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Klassisches Klausurproblem

Die Refurbish-GbR besteht aus den Gesellschaftern G1 und G2. G1 verzockt sich privat beim Aktienhandel und braucht frisches Geld. Deshalb veräußert er heimlich sein Diensthandy, das von der GbR bereitgestellt wurde, an den ahnungslosen A. G2 ist mit solchen Geschäften nicht einverstanden.

Einordnung des Falls

Besitzfähigkeit

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Eigentümerin des Handys waren zunächst die Gesellschafter G1 und G2.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Die Außen-GbR ist nach ghM rechtsfähig und damit selbst Träger von Rechten und Pflichten. Die Rechtsfähigkeit zeigt sich insbesondere daran, dass neue Gesetze selbst von der Rechtsfähigkeit der GbR ausgehen (vgl. § 162 Abs. 1 S. 2 HGB, § 899a BGB, § 47 Abs. 2 GBO, § 11 Abs. 2 InsO). Die Rechtsfähigkeit führt dazu, dass die GbR selbst Eigentümerin sein kann und hier nicht die Gesellschafter, sondern die Gesellschaft selbst Eigentümerin des Handys war.

2. A konnte von G1 unmittelbar nach § 929 S. 1 BGB das Handy erwerben.

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Nein, das trifft nicht zu!

§ 929 S. 1 BGB setzt Einigung, Übergabe und Berechtigung voraus. Zwar haben sich G1 und A geeinigt und wurde das Handy dem A auch übergeben. Eigentümer und damit Berechtigter ist jedoch nur die GbR selbst. Die Gesellschafter der GbR haben grundsätzlich auch keine Verfügungsbefugnis, über das Vermögen der GbR im eigenen Namen zu verfügen (§ 719 Abs. 1 BGB). Mangels Berechtigung konnte A daher nicht unmittelbar nach § 929 S. 1 BGB, sondern höchstens gutgläubig das Eigentum erwerben (§§ 929 S. 1, 932 BGB).

3. Ein gutgläubiger Erwerb scheidet aus, weil das Handy der Refurbish-GbR abhandengekommen ist (§ 935 Abs. 1 BGB).

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Ja!

Abhandenkommen liegt vor, wenn der Eigentümer den unmittelbaren Besitz an der Sache unfreiwillig verliert (§ 935 Abs. 1 S. 1 BGB). Die rechtsfähige GbR kann nicht nur Eigentümerin, sondern auch unmittelbare Besitzerin sein (Besitzfähigkeit). Ihr wird der Besitz an einer Sache zugerechnet, wenn die tatsächliche Sachherrschaft von ihren Geschäftsführern (§§ 709 ff. BGB, sog. Organbesitz) oder von ihren Angestellten als Besitzdienern (§ 855 BGB) ausgeübt wird. Die GbR ist Besitzerin, nicht Gesellschafter selbst. Für den Besitzverlust ist der Wille aller geschäftsführungsberechtigten Gesellschafter maßgeblich.Bei der Refurbish-GbR besteht Gesamtgeschäftsführung und -vertretung durch alle Gesellschafter gemeinsam (§§ 709 Abs. 1, 714 BGB) als gesetzlicher Regelfall. Eine abweichende gesellschaftsvertragliche Regelung ist nicht ersichtlich. G1 und G2 sind nicht allein, sondern nur gemeinsam zur Geschäftsführung und Vertretung der GbR berechtigt, sodass ein Einverständnis mit Verlust des unmittelbaren Besitzes an dem Handy nur gemeinsam möglich ist. G2 war mit dem Besitzverlust nicht einverstanden, sodass das Handy der GbR abhandengekommen ist und ein gutgläubiger Erwerb ausscheidet.

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Helena

Helena

16.2.2022, 09:55:02

Ich bin etwas verwirrt hiermit. Bei der Leihe zum Beispiel Ist die Sache ja nicht abhanden gekommen wenn der Leihende sie dann veräußert, weil der eigentliche Eigentümer sie ja freiwillig aus der Hand gegeben hat. Wieso sieht das anders aus, wenn der Gesellschafter berechtigterweise von der Gesellschaft die Sachherrschaft bekommen hat? Kommt es darauf an, ob die Gesellschafter nur für die GbR die Sachherrschaft ausüben wollen oder ob die GbR tatsächlich den Besitz auf den möglichen Gesellschafter übertragen hat. Kann ein Gesellschafter überhaupt eigenen Besitz an Sachen der GbR haben? Wie gesagt ich bin gerade sehr verwirrt

