Großer Schadensersatz bei Teilleistung

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem

K kauft bei V eine Designerküche für € 10.000. Außer dem Kühlschrank wird alles wie vereinbart geliefert. K setzt V erfolglos eine Nachfrist. Da kein anderer Kühlschrank in die Küche passt, kauft K für €11.000 eine neue Küche bei Händlerin H. Die €11.000 will sie von V ersetzt bekommen.

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Einordnung des Falls

Großer Schadensersatz bei Teilleistung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K steht gegen V dem Grunde nach ein Anspruch auf Schadensersatz zu (§§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 BGB) zu.

Ja!

Der Anspruch setzt voraus: (1) Schuldverhältnis, (2) der Schuldner leistet – trotz Möglichkeit – nicht ordnungsgemäß,(3) erfolgloser Ablauf einer vom Gläubiger gesetzte, angemessene Nachfrist, (4) Vertretenmüssen des Schuldners und (5) Schaden des Gläubigers.K und V haben einen Kaufvertrag geschlossen (§ 433 Abs. 1 BGB). Da der Kühlschrank fehlt, hat V nur eine Teilleistung erbracht und dies auch nicht innerhalb der gesetzten Nachfrist nachgeholt. Das Vertretenmüssen wird vermutet. Da K für die gezahlten €10.000 nicht die volle Gegenleistung erhalten hat, liegt ein Schaden vor.
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2. K könnte Mehrkosten für den Kauf eines anderen Kühlschranks als Schaden geltend machen.

Genau, so ist das!

Der Schuldner ist nach § 281 Abs. 1 S. 1 BGB zum Schadensersatz verpflichtet, soweit er die Leistung nicht oder nicht wie geschuldet innerhalb der gesetzten Frist erbringt. Der Gläubiger kann insofern stets die mangelhafte Sache behalten und den Wertunterschied zu einer mangelfreien Sache geltend machen (kleiner Schadensersatz).Hätte V ordnungsgemäß geleistet, so hätte K eine funktionierende Küche inklusive Kühlschrank. Als kleinen Schadensersatz könnte K jedenfalls etwaige Mehrkosten verlangen, die sie für den Kauf eines vergleichbaren Kühlschranks aufwenden müsste.

3. Da V seine Leistung nicht wie geschuldet erbracht hat, könnte K ohne Weiteres auch die gesamte Küche zurückgeben und die Mehrkosten einer vergleichbaren Küche von V verlangen.

Nein, das trifft nicht zu!

Ist die Leistung nur teilweise gestört, so kann der Gläubiger im Hinblick auf die gesamte Leistung nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 281 Abs. 1 S. 2 BGB (Teilleistung) bzw. § 281 Abs. 1 S. 3 BGB (Schlechtleistung) Schadensersatz verlangen.V hat seine Leistung nur im Hinblick auf den Kühlschrank nicht erbracht, im Übrigen ist die Leistungsbeziehung ungestört. K kann also nur bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen der §§ 281 Abs. 1 S. 2, 3 BGB für die ganze Küche Ersatz verlangen.

4. Da V die Küche ohne Kühlschrank geliefert hat, liegt eine Schlechtleistung vor (§ 281 Abs. 1 S. 3 BGB).

Nein!

Eine Schlechtleistung liegt vor, wenn der Gläubiger die Leistung erhält, diese aber nicht so beschaffen ist, wie sie geschuldet wird (qualitativ). Eine Zuwenigleistung liegt dagegen vor, wenn der Schuldner bis Fristablauf nur einen Teil der Schuld erbringt (quantitativ).Die gelieferten Küchenteile sind einwandfrei. Allerdings fehlt der Kühlschrank. Insofern liegt eine quantitative und keine qualitative Abweichung vor. Bei ungleichartigen Leistungsgegenständen (Kühlschrank, Küchenschränke, Ofen...) findet § 434 Abs. 3 BGB keine Anwendung (vgl. MüKo-BGB/Westermann; BeckOK-BGB/Faust). Es kommt hier somit nicht auf den Streit an, ob die dortige Gleichstellung von Teil-/Schlechtleistung auch im Schuldrecht gilt.

