Zivilrecht
BGB Allgemeiner Teil
Anfechtung der Willenserklärung
Verhältnis Anfechtung & Mängelgewährleistung („Ruisdael-Fall“)
Verhältnis Anfechtung & Mängelgewährleistung („Ruisdael-Fall“)
7. März 2025
35 Kommentare
4,8 ★ (53.610 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
K kauft von V ein Gemälde des berühmten Malers Vincent van Gogh. Als sich mehr als zwei Jahre später herausstellt, dass das Werk von einem weit weniger berühmten Schüler van Goghs stammt, erklärt K die Anfechtung wegen Irrtums und verlangt den Kaufpreis zurück. V meint, das sei doch alles schon so lange her.
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Einordnung des Falls
Verhältnis Anfechtung & Mängelgewährleistung („Ruisdael-Fall“)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. K und V haben einen Kaufvertrag (§ 433 BGB) über das Bild geschlossen.
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Das Gemälde ist mangelhaft, weil es nicht von Vincent van Gogh stammt (§ 434 Abs. 1 BGB).
Ja!
3. K kann vom Kaufvertrag zurücktreten und den Kaufpreis zurückverlangen (§§ 346 Abs. 1, 437 Nr. 2, 323 Abs. 1, 326 Abs. 5, BGB).
Nein, das ist nicht der Fall!
4. K unterlag beim Kauf des Gemäldes einem Eigenschaftsirrtum, weil er sich über die Urheberschaft des Gemäldes irrte (§ 119 Abs. 2 BGB).
Ja, in der Tat!
5. K kann sein Kaufangebot anfechten (§§ 142 Abs. 1, 119 Abs. 2 BGB).
Nein!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Tigerwitsch
12.3.2021, 23:41:49
Ich verstehe nicht, wieso K hier nicht anfechten kann. Natürlich sperrt zunächst die Mängelhaftung die Anfechtung. Aber wie wir im Fall festgestellt haben, kann K aufgrund der Verjährung keinen Gebrauch von den Rechten aus §§ 437 ff. BGB machen. Insofern käme es mE vorliegend nicht auf die
Sperrwirkungan. Oder übersehe ich gerade etwas? 🤔

Lukas_Mengestu
13.3.2021, 17:24:11
Hallo Tigerwitsch, danke für deine Nachfrage :). Sinn und Zweck der
Sperrwirkungist gerade, dass die Spezialvorschriften des Kaufrechts, insb. das Recht zur zweiten
Andienungsowie die kurze Verjährungsfrist von zwei Jahren, nicht durch die Anfechtung ausgehöhlt werden. Auch wenn die Mängelrechte aufgrund der eingetretenen Verjährung insofern nicht mehr geltend gemacht werden können, so bleibt die
Sperrwirkungdennoch bestehen, sofern der Anwendungsbereich einmal eröffnet war. Da dies vorliegend der Fall war, kann sich K somit nicht die Anfechtung erklären. Beste Grüße Lukas - für das Jurafuchs-Team

Tigerwitsch
14.3.2021, 01:21:59
Ich verstehe. Gut zu wissen, danke! 😊
QuiGonTim
12.4.2022, 11:36:08
Es wäre ja auch absurd, wenn man die unter anderem mit der kürzeren Verjährungsfrist die
Sperrwirkungdes Kaufrechts begründet und diese
Sperrwirkungdann mit Verweis auf die abgelaufene Verjährungsfrist wieder entfallen ließe.
David.
27.6.2022, 13:20:45
Aber warum ist der
Eigenschaftsirrtumhier nicht auch gleichzeitig ein
Inhaltsirrtum? Ist hier nicht die Eigenschaft des Bildes, dass dieses von van Gogh stammt, Bestandteil der Erklärung von K geworden?

