BT 1: Totschlag, Mord, Körperverletzung, u.a.: 39 Fälle & Rechtsprechungen mit Lösung

Auf Jurafuchs Wissen findet Ihr 39 Fälle & Rechtsprechungen mit Lösung zum Thema BT 1: Totschlag, Mord, Körperverletzung, u.a. für die Klausuren- und Examensvorbereitung im Jurastudium und Referendariat.
Jurafuchs Illustration: T und H lassen die nicht mehr ansprechbare O in einem Hinterhof leicht bekleidet liegen.

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Aussetzung eines widerstandsunfähigen Mädchens bei Kälte - Jurafuchs

Der BGH rügt in dieser Entscheidung das Urteil der Vorinstanz. Die Täter hatten das widerstandsunfähige Opfer bei Temperaturen um den Gefrierpunkt in der Kälte gelegt. Hier kommt laut dem BGH nicht nur eine gefährliche Körperverletzung in Betracht, sondern auch eine Aussetzung. Dies hatte das Ausgangsgericht nicht in Betracht gezogen. In dem Ablegen in der Kälte liegt jedoch das Versetzen in eine hilflose Lage und die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung, mithin eine Aussetzung.

Jurafuchs Illustration: T wird von der Polizei abgeführt. In seiner Tasche werden Seile gefunden.

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Sich-Bereit-Erklären zum Mord gegenüber dem Opfer - Jurafuchs

Der BGH bestätigt hier eine 7-jährige Gefängnisstrafe für einen Mann, der Frauen ermutigte, Selbstmord zu begehen, und plante, eine suizidale Frau selbst zu töten. Obwohl er den Mord nie versucht hatte, entschied das Gericht, dass seine ernsthafte Absicht und Vorbereitung ausreiche, um das Verbrechen des "Sich-Bereiterklärens zum Mord" zu begehen. Der Mann hatte die suizidale 23-jährige Frau online kennengelernt und sich mit dem Plan getroffen, sie zu erhängen. Als die Polizei ihn nach dem Abholen der Frau festnahm, fanden sie Seile und Kabelbinder in seinem Auto. Das „Sich-Bereit-Erklären“ im Rahmen des § 30 Abs. 2 Alt. 1 StGB umfasse nach dem Wortlaut und Zweck nicht nur die Äußerung gegenüber einem Dritten, sondern auch gegenüber dem Opfer. Hier seien die psychologischen Dynamiken ähnlich wie bei einer Verschwörung mit einem Komplizen.

Jurafuchs Illustration: A zündet ein Haus an in dem Wissen, dass dort kleine Kinder leben.

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Klausurklassiker Heimtücke: Argwohn bei Kleinkindern - Jurafuchs

Der BGH beschäftigt sich hier mir der Möglichkeit eines Heimtücke-Mordes an Klein(st)kindern. Dies sei in der Regel nicht möglich, da Kleinkinder nicht fähig sind, anderen Vertrauen entgegenzubringen. Ihnen fehlt also nicht Fähigkeit, Argwohn zu entwickeln. Diese Fähigkeit ist allerdings im Einzelfall zu prüfen und kann durchaus auch schon bei Dreijährigen vorhanden sein. Bei einem Fehlen sei stattdessen auf die Arglosigkeit von schutzbereiten Dritten abzustellen. Hierbei kommen aber nur Personen in Betracht, die im Augenblick der Tat tatsächlich den Schutz des Kindes übernommen haben und es eben deshalb nicht haben, weil sie arglos waren.

Jurafuchs Illustration: A und B planen den Tod des in einer Lagerhalle gefesselten Opfers O1.

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Unterlaufen des Koinzidenzprinzips? Zeitpunkt der Erfüllung von Mordmerkmalen - Jurafuchs

Grundsätzlich müssen Mordmerkmale zum Zeitpunkt der Tatbegehung vorliegen (Koinzidenzprinzip). In diesem Beschluss bestätigt der BGH seine Vorverlagerungsrechtsprechung und erweitert sie auf Fälle, in denen das Opfer vor der Tötung in eine hilflose Position gebracht wird und diese günstige Gelegenheit bis zur Tötung fortwirkt. Das Mordmerkmal der Heimtücke kann demnach auch bereits vor der Tötungshandlung verwirklicht sein. Zudem stellt der BGH klar, dass es zur Erfüllung des Mordmerkmals der Verdeckungsabsicht bei zweiaktigen Geschehen genügt, dass die Tötungsabsicht bereits vor der Begehung der zu verdeckenden Tat gefasst war.