5. K kann Schadensersatz für die ganze Küche verlangen, da die zusätzlichen Voraussetzungen des § 281 Abs. 1 S. 2 BGB (Teilleistung) vorliegen.

Genau, so ist das!

Bei einer Teilleistung kann der Gläubiger Schadensersatz bezüglich der ganzen Leistung nur verlangen, wenn er an der erbrachten Teilleistung bei objektiver Betrachtung kein Interesse hat. Dieser Interessenwegfall muss auf der Unvollständigkeit der Leistung beruhen und kommt nur in Betracht, wenn der für den fehlenden Teil geschuldete Schadensersatz zusammen mit dem Erbrachten Leistungsteil nicht genügt, das Gläubigerinteresse zu befriedigen.Da ausweislich des Sachverhaltes kein anderer Kühlschrank in die Küche passt und dieser essentiell für eine Küche ist, hat K objektiv kein Interesse an dem Behalten der unvollständigen Küche.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

SI

silasowicz

22.8.2023, 15:30:59

Ist das unstrittig eine quantitative Abweichung in diesem Fall?

LELEE

Leo Lee

23.8.2023, 10:26:34

Hallo silasowicz, so ist es! Bei - wie hier - ungleichartigen Gegenständen (also verschiedene Geräte innerhalb der Küche) liegt beim Fehlen eines Geräts eine quantitative Abweichung unstrittig vor :). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo

BRSA

BrSa

11.11.2023, 14:19:29

hi, wieso liegt hier kein kaufrechtl. GewaehrleistungsR vor? Die Küche wurde doch übergeben.

LELEE

Leo Lee

11.11.2023, 15:13:34

Hallo SabrinaBruemmer, das ist eine sehr gute Frage und du hast völlig Recht! Da die Küche übergeben wurde – und somit der Gefahrenübergang bereits stattfand i.S.d. 446 – ist in der Tat die Anwendung der §§ 434 ff. gegeben. Beachte allerdings, dass auch die Gewährleistungsrechte wegen der Verweisungsnorm des § 437 BGB (der u.a. eben auf den § 281 verweist) die §§ 280 ff. als „Rechtsgrund“ immer noch Anwendung finden. D.h., dass § 437 – soweit ein Kaufvertrag + Mangel bei Gefahrübergang vorliegen – auf den § 281 verweist, weshalb wir dann mit dieser Norm weitermachen. Hierzu kann ich dir die Lektüre von MüKo-BGB 8. Auflage, Westermann § 437 Rn. 8 empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

JUL

Julian

18.11.2023, 15:18:51

Hallo, eine der ersten Fragen stimmt nicht. Gefragt wird, ob ein möglicher Anspruch bezüglich der Mehrkosten für den Kühlschrank bestehen. Im vorliegenden Fall geht es aber um die Mehrkosten für die Küche.

LELEE

Leo Lee

18.11.2023, 19:49:14

Hallo Julian, beachte, dass die Frage sich nicht auf den großen SE, sondern nur auf den kleinen Schadensersatz bezieht! Bei dem kleinen SE geht es darum, dass man erstmal den „Rest“ behält und nur die mangelhafte Differenz ausgleicht – hier würde man also die Küche an sich behalten und eben nur den Schaden bzw. die Differenz für die schlechte Kühlschrank geltend machen können. Wir wollte also mit der Erwähnung der Frage aufzeigen, dass neben dem großen SE auch immer der kleine SE zur Verfügung steht (da dies häufig in Klausuren übersehen wird!).

NIC

Nicolas

27.11.2023, 17:13:43

Fehlt hier nicht iRd ersten Aufgabe die Verweisungsnorm aus dem Kaufrecht? In vorherigen Aufgaben kam es teils entscheidend darauf an, diese zu beachten. Insofern sollte dies mE einheitlich gestaltet und ergänzt werden