Marilena

Marilena

17.2.2022, 18:24:02

Liebe Helena, danke für die Frage. Die GbR kann aufgrund ihrer anerkannten Rechtsfähigkeit nicht nur Eigentümerin beweglicher und unbeweglicher Sachen sein, sondern jede Rechtsposition innehaben, also auch Besitzerin von Sachen sein. Dabei wird die tatsächliche Sachherrschaft von den geschäftsführenden Gesellschaftern ausgeübt (sogenannter Organbesitz). Wichtig: Die Sachherrschaft wird der GbR zugerechnet, sodass sie Besitzerin ist (nicht die Gesellschafter selbst). Für den Besitzverlust kommt es auf den Willen aller geschäftsführungsberechtigten Gesellschafter an. Im vorliegenden Fall gilt - mangels abweichender gesellschaftsvertraglicher Regelungen - der gesetzliche Regelfall, das heißt Gesamtgeschäftsführung und -Vertretung durch alle Gesellschafter gemeinsam (§§ 709 Abs. 1, 714 BGB). G1 und G2 waren nur gemeinsam zur Geschäftsführung und Vertretung der GbR berechtigt, sodass ein Einverständnis mit dem Verlust des unmittelbaren Besitzes am Handy nur gemeinsam möglich war. Hier lag mangels erforderlicher Zustimmung des G2 kein gegen die GbR wirkendes Einverständnis vor. Daher ist der Besitzverlust ohne den Willen der GbR eingetreten und das Handy der GbR abhanden gekommen.

Marilena

Marilena

17.2.2022, 18:28:16

Um auf Deine Fragen zurückzukommen, nein, Besitzerin an sich ist die GbR. Im Hinblick auf die Konstellation bei der Leihe liegt der gravierende Unterschied hier darin, dass die Gesellschafter nur gemeinsam zur Geschäftsführung und Vertretung befugt sind. Befände sich im Gesellschaftsvertrag eine Regelung, wonach G1 allein geschäftsführungsbefugt ist, käme es für den Besitzverlust der GbR nur auf seinen Willen an.

Marilena

Marilena

17.2.2022, 18:29:26

Ich hoffe, Du hast jetzt wieder einen klareren Durchblick und ich konnte die Verwirrung auflösen. Einen schönen Abend Dir und beste Grüße Marilena für das Jurafuchs-Team

juramen

juramen

17.5.2023, 11:54:35

Gibt es dann überhaupt eine Möglichkeit von einem Nichtberechtigten Gesellschafter eine Sache der GbR gutgläubig zu erwerben? Oder hat man dann immer automatisch eine abhanden gekommen Sache?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

18.5.2023, 10:54:50

Hallo juramen, in der Konstellation des einzelvertretungsberechtigten Gesellschafters läge kein abhandenkommen vor und ein gutgläubiger Erwerb wäre möglich. Veräußert der Gesellschafter das Handy dann als sein eigenes, fehlt ihm mangels Eigentum die Berechtigung. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

phiob

phiob

6.6.2023, 15:29:29

In welchem Moment findet hier der Besitzverlust der GbR statt? Fällt das Abhandenkommen zeitlich mit der versuchten Übereignungshandlung zusammen, weil der GbR in diesem Moment mangels Willen des Gesellschafters der Besitz nicht mehr zugerechnet werden kann? Bin etwas verwirrt...

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

7.6.2023, 16:50:20

Hallo phiob, klasse Frage! Für die Zurechnung des Besitzes des Gesellschafters zur Gesellschaft bedarf es zweier Voraussetzungen: (1) die Willensrichtung der natürlichen Person, welche die tatsächliche Herrschaft für die Gesellschaft als Besitzdiener ausübt, (2) die Zugehörigkeit der die Sachherrschaft ausübenden natürlichen Person und der Sache zum Organisationskreis der Gesellschaft (MüKoBGB/Schäfer, 8. Aufl. 2020, BGB § 718 Rn. 37MüKoBGB/Schäfer, 8. Aufl. 2020, BGB § 718 Rn. 37). In dem Moment, in dem der Gesellschafter hier die Sache veräußert, will er nunmehr nur noch für sich selbst besitzen. Dadurch begeht er gegenüber der GbR verbotene Eigenmacht und das Handy kommt dieser abhanden (§ 935 BGB). Ich hoffe, jetzt wird es etwas klarer :-) Beste Grüße, Lukas- für das Jurafuchs-Team


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