Jurafuchs Illustration: A und F sitzen in einem Auto und streiten sich.

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Niedrige Beweggründe bei übersteigertem Besitzdenken? - Jurafuchs

Niedrige Beweggründe kommen in Betracht, wenn sie nicht menschlich verständlich, sondern Ausdruck einer niedrigen Gesinnung des Täters sind. Der Maßstab für die Bewertung eines Beweggrundes sind dabei die Vorstellungen der Rechtsgemeinschaft und nicht den Anschauungen einer Volksgruppe, die die sittlichen und rechtlichen Werte dieser Rechtsgemeinschaft nicht anerkennt. Auch Eifersucht kann einen niedrigen Beweggrund darstellen. Ein solcher komme nach dieser Entscheidung insbesondere in Betracht, wenn der Täter nach einer Trennung vom Partner dem anderen aus übersteigertem Besitzdenken das Lebensrecht abspricht.

Jurafuchs-Illustration: T läuft von einem Wohnhaus weg, in dem ein durch ihn angezündetes Zimmer in Brand steht.

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Abgrenzung: Gemeingefährlichkeit / Mehrfachtötung - Jurafuchs

Der BGH präzisiert in dieser Entscheidung das Mordmerkmal der Gemeingefährlichkeit. Laut Definition müsse das gemeingefährliche Mittel zu einer Gefährdung einer unbestimmten Anzahl von Menschen an Leib und Leben führen, weil der Täter die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat. Die Beschränkung eines Brandes auf ein Wohnhaus schließe dabei die Gemeingefährlichkeit nicht aus. Jede noch so allgemeine Gefahr habe der Natur der Sache nach irgendeine örtliche Grenze. Es komme darauf an, dass der Täter gerade aufgrund der Unbeherrschbarkeit des Mittels die Tötung von mehreren Menschen nicht ausschließen könne.

Jurafuchs Illustration: A bereitet sich im Nebenzimmer auf den geplanten Mord an B vor. B erwartet Böses.

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DANN muss das Mordmerkmal der Heimtücke vorliegen – Jurafuchs

Der BGH hat in dieser Entscheidung den Zeitpunkt für das Vorliegen des Mordmerkmals der Heimtücke präzisiert. Bei einer lang geplanten Tat könne es für die Beurteilung der Arglosigkeit nicht auf den Zeitpunkt des ersten mit Tötungsvorsatz ausgeführten Angriffs ankommen. Vielmehr sei der Zeitpunkt maßgeblich, in welchem der Täter das Opfer unter Ausnutzung der Arglosigkeit in eine hilflose Lage verbringt, die bis zur Tatausführung andauert. Hierbei ist wichtig, dass das Tatopfer bei Schaffung dieser Lage nicht mit einem lebensbedrohlichen Angriff rechnen müsse. Vielmehr genüge die Erwartung eines Angriffs gegen die körperliche Unversehrtheit.

Jurafuchs Illustration: Die Polizei stürmt gerade Ts Wohnung, der anfängt, auf den hineinstürmenden Polizisten zu schießen.

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Verdeckungsabsicht trotz aufgedeckter Tat? - Jurafuchs

Der BGH entscheidet hier über den Mord an einem Polizisten während einer geplanten Durchsuchung nach Drogen. Das Gericht bekräftigt seine bisherige Linie, dass das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht ausscheide, wenn die zu verdeckende Tat bereits aufgedeckt ist und jede Verdeckungshandlung aussichtslos ist. Niedere Beweggründe lägen hingegen vor, wenn der Täter sein Opfer allein aufgrund der Zugehörigkeit zu einer gewissen (Berufs-)Gruppe töte.