Kai

Kai

6.1.2024, 14:27:18

In der zweiten Frage heißt es in der Subsumtion, dass K problemlos die Mehrkosten für einen vergleichbaren Kühlschrank verlangen könnte. Im SV heißt es allerdings, dass gar kein anderer Kühlschrank in die Küche passt, sondern nur derjenige, der im Designer-Set enthalten ist. Entweder ergibt die Subsumtion keinen Sinn, da K schwer SE für den Kauf von etwas verlangen kann, was es nicht gibt. Oder ich verstehe das Wort passt falsch (ich gehe davon aus, dass Bauartbedingt nur dieser Schrank in die Küche passt. Liest man das Wort passt lediglich im Designkontext, ergäbe es mehr sinn, einen anderen Kühlschrank zu kaufen, der in die Küche auch eingesetzt werden kann). Könntet ihr an einer dieser beiden Stellschrauben drehen, dass das verwirrende Element dieses Falles entfällt? Danke euch :)

LELEE

Leo Lee

7.1.2024, 16:01:15

Hallo Kai, vielen Dank für diese sehr gute Frage! Du hast die Aufgabe und die Aufgabentexte völlig richtig verstanden. Beachte allerdings, dass man immer zwischen dem kleinen und großen SE unterscheiden muss. Der kleine SE – egal ob ein passender Kühlschrank existiert oder nicht – kann man IMMER fordern (deshalb ist der kleine SE auch, außer bei Unmöglichkeit natürlich, eigentlich immer drin). Die Tatsache, dass kein anderer Kühlschrank in die Küche passt, wird wiederum für den großen Schadensersatz wichtig. D.h., hier müssen wir schauen, ob das Interesse an einer Teilleistung noch gegeben ist oder eben nicht. Und genau hier – also bei Interesse – wird die Tatsache, dass unser Käufer die Küche ohne einen passenden Kühlschrank nicht benutzen kann, relevant. D.h. also zusammenfassend: Ob ein anderer Kühlschrank in die Designerküche passt, ist für den kleinen SE nicht relevant, weil hier die Grundannahme ist, dass der Käufer die Sache ohnehin behält und den Minderwert (fehlender Kühlschrank) geltend macht. Erst wenn es darum geht, den gesamten Vertrag zum „Fallen“ zu bringen kommen die engeren Voraussetzungen zur Geltung, indem eben ein fehlendes Interesse an der Teilleistung gefordert wird (das hier vorliegt, weil in die Küche nur der ganz bestimmte Kühlschrank reinpasst). Hierzu kann ich die Lektüre von MüKo-BGB 9. Auflage, Ernst § 281 Rn. 142 empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

Kai

Kai

7.1.2024, 17:08:23

Vielen Dank für die schnelle und umfangreiche Erklärung! :)

Josef K.

Josef K.

23.1.2024, 12:48:57

Ich verstehe nicht, wie der Kaufpreis für einen unpassenden Kühlschrank den entstandenen Schaden einer unvollständigen "Designer"–Küche beheben würde. Insoweit scheint mir die Kausalität des Schadens fraglich. Abgesehen davon heißt es im Sachverhalt nur, dass K eine neue Küche kauft, nicht aber einen unpassenden Kühlschrank.

VALA

Vanilla Latte

15.2.2024, 02:28:28

Hier ist es also ein quantitativen Mangel, da ungleichartig. Wie ist das bei gleichartigen Sachen? Wäre es ein qualitativer Fehler? z.B. wenn einer von 3 Unterschränken fehlt

PEL

Pelin

28.8.2024, 20:01:03

Ich verstehe nicht ganz wieso nicht nur die Differenz (hier 1.000€) geltend gemacht werden kann, sondern der komplette Preis für die neue Küche. Ist das, weil K ja die bereits bezahlten 10.000 für die alte Designerküche sowieso zurück bekommt?

LELEE

Leo Lee

1.9.2024, 18:01:33

Hallo Pelin, vielen Dank für die sehr gute Frage! Vorab: Dieses Thema ist kein einfaches, weshalb deine Frage völlig normal ist. Zunächst gilt es zu merken, dass der kleine SE IMMER drin ist (denn der Käufer kann immer sich dafür entscheiden, eine Sache trotz Mangels zu behalten, wenn er möchte). Es gibt allerdings Fälle, in denen der Käufer es sich eben "nicht gefallen lassen" muss, sondern wenn er möchte den Vertrag komplett rückgängig machen kann, wenn er möchte (das ist dann der große SE). Allerdings geltend hierfür höhere Schwellen (kein Interesse an der Teilleistung etwa). Vorliegend kann K deshalb die 10.000 unter Rückgabe der gesamten Küche fordern, weil sie eigentlich von vornherein eine komplette Designerküche gewollt hat. Wenn aber der Verkäufer nicht richtig liefert UND die Komplettheit nicht anderweitig hergestellt werden kann (kein anderer Kühlschrank passt in die Küche), dann muss er auch "leiden" und es sich gefallen lassen, wenn unsere K vom Vertrag komplett Distanz nimmt. Kurzum: Den großen Schadensersatz gibt hier deshalb, weil K darauf vertraut hat, dass sie - wie vereinbart - ein "Einzelstück" nach Maßschneiderung kriegt und der Verkäufer dieses "hohe" Interesse enttäuscht hat. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-BGB 9. Auflage, Ernst § 281 Rn. 154 ff. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