Lukas_Mengestu
29.6.2022, 19:44:54
Hallo davdz97, vielen Dank für Deine Frage! Die Abgrenzung ist in der Tat hier relevant, da bei einem
Inhaltsirrtumkeine
Sperrwirkungdes Kaufmängelgewährleistungsrechts greifen würde! Zur Abgrenzung: Bei einem
Inhaltsirrtumentspricht der äußere
Tatbestandder Erklärung dem Willen des Erklärenden. Dieser irrt aber über die Bedeutung oder Tragweite der Erklärung. Er weiß also was er sagt, weiß aber nicht, was er damit sagt (Grüneberg/Ellenberger, § 119 RdNr. 11). Demgegenüber stimmen bei einem
EigenschaftsirrtumWille und Erklärung überein. Der Erklärende irrt nicht über die Erklärungshandlung oder den Erklärungsinhalt, sondern über Eigenschaften des Geschäftsgegenstandes und damit über die außerhalb der Erklärung liegende Wirklichkeit (Grüneberg/Ellenberger, § 119 RdNr. 23). In Fällen des sog.
Identitätsirrtums ist die Abgrenzung im Einzelfall durchaus schwierig (ausführlich dazu: (MüKoBGB/Armbrüster, 9. Aufl. 2021, BGB § 119 Rn. 81; s. auch OLG Hamm, Urt. v. 4.4.2019 = https://www.justiz.nrw.de/nrwe/olgs/hamm/j2019/5_U_40_18_
Urteil_20190404.html, das die Abgrenzung letztlich aber offenließ). Überwiegend wird zur Abgrenzung indes darauf abgestellt, ob der Käufer den Kaufgegenstand körperlich richtig identifiziert hat (dann bloß
Eigenschaftsirrtum) oder nicht (dann
Inhaltsirrtum) (vgl. Jauernig/Mansel, 18. Aufl. 2021, BGB § 119 Rn. 9). Im vorliegenden Fall, wo K das bestimmte Gemälde kauft, das ihm angeboten wird, decken sich seine Erklärungshandlung mit dem Erklärungswillen (Kauf dieses Gemäldes). Der Irrtum über den Urheber stellt sich insoweit weniger als
Identitätsirrtumdar, sondern vielmehr als "bloßer" Irrtum über die Eigenschaften des Gemäldes (vgl. BGH NJW 1988, 2597). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Lukas_Mengestu
29.6.2022, 19:44:55
Hallo davdz97, vielen Dank für Deine Frage! Die Abgrenzung ist in der Tat hier relevant, da bei einem
Inhaltsirrtumkeine
Sperrwirkunggreifen würde! Zur Abgrenzung: Bei einem
Inhaltsirrtumentspricht der äußere
Tatbestandder Erklärung dem Willen des Erklärenden. Dieser irrt aber über die Bedeutung oder Tragweite der Erklärung. Er weiß also was er sagt, weiß aber nicht, was er damit sagt (Grüneberg/Ellenberger, § 119 RdNr. 11). Demgegenüber stimmen bei einem
EigenschaftsirrtumWille und Erklärung überein. Der Erklärende irrt nicht über die Erklärungshandlung oder den Erklärungsinhalt, sondern über Eigenschaften des Geschäftsgegenstandes und damit über die außerhalb der Erklärung liegende Wirklichkeit (Grüneberg/Ellenberger, § 119 RdNr. 23). In Fällen des sog.
Identitätsirrtums ist die Abgrenzung im Einzelfall durchaus schwierig (ausführlich dazu: (MüKoBGB/Armbrüster, 9. Aufl. 2021, BGB § 119 Rn. 81; s. auch OLG Hamm, Urt. v. 4.4.2019 = https://www.justiz.nrw.de/nrwe/olgs/hamm/j2019/5_U_40_18_
Urteil_20190404.html, das die Abgrenzung letztlich aber offenließ). Überwiegend wird zur Abgrenzung indes darauf abgestellt, ob der Käufer den Kaufgegenstand körperlich richtig identifiziert hat (dann bloß
Eigenschaftsirrtum) oder nicht (dann
Inhaltsirrtum) (vgl. Jauernig/Mansel, 18. Aufl. 2021, BGB § 119 Rn. 9). Im vorliegenden Fall, wo K das bestimmte Gemälde kauft, das ihm angeboten wird, decken sich seine Erklärungshandlung mit dem Erklärungswillen (Kauf dieses Gemäldes). Der Irrtum über den Urheber stellt sich insoweit weniger als
Identitätsirrtumdar, sondern vielmehr als "bloßer" Irrtum über die Eigenschaften des Gemäldes (vgl. BGH NJW 1988, 2597). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Doris Eventualis
31.1.2024, 10:23:24
Aber weiter vorne stand doch, dass ein
Eigenschaftsirrtumauch ein
Inhaltsirrtumsein kann, wenn die Eigenschaft der Sache Bestandteil der abgegebenen WE geworden ist…das könnte man doch hier subsumieren. Dann aber würde man ja das Sachmängel GWLR umgehen. Also sollte die Annahme eines gleichzeitigen
Inhaltsirrtums nur sehr streng gesehen werden?