Jurafuchs Illustration: Der gebrechliche T hält der selbstsicheren O eine Flinte vor. Hinter O steht ein Geldsack.

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Gibt es ein Recht auf Selbsthilfe mittels Gewalt aufgrund berechtigter Forderung? - Jurafuchs

Der BGH präzisiert in folgendem Urteil, wie es sich auf die Strafbarkeit auswirkt, wenn der Täter mittels einer Schrotflinte versucht, eine Forderung durchsetzen. So sei die Handlung trotz des legitimen Anspruchs verwerflich i.S.d. § 240 Abs. 2 StGB. Zudem nimmt das Gericht Stellung zu den Anforderungen der Heimtücke. Hiernach hat der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit in feindlicher Willensrichtung bewusst auszunutzen. An dem Ausnutzungsbewusstsein fehle es, wenn der Täter die Schutzlosigkeit des Opfers nicht gezielt zur Tötung ausnutze.

Opfer O steht seinem Angreifer T gegenüber. O erwartet eine Prügelei, doch T zieht gerade eine Waffe.

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Examensklassiker: Anforderungen an die Arglosigkeit im Rahmen der Heimtücke - Jurafuchs

Der BGH beschäftigt sich in diesem Beschluss mit den Anforderungen, welche an die Arglosigkeit des Opfers im Rahmen der Heimtücke zu stellen sind. Hiernach sei das Opfer nicht erst dann arglos, wenn es um einen Angriff auf sein Leben fürchtet. Vielmehr reiche bereits eine Sorge um einen gewichtigen Angriff auf die körperliche Integrität. Dies gelte auch, wenn das Opfer mangels Wissens von einer Bewaffnung des Täters den gegen ihn gerichteten Angriff unterschätzt.

Freierin F streitet mit dem Prostituierten P in Fs Auto.

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Eventualvorsatz vs. direkter Vorsatz: Reicht auch der bedingte Vorsatz für die Annahme einer Verdeckungsabsicht aus? - Jurafuchs

Trotz des Wortlautes Verdeckungs“absicht“ entspricht es der ständigen Rechtsprechung des BGH, dass es im Hinblick auf den subjektiven Tatbestand grundsätzlich genügen soll, wenn der Täter hinsichtlich des Todes des Opfers lediglich mit bedingtem Vorsatz handelt. Im vorliegenden Fall hatte sich der BGH allerdings mit der besonderen Konstellation zu beschäftigen, dass nur der Tod des Opfers die Aufdeckung des Täters sicher verhindern konnte. Er bestätigte dabei seine Rechtsprechung, dass es in diesem besonders gelagerten Fall subjektiv der Tötungsabsicht und nicht bloß des Eventualvorsatzes bedürfe.

Jurafuchs Illustration zum Berliner Raserfall (BGH, 18.06.2020 - 4 StR 482/19): Zwei Fahrer liefern sich auf öffentlichen Straßen nachts ein Autorennen.

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Berliner Raserfall (BGH, 18.06.2020 - 4 StR 482/19): examensrelevante Rechtsprechung | Jurafuchs

Dreh- und Angelpunkt des Berliner-Raserfalls ist ein absoluter Klausurklassiker: Die Abgrenzung zwischen bewusster Fahrlässigkeit und bedingtem Vorsatz. Bei einem illegalen Wettrennen auf dem Berliner Ku'damm stieß einer der beteiligten Autofahrer mit einem querenden Fahrzeug zusammen, dessen Insasse verstarb. Hatte der Rennfahrer den Tod von unbeteiligten billigend in Kauf genommen (=bedingter Vorsatz) und verwirklichte den Tatbestand des Mordes oder vertraute er darauf, dass alles gut gehen würde (=bewusste Fahrlässigkeit), sodass hier fahrlässige Tötung anzunehmen wäre? Der Unterschied der Rechtsfolgen (Lebenslängliche Freiheitsstrafe vs. maximal drei Jahre Freiheitsstrafe) ist enorm, insofern verwundert es nicht, dass der Fall gleich zweimal beim BGH landete und letztlich auch Anlass für die Einführung einer neuen Strafvorschrift war: § 315d StGB.