LUKA

Lukas

3.9.2024, 14:26:29

Von einigen wurde hier bereits reklamiert oder erfragt, warum der Anspruch hier nicht nach §§ 437 Nr. 3, 280 I, III, 281 BGB zitiert ist. M.E. wäre das hier auch richtig und konsequent. Aber eins nach dem Anderen: V liefert die Küche ohne Kühlschrank. K nimmt sie an. Es kommt also zum Gefahrübergang (§ 446 BGB), in der Folge ist Kaufrecht anwendbar. Eine konkludente Einigung auf Teilleistung (mit der Folge, dass kein Sachmangel bezüglich der Teilnichtlieferung zum Leistungszeitpunkt gegeben wäre und auch K's Fristsetzung damit ins Leere ginge), ist dem Sachverhalt nicht zu entnehmen. V scheint keine Notwendigkeit für die weitere Leistungserbringung zu sehen und K setzt unmittelbar nach Feststellen des fehlenden Kühlschranks Nachfrist. Um SE statt der Leistung gem. §§ 437 Nr. 3, 280 I, III, 281 BGB zu fordern, muss die Sache zunächst mangelhaft sein. Hier besteht eine Abweichung der Ist- von der Soll-Beschaffenheit. Ein Sachmangel ist wohl gem. § 434 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BGB anzunehmen. Als Rechtsgrund wird weiter auf die Voraussetzungen der §§ 280 I, III, 281 BGB verwiesen. Notwendig ist eine Pflichtverletzung i.S. des § 281 Abs. 1 S. 1 BGB. Diese ist gegeben, die Leistung wurde durch V nicht wie geschuldet erbracht und der K hat eine angemessene Nachfrist gesetzt, welche erfolglos verstrichen ist. Das Vertretenmüssen wird vermutet. Auf Ebene des Schadens beißt sich jetzt aber die Kuh in den Schwanz. Unproblematisch könnte K einen ähnlichen Kühlschrank kaufen und die Kosten von V ersetzt verlangen. Schadensersatz statt der ganzen Leistung gibt es jedoch nur unter den weiteren Voraussetzungen des § 281 I S. 2, 3 BGB. Fraglich ist, ob eine Teilleistung bzw. Zuwenigleistung (S. 2) oder eine Schlechtleistung vorliegt (S. 3). Die Lösung hier geht davon aus, dass eine Zuwenigleistung/Teilleistung vorliegt. Das ist auch die Auffassung der herrschenden Meinung. Für die Beurteilung des Schadens bzw. des Rücktritts nach dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht würden andere Maßstäbe gelten als für das Kaufrecht. Eine andere Ansicht wendet ein, dass hier ein Sachmangel (mithin Schlechtleistung) vorliegt. § 434 III 2 BGB differenziere nicht zwischen Zuwenigleistungen und Schlechtleistungen. Entsprechendes sollte für die Auslegung der Begriffe in § 281 BGB gelten. Der Schuldner habe hier keine Teilleistung bewirken, sondern "erfüllen" wollen. In der tatsächlichen Leistung, die zwar quantitative Abweichung ist, liege dann eine Schlechtleistung. Je nach Ansicht (Begrifflichkeiten nach Gewährleistungsregeln auslegen oder nach Leistungsstörungsrecht) richten sich die SE-Voraussetzungen also nach S. 2 (Darlegen, dass kein Teilleistungsinteresse) oder nach S. 3 (Darlegen, dass Pflichtverletzung nicht unerheblich - geringerer Beweisaufwand).


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