David.
25.11.2022, 14:23:19
II ist auch ausgeschlossen wegen Vorrang der Gewährleistungsrechte oder? Das heißt K ginge in diesem Fall leer aus?

Nora Mommsen
26.11.2022, 19:15:55
Hallo David, danke für deine Frage. Im Anwendungsbereich der Mängelhaftung (§§ 437 ff., 536 ff., 634 ff., 651c ff.) ist
§ 313ausgeschlossen (BGHZ 98, 103 f. mN; 117, 162; MDR 2008, 616). Dies gilt auch dann, wenn die Voraussetzungen der Mängelhaftung im Einzelfall (zB wegen Verjährung, Ausschließung) nicht eingreifen (BGHZ 117, 163 f.); nicht jedoch dann, wenn der betreffende Umstand von vornherein nicht geeignet ist, Sachmängelansprüche auszulösen. (Siehe Jauernig/Stadler, 18. Aufl. 2021, BGB
§ 313Rn. 10). Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
David.
28.11.2022, 16:43:56
K geht damit leer aus, weil andere Ansprüche auch nicht in Betracht kommen?
Flohm
15.8.2023, 11:33:01
Wieso greift hier die
Sperrwirkungdes Gewährleistungsrechts aber in den Fällen davor nicht, obwohl da auch der
Gefahrübergangschon statt gefunden hat ?

CR7
26.8.2023, 13:16:50
In den Fällen vorher hat noch keine Verjährung stattgefunden, also laut Sachverhalt zumindest nicht. Daher würden die 434 ff. nicht umgegangen. Bei den Stühlen lag ja ein SchenkungsV vor, bei den Musiknoten keine
Beschaffenheitsvereinbarung.
Doris Eventualis
31.1.2024, 10:25:47
Aber knüpft die Auslösung der
Sperrwirkungnicht bereits an dem Vorliegen eines Sachmangels an? Also kommt es überhaupt auf die Verjährung an? Ich verstehe in den vorliegenden Fällen ehrlich gesagt dieses Verhältnis zwischen
Eigenschaftsirrtumund GWLR nicht so ganz.
Bienenschwarmvereinigung 🐝🐝🐝
8.8.2024, 10:38:22
in den Fällen davor gab es keinen Fall, bei dem ein
Eigenschaftsirrtumzugleich einen Sachmangel dargestellt hat und die Kaufsache schon übergeben worden war.
Bienenschwarmvereinigung 🐝🐝🐝
8.8.2024, 10:52:11
Bzw: Im Fall mit den Noten gab es schon einen
Sachmangel bei Gefahrübergang...verstehe es jetzt doch nicht so ganz wieso dort die Anfechtung durch den Verkäufer noch möglich war, denn dadurch konnte er sich ja den Mängelgewährleistungsrechten des Käufers entziehen und sich aus dem Vertrag lösen...
Bienenschwarmvereinigung 🐝🐝🐝
8.8.2024, 11:06:22
Ich glaube die Anfechtung durch den Verkäufer (wie im Fall mit den Noten) soll weiterhin möglich sein und ist nicht durch die
Sperrwirkungbetroffen. Die
Sperrwirkungbetrifft nur die Anfechtung durch den Käufer. Dieser soll sich nicht aus dem Vertrag lösen können, die strengeren Anforderungen der Mängelgewährleistung umgehen (Fristen) und das Recht der zweiten
Andienungdes Verkäufers soll nicht ausgehebelt werden. Also darf der Käufer dies nicht durch eine Anfechtung alles umgehen. Der Verkäufer soll sich allerdings lösen dürfen, wenn nicht die Gefahr besteht, dass Rechte des Käufers damit umgangen werden von denen dieser Gebrauch machen würde. Dies ist vorliegend bei dem Verkauf einer wertvolleren Sache allerdings nicht zu erwarten, der Käufer wird sich nicht lösen wollen. Also zusammenfassend:
Sperrwirkungbesteht die verkehrswesenschaftliche Eigenschaft zugleich einen Sachmangel darstellt, dieser bei
Gefahrübergangvorliegt und der
Gefahrübergangstattgefunden hat. Die
Sperrwirkunggilt allerdings nur für den KÄUFER. Für den Verkäufer gilt die
Sperrwirkungnur, wenn der Käufer von seinen Gewährleistungsrechten Gebrauch machen möchte. Möchte er dies nicht tun (Kauf einer viel wertvolleren Sache) ist eine Anfechtung durch den Verkäufer weiterhin möglich.

