrwirkung des Kaufmängelgewährleistungsrechts greifen würde! Zur Abgrenzung: Bei einem Inhaltsirrtum entspricht der äußere Tatbestand der Erklärung dem Willen des Erklärenden. Dieser irrt aber über die Bedeutung oder Tragweite der Erklärung. Er weiß also was er sagt, weiß aber nicht, was er damit sagt (Grüneberg/Ellenberger, § 119 RdNr. 11). Demgegenüber stimmen bei einem Eigenschaftsirrtum Wille und Erklärung überein. Der Erklärende irrt nicht über die Erklärungshandlung oder den Erklärungsinhalt, sondern über Eigenschaften des Geschäftsgegenstandes und damit über die außerhalb der Erklärung liegende Wirklichkeit (Grüneberg/Ellenberger, § 119 RdNr. 23). In Fällen des sog. Identitätsirrtums ist die Abgrenzung im Einzelfall durchaus schwierig (ausführlich dazu: (MüKoBGB/Armbrüster, 9. Aufl. 2021, BGB § 119 Rn. 81; s. auch OLG Hamm, Urt. v. 4.4.2019 = https://www.justiz.nrw.de/nrwe/olgs/hamm/j2019/5_U_40_18_Urteil_20190404.html, das die Abgrenzung letztlich aber offenließ). Überwiegend wird zur Abgrenzung indes darauf abgestellt, ob der Käufer den Kaufgegenstand körperlich richtig identifiziert hat (dann bloß Eigenschaftsirrtum) oder nicht (dann Inhaltsirrtum) (vgl. Jauernig/Mansel, 18. Aufl. 2021, BGB § 119 Rn. 9). Im vorliegenden Fall, wo K das bestimmte Gemälde kauft, das ihm angeboten wird, decken sich seine Erklärungshandlung mit dem Erklärungswillen (Kauf dieses Gemäldes). Der Irrtum über den Urheber stellt sich insoweit weniger als Identitätsirrtum dar, sondern vielmehr als "bloßer" Irrtum über die Eigenschaften des Gemäldes (vgl. BGH NJW 1988, 2597). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Lukas_Mengestu
29.6.2022, 19:44:55
Hallo davdz97, vielen Dank für Deine Frage! Die Abgrenzung ist in der Tat hier relevant, da bei einem Inhaltsirrtum keine Sperrwirkung greifen würde! Zur Abgrenzung: Bei einem Inhaltsirrtum entspricht der äußere Tatbestand der Erklärung dem Willen des Erklärenden. Dieser irrt aber über die Bedeutung oder Tragweite der Erklärung. Er weiß also was er sagt, weiß aber nicht, was er damit sagt (Grüneberg/Ellenberger, § 119 RdNr. 11). Demgegenüber stimmen bei einem Eigenschaftsirrtum Wille und Erklärung überein. Der Erklärende irrt nicht über die Erklärungshandlung oder den Erklärungsinhalt, sondern über Eigenschaften des Geschäftsgegenstandes und damit über die außerhalb der Erklärung liegende Wirklichkeit (Grüneberg/Ellenberger, § 119 RdNr. 23). In Fällen des sog. Identitätsirrtums ist die Abgrenzung im Einzelfall durchaus schwierig (ausführlich dazu: (MüKoBGB/Armbrüster, 9. Aufl. 2021, BGB § 119 Rn. 81; s. auch OLG Hamm, Urt. v. 4.4.2019 = https://www.justiz.nrw.de/nrwe/olgs/hamm/j2019/5_U_40_18_Urteil_20190404.html, das die Abgrenzung letztlich aber offenließ). Überwiegend wird zur Abgrenzung indes darauf abgestellt, ob der Käufer den Kaufgegenstand körperlich richtig identifiziert hat (dann bloß Eigenschaftsirrtum) oder nicht (dann Inhaltsirrtum) (vgl. Jauernig/Mansel, 18. Aufl. 2021, BGB § 119 Rn. 9). Im vorliegenden Fall, wo K das bestimmte Gemälde kauft, das ihm angeboten wird, decken sich seine Erklärungshandlung mit dem Erklärungswillen (Kauf dieses Gemäldes). Der Irrtum über den Urheber stellt sich insoweit weniger als Identitätsirrtum dar, sondern vielmehr als "bloßer" Irrtum über die Eigenschaften des Gemäldes (vgl. BGH NJW 1988, 2597). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
David.
25.11.2022, 14:23:19
§ 313 II ist auch ausgeschlossen wegen Vorrang der Gewährleistungsrechte oder? Das heißt K ginge in diesem Fall leer aus?

Nora Mommsen
26.11.2022, 19:15:55
Hallo David, danke für deine Frage. Im Anwendungsbereich der Mängelhaftung (§§ 437 ff., 536 ff., 634 ff., 651c ff.) ist § 313 ausgeschlossen (BGHZ 98, 103 f. mN; 117, 162; MDR 2008, 616). Dies gilt auch dann, wenn die Voraussetzungen der Mängelhaftung im Einzelfall (zB wegen Verjährung, Ausschließung) nicht eingreifen (BGHZ 117, 163 f.); nicht jedoch dann, wenn der betreffende Umstand von vornherein nicht geeignet ist, Sachmängelansprüche auszulösen. (Siehe Jauernig/Stadler, 18. Aufl. 2021, BGB § 313 Rn. 10). Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
David.
28.11.2022, 16:43:56
K geht damit leer aus, weil andere Ansprüche auch nicht in Betracht kommen?
Flohm
15.8.2023, 11:33:01
Wieso greift hier die Sperrwirkung des Gewährleistungsrechts aber in den Fällen davor nicht, obwohl da auch der Gefahrübergang schon statt gefunden hat ?

CR7
26.8.2023, 13:16:50
In den Fällen vorher hat noch keine Verjährung stattgefunden, also laut Sachverhalt zumindest nicht. Daher würden die 434 ff. nicht umgegangen. Bei den Stühlen lag ja ein SchenkungsV vor, bei den Musiknoten keine Beschaffenheitsvereinbarung.