Jonas22
30.12.2023, 17:02:22
Warum wird bei § 438 Abs. 1 Nr. 3 UND 2 zitiert? Wäre nicht nur Nr. 3 richtig?
Stella2244
24.1.2025, 00:20:52
Es ist Absatz 2 gemeint, wo gesagt wird wann die verhährungsfrist anfängt zu laufen
Flohm
29.7.2024, 09:17:36
Wie gelange ich bei der Verjährung von §438 IV, der ja nur auf §218 veweist, auf §438 I Nr. 3 ? Abs. 1 ist ja eig. nur für §437 Nr. 1 und 3 nicht Nr. 3.
nylinho
4.9.2024, 21:01:49
Abs. 1 erwähnt nur § 437 Nr. 1 und 3, da es sich bei § 437 Nr. 2 um keinen Ansprüche (iSv § 194 „Das Recht von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen) handelt, sondern um Gestaltungsrechte [denke ich].
Stella2244
1.11.2024, 17:25:06
im Text steht, es gehe um die Verjährung von Nacherfüllumgsansprüchen, aber der
Rücktrittist doch gerade nicht der
Nacherfüllungsanspruch… könnt ihr das erklären?
cornelius.spans
3.11.2024, 17:13:43
Wenn ich dich richtig verstehe, bezieht sich deine Frage auf die Verjährungsfrist des
Rücktrittsrechts? Hier gilt wegen §438 III 1 BGB der §
218 BGB. Hiernach ist der
Rücktrittdann unwirksam, wenn der Anspruch auf die Leistung oder Nacherfüllung hypothetisch verjährt wäre. (§218 I 2 BGB) Es kommt also auf die Verjährung an, die früher eintritt. In diesem Moment verjährt auch der
Rücktritt. Da sich hier der Anspruch auf die Nacherfüllung nach §438 I Nr. 3 BGB ergibt, wäre dieser nach 2 Jahren verjährt. (Auf die spätere Verjährung der
Leistungspflichtkommt es daher nicht mehr an.) Wegen der hypothetischen Verjährung der Nacherfüllung nach 2 Jahren ist daher auch der
Rücktrittbereits verjährt. LG
Stella2244
9.1.2025, 14:19:46
Danke @[cornelius.spans](264551)
cornelius.spans
3.11.2024, 17:23:35
Wäre hier eine Anfechtung wegen
Inhaltsirrtummöglich? §119 I Alt. 1 BGB Diese wird ja nicht von den Mängelgewährleistungsrechten verdrängt. Auch die Anfechtungsfrist des §121 I BGB wäre eingehalten, da die Anfechtung nur
unverzüglichnach der Kenntnisnahme des Anfechtungsgrundes, also des Irrtums erfolgen muss. Auch die 10 Jahresfrist des §121 II BGB wäre gewahrt. Was meint Ihr? LG
hannabuma
22.11.2024, 17:09:07
Lukas hat das unter einer anderen Frage zu diesem Fall so beantwortet: „Überwiegend wird zur Abgrenzung indes darauf abgestellt, ob der Käufer den Kaufgegenstand körperlich richtig identifiziert hat (dann bloß
Eigenschaftsirrtum) oder nicht (dann
Inhaltsirrtum) (vgl. Jauernig/Mansel, 18. Aufl. 2021, BGB § 119 Rn. 9). Im vorliegenden Fall, wo K das bestimmte Gemälde kauft, das ihm angeboten wird, decken sich seine Erklärungshandlung mit dem Erklärungswillen (Kauf dieses Gemäldes). Der Irrtum über den Urheber stellt sich insoweit weniger als
Identitätsirrtumdar, sondern vielmehr als "bloßer" Irrtum über die Eigenschaften des Gemäldes (vgl. BGH NJW 1988, 